Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

Als Kunde kann man nicht wirklich zufrieden sein mit der Bahn.

Ich denke, als Land Berlin auch nicht. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Danke schön, Herr Kollege! – Das Wort für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Weichert, bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Alles kommt noch einmal auf den Prüfstand“, so ein Bahnsprecher am vergangenen Dienstag. Das ist ein nüchterner Satz, der für sich genommen nichts Negatives bedeutet, doch in einer sich entwickelnden und städtebaulich verändernden Metropole wie Berlin klingt dieser Satz wie der buchstäbliche Schlag ins Gesicht. Es geht darum, den größten Bahnhof Europas, den Lehrter Bahnhof, gestalterisch attraktiv zu halten, ein marodes Ostkreuz zu sanieren, ein Südkreuz, Bahnhof Papestraße, zu errichten und die Dresdner Bahn herzustellen.

Wie soll ein Bahnhof wie der Lehrter Bahnhof oberirdisch an die städtebaulichen Voraussetzungen Berlins angebunden werden, wenn sein eigentliches Herz, die Gleise, rund 15 m unter der Erde liegt? – Die Idee, auf dem rd. 20 ha großen Areal eine Mischung aus Büro- und Geschäftsräumen sowie gastronomischen Einrichtungen und Wohnungen zu errichten, ist die richtige. Für diese Investitionen, unter anderem die sogenannten Bügelbauten, fehlt der Bahn jedoch das Geld. Der Leidtragende dieser Misere könnte das Land Berlin sein, muss es aber nicht. Ich bin mir sicher, dass die Deutsche Bahn im Dialog mit dem Stadtentwicklungssenator und dem Wirtschaftssenator auf die Suche nach neuen Investoren gehen wird, Investoren, die sich bestimmt leicht finden lassen, da der Lehrter Bahnhof für sich genommen von den Kürzungen nicht betroffen sein wird. Der erste Teil der unterirdischen Bahnhofshalle ist im Rohbau bereits fertiggestellt. Die Pfeiler für die Verlegung der S-Bahn ragen neben dem Bundeskanzleramt in den Berliner Himmel hinein. Und die Bauarbeiten kommen alles zusammengerechnet dennoch zügig voran.

Ende des nächsten Jahres soll die S- Bahn auf die neue Trasse eingeschwenkt werden. So wird auch weiterhin, wie jetzt geplant, der neue Bahnhof im Jahr 2005 seiner Bestimmung übergeben werden können. Nach der Fertigstellung werden diesen Bahnhof täglich rd. eine Viertelmillion Reisende nutzen und täglich rd. 500 Fern- und Regionalzüge halten, zusätzlich noch auf einer weiteren Ebene 260 Züge aus der Ost- West-Verbindung. Sogar – sofern doch noch ein Rest Hoffnung bestehen sollte – ist auf der südlichen Seite der Halle, auf dem Gleis 8, die Endstation für den Transrapid vorgesehen. Dass grüne Verkehrspolitik mit der Verhinderung dieses Projekts damals, die weitere Pendler, Geschäftsleute und private Konsumenten von Berlin fern hält, wird an dieser Stelle die Diskussion um die Suche nach Investoren nicht unbedingt erleichtern.

[Cramer (Grüne): Da ging es nicht um 2, sondern um 18 Milliarden DM]

Dennoch, und somit schließt sich der Kreis wieder, stellt es eine wirklich lohnende Idee dar, dort in der unmittelbaren Umgebung des Bahnhofs zu investieren. Die nächsten 18 Monate kann in erster Linie die Deutsche Bahn als Verursacher und

unterstützend der Berliner Senat dazu nutzen, geeignete Investoren und Betreiber auszuwählen. Bei dem, was sich hier an Potential bietet, wird also auch vom Bahnhof oberirdisch mehr zu sehen sein, als ein 60 m hoher Abluftkamin.

[Beifall bei der CDU – Cramer (Grüne): Aufgewacht?]

Dieser wäre mit Sicherheit nicht das geeignete Aushängeschild für diesen Bahnhof. Die Deutsche Bahn ist hier also in der besonderen Verantwortung, und wir werden sie auf der Suche nach Investoren und Betreibern ständig daran erinnern und eine möglichst schnelle Entscheidung anmahnen.

