Protokoll der Sitzung vom 23.03.2000

Ich versichere Ihnen nochmals, dass die Verbotsverfügungen der Versammlungsbehörde sorgfältig und unter Ausschöpfung vorhandener Erkenntnisquellen erfolgt sind. Wer etwas anderes behauptet, verkennt zumindest die Rechtslage. Wer die Frage logisch und konsequent zu Ende denkt, Herr Benneter, dem muss klar sein, dass hier nur eins geht: Aufmarsch ertragen oder Gesetz ändern.

Zu Frage 2: Der Senat bleibt bei seiner Linie, dass NPD-Aufmärsche, die über Inhalt, Ort und Zeitpunkt eine Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes anstreben, verboten werden sollen. Ob ein solches Verbot für den 1. Mai durch die Versammlungsbehörde ausgesprochen werden kann, ist vor dem Hintergrund der eben von mir skizzierten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu würdigen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass auch in diesem Jahr revolutionäre linksextremistische 1.-Mai-Demonstrationen angemeldet worden sind, [Heiterkeit bei den Grünen]

die wie jedes Jahr zur Begehung von Straftaten, auch durch gewaltbereite Linksextremisten, missbraucht werden dürften. Inwieweit die Anmeldung des NPD-Aufmarsches zu einer Mobilisierung in der linksextremistischen autonomen Szene beitragen wird, kann gegenwärtig noch nicht abschließend beurteilt werden. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der NPDAufmarsch in der linksradikalen Szene als Legitimation dafür begriffen wird, schwere und schwerste Straftaten auch und gerade gegen Unbeteiligte zu begehen. Sollten sich diese Erkenntnisse verfestigen, so wird die Versammlungsbehörde zur rechten Zeit darüber nachzudenken haben, welche versammlungsrechtlichen Möglichkeiten bestehen, am 1. Mai massive gewalttätige Auseinandersetzungen zu vermeiden.

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Sen Dr. Werthebach

Eine abschließende Bewertung der Sicherheits- und damit auch der Rechtslage ist gegenwärtig noch nicht möglich. Wir werden jedoch die Entwicklung genau beobachten und alle Möglichkeiten ausschöpfen, die uns zur Verfügung stehen, um zu verhindern, dass der 1. Mai für die Begehung von Straftaten und Randale missbraucht wird.

[Zurufe der Abgn. Frau Oesterheld (Grüne) und Frau Künast (Grüne)]

Das Versammlungsrecht schützt keine Straftäter. Wer also als Krawalltourist nach Berlin kommt, sollte sich keine Hoffnungen machen; der Besuch wird freudlos.

Danke schön, Herr Senator. Zur Zusatzfrage Herr Kollege Benneter – bitte schön!

Herr Senator Werthebach! Sie meinen, Sie hätten ausreichend Ihre Erkenntnisse dem Verwaltungsgericht vorgetragen. Warum hat dann der zuständige Senator dem Verwaltungsgericht nichts über die neuen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über die Zusammenhänge von NPD und gewaltbereiten Neonazi-Kameradschaften und Skinheadgruppen vorgetragen, über die er uns gerade erst in der letzten Woche im zuständigen Ausschuss berichtet hat? Muss sich der Senat nicht deshalb den Vorwurf gefallen lassen, den der Verwaltungsgerichtspräsident erhoben hat, dass hier juristische Naivität und Ahnungslosigkeit am Werk war?

Herr Senator!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als mit der Institution und mit der Materie Verfassungsschutz sehr Vertrauter bin ich natürlich schnell auf diese Idee gekommen, solche Informationen zusammenzutragen und dem Gericht vorzulegen.

[Heiterkeit des Abg. Gram (CDU)]

Aber, verehrter Herr Benneter, Sie wissen doch auch, Beurteilungsgegenstand für das Gericht sind die möglichen Straftaten, die von diesem Aufzug ausgehen können. Ich kann also nicht theoretisch und abstrakt vortragen, was ich über die NPD oder sonstige rechtsextremistische Organisationen und Parteien weiß, sondern muss konkret vortragen, welche unmittelbare Erkenntnisse ich darüber habe, welche Personen oder Personengruppierungen aus dem Aufzug heraus Straftaten begehen. Wenn ich das nicht kann, brauche ich auch keinen Vortrag in diese Richtung zu unternehmen.

