Ich kann nicht verstehen, welche Gründe man heute noch dagegen anführen kann, dass unsere Schülerinnen und Schüler obligatorisch mit ethischen, philosophischen oder religiösen Konzepten vertraut gemacht werden. Hier werden – neben der Erziehung im Elternhaus – die Grundlagen für eine von Toleranz geprägte Entwicklung des jungen Menschen gelegt. Diese Entwicklung ist – darüber sollten wir uns einig sein – für die Gesellschaft von entscheidender Bedeutung.
Abschließend noch eine grundsätzliche Bemerkung: So sehr Debatten wie die heutige notwendig sind, um den Bürgern die Haltung der demokratischen Parteien zu vermitteln, so erwartet man doch von uns und vom Deutschen Bundestag konkrete, greifbare Maßnahmen zum Schutz unserer jüdischen Mitbürger und des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb hoffe ich darauf, dass vom Versammlungsrecht über die Videoüberwachung bis hin zum Pflichtfach Ethik/Religion Entscheidungen getroffen werden, die im In- und Ausland zeigen, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht Weimar ist, sondern eine wehrhafte Demokratie. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen – als der Anschlag auf die Synagoge am Fraenkelufer erneut die lange Kette von Übergriffen auf jüdische Einrichtungen in dieser Stadt fortsetzte – erzählte mir ein Mitglied unserer Fraktion von einem Anruf aus Amsterdam. Sie, die aus einer großen jüdischen Familie stammt, von der 90 Prozent der Mitglieder den Holocaust nicht überlebten, war von einer Freundin aufgeregt gefragt worden, was in Deutschland los sei, ob sie sich noch sicher fühle und ob sie ihrer Familie eine Wohnung in den Niederlanden besorgen solle.
Die von Hass getragenen Überfälle auf jüdische Gemeinden und ihre Einrichtungen finden s o l c h e Aufmerksamkeit. Sie sind in Anbetracht unserer Geschichte das Symbol für Rechtsextremismus schlechthin. Auch wenn wir wissen, dass Rechtsextremismus ganz viele Facetten hat – insbesondere Fremdenfeindlichkeit, völkischen Nationalismus und autoritäre Denkmuster –, so wird doch die Aufmerksamkeit des Auslands und das Entsetzen der demokratischen Öffentlichkeit an den Übergriffen auf jüdische Mitbürger und ihre Einrichtungen fokussiert.
Auch wenn im Einzelfall Täter – wie bei der Störung des Neujahrsfestes in der Synagoge Rykestraße – nicht rechtsextremistischen Kreisen zuzuordnen sind oder möglicherweise von arabischen Tätern jüdische Gebetshäuser mit dem Staat Israel gleichgesetzt werden, so gibt es doch unzählige eindeutig rechtsextremistische und antisemitische Schmierereien und Übergriffe, die in der Regel nicht aufgeklärt werden. Bei diesen Nacht-undNebel-Aktionen kann man zumindest davon ausgehen, dass die Täter feige sind und Aufwand und Nutzen – also öffentliche Wahrnehmung und Empörung – in hohem Maß zu Gunsten der Täter ausfallen. Viel mehr wissen wir nicht über die Einzelnen. Aber wir wissen, dass es beim Rechtsextremismus um eine Ideologie geht, die menschenverachtend und -gefährdend ist.
Dass sich so viele – wie der Regierende Bürgermeister – über Paul Spiegels lautes Nachdenken, ob es richtig sei, dass Juden in Deutschland leben, erregt haben, scheint einen Denkfehler zu beinhalten. Natürlich dürfen Betroffene auf Grund der furchtbaren deutschen Vergangenheit auch sehr sensibel sein. Natürlich können wir nicht verlangen, dass sich jüdische Menschen verpflichtet fühlen, mit ihrem Kultur und ihrem Hiersein unser Dasein zu bereichern. Tun sie es dennoch, dann müssen wir sie diesen Gewinn für uns alle deutlich spüren lassen und es als Verpflichtung begreifen, die Grundlagen zu schaffen, dass sich jüdische Bürgerinnen und Bürger hier uneingeschränkt zu Hause fühlen können. [Beifall bei der PDS und den Grünen]
Deshalb müssen wir diese großen Sorgen auch ernster nehmen, als es oftmals über Betroffenheitsrituale vermittelt wird.