Dass die weiteren Projekte wie z. B. die Dresdner Bahn und die Sanierung des Ostkreuzes auf dem Prüfstand des Vorstands stehen, kann in der momentanen Situation wenig verwunderlich sein, sollen doch alle Projekte jetzt gerade noch einmal genau durchgerechnet werden und besondere Vorgaben der Bezirke und/oder des Landes gleich konkreter in die Ausgangsplanungen mit einbezogen werden. Je konkreter diese Planungen von Beginn an sind, desto geringer ist die Gefahr, dass plötzliche Kostenexplosionen ein Bauvorhaben aus eigener Hand verhindern bzw. dass diese erst gar nicht gestartet werden können. Bereits am 5. Juni teilte der Bahnchef Mehdorn mit, dass sich die Bahn mit einem Worst-Case-Szenario beschäftigt habe, eine normale Herangehensweise, die zumindest verhindert, im Ernstfall böse Überraschungen zu erleben. Dabei betonte er auch, dass die Sanierung des Ostkreuzes auf jeden Fall kommen werde. Wir werden auch hier ein besonderes Augenmerk darauf richten.

Es ist also mitnichten so, dass Berlin auf dem Abstellgleis gelandet ist. Richtig ist jedoch, dass es die Deutsche Bahn dem Land Berlin nicht gerade einfach macht. Wir als verantwortungsvolle Landespolitiker werden jetzt nicht mit Schuldzuweisungen agieren, sondern Politik für die Hauptstadt muss es jetzt sein, schnell ein tragfähiges neues Konzept unter Einbindung aller Beteiligten zu finden. Wir werden den Senat dabei unterstützen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

[Protestrufe]

Herr Cramer, ich gebe Ihnen gerne das Wort, aber Sie haben schon ein Mal gesprochen.

[Doering (PDS): Schon zwei Mal!]

Bitte sehr – Herr Kollege Cramer!

Herr Präsident! Das war nach einer Intervention von dem Kollegen Niedergesäß. Jetzt halte ich den zweiten Redebeitrag. Ich wollte mich zu dem äußern, was Herr Strieder gesagt hat.

[Zuruf des Abg. Rabbach (CDU)]

Aber kleine Vorbemerkungen: Das Achsenkreuzkonzept, Herr Gaebler, das mit dem Ringkonzept verglichen wurde, kostete damals 20 Milliarden DM. Es war nicht finanzierbar, man musste mit der Hälfte auskommen, deshalb wurde es so abgespeckt. Daraus wurde das Pilzkonzept. Damals wurden Äpfel mit Birnen verglichen. Das ist eine andere Sache und eine alte Debatte. Natürlich ist das Achsenkreuz in voller Größe leistungsfähiger als der Ring ohne Nord-Süd-Verbindung, aber sie bekommen es ja nicht. Schon damals waren die Finanzprobleme entscheidend und nicht die Betriebswirtschaft der Bahn.

Zum Tunnel in Lichtenrade: Ich habe extra in meinem Manuskript aufgeschrieben: Der Tunnel für die Fernbahn in Lichtenrade ist wünschenswert. Aber Sie müssen doch das Geld irgendwo herbekommen. Ich habe jetzt die große Koalition so erlebt: Alles ist wichtig für Berlin, alles brauchen wir, das sollen die anderen bezahlen.

[Sen Strieder: Nein!]

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Sie Herr Strieder waren die Ausnahme. – Die alte Westberliner Haltung geht nicht mehr, das müssen Sie kapieren. Die verwöhnten Westberliner Zeiten sind endgültig vorbei. Sie müssen auch selber Vorschläge machen.

