Protokoll der Sitzung vom 13.07.2000

[Beifall bei den Grünen - Zurufe von der CDU]

Ich bin froh, dass die Mehrheit dieses Parlaments im Sinne der Humanität denkt und diesen Kurs, den Sie hier weiter vorschlagen wollen und den Herr Werthebach gegen die Sozialsenatorin durchsetzen will, nicht mitmacht.

[Beifall bei den Grünen - Zuruf des Abg. Gram (CDU) I Zur Begründung Ihrer Position, Herr Gewalt, haben Sie drei Argumente gebracht, die mich sehr verwundert haben. Sie haben ein Beispiel genannt, das Beispiel von Serbinnen und Ser- ben, serbischen Staatsbürgern, die im letzten Jahr hier nach Ber- lin gekommen sind und denen Sie generell vorhalten, die hätten (C) wohl keinen Anspruch auf politisches Asyl, eine politisch moti- vierte Flucht scheine da nicht vorzuliegen. [Zuruf des Abg. Gewalt (CDU)]

Ich frage mich, Herr Gewalt, wo Sie im letzten Jahr gelebt haben.

[Zuruf von der CDU: ln Berlin !]

Seit wann ist diese autoritär-völkische Diktatur im ehemaligen Jugoslawien ein Musterfall von Demokratie?

[Zurufe von der CDU]

Seit wann ist es nicht so, dass massenweise von dort Deserteure, Kriegsdienstverweigerer in dieses Land gekommen sind? Seit wann ist es nicht so, dass aus diesem Land nicht nur Albanerinnen und Albaner, die auch außerhalb des Kosovo leben, sondern Muslime vertrieben und verdrängt worden sind?- Man kann doch die Serbinnen und Serben. die im letzten Jahr gekommen sind, wahrlich nicht als einen Musterfall ökonomisch motivierter Einwanderung verstehen.

[Zurufe von der CDU]

Auch der zweite Grund, den Sie genannt haben, hat mich auch sehr gewundert. Das sind die Fragen der Finanzierung. Sie haben da in Anklängen an Stammtischdenken gesagt: Die Asylbewerber. die Flüchtlinge liegen uns auf der Tasche.- Dazu sage ich Ihnen folgendes: Es ist doch die CDU gewesen, die vor Jahren mit dem Asylbewerberleistungsgesetz und anderen Maßnahmen darauf gedrungen hat, dass zum Beispiel die Flüchtlingsfamilien kein Recht haben, sich hier selber eine Wohnung zu suchen, sondern sie in Massenunterkünfte und Pensionen gezwungen hat, die dann mit weit höheren Mietpreisen der öffentlichen Hand auf der Tasche liegen, nicht die Flüchtlinge, sondern diejenigen, die die hohen Preise und Mieten der Pensionen einnehmen. Eine Familie in einer solchen Massenunterkunft und Pension kostet den Steuerzahler nach diesem System meh· rere Tausend DM monatlich. Sie hätte die Möglichkeit, sich sei(D) ber auf dem Wohnungsmarkt eine Wohnung zu suchen. die bezahlt wird. Das käme weit billiger und würde die menschen nicht diskriminieren. Die hohen Kosten haben Sie mit den Diskriminierungen des Asylbewerberleistungsgesetzes zu verantworten.

[Beifall bei den Grünen und der POS]

Das dritte Argument, das Sie genannt haben, hat mir fast die

Schuhe ausgezogen.

[Zuruf von der CDU]

Die Position des Bezirksamtes in Reinickendorf sei rechtskonform und die in Kreuzberg rechtswidrig. Ich stelle einmal kurz dar, warum es dabei inhaltlich geht. Das Bezirksamt Reinickendorf unterstellt pauschal Flüchtlingen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist. die dennoch weiter hier bleiben, weil sie aus politischen Gründen glücklicherweise nicht abgeschoben oder ausgewiesen werden können, dass sie nur eingereist sind, um hier Sozialhilfe zu beziehen.

