Protokoll der Sitzung vom 23.03.2000

Zur Beantwortung hat Herr Senator Branoner das Wort. Bitte, Herr Senator!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Branche ist zur Zeit, qualifiziertes Personal zu bekommen, und zwar nicht nur dadurch, dass man von außerhalb Menschen nach Deutschland holt, sondern vor allen Dingen auch dadurch, dass wir eigene Ausbildungsanstrengungen unternehmen. Eine der essentiellen Rahmenbedingungen im Wachstumsprozess der Medien- und der Informations- und Kommunikationsbranche, zu der gegenwärtig in Berlin 8 000 Unternehmen mit 100 000 Menschen gehören, ist die Verfügbarkeit über gut ausgebildete Fachkräfte.

Berlin hat – das sehen wir bei der Ansiedelung von Unternehmen – gerade in diesem Bereich überdurchschnittliche Potentiale. Die Qualifizierung in der Informationstechnik steht dabei auf drei Säulen, welche sind: das duale Berufsausbildungssystem, die Ausbildung an den Hochschulen und die Aus- und Fortbildung durch private Bildungsträger in zum Teil durch das Land Berlin und vom Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg geförderten Kursen. In allen drei Bereichen wird eine starke Vernetzung mit der Wirtschaft praktiziert und in Zukunft noch weiter verstärkt.

Das duale Berufsausbildungssystem hat seit 1996 auch in den Bereichen Medien, Information und Kommunikation elf neue Berufe geschaffen.1999 wurden insgesamt 1 168 Ausbildungsverträge abgeschlossen, wobei die größte Zahl mit 213 auf den Beruf Fachinformatiker entfiel. Aber auch auf die Berufe Informations- und Kommunikationssystemelektroniker oder -kaufmann entfällt bereits eine beträchtliche Anzahl von Ausbildungsverträgen. Zusammen mit den klassischen Ausbildungsberufen im

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Sen Branoner

Medien- und Kommunikationssektor konnte die Ausbildungsplatzanzahl in Berlin seit 1996 um 600 % erhöht werden. Allein von 1998 bis 1999 ergab sich eine Steigerung von 50 %. Mittlerweile wird jeder 10. Ausbildungsvertrag hier in Berlin in einem diesen Berufen zugehörigen Bereich abgeschlossen.

Die Hochschulen haben erhebliche Potentiale: drei Universitäten, die Studiengänge in dem Bereich anbieten, zwei Kunsthochschulen, zwei Fachhochschulen und die Berufsakademie bieten zur Zeit 29 medien- und kommunikationsbezogene Studiengänge an. 50 % aller Studenten haben ein informatikbezogenes Fach absolviert. Unter den 1 400 Absolventen, die 1998 ihr Studium beendet haben, waren 630 Fachinformatiker.

Der dritte Bereich ist der private mit über 50 Ausbildungsstellen. Sie sehen, dass wir sehr gut gerüstet sind. Nichtsdestotrotz wollen wir den Informationstechnikbereich weiter ausbauen. Wir müssen auf der anderen Seite sehen, dass wir gegenwärtig nach einer Umfrage der IHK 3 500 bis 4 000 nicht besetzte Stellen haben. Wir werden dafür – begrenzt auf einen bestimmten Zeitraum – auch ausländische Kräfte gewinnen wollen. Vor allem diejenigen, die hier studiert haben und normalerweise nach dem Studium wieder zurück in ihr Heitmatland gingen, wollen wir in Berlin halten.

Danke schön, Herr Senator! – Gibt es Zusatzfragen von Seiten der Fragestellerin? – Bitte schön, Frau Herrmann!

Es gibt über 30 000 Arbeitslose in diesem Bereich. Meine Frage lautet: Was gedenken Sie zu tun, um in der Ausbildung dieser Arbeitslosen dem Qualifizierungsanspruch der Wirtschaft zu entsprechen, damit sie vermittelt werden? Denn warum so viele nicht zu vermitteln sind, ist mir bei Ihrer Antwort nicht so ganz deutlich geworden. Welche Anstrengungen werden unternommen, um in diesen Berufsfeldern noch mehr Ausbildungsplätze zu beschaffen?