[Beifall bei den Grünen]

Meine dritte Vorbemerkung, die ich machen will: Am 4. November 1993 haben Verkehrsminister Wissmann, Bahnchef Dürr und der Regierende Bürgermeister Diepgen eine Vereinbarung getroffen, dass 1 Milliarde DM in den S-Bahnnordring investiert wird. Diese Vereinbarung wurde ein Jahr später beim Hauptstadtvertrag verändert durch Intervention von Senator Nagel und dem Regierenden Bürgermeister Diepgen – zu Gunsten der U 5 und des Staßentunnels. Das bedeutete die Verschiebung des Baus des Nordrings und des Ostkreuzes. Das ist hausgemachte Berliner Politik gewesen, weil dem Senat der Straßentunnel unter dem Tiergarten und die geliebte U 5 – von ihr ist er ja heute noch überzeugt – wichtiger waren als eine funktionstüchtige Eisenbahninfrastruktur in Berlin.

Jetzt, Herr Strieder, zu Ihnen: Ich habe genau zugehört. Zum Ostkreuz, das ist im Grunde Ihr Einsparpotential. Ich teile Ihre Auffassung zu den Bahnhöfen, dass sie städtebaulich wichtig sind, obwohl ich den Entwurf Lehrter Bahnhof nicht für toll halte und den für den Parkplatz am Bahnhof Papestraße schon gar nicht. Doch eine Brachfläche ist natürlich auch nicht interessant. Aber im Moment haben wir 2 Millionen qm Leerstand an Büroflächen, deshalb wird sich da auch kein Investor finden, und eine neue Bauruine brauchen wir auch nicht. Aber Sie haben gesagt, Sie verlangten von der Bahn die Funktionstüchtigkeit des Bahnhofs Ostkreuz. Also, Herr Giesel von der CDU sagte immer, der Bahnhof Ostkreuz stehe „nur noch aus Gewöhnung“, der Volksmund sagt „Rostkreuz“. Vielleicht steht er auch noch länger so, aber vom Niveau der Eisenbahntechnologie ist er natürlich das letzte Jahrhundert, da stimmen Sie mir zu.

[Sen Strieder: Das vorletzte! – Heiterkeit des Abg. Wieland (Grüne)]

Das vorletzte, gut. – Aber jetzt sagen Sie, dieses Niveau akzeptieren Sie, wenn überhaupt die Züge fahren könnten. Jetzt klage ich den fairen Wettbewerb und die faire Betrachtung ein. Warum sagen Sie nicht, entscheidend ist, dass die Güter auf dem Wasserwege nach Berlin befördert werden können? Und nur das eine von 11 großen Schiffen, das vielleicht pro Woche einmal Berlin tangiert, das muss dann umgeladen werden. Wenn ich das vergleiche: ein Schiff umladen oder 200 000 Leute am Ostkreuz wissen nicht, wo die nächste Bahn in Richtung Stadt oder stadtauswärts fährt – dann ist klar, dass die Sanierung von Ostkreuz die oberste Priorität haben muss.

Das Adlergestell ist sechsspurig ausgebaut worden. Sie kommen schon heute dort hin. Es gibt nur drei oder vier Ampeln. Sie dürfen nicht 100 oder 120 km/h fahren, sondern sie müssen sich an 50 oder 60 km/h halten. Weiter unten dürfen Sie auch schneller fahren. Ist nachvollziehbar, wenn sie sagen: Die TeltowkanalAutobahn und der Wasserwegeausbau für elf große Schiffe stehen nicht zur Disposition, aber „Rostkreuz“ darf weiter vor sich hinrosten? Dort dürfen sich die Fahrgäste verlieren? In der die Technologie des vorletzten Jahrhunderts – Ihre Worte? Das soll so bleiben.

Das passt nicht zusammen, Herr Strieder. Das sind die Schwierigkeiten, die die Grünen mit der SPD haben, und das nicht nur in Nordrhein-Westfalen und im Bund, sondern auch in Berlin. Sie müssen sich entscheiden und finanzielle Angebote machen. Sie bekommen nicht alles. Das ist der Appell an alle. Was ist verzichtbar? Was hat Priorität? Solange Sie die Straßenprojekte zum Tabu erklären, werden Sie die Schiene nicht auf den Weg bringen. So werden Sie scheitern. Wenn Herr Kaczmarek Recht hat, nämlich dass vom Eisenbahnknoten die Wirtschaftskraft Berlins abhängt, dann werden Sie durch diese falsche Entscheidung die Wirtschaftskraft der Stadt aufs Spiel setzen, was eigentlich keiner will. Es genügt nicht, zu sagen: Wir wollen uns mit der Bundesregierung unterhalten. Ich erwarte von Ihnen ein Konzept, das auch finanziell tragbar ist. Zu sagen, 2 Milliarden DM fehlen und 500 Millionen DM könnten wir bringen, die anderen 1,5 Milliarden solle Herr Eichel irgendwo herho