Natürlich werden die jüdischen Einrichtungen durch die Polizei in Berlin geschützt. Es gibt Konzepte, die zwischen Innensenat und dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde abgestimmt sind; doch gerade die gewünschte Vielfalt jüdischen Lebens mit Schulen, Kindergärten, Restaurants, Kulturvereinen, Geschäften, Straßenfesten und nicht zuletzt Synagogen setzt jedem staatlichen Schutz auch immer Grenzen. Es wird immer diskutiert werden können, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem
bestimmten Ort gerade genug Polizei präsent war und ob Pfefferspray für Polizisten die geeignete Ausrüstung ist. Dazu können wir konkret diskutieren und Anhörungen im Innenausschuss veranstalten, aber wir werden keinen Königsweg finden.
Ernst nehmen heißt auch, dass sich jede Instrumentalisierung des Themas für parteipolitische Zwecke verbietet. Wenn die Jüdische Gemeinde Videokameras in Wahrnehmung ihres Hausrechts an ihren Einrichtungen haben will, dann wenden wir uns nicht dagegen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass der Innensenator mit diesen berechtigten Ängsten auch eine Videoüberwachung des öffentlichen Raums in Berlin gleich mit durchsetzen kann.
Wenn wir nicht wollen, dass Neonazis durch die Stadt marschieren, dann müssen wir ein gesellschaftliches Klima schaffen, das dies nicht zulässt und eindrucksvoll Gegenöffentlichkeit mobilisieren. Das haben wir für den 27. Januar geplant.
Die Demonstrationsplätze sind angemeldet, um sie den Rechten nicht zu überlassen. Es wäre nicht schlecht, wenn die CDUFraktion sich daran beteiligen würde.
Natürlich sind wir auch für Verbote, wenn es das Versammlungsrecht hergibt. Da ist die Verwaltung bei der Verbotsbegründung natürlich gefordert. Aber das Versammlungsrecht einschränken wird mit uns nicht zu machen sein. Wenn die bestehenden Gesetze konsequent angewendet werden, dann begrüßen wir das. Oft hatte man früher nicht diesen Eindruck, insbesondere wenn es sich um rechtes Klientel handelte. Wir brauchen aber keine neuen Gesetze und hektische, wie bürgerrechtsfeindliche Maßnahmen.
Wir finden es auch nicht vertrauensbildend, auf der einen Seite zu sagen: Wir tun alles für den Schutz der jüdischen Einrichtungen –, was dann oft nicht gelingt, und auf der anderen Seite wird die Lehre und Verantwortung aus dem Exodus der Juden und Jüdinnen aus Deutschland während des Naziregimes, nämlich das im Grundgesetz verankerte Asylrecht, über Bord geworfen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hatten sich bei diesem Grundrecht genau darauf bezogen, dass nun gerade Deutschland als Land der Täter in der Verantwortung steht, Menschen in Not und Bedrängnis die Türen zu öffnen. Stattdessen haben wir Gesetze, die Flüchtlingen ihre Menschenwürde absprechen und sie auch rechtlich zu Fremden und anderen machen.
Wenn wir die Ängste der jüdischen Gemeinde ernst nehmen wollen, dann so, indem wir uns unserer Verantwortung für alle Opfergruppen bewusst sind. Andreas Nachama ist immer vor Ort, wenn es um Bündnisse gegen Rechtsextremismus geht, seien antisemitische, nationalistische oder rassistische Anlässe zu beklagen. Es bedeutet doch auch Schutz, das andere Opfer nicht auszublenden, solidarisch gegen jeden Übergriff auf Menschen und ihre Würde zu reagieren.
Die Krux repressiver Maßnahmen ist der Schaden für das gesamte Gemeinwesen. Desto pluralistischer diese Demokratie ist, desto schwerer haben es Demokratiefeinde mit ihren autoritären Politikvorstellungen. Auch das ist ein Schutz, der ebenfalls in Anbetracht unserer Geschichte nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Ernst nehmen heißt, dass wir auch Hilflosigkeit eingestehen, die jetzt durch das zweischneidige Mittel des eiligen NPD-Verbotsantrages kaschiert werden soll, denn nur wenn niemand glaubt, auch nicht die eigene Fraktion, über ein Allheilmittel zu verfügen, kann es zu einem parteiübergreifenden, gesellschaftlichen Dialog kommen, um die Grundlagen für rechtsextremistische Gewalt, die in der Mitte unserer Gesellschaft angesiedelt sind, überhaupt zu analysieren und geeignete Maßnahmen zu verabreden.
