Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Expertenkommission Staatsaufgabenkritik hat und wird, wie ich das verstanden habe, auch in Zukunft die Aufgabe haben, nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Verwaltung bürgerfreundlicher und insgesamt besser organisiert werden kann. Dabei liegt aus meiner Sicht und auch aus Sicht meiner Fraktion ein besonderer Schwerpunkt in der Optimierung der Verwaltung im Sinne eines Dienstleisters für den Bürger, denn der Bürger ist der eigentliche Kunde der Verwaltung.

Der erste Zwischenbericht der Expertenkommission, der im November 2000 vorgelegt wurde, enthielt eine Reihe von Ideen und Anregungen aus verschiedenen Bereichen. Er war – Frau Flesch hat ihn hier sehr kritisch kommentiert – aus verschiedenen Segmenten aufgebaut, enthielt verschiedene Bereiche, war daher auch relativ komplex und sicher als ein erster Schritt zu werten. Zum einen ging er konkret auf Segmente z. B. in der Bauverwaltung und der Wirtschaftsverwaltung ein, allerdings hat er auch allgemeine Aspekte beim Personal und bei bestimmten Prozessabläufen angesprochen, die zugegebenermaßen immer etwas unkonkret sind, weil sie eine sehr breite Wirkung entfalten. Allerdings war er auch sehr konkret, wie z. B. Facility Management, Beteiligungscontrolling oder ressortübergreifende Gesetzesfolgenabschätzung. Diese Themen machen deutlich, worum es bei der Arbeit dieser Kommission geht, nämlich im konstruktiven Sinne Prozesse zu hinterfragen und zu schauen, wie man die Verwaltung bürgerfreundlich machen kann. Gerade die Thematik der Prozesse ist aus meiner Sicht auch eine wichtige Schnittstelle für ein Zukunftsthema in der Verwaltungsreform, nämlich E- Government, denn dieses kann man nur mit transparenten und vernünftig strukturierten Prozessen vernünftig implementieren und damit auch den maximalen Nutzen für die Bürger aus dem Verwaltungshandeln erzielen. Ich möchte allerdings an diesem Punkt klar machen, dass Verwaltungsreform – das ist auch sehr wichtig, um Widerstände innerhalb der Verwaltung abzubauen – keine pauschale Kritik an der Verwaltung ist, sondern ein Ansatz für einen konstruktiven Dialog und einen konstruktiven Austausch über die Rolle der Verwaltung und über Verwaltungshandeln.

[Frau Dr. Lötzsch (PDS): Genau!]

Deshalb – das halte ich für sehr wichtig – sind hier gerade Diskussion und Dialog zwischen Verwaltung, Parlament und Senat der entscheidende Punkt, um das Vorhaben Verwaltungsreform voranzubringen.

Die Stellungnahme des vorigen Senats zum ersten Zwischenbericht enthielt auch auf Grund der Struktur des Zwischenberichts eine Fülle von Prüfaufträgen und zeigt, dass sich der vorige Senat sehr intensiv und sehr ernsthaft mit den einzelnen Aspekten auseinander setzen wollte. Ich will hier nur anmerken, dass hoheitliche Aufgaben bei Polizei und Justiz besonders kritisch hinterfragt werden müssen, weil wir hier an Grundsätze staatlichen Handelns herangehen.

Ich komme zu einen Antrag der PDS- Fraktion zur Neuordnung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der deutlich zeigt, dass man auf Ebene der Aufbauorganisation oder durch Abschichtung eine sehr große Verwaltung – wir wissen, es ist das größte Ministerium, das es in der Bundesrepublik gibt – in kleinere Strukturen zerlegen und letztendlich auch mit mehr Ressourcen für die eigentliche Arbeit, nämlich für eine bürgerfreundliche Arbeit, ausstatten kann. Ich appelliere an Senator Strieder, sich intensiv mit den Vorschlägen auseinander zu setzen. Sie hatten eine sehr eindrucksvolle Präsentation. Ich denke, Sie werden sich den konstruktiven Vorschlägen in Bezug auf Verwaltungsreform nicht widersetzen.

[Kriebel (SPD): Gut so!]

Noch ein letzter Punkt: Schauen Sie einmal, wie viele Staatssekretäre Ihr Ressort hat und wie viele andere haben.