Zur Zusatzfrage hat der Fragesteller das Wort, Herr Benneter – bitte!

Kann die Tatsache, Herr Werthebach, dass Sie das nicht können, daran liegen, dass für den extremistischen Bereich vom Verfassungsschutz in der Vergangenheit weit weniger ausgegeben worden sein soll als für Erkenntnisse aus dem linksextremistischen Spektrum? Ist das der Grund dafür, dass nur ein ungenügender Vortrag gegenüber dem Verwaltungsgericht erfolgen konnte?

Herr Senator!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weise zunächst darauf hin, dass die NPD als Anmelder solcher Demonstrationen inzwischen vieles dazugelernt hat. Sie veranstaltet solche Demonstrationen mit im Wesentlichen unbelasteten Personen. Sie gibt uns jedenfalls bei der Demonstrationsanmeldung keinerlei Hinweis darauf, dass entsprechende Belastungen und Vorstrafen bei den Anmeldern vorhanden sind.

Im Übrigen, Herr Benneter, habe ich darauf gedrängt, dass die Erkenntnislage im Bereich des Rechtsextremismus durch unser

Landesamt verbessert und verstärkt wird. Das Ergebnis haben Sie in der letzten Sitzung des Verfassungsschutzausschusses selbst sehen und hören können, das war diese Ausarbeitung.

Ich weise nochmals darauf hin, dass es ein Rechtsfehler ist zu glauben, dass die Erkenntnisslage, die man generell über den Rechtsextremismus im Land Berlin hat, übertragen könne auf eine bestimmte angemeldete Demonstration. Vor Gericht zählt nur, was ich konkret über die angemeldete Demonstration und ihre Anmelder weiß, nicht, was ich abstrakt und theoretisch generell über eine Organisation oder über eine Partei vortragen könnte.

Die nächste Zusatzfrage geht an Frau Abgeordnete Dr. Klotz – bitte schön!

Unabhängig von der Frage des Verbots oder der Begründung eines Verbots hat sich ja am 12. März ein breites Personenbündnis „Berliner Initiative Europa ohne Rassismus“ partei- und organisationsübergreifend zusammengefunden und eine Veranstaltung auf dem Pariser Platz organisiert, auf der –

Frau Kollegin, entschuldigen Sie bitte, es bedarf keiner Begründung, ich bitte, die Frage zu stellen!

– unter anderem Herr Thierse gesprochen hat. Wie finden Sie die Tatsache, Herr Innensenator, dass der Regierende Bürgermeister, obwohl auch das Abgeordnetenhaus fraktionsübergreifend zur Teilnahme an dieser Veranstaltung aufgerufen hat, dieser zivilgesellschaftlichen Veranstaltung ferngeblieben ist?

Herr Senator Werthebach!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal kann ich Ihnen sagen, dass sich weder der Regierende Bürgermeister noch der Innensenator durch Sie bei der politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus übertreffen lässt.

[Beifall bei der CDU – Ho! von links]

Wir suchen die Auseinandersetzung und haben sie erfolgreich getroffen.

Zum Zweiten hätte ich natürlich große Lust, Ihre Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.

[Frau Oesterheld (Grüne): Das dürfen Sie nicht!]

Wie finden Sie es denn, dass an dieser von Ihnen vorhin genannten Gegendemonstration 800 gewaltbereite und gewalttätige Linksextremisten teilgenommen haben?

[Beifall bei der CDU]

Zu einer Zusatzfrage hat Frau Künast das Wort.

Dass Sie, Herr Senator, dieses Thema gern funktionalisieren, um auf der einen Seite noch einmal über eine Änderung des Versammlungsrechts nachdenken zu können oder über die Bannmeile oder über das Thema Linksextremismus, wundert uns nicht an dieser Stelle. Sie sind vorhin auf eine Frage nicht eingegangen, die Herr Benneter gestellt hat.