Herr Senator!

Ich kann Ihre Zahl von 30 000 Arbeitslosen in diesem Bereich nicht teilen. Nach Auskunft des Landesarbeitsamtes gibt es nicht einen Arbeitslosen unter den Hochqualifizierten. Nach einer Umfrage während der letzten zwei Wochen wurden bei der eingerichteten Hotline 38 freie Stellen gemeldet. Im sogenannten Mittelqualifizierungsbereich nennt das Arbeitsamt 1 800 Personen. Diese 1 800 Personen werden mit bestimmten Programmen qualifiziert, die das Landesarbeitsamt finanziert. Das Landesarbeitsamt hat insgesamt für dieses Segment der Qualifizierung 200 Millionen DM zur Verfügung. Ich bin Herrn Clausnitzer sehr dankbar dafür, dass er gesagt hat, selbst dann, wenn wir in anderen Bereichen zusätzliches Geld benötigen, würde er versuchen, dieses Geld von der Bundesanstalt zu bekommen.

Unser Problem bei den Arbeitslosen, die wir haben, ist, dass zwar 43 % nicht qualifiziert sind, aber 25 % Qualifikationen in ganz anderen Bereichen haben. Die Frage, die wir uns gemeinsam mit der Wirtschaft nicht nur stellen, sondern auch beantworten werden ist: Was ist das Anforderungsprofil von der Wirtschaft und wie groß ist die Bereitschaft der Wirtschaft, Qualifizierungsplätze, Praktikumsplätze und dann auch die Arbeitsverträge zur Verfügung zu stellen? – Aus diesen 25 % Arbeitslosen sind Leute herauszunehmen, die man für bestimmte Aufgaben weiterqualifizieren kann – etwa als Call-Agenten im Bereich der Call-Center. Das ist eine immer wichtigere Funktion, die auch im oberen Qualifizierungsbereich anschlägt. Und da, glaube ich, haben wir gute Chancen, eine Doppelstrategie zu fahren. Ich sage das noch einmal deutlich: Wir wollen die Ausbildungs- und Qualifizierungseinrichtungen, die wir in Berlin haben, dafür nutzen, dass wir vor allen Dingen den Arbeitslosenbereich qualifizieren und zugleich den kurzfristigen, nicht aus diesem Potential zu deckenden Bedarf an Arbeitsplätzen auch durch andere Maß

nahmen decken. Der Hintergrund ist: Einen Arbeitsplatz im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie schafft heute die Sicherheit für zwei bis fünf andere Arbeitsplätze. Wir kennen das aus der Automobil- und auch aus der Bauindustrie. Das heißt, diese Branche ist heute in einer Breite angelegt und schafft auch bei uns in Berlin bereits 20 Milliarden DM Umsatz, dass wir dieses auch mit als Motor für die Qualifizierung von vorhandenen Arbeitskräften, die jetzt arbeitslos sind, nutzen werden.

Zusatzfragen? – Die Fragestellerin! Bitte schön, Frau Kollegin!

Ich begrüße die Anstrengungen, die im Bereich Ihres Senatsfeldes unternommen werden. Aber die Aussage der Frau Senatorin Schöttler in der Aktuellen Viertelstunde der letzten Ausschusssitzung lautete anders. Sie hatte gesagt, die Auszubildenden, die jetzt in diesem Bereich Qualifizierungsmaßnahmen durchlaufen, sind später nicht zu vermitteln. Ich möchte wissen, wie Sie zu der Aussage kommen, dass diese Leute nicht zu vermitteln sind.

Zur Beantwortung – Herr Senator Branoner!