Ignatz Bubis, der nicht einmal in Deutschland begraben werden wollte, sagte auf die Frage, was wir denn eigentlich machen, wenn die rechte Gewalt schlimmer wird: Die 70 000 Juden, die hier leben, gehen nach Israel, die hier lebenden Türken gehen in die Türkei. Die Frage wird sein: Wohin gehen die Deutschen? – Ich schlage vor, wir bleiben alle hier und begreifen Vielfalt als Gegengewicht zu völkischer Einfalt. Auch die Vielfalt unserer Gesellschaft ist doch Chance und Schutz für alle. Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger, da bin ich mir ganz sicher, sehen auch darauf, wie dieser Staat mit Homosexuellen, Obdachlosen, Behinderten und Punks umgeht, die nicht selten Opfer rechtsextremistischer Gewalt geworden sind. Zivilcourage ist auch keine Sache schöner Sonntagsreden und eine Erfindung der gerade neu entdeckten Bürgergesellschaft, die wir hier häufig beschwören. Sie existiert oft genug auch am Rande und unter Ausschluss der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten.
Dann ist Zivilcourage aber auch anstrengend und gefährlich. Uli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv sagt: Für einen kleinen Punker in Thüringen heißt Zivilcourage, mit dem Rücken zur Wand zu stehen und trotzdem das Maul nicht zu halten. – Dazu gehört einiges, und wir haben schon genug von denen zu Grabe getragen.
Wie viel Angst gibt es schon in unserer Gesellschaft und nicht nur bei potentiellen Opfern, sondern auch bei denjenigen, die helfen würden? – Ich komme noch einmal auf den Anfang meiner Rede zurück. Meine Fraktionskollegin hat sehr ernsthaft überlegt, ob sie sich hier beim Namen nennen lässt, und sich dann, vor allem auch im Interesse ihrer Familie, dagegen entschieden. Letztlich kann der Staat nur Sicherheit gewährleisten, wo wir, wo eine demokratische Gesellschaft ihn auch in die Verantwortung nimmt und dabei niemanden ausgrenzt. – Danke schön!
Für die Fraktion der SPD hat nunmehr der Kollege Benneter das Wort! – Bitte schön, Herr Kollege! Sie kommen ja von rechts, das ist ungewöhnlich!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Wochen ist häufig die Frage gestellt worden, ob die erregte Debatte über den Rechtsextremismus und den Antisemitismus in unserem Land nur eine Erscheinung des nachrichtenarmen Sommers sei, ein Stück des alljährlichen Sommertheaters, das jetzt wieder abgesetzt werden könne, weil der normale politische Betrieb wieder angelaufen ist. Hinter dem Zynismus einer solchen Vermutung, gewollter oder ungewollter Zynismus, verbergen sich unangenehme Wahrheiten.
Wahr ist, dass der Rechtsextremismus und der Antisemitismus keine neue Erscheinung in der Bundesrepublik ist, nichts wirklich Neues. Und wahr ist, dass wir alle ihn verharmlost haben. Wahr ist auch, dass der Rechtsextremismus erst in dem Augenblick von vielen Repräsentanten der Politik und der Wirtschaft als Gefahr erkannt und wahrgenommen wurde, als wir auf Konferenzen im Ausland in Erklärungsnot gerieten und als ausländische Unternehmen ihre Investitionsabsichten in der Bundesrepublik zurückstellten. Und wahr ist leider auch, dass hierzulande nach hilflosen Debatten über Gegenmaßnahmen jetzt die Tendenz zu bestehen scheint, sich auf die Erörterung eines NPDVerbots zu beschränken und sich damit vor der Analyse der Ursachen zu drücken.
Natürlich ist es wichtig und richtig, sich die Täter genau anzusehen, ihre Biografien und ihre Motive zu erforschen. Da gibt es bereits einige gesicherte Erkenntnisse. Fast alle Gewalttäter sind junge Männer. Sie wurden nicht deshalb straffällig, weil sie, wie sie behaupten, sich gegen eine „Überfremdung“ wehren wollten und dagegen, dass ihnen „Ausländer die Arbeitsplätze
wegnehmen“. Keiner der Gewalttäter hat persönlich solche Erfahrungen gemacht. Die meisten ausländerfeindlichen Anschläge werden in den Bundesländern verübt, in denen es die wenigsten Ausländer gibt. Das ist keine irgendwie begründete Ideologie, das sind Parolen, die in einem ausländerfeindlichen Umfeld entstanden sind und unreflektiert nachgebetet werden. Diese Menschen werden auch deshalb zu Schlägern, zu Totschlägern und zu Mördern, weil sie glauben, keinen Platz in der Gesellschaft zu haben, keine Perspektive, weil sie sich nicht gebraucht und deshalb missachtet fühlen und weil sie gelangweilt sind.