[Zuruf von der CDU: Frage!]

Es ging um das Wissen, das Sie uns im Verfassungsschutzausschuss mitgeteilt haben. Sie haben dort mitgeteilt, dass die NPD funktionalisiert wird seitens anderer, z. B. Skinheads. Ich bin froh darüber, dass mit zwei-, dreijähriger Verzögerung das Landesamt für Verfassungsschutz dieses Wissen auch schon hat, dass die

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NPD funktionalisiert wird, und ich möchte die Frage von Herrn Benneter von vorhin präzisieren: Gibt es einen Mangel an Erkenntnissen im Landesamt für Verfassungsschutz, so dass man nicht zeigen kann, wie diese Funktionalisierung der NPD z. B. durch Skinheads und andere Gewaltbereite passiert, und liegt dieser Mangel daran, dass seit Jahren und auch für das kommende Haushaltsjahr das Landesamt für Verfassungsschutz für die Beobachtung des Rechtsextremismus nur halb so viel Geld ausgibt wie für die Beobachtung des Linksextremismus?

Herr Senator!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Künast! Ich kann zunächst einmal sagen, dass Sie offensichtlich meiner Antwort nicht richtig zugehört haben, denn genau die Frage habe ich beantwortet. Ich habe vor allem herausgestellt: Es kommt überhaupt nicht darauf an, was wir theoretisch und abstrakt über eine rechtsextremistische Organisation wissen. Für das Gericht ist allein entscheidend: Wer ist Anmelder einer solchen Demonstration, wer nimmt an einer solchen Demonstration teil, und welche Gefahrenprognose gibt die Versammlungsbehörde über diesen Aufzug und über die Gefahren von Straftaten, die aus diesem Aufzug heraus begangen werden können?

Zweitens: Nicht die NPD wird funktionalisiert, wie Sie meinen, Frau Abgeordnete, sondern umgekehrt – aber das ist ebenso gefährlich – wird ein Schuh daraus. Die NPD bedient sich immer mehr der gewalttätigen und gewaltbereiten Rechten, insbesondere auf der Skinhead-Ebene.

Drittens: Ich habe Ihnen schon im Verfassungsschutzausschuss gesagt, dass es nicht allein darauf ankommt, wie viel Geld in Mark und Pfennig für die Informationsbeschaffung ausgegeben wird, denn die Zugangslage und die Preise, die für gute Zugangslagen gezahlt werden müssen, sind eben rechts und links unterschiedlich.

[Frau Künast (Grüne): Sind Linksextremisten teurer, oder was?]

Ich muss noch einmal darauf aufmerksam machen, dass Zusatzfragen, wenn sie angemeldet werden, bitte mit der Namenskarte angemeldet werden, sonst können wir hier oben nicht erkennen, wer sich meldet. Deshalb hatten wir übersehen, dass der Kollege Gewalt sich gemeldet hat. Bitte schön, Sie haben das Wort, aber das nächste Mal bitte mit Karte melden!

Danke, Herr Präsident! – Herr Dr. Werthebach! Kann es denn sein, dass die großen Erfahrungen und das professionelle Auftreten der Berliner Polizei bei Demonstrationen und Versammlungen in unserer Stadt mit dazu beitragen, dass Versammlungsverbote nur schwer zu begründen sind, anders vielleicht als in anderen Bundesländern, wo die Polizei diese Erfahrungen offensichtlich nicht hat?

Herr Senator!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Gewalt! In der Tat ist es so, dass einige Polizeistellen, z. B. zuletzt in Bremen oder in Göttingen, den polizeilichen Notstand erklären mussten und daraufhin die Verwaltungsgerichte zur Entscheidung kamen: Wegen des polizeilichen Notstandes ist die Verbotsverfügung gerechtfertigt, aber auch nur dieserhalb. Ich denke aber, dass die Regierungshauptstadt eine solche Erklärung eines polizeilichen Notstandes nicht abgeben darf. Ich jedenfalls möchte dieses nicht.

[Beifall bei der CDU]