Die Große Anfrage fokussiert sehr stark auf die Einsparpotentiale. Allerdings – Herr Zotl, Sie haben das auch deutlich gemacht – steht nun einmal die Optimierung der Verwaltung im Sinne einer bürgerfreundlich agierenden Verwaltung im Vordergrund. Dies – so verstehen wir das – soll auch der Schwerpunkt der Arbeit der Kommission sein. Der Zwischenbericht und die Prüfaufträge zeigten, dass sich der vorige Senat sehr intensiv damit auseinander setzen wollte. Ich hoffe, dass dies auch künftig der Fall sein wird und dass die beauftragten Prüfberichte vorgelegt werden. Die ersten sind bereits zum 30. Juni fällig.

Einen Appell will ich besonders deutlich machen: Vergessen Sie bei all dem Handeln nicht, inwiefern die Mitarbeiter in den einzelnen Verwaltungen mit eingebunden werden können. Sie müssen sie auf die Reise mitnehmen. Der Regierende Bürgermeister hat leider bereits am Anfang mit seinem Konfrontationskurs für betriebsbedingte Kündigungen die eine oder andere schreckliche Vermutung aufblitzen lassen. Er ist dann davon abgewichen und hat auch in der Regierungserklärung seine Position anders formuliert. Allerdings bleibt ein fader Beigeschmack. Ich hoffe nicht, dass dies der künftige Kurs bei der Verwaltungsreform oder Modernisierung sein wird. Ich fordere Sie auf, bekennen Sie Farbe, zeigen Sie in einem Konzept zur Verwaltungsmodernisierung und vor allem im Umgang mit den Prüfaufträgen und daraus resultierenden konkreten Anregungen und Vorschlägen, dass Sie es ernst damit meinen. Zeigen Sie vor allem, wie Sie den Begriff, den Sie vorhin geprägt haben, Verwaltungsrevolution, umsetzen wollen! Wir wollen das gerne konstruktiv-kritisch begleiten. Was spricht denn dagegen, einen Ideenwettbewerb über die Vorschläge der Expertenkommission z. B. unter den Mitarbeitern der Verwaltung zu starten? – Ich halte das gerade im Sinne eines offenen Modernisierungsprozesses für sehr gut. Wir können dort sicherlich einiges an Kreativpotential nutzen.

Ich komme noch zu einigen Punkten der Großen Anfrage – ein Bereich sind Verordnungen und Verwaltungsvorschriften. Ich weiß nicht, ob eine Kommission der geeignete Weg ist, um dem wirklich Herr zu werden. Ich will hier nur einen kreativen Vorschlag machen, den man prüfen könnte: Man könnte jede Verordnung mit einem Verfallsdatum versehen, so dass man sie regelmäßig in die Hand nehmen und schauen muss, ob sie noch notwendig ist oder nicht. Vielleicht kann man diesem Vorschlag aufnehmen.

Ich möchte noch etwas zu dem Zumessungsmodell für die Bezirke sagen. Wir sind gerade bei der Kosten- und Leistungsrechnung und bei der Budgetierung in verschiedenen Modellen

und Rechnungen befasst. Dieses Zuweisungsmodell, das nun angewandt wird, ist sicherlich eine Basis. Allerdings würde ich gern sehen, wie man langfristig ein Modell entwickeln kann, das die verschiedenen Besonderheiten mit berücksichtigt.

Der Bereich öffentlicher Daseinsvorsorge/Subsidiarität, Diskussion über öffentliche Aufgaben: Ich halte das für einen wichtigen Punkt. Die Berlinstudie hat dazu einiges ausgeführt. Allerdings ist es im konkreten Verwaltungshandeln etwas schwierig zu zeigen, was dabei passiert. Wenn ich mich an Diskussionen über Stadtteilzentren oder Nachbarschaftsheime erinnere, die Teile der privaten Selbstverwaltung und Selbstorganisation sind, dann frage ich mich manchmal, wie ernst es damit gemeint ist.

Abschließend: Es sind noch – wir werden sie leider im Ausschuss nicht mehr diskutieren können – verschiedene Anträge im Zusammenhang mit der Großen Anfrage vorgelegt worden. Zu einem Antrag möchte ich mich äußern – Verantwortung für Finanzen und Personal auch im Bereich der Hauptverwaltung zu bündeln: Der Vorschlag hat sicherlich einen Charme und entspricht auch dem Gedanken, Personal- und Ressourcenverantwortung zuzusammenzuführen. Aus meiner Sicht sollten wir das allerdings im Kleinen versuchen, um sich dann langfristig Gedanken darüber zu machen. Aber bei der jetzigen Situation und den gegebenen Größenverhältnissen halte ich es für sehr schwierig und fast kontraproduktiv für den Verwaltungsreformprozess, ein so großes Unterfangen bei zwei großen Schnittstellenverwaltungen anzulegen.