[Beifall bei der CDU]

Das sagen Sie hier als Vertreter des Rechtsstaats. Sie müssen im rechtsstaatliehen Denken auch wissen, wenn man eine solche Unterstellung macht, dann muss das Amt den Beweis antreten. Man kann das den Menschen nicht unterstellen. Es gilt in diesem Land immer noch der schöne lateinische Grundsatz: ln dubio pro reo. [Gram (CDU): Im Strafprozess!- Weitere Zurufe von der CDU]

Wer so etwas unterstellt. soll den Beweis antreten. Genau das fordern wir in unserem Antrag. dem die Mehrheit dieses Abgeordnetenhauses vermutlich demnächst zustimmen wird. Wenn so etwas unterstellt wird. dann bitte Beweislast bei den Behörden und nicht bei den Flüchtlingen, denen man dann die Leistungen verweigert!

[Beifall bei den Grünen - Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Berg er

(A) Was Sie bezwecken, ist, Menschen, die Sie hier nicht haben

wollen, die dennoch ein Anrecht haben, in diesem Land zu blei

ben, denn Sie können nicht ausgewiesen werden, diese regelrecht auszuhungern durch Verweigerung von Leistungen. übrigens auch durch Verweigerung medizinischer Hilfe. Diese Aushungerungsstrategie. diese schlimmste Form der Ausgrenzung. machen wir nicht mit.

Jetzt möchte ich Sie noch bei Ihrem eigenen Namen packen.

Ich wundere mich immer, warum Sie eigentlich die Bezeichnung "christlich" in Ihrem Parteinamen führen.

[Beifall bei den Grünen und der POS- Zurufe von der CDU]

Solange Sie in der Flüchtlingspolitik nicht endlich zu einem Kurswechsel bereit sind, sollten Sie so ehrlich sein und dieses Beiwort streichen.

Wir sind hier ein Parlament. da gerade unsere Fraktion sehr auf die Trennung von Staat und Kirche achtet, aber wenn man hier von christlicher Ethik redet, so gehört zur christlichen Ethikwie auch immer man zu ihr steht; ich stehe positiv zu ihr in diesem Punkt -,

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

gegen die Ausgrenzung der Ärmsten zu sein. Zur christlichen Ethik gehört auch, gegen die Diskriminierung der "Mühseligen und Beladenen", wie es in der Bibel heißt, zu sein.

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum

Schluss kommen!

Und es gehört dazu, gegen den Hinauswurf Schutzsuchender und gegen die Auslieferung von Menschen zu sein. So viel habe ich immerhin vom Christentum noch verstan· den, ohne selber ein bekennender Christ zu sein. Deswegen sage ich Ihnen: Nennen Sie sich meinetwegen "Herzlose Union" oder "Stammtisch-Union".

[Zurufe von der CDU - Unruhe bei der CDU]

aber streichen Sie das Beiwort "christlich" - oder machen Sie den Schwenk in der Flüchtlingspolitik, der lange überfällig ist!

[Beifall bei den Grünen und der POS- Vereinzelter Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich - gegen die Stimmen der CDU -eine Neufassung des Antrags. Wer so gemäß der Drucksache 14/517 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? Das erste war die Mehrheit. Dann ist die Drucksache so mit Mehrheit angenommen.

Die lfd. Nrn. 20 bis 21 A sind bereits durch die Konsensliste

erledigt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 21 B, Drucksache 14/544:

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bauen, Wohnen und Verkehr vom 5. Juli 2000 zum Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU über Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs, Drucksache 14/350

Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachennummer 14/350-1 und ein Änderungsantrag der Fraktion der POS mit der Drucksachennummer 14/350-2 vor. Wird der Dringlichkeit widersprochen?- Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Sie brauchen nicht fluchtartig den (C)

Saal zu verlassen, es geht weiter.

[Heiterkeit]

Die Beratung ist gewünscht. - Das Wort hat Frau Abgeordnete Matuschek - bitte!

Herr Präsident! Ich möchte, dass der zuständige Senator an dieser Debatte teilnimmt, und beantrage, Herrn Strieder herbeizurufen.

Wir rufen ihn. Er ist nebenan. Das dauert einen kleinen Moment.- Sie können nun beginnen- bitte sehr!

Frau Matuschek POS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Strieder! Der Koalitionsantrag zur Verbesserung des ÖPNV ist im Großen und Ganzen nicht so ver· kehrt- bis auf einen einzigen Satz, und dieser Satz lautet im Klartext: Zugangssperren auf allen S- und U-Bahnhöfen sind einzurichten. - Basta! So steht es in diesem Antrag, und das kön· nen wir nicht mittragen.