Ich bin mit Frau Kollegin Schöttler einig, dass wir gerade deswegen solche Anstrengungen unternehmen, weil wir die Leute qualifiziert auch an Unternehmen vermitteln können. Es ist heute doch gar nicht genau zu erkennen, wie ein Berufsfeld in diesem Feld in fünf oder in acht Jahren aussieht. Bei einem Technologiesprung, bei einer Umwälzung, wo Produkte ganz neu entwickelt werden, geht man in der Industrie von zwölf Monaten und im Bereich von Internet und E-Commerce von drei Monaten aus. Das bedeutet, dass beispielsweise Siemens heute noch nicht weiß, mit welchen Produkten es in fünf Jahren 80 % seines Umsatzes machen wird. Deswegen müssen wir gerade im Feld der Ausbildungsverhältnisse und der Berufe an dieser Stelle ein Höchstmaß an Qualifizierung, aber vor allem auch an Flexibilität haben. Wir bilden aber dann auch nicht für Berlin und Berlin-Brandenburg aus, sondern wenn es uns gelingt, qualifiziertes Personal, Humankapital, zu haben, können wir weitere Firmen dafür gewinnen, nach Berlin zu kommen.

Aber es wäre auch noch ein anderer Schritt wichtig: dass diese Menschen hinausgehen, sich nicht nur in der Region, sondern deutschlandweit und international als Arbeitskräfte anbieten und insofern eine Vernetzung des deutschen Standards mit anderen Firmen ermöglicht wird. In dieser Hinsicht gibt es im Senat keine unterschiedlichen Auffassungen. Da passt auch zwischen Frau Schöttler und mir kein Löschblatt – nicht einmal das.

Eine weitere Zusatzfrage kommt von der Frau Abgeordneten Dr. Klotz. Bitte schön, Frau Kollegin!

Herr Senator! Sie haben es geschafft, IBM Deutschland gegen sich, gegen den Senat und gegen das gesamte Land Berlin in einer wohl beispielgebenden Art und Weise aufzubringen. Sie haben es als Zukunfts- und IuKSenator geschafft, dass IBM Deutschland von einem Standortwechsel einzelner Abteilungen von Hamburg nach Berlin wieder Abstand nimmt.

[Zuruf von der CDU: Frage!]

Deswegen frage ich Sie: Warum haben Sie die Förderung Ihres Hauses in Höhe von 375 000 DM für ein wohl einmaliges Projekt verweigert, wo IBM Deutschland, aber auch die Senatsverwaltung für Arbeit, das Landesarbeitsamt miteinander kooperieren und wo Arbeitslose zu Online-Producern weiterqualifiziert werden – was übrigens in der Vergangenheit mit einer hundertprozentigen Vermittlungsquote einherging? Sie haben damit den unglaublichen Erfolg erzielt, dass der IBM-Sponsoringleiter die

Aussage gemacht hat: „Am liebsten würden wir einen Misstrauensantrag gegen den Wirtschaftssenator stellen.“ Halten Sie das für eine gelungene Politik?

[Beifall bei den Grünen]

Frau Kollegin, Fragen brauchen nicht begründet zu werden. Die Sinnhaftigkeit ergibt sich aus der Frage selbst. – Bitte schön, Herr Senator!

[Zurufe]

Herr Präsident! Die Sinnhaftigkeit ergibt sich nicht einmal aus dieser Frage, interjection: [Heiterkeit bei der CDU]

denn sie ist relativ sinnlos gewesen. Ich will gar nicht ausbreiten, welche Gründe bei diesem speziellen Träger dazu geführt haben, dass das Projekt nicht weitergeführt wird, weil ich glaube, dass man das nicht in der Öffentlichkeit macht. Ich weise darauf hin, dass dieses Projekt ab Mai weitergeführt wird. Und welche Gründe vielleicht Dritte dazu bewogen haben, die Förderung nicht so weiterzuführen wie in der Vergangenheit, können wir gerne bilateral, sogar in einem Ausschuss besprechen, aber nicht in der Öffentlichkeit.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)]

Zu einer Zusatzfrage – der Kollege Berger. Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Senator! Sie haben so nett formuliert, dass Sie sich bemühen, für die Computertechnik von außerhalb Menschen nach Berlin zu holen. Das erinnert mich an den berühmten Spruch von Max Frisch: „Wir haben Arbeitskräfte gerufen. Es sind Menschen gekommen.“ Darum frage ich Sie gezielt: Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass diese Menschen hier nicht nur arbeiten dürfen, sondern auch leben können und dass sie insbesondere das Recht haben, ihre Kinder und ihre Ehepartner in dieses Land nachkommen zu lassen, für das sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen?

