Protokoll der Sitzung vom 13.07.2000

Frau Matuschek POS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Strieder! Der Koalitionsantrag zur Verbesserung des ÖPNV ist im Großen und Ganzen nicht so ver· kehrt- bis auf einen einzigen Satz, und dieser Satz lautet im Klartext: Zugangssperren auf allen S- und U-Bahnhöfen sind einzurichten. - Basta! So steht es in diesem Antrag, und das kön· nen wir nicht mittragen.

[Beifall bei der POS - Vereinzelter Beifall bei den Grünen - Zurufe von der CDU]

Gerade nach den Erlebnissen vom vergangenen Samstag müssen wir geradezu darauf bestehen, dass es in Berlin keine Zugangssperren weder mit Drehkreuzen, Schranken noch anderen Barrieren - geben wird. Nach der heutigen Debatte frage ich mich, ob Sie überhaupt wissen. was Sie da beschließen wollen.

[ Niedergesäß (CDU): Doch, wir waren schon alle in Moskau!]

Ich nenne unsererseits drei Argument gegen Zugangssper

ren: Erstens hat der Brand in der U 2 eindrucksvoll bewiesen, dass diese als Sicherheitsmaßnahme deklarierten Zugangssperre die Unsicherheit im Gefahrenfall potenzieren werden.

[ Kittelmann (CDU): Diese Übertreibungen!]

Es muss nicht immer erst brennen -das passiert in der U·Bahn tatsächlich sehr selten -, aber jede kleine Panik, die in Räumen, wo viele Menschen sich gleichzeitig aufhalten, sehr schnell möglich ist, kann zu einer Situation führen. wo gerade diese Zugangs· sperren todbringende Fallen sind. Das haben nicht nur die tragischen Ereignisse in London und Baku bewiesen. wo viele Menschen zu Tode kamen, sondern das beweisen auch Fälle, wo lebensrettende Zeit verloren geht, um solche Zugangssperren zu überwinden. Selbst wenn Sie diese Zugangssperren im Gefahrenfall von einer Betriebszentrale aus automatisch öffnen wollen, bleibt in jedem Fall eine Flaschenhalssituation an den Zu· und Abgängen aus diesen U- und S-Bahnhöfen, die dann zu einer zusätzlichen Gefahr wird.

Zweitens: Wir finden Schwarzfahren auch nicht so toll,

[ Kittelmann CDU): Nicht so toll! Was soll denn das heißen? -Weitere Zurufe von der CDU]

aber mit Schwarzfahren hat das nichts. aber auch gar nichts zu tun.

[Vereinzelter Beifall bei der POS]

Weder in Paris oder London und noch nicht einmal im gefürchte· ten Moskau, Herr Niedergesäß. haben diese Zugangssperren zu schwarzfahrerfreien Verkehren geführt. Im Gegenteil, in allen diesen Systemen ist eine ziemlich gleichbleibende Schwarzfahrerquote zu konstatieren. Deshalb muss man letztlich feststellen, dass diese Systeme nicht das Schwarzfahren verhindern, sondern in erster Linie sehr viel Geld kosten.

[Beifall des Abg. Doering (POS)]

Abgesehen von der einmaligen Investitionssumme für die Errichtung der Systeme wird die BVG in eine Situation kommen, dass die Unterhaltung dieser Systeme und der erforderliche Personal

Frau Matuschek

(A) besatzmehr kostet, als zur Zeit die Einnahmeverluste durch das Schwarzfahren ausmachen. Das kann man sich also schließlich sparen.

Drittens: Sie von der Koalition behaupten, dass Sie mit den Zugangssperren Leute aussperren wollen, die im ÖPNV nichts zu suchen haben. Ich frage Sie an dieser Stelle ein weiteres Mal: Welche Leute wollen Sie aussperren?- Das sind in erster Linie Leute mit Gepäck. Leute mit Kinderwagen, Kinder selbst - die haben nämlich Angst vor solchen Systemen -,

[Ah! von der CDU]

und das sind Leute mit Behinderungen, Leute mit Hunden, Leute mit Rollstühlen, alte und junge Menschen.

[Niedergesäß CDU): So ein Quatsch!]

Sie wollen die Fahrgäste aussperren.

Sie können ja einmal einen Praxistest machen, und der findet hier in Berlin im Schwimmbad statt: Ich mit meiner körperlichen Unversehrtheit habe immer Schwierigkeiten, meine Schwimmta

sche dort durchzubekommen. - Stellen Sie sich vor, wie viele

Menschen täglich die U- oderS-Bahn benutzen! Dann können Sie nachvollziehen. welche Schwierigkeiten sie haben. durch diese Sperre hindurchzukommen.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)[ Es sind ganz normale, zahlende Fahrgäste, die Sie durch solche Anlagen schikanieren. Und es gibt noch einen einfachen, profa- nen Grund, warum man solche Zugangssperren nicht benutzen kann: Man muss nicht so dick sein wie Helmut Kohl, um darin stecken zu bleiben - geschweige denn, wenn man einen Akten- koffer dabei hat. [Beifall und Heiterkeit bei der POS]

Wir möchten, dass auch Helmut Kohl einmal in die Lage versetzt wird, den öffentlichen Nahverkehr in Berlin barrierefrei zu benutzen.