Zum Bereich Clearingstelle/Kofinanzierung für EU-Mittel und Bundesmittel ist der Vorschlag sicherlich gut gemeint, aber ich glaube, er greift ins Leere. Hier sollte man eher – das halte ich für den wichtigeren Bereich – überlegen, wie man die Verwaltung und die entsprechenden Bereiche fit macht, um EU-Mittel etc. einzuwerben.

Die CDU-Fraktion wartet also gespannt auf die ersten Berichte zu Prüf- und Berichtsaufträgen – sie sind ja bereits zum 30. Juni fällig – und wird sehen, wie der Senat darauf reagiert und mit ihnen weiter verfährt. Wir sind bereit, Lösungsvorschläge kritisch zu diskutieren und unsere Überlegungen zur Verwaltungsreform mit einzubringen. Den neuen Senat fordere ich auf, die Diskussion ernsthaft zu führen. Der Regierende Bürgermeister hat die Messlatte sehr hoch gelegt –

[RBm Wowereit: Genau!]

„Revolution“. Wir wollen sehen, wie weit Sie mit Ihren Worten Ernst machen. Wir werden Sie dabei kritisch begleiten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Werner das Wort. – Bitte schön, Frau Werner!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat hier genau das stattgefunden, was ich erwartet habe: In der Theorie sind sich hier alle einig. Alle Fraktionen in diesem Haus wollen Strukturveränderungen. Alle wollen die Staatsaufgabenkritik. Aber in der Praxis hat sich seit Jahren wenig bewegt,

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

denn in der Praxis fehlt es am Mut zur Veränderung und zur Modernisierung. Modernisierung bedeutet auch, Macht aufzugeben und Gewohnheiten zu ändern. Vermutlich liegt genau darin der Grund, warum sich so wenig bewegt. „Es ist alles sehr zäh!“ sagt Herr Rupert Scholz, als er vom „Spiegel“ zu den Chancen der Umsetzung der Ideen der Kommission in Berlin befragt wurde. Dabei wäre es dringend nötig, den Bestand an öffentlichen Aufgaben in Berlin zu analysieren, und zwar kritischst. Ohne diese Analyse wird es keine Rationalisierungsstrategie in Berlin geben können. Allgemeine Sparquoten, wie wir sie bisher hatten, quer über die Aufgabenbereiche verteilt, bringen uns nicht weiter. Im Gegenteil, sie machen den öffentlichen Dienst

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kaputt. Wir können nicht gleichzeitig Personal sparen, Sachmittel sparen, Effizienzsteigerung erwarten und außerdem das Aufgabenspektrum so belassen, wie es ist. Das wird nicht gehen.

[Beifall bei den Grünen]

Wir werden entscheiden müssen, von welchen Aufgaben sich der öffentliche Dienst, das Land Berlin trennen kann, ohne dass die Qualität der Leistung leiden muss. Insofern sagen auch wir: Es war völlig richtig, eine Expertenkommission einzusetzen. Wir begrüßen es auch, dass der neue Senat diese Expertenkommission gebeten hat, weiterzuarbeiten.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Die neue Koalition hat sich vorgenommen, strukturelle Entscheidungen anzupacken. Das steht schon in der Koalitionsvereinbarung dieses zeitlich sehr befristeten Übergangssenats.

[Niedergesäß (CDU): Was heißt denn „Übergang“? – Untergangssenat!]

Wir benötigen das Wissen, die Ideen und die Vorschläge vieler. Die Überlegungen der Kommissionsmitglieder müssen selbstverständlich weiterhin dabei sein. Aber andere müssen auch dazu kommen, vor allem die Gewerkschaften und die Personalräte, die gegen unseren Willen bei der Einsetzung der Kommission außen vor bleiben mussten. Gerade mit ihnen wird der Dialog zu führen sein.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Die Kommission hat zwei Berichte erstellt. Der erste ist veröffentlicht, der zweite kursiert intern. Man kann über die Vorschläge der Kommission lange streiten. Auch unsere Fraktion hat an etlichen dieser Vorschläge Kritik und würde sie nicht umsetzen. Ein aus unserer Sicht besonders unsinniger Vorschlag ist genannt worden – die Erhöhung der Besoldung von Spitzenbeamten. Er ist ja – Gott sei Dank! – dank der Entscheidung des neuen Senats vom Tisch.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Aber die Kommission hat auch interessante Vorschläge gemacht, die umgesetzt werden sollten. Auch da sind wir der Auffassung, die eben geäußert wurde: Nicht mit langen Prüfaufträgen, sondern möglichst schnell. So viel Zeit haben wir auch gar nicht, um Strukturen zu verändern. Wir haben auch Ideen darunter gefunden, die wir bisher vergeblich seit Jahren in diesem Parlament vortragen. Aber – das wurde vorhin schon gesagt – der Fortschritt ist eine Schnecke, so auch hier.