Herr Senator!

Herr Präsident! Herr Kollege Berger, das ist ja eine zweigeteilte Frage. Zunächst geht es um die – für uns und auch für die Wirtschaft – wichtige Frage: Bleiben die Unternehmen hier, auch mit deutschen Arbeitskräften? Bleiben sie hier oder gehen sie wieder hinaus, wenn sie nicht das Potential an Menschen bekommen? Die Informations- und Kommunikationstechnologie ist eine Branche, die relativ standortunabhängig ist. Also werden wir, wenn uns Unternehmen nachweisen, dass ein Interesse besteht und dass diese Arbeitsplätze nicht mit Deutschen besetzt werden können, natürlich die entsprechenden Regularien anwenden. Es gibt ein Verfahren, das praktizieren wir.

Die zweite Frage ist dann, ob und inwieweit die Familien nachziehen. Das ist eine ausländerrechtliche Frage. Auch dafür gibt es Regeln und Regularien. Sie wissen, dass die Länder und die Bundesregierung gerade über diesen Punkt in Verbindung mit dem ersten Punkt reden und dass entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen werden sollen. Ich halte dieses Verfahren – sowohl im Verhältnis zu denen, die hier leben und arbeiten, als auch zu denen, die hierher kommen – für den richtigen Weg.

Das waren die Zusatzfragen.

Nunmehr hat der Kollege Benneter das Wort zu einer Mündlichen Anfrage über

Richter schelten den Senat

Bitte schön, Herr Kollege Benneter!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wird der Senat die Kritik des Präsidenten des Verwaltungsgerichtes beachten und für eine sorgfältigere Ausarbeitung der Verbotsverfügungen für zukünftige NPD-Demonstrationen in Berlin sorgen?

2. Was wird der Senat unternehmen, um die für den 1. Mai geplante Demonstration der NPD zu verhindern?

Zur Beantwortung – Herr Senator Werthebach. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Benneter! Ich empfehle, die Ausführungen des Verwaltungsgerichtspräsidenten mit Sorgfalt und Bedacht zu studieren. Der Präsident hat schlicht darauf hingewiesen, dass die für das Gericht bindende Rechtslage ein Verbot einer Demonstration nur dann zulasse, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Verbot konkret mit der Begehung von Straftaten aus der Versammlung heraus zu rechnen sei. Da eine solche unmittelbare Gefahrenprognose bei der NPD- Demonstration am 12. März dieses Jahres nicht gegeben werden konnte, hat das Verwaltungsgericht die Verbotsverfügung aufgehoben.

[Zuruf von der CDU: So ist es!]

Hieraus folgt nach meiner Einschätzung, dass sowohl das Innenressort als auch die Verwaltungsgerichte Berlins inhaltsgleich die Auffassung vertreten, in Zukunft können NPD-Aufmärsche in der historischen Mitte Berlins nur mit Hilfe einer Gesetzesänderung unterbunden werden. Das Verwaltungsgericht Berlin weist in seiner Entscheidung zum 12. März ausdrücklich darauf hin. Kritisiert hat der Verwaltungsgerichtspräsident allerdings, dass – wie es wörtlich heißt – „Vertreter der ersten und zweiten Gewalt äußerst unsachlich und im juristischen Mäntelchen juristische Kritik zu üben versuchen“. Der Innensenator und die Polizei als Versammlungsbehörde, Herr Benneter, können hiermit nicht gemeint sein, weil wir eine solche Kritik nicht geübt haben. [Heiterkeit bei der PDS]

Ich versichere Ihnen nochmals, dass die Verbotsverfügungen der Versammlungsbehörde sorgfältig und unter Ausschöpfung vorhandener Erkenntnisquellen erfolgt sind. Wer etwas anderes behauptet, verkennt zumindest die Rechtslage. Wer die Frage logisch und konsequent zu Ende denkt, Herr Benneter, dem muss klar sein, dass hier nur eins geht: Aufmarsch ertragen oder Gesetz ändern.