len, kann nicht funktionieren. Das wissen Herr Kurth und Sie, Herr Strieder, in Bezug auf die U-Bahnlinie 5 viel besser. Dort koppelten sie Investitionen in den Nahverkehr mit denen in das Olympia-Stadion. Wir wollen, dass Investitionen in die Straße mit denen der Schiene gekoppelt werden. Sie wissen, dass es keine Spielräume gibt. Deshalb wollen Sie die U 5 verschieben. Genauso müssen Sie hingehen und sagen: Wir müssen bestimmte Projekte verschieben. Alle Verkehrsprojekte Berlins stehen auf dem Prüfstand. In diese Richtung gehen wir. Wir verzichten auf das, was momentan zwar aus der Windschutzscheibe nicht schön ist, aber es ist verzichtbar. Der Eisenbahnknoten ist es jedenfalls nicht.

Wir haben das elfte Jahr nach dem Fall der Mauer. Sie haben gesagt, wir hätten gerade im Bahnbereich viel erreicht. Wir haben aber immer noch zehn Zugänge, die seit dem Mauerbau verschlossen sind. Wir haben immer noch viele brachliegende Strecken, die nicht wieder hergestellt sind. Dazu braucht man keine Planfeststellungsverfahren. Man braucht nur Geld und Tatkraft. Wir haben einen großen Rückstand bezüglich der Wiederinbetriebnahme. Wir wollen die Sanierung vorantreiben und nicht den Neubau. Deshalb muss die Sanierung oberste Priorität haben. Die Dresdner Bahn war schon einmal da. Die Teltowkanal-Autobahn war noch nicht da. Wer die Stadt liebt und die Infrastruktur wieder herstellen und die Wunden des Mauerbaus heilen will, der muss der Dresdner Bahn und dem Ostkreuz oberste Priorität geben und neue Autobahnen zurückstellen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Danke, Herr Kollege. Nachdem Sie nun ein zweites Mal geredet haben, sehe ich keine Wortmeldungen mehr. interjection: [Zurufe: Drittes Mal!]

Ich korrigiere mich „Drittes Mal“. – Damit ist die Aktuelle Stunde erledigt.

Wir kommen nun zur

lfd. Nr. 2, Drucksache 14/391:

II. Lesung der Vorlage – zur Beschlussfassung – über Erstes Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2000, Drucksache 14/359, gemäß Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 17. Mai 2000

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Dem wird nicht widersprochen. Damit rufe ich die Artikel I und II auf, die Überschrift und die Einleitung in der Fassung der Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 14/359.

Vor Eintritt in die Beratung weise ich darauf hin, dass sich in der Begründung der Vorlage unter „Allgemeines“ im letzten Satz ein Druckfehler eingeschlichen hat. Das Wort „jährliche“ muss gestrichen werden.

Der Ältestenrat empfiehlt für die Beratung eine Redezeit von bis zu zehn Minuten pro Fraktion. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Für die Fraktion der PDS hat damit Herr Wolf das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schlägt man heute die Berliner Tageszeitungen auf, so findet man in jeder ein großes Bild mit Eberhard Diepgen allein im Tunnel. Der „Tagesspiegel“ titelt:

Diepgen kämpft im Untergrund um seine Macht.

Man fragt sich: Was ist in den letzten Tagen passiert, auf Grund dessen der Regierende Bürgermeister in den Untergrund gehen musste?

Eine Erklärung dafür steckt in der Vorlage, die harmlos daherkommt, nämlich als Änderung des Haushaltsgesetzes mit der Erweiterung des Bürgschaftsrahmens Berlins. Dahinter ver

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