Wir teilen die Auffassung der Expertenkommission, wonach die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben vom Staat gewährleistet, aber nicht in jedem Fall vollzogen werden muss. Es geht dabei nicht darum, den Staat zurückzudrängen und den Privaten Tür und Tor zu öffnen. Es geht darum, das Land Berlin überhaupt wieder handlungsfähig zu machen. Es geht auch darum, Raum und Möglichkeiten für die Übernahme neuer Aufgaben zu schaffen. Da gibt es von Gentechnik bis Internetzugang eine Menge Aufgaben, die auf den Staat zukommen können. Es geht um die Frage: Wie müssen wir den öffentlichen Dienst organisieren, damit gute Leistungen weiterhin erbracht werden sollen? Der Staat soll steuern und nicht rudern. Doch in der Praxis fällt die Entscheidung, das Rudern aufzugeben und das Steuer zu übernehmen, sehr schwer.

Es fehlte bisher an Mut auf Seiten der alten Koalition, sich mit einflussreichen Klientelen und potentiellen Wählerinnen und Wählern anzulegen. Dieser Senat bot ein plastisches Beispiel der Mutlosigkeit. Die Verwaltungen haben sich gegenseitig blokkiert. Sie haben ein ausgeprägtes Besitzstandsdenken und Beharrungsvermögen entwickelt, und die politischen Spitzen – ich erinnere da nur an Herrn Werthebach – haben sie darin bestärkt. Der alte Senat hat die Scholz-Kommission auch lediglich als Alibi für Haushaltskosmetik benutzt. Die 50 Millionen DM, die an Einsparungen in den Haushalt 2001 eingestellt wurden, sind von Anfang an eine Luftnummer gewesen. Wir haben das

hier kritisiert, und wir werden jetzt bestätigt: Nicht eine Mark hat sich bisher daraus realisiert. Wir hoffen, das wird jetzt anders. Der neue Senat hat erkannt und jeder neue Senat wird erkennen müssen, dass er das Spiel so nicht weiter treiben kann.

Ganz klar ist mir allerdings noch nicht, wohin die PDS da will. Da mahnt Herr Wolf im Hauptausschuss einerseits – völlig zu Recht – Strukturveränderungen an und schließt auch Privatisierungen nicht aus.

[Doering (PDS): Das eine schließt das andere nicht aus!]

Andererseits hält schon Herr Krüger die Frage, ob künftig bei der Polizei noch 7 eigene Kfz-Werkstätten betrieben werden müssen, für nahezu unsittlich.

[Niedergesäß (CDU): Hört, hört!]

Einerseits kann man im „Spiegel“ dieser Woche nachlesen, dass sich die PDS als härtester Sparer geriert, eine rekord- und schwindelverdächtige Summe von 3,1 Milliarden DM einsparen will, unter anderem durch den Abbau von 30 000 Stellen.

[Niedergesäß (CDU): Jetzt kommt’s raus! So seid ihr!]

Niemand in diesem Haus hat bisher an eine so utopische Summe gedacht. Gleichzeitig aber gibt die PDS eine Presseerklärung heraus, in der die noch nicht veröffentlichten Vorschläge der Scholz-Kommission im Bereich der Polizei als „soziale Kriegserklärung an die Beschäftigten im öffentlichen Dienst“ verdammt werden. Was haben zum Beispiel die Vorschläge, die Kleiderkammern der Polizei abzuschaffen, mit einer sozialen Kriegserklärung zu tun? Warum sollten wir nicht in Berlin das übernehmen, was in Bayern erprobt ist?

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Dort bestellt jeder Polizist seine Polizeiuniform beim Versandhaus. Warum sollen nicht interne Serviceleistungen der Verwaltung dem Markt geöffnet werden?