Letzter Punkt: Bahnhöfe sind mehr als Ordnungs- und Zähl

stationen für Beförderungsfälle, die Sie aus diesen Bahnhöfen machen wollen.

Bahnhöfe sind

- und jetzt zitiere ich aus einer Broschüre der BVG

eine vielfältig genutzte Umgebung. Hier halten Züge, aber der U-Bahnhof ist mehr. Er ist ein Dienstleistungszentrum oder Einkaufsort, er ist Galerie oder Ladenstraße, er ist ein Stück Stadterleben. eine multifunktionale Erweiterung der Stadtlandschaft

Verhindern Sie mit uns die Einzäunung dieser Stadtlandschaft I

Frau Abgeordnete, Sie müssen zum

Schluss kommen!

Frau Matuschek POS): Das waren drei Argumente gegen Zugangssperren, und deshalb im Interesse der Fahrgastfreund

lichkeit und der Attraktivität. im Interesse der Wirtschaftlichkeit und im Interesse der Fahrgastsicherheit: Drei mal Nein zu den Zugangsperren!

[Beifall bei der POS - Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Das Wort hat der Abgeordnete Ueckertbitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der heutigen Fragestunde das Thema ,,Zugangssperren" schon ausführlich behandelt, und ich kann Ihnen versichern, dass wir von der Meinung, die auch der Senator vorhin vertreten hat, nicht abrücken werden. Und wir freuen uns, dass wir in diesem Punkt in der Koalition wieder einmal geschlossen abstimmen können.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU - Over (POS): Ausnahmsweise! - Wieland Grüne): Schande!]

Nun aber zu Ihren inhaltlichen Argumenten: Frau Matuschek, (C)

Sie haben eben gesagt, dass im Prinzip die Kritik an diesem Antrag nicht sehr groß sei. Ihre Kritik richtet sich gegen die Zugangssperren. Genau um die Zugangssperren geht es. Herr Crarner hingegen will in seinem Änderungsantrag, den wir hier mit behandeln, auch noch die Erweiterung mit einem zweiten Zugang für verschiedene U-Bahnhöfe. Das ist alles okay. aber heute sollten wir erst einmal diesen Antrag als einen Schritt vorwärts beschließen. denn wir wollen ein deutliches Zeichen setzen, dass wir hinter der Verbesserung des ÖPNV stehen. Wir unterstützen auch die BVG in ihrem Bestreben, ihre finanzielle Lage zu verbessern.

Die finanzielle Lage zu verbessern, dazu gehört auch, das Schwarzfahren erheblich einzuschränken. Die Beispiele, die Sie als Negativbeispiele gebracht haben - dabei fehlen dann nur Hongkong und Schanghai, dort funktioniert es nämlich ausgezeichnet -, verhindern in großem Umfang das Schwarzfahren. Dass wir das nicht bis zum letzten Schwarzfahrer verhindern können, Frau Matuschek, darin gebe ich Ihnen Recht. Das ist bei allen Gesetzen und allen Maßnahmen so, aber das versprechen wir uns davon auch gar nicht. Aber wir werden hier in erheblichem Umfang das Schwarzfahren einschränken können. Deshalb ist eine solche Investition auch bezahlbar.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja. gerne, Frau Matuschek!

Herr Kollege Ueckert! Wenn Sie

soviel über die Schwarzfahrerquoten wissen, dann benennen Sie doch einmal, welche Quoten gibt es in Berlin, in London, in Paris und in Moskau!

Ueckert CDU): Sie wissen, dass es bei der Schwarzfahrerquote eine hohe Dunkelziffer gibt. Wenn wir in Berlin offiziell von drei bis vier Prozent Schwarzfahrern sprechen, dann wissen Sie - zumindest Fachleute wissen das, dann sprechen Sie einmal mit den zuständigen Herren bei der BVG -,dass wir in etwa bei einer Schwarzfahrerquote in Berlin von acht bis zehn Prozent liegen oder anders gerechnet entrichtet ein Zwölftel der Fahrgäste keinen Fahrpreis. Rechnen Sie sich einmal über das Jahr aus, was dort für eine Summe zusammenkommt. Da kommt die Investition in kurzer Zeit wieder herein.

[Frau Matuschek (POS): Ich kann Ihnen gern noch Material zukommen lassen zur Schwarzfahrerfrageil Aber es geht nicht nur gegen die Schwarzfahrer. sondern es geht auch um die Sicherheit. Da wird natürlich nach der Brand- katastrophe- ,.Katastrophe" in Anführungsstrichen, weil sie zum Glück glimpflich ausgegangen ist - am vergangenen Samstag immer wieder von der Sicherheit gesprochen. die im Gefahren- fall gewährleistet sein muss. Ich denke, dass man durchaus in der Lage ist - und es den Ingenieuren und Technikern auch zutrauen kann, Frau Matuschek -, dass es möglich ist, Zugangs- sperren und Systeme zu errichten, die im Notfall sofort breite Schleusen öffnen, [Frau Matuschek (POS): Wollen Sie das versinken lassen?]

da muss man sich nicht durch Sperrgitter quälen, wie Sie es genannt haben. Das ist technisch lösbar und machbar. Bei dem Anspruch, den wir als Metropole und in der Weit haben, wird es uns gut zu Gesicht stehen, solch ein System zu installieren als Vorbild für die Weit.