Aber die sozialen Umstände erklären nicht alles. Zu einem schwachen Ich-Gefühl kommen charakterliche Deformationen, kommen Dumpfheit, Feigheit und eine abgrundtiefe brutale Gemeinheit. Diese Täter wagen es nicht, öffentlich zu ihren angeblichen Überzeugungen zu stehen, sondern sie vergreifen sich brutal an Schwächeren, an Kindern, an Behinderten, an Obdachlosen, an Menschen, die ihnen nichts getan haben. Sie vergreifen sich an ihnen nur deshalb, weil sie anders sprechen, eine andere Hautfarbe haben und weil sie schwächer sind.
Ein Teil dieser Täter ist durch erzieherische Maßnahmen nicht mehr zu erreichen. Diese müssen unnachgiebig verfolgt und schnell und streng bestraft werden. Je mehr Gewalt ohne Konsequenzen ausgeübt werden kann, desto mehr sinkt die Hemmschwelle gewaltbereiter Täter.
Zur strengen Bestrafung bedarf es keiner neuen Gesetze. Das geltende Strafrecht gibt jedem deutschen Richter die Möglichkeit, täter- und tatangemessen zu urteilen, es muss nur angewandt werden, dass bei der Strafzumessung nach unserem Strafgesetzbuch vordringlich auch die Gesinnung, die aus der Straftat spricht, zu berücksichtigen ist. Und eines müssen wir auch wissen: Die gewünschte schnelle Bestrafung von Gewalttätern, setzt eine entsprechende Ausstattung der Staatsanwaltschaften und der Gerichte voraus. Auch wenn wir Herrn Diepgen als Justizsenator kaum erleben, müsste selbst ihm mittlerweile aufgefallen und zu ihm durchgedrungen sein, unter welch erbärmlichen Bedingungen gerade die Strafjustiz bei uns zu arbeiten hat.
Für einige der jugendlichen Täter ist es hoffentlich noch nicht zu spät. Sie müssen sehen, sie müssen spüren und sie müssen erleben, dass sie in dieser Gesellschaft Chancen haben. Das heißt, im Bemühen um mehr Ausbildungsplätze, um gesicherte Arbeitsplätze gerade für Jugendliche darf nicht nachgelassen werden. Ende September, schon einen Monat nach Beginn des Ausbildungsjahres fehlen noch immer 4 000 Ausbildungsplätze. 4 000 potentielle Jugendliche ohne Perspektive können wir uns nicht leisten, wenn wir wirksam den rechten Sumpf austrocknen wollen.
Aber Perspektiven für Jugendliche und engagierte Sozialarbeit und vorbeugende Erziehung sind nur ein Teil der Wahrheit. Den anderen Teil der Wahrheit will kaum jemand zur Kenntnis nehmen, genauer gesagt, kaum jemand will über diesen Teil der Wahrheit eingehender nachdenken. Die Richter im Fall des ermordeten Angolaners Adriano haben es in ihrem Urteilsspruch festgehalten: „In Deutschland herrscht ein rassistisches Klima.“ Unsere Ausländerbeauftragte Barbara John stellt fest:
Wir leben seit zehn Jahren in einem Zustand des Terrors gegenüber sichtbaren Minderheiten wie Afrikaner, Asiaten, Obdachlosen.
Und vor wenigen Tagen erst hat sich der neue BGH-Präsident Günter Hirsch gezwungen gesehen, öffentlich darauf hinzuweisen,
dass Juden und ausländische Mitbürger in Angst leben, dass die dumpfe Brutalität gegen Schwächere nicht nur die einzelnen Menschen, sondern unser freiheitliches Gesellschaftsmodell bedroht, dass diese Gewalt das Recht verhöhnt, eine Schande für unser Land ist und letztlich die demokratische Grundordnung untergräbt.
Ist das wirklich so? Ist unsere Demokratie wirklich in Gefahr? Oder ist alles nur Medienhysterie, wie Herr Koch aus Hessen zu erkennen meint? Leben wir nicht in einer Demokratie, die sich als stabil und auch als wehrhaft erwiesen hat, die auch mit dem Linksterrorismus fertig geworden ist?
Seit es die Berichte des Verfassungsschutzes gibt, ist in ihnen immer wieder auf den Rechtsextremismus hingewiesen worden. Aber wann auch immer von einer rechten Gefahr gesprochen wurde, erhob sich sofort aus Ihren Reihen – der CDU – immer wieder die lautstarke Forderung, eine zumindest gleich starke linksterroristische Gefahr zu beschwören.