Protokoll der Sitzung vom 23.03.2000

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Senator!

Nunmehr hat die Frau Abgeordnete Matuschek von der Fraktion der PDS das Wort zu einer Mündlichen Anfrage über

Arbeitslosenticket nur für Arbeitslosenhilfeempfänger?

Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie steht der Senat zu dem Ansinnen, ein einstimmig vom Abgeordnetenhaus gefordertes Arbeitslosenticket für alle Arbeitslosen nunmehr nur für Arbeitslosenhilfeempfänger einzuführen, und was gedenkt der Senat zu tun, um dem Beschluss des Abgeordnetenhauses nachzukommen?

2. Welche Zahlen über den Kreis der Berechtigten sowie über die finanzielle Situation von Arbeitslosengeld- bzw. Arbeitslosenhilfeempfängern liegen dem Senat vor?

Wer antwortet für den Senat? – Herr Senator Strieder – bitte schön!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Der Senat hat sich in mehreren Verhandlungen mit den Verkehrsunternehmen dafür eingesetzt, dass mit den geplanten Tarifmaßnahmen im Sommer 2000 auch ein Arbeitslosenticket eingeführt wird. Da es dem Senat aufgrund der angespannten Haushaltslage nicht möglich ist, die von Verkehrsunternehmen dafür geltend gemachten Mindereinnahmen auszugleichen, und auch eine finanzielle Beteiligung der Arbeitsämter rechtlich nicht möglich ist, wurde mit dem Vorstand der BVG und der Geschäftsführung der S-Bahn Berlin GmbH insoweit Übereinstimmung erzielt, dass die Verkehrsunternehmen zunächst für ein Jahr ein Arbeitslosenticket für Bezieher von Arbeitslosenhilfe zum Preis von 45 DM einführen. Nach Ablauf dieses Jahres werden die Unternehmen dem Senat über das Ergebnis dieses Modellversuchs insbesondere unter dem Aspekt der Gewinnung zusätzlicher Fahrgäste berichten. Angesichts der finanziellen Risiken musste das Angebot zunächst auf den Kreis der Arbeitslosenhilfebezieher beschränkt werden, da dieser Personenkreis über deutlich weniger Einkommen verfügt als die Bezieher von Arbeitslosengeld. Ob dann dieses Tarifangebot auf alle Arbeitslosen ausgeweitet werden kann, ist vom Ergebnis des Versuchs abhängig. Über die weiteren Tarifmaßnahmen sind die Gespräche zwischen dem Senat, dem Verkehrsverbund und den Verkehrsunternehmen noch nicht abgeschlossen.

Zu 2: Nach Angaben des Statistischen Landesamts gab es 1998 rund 100 000 Bezieher von Arbeitslosenhilfe. Die durchschnittlichen monatlichen Auszahlbeträge belaufen sich der Bundesanstalt für Arbeit zufolge nach der letzten Erhebung in Berlin beim Arbeitslosengeld auf 1 359 DM und bei der Arbeitslosenhilfe auf 1 005 DM, also signifikant weniger.

Zusatzfrage? – Bitte schön, Frau Matuschek!

Schönen Dank! – Herr Senator! Wie viele von den Arbeitslosenhilfeempfängern erhalten zusätzlich Sozialhilfe und würden damit berechtigt sein, eine Sozialkarte zu erwerben? Wie viele bleiben dann noch übrig als tatsächlich neu zu gewinnender Berechtigtenkreis für ein Arbeitslosenhilfeticket?

Senator Strieder!

Nach meinen Informationen sind diejenigen, die unterstützende Sozialhilfe erhalten, in dem Kreis von 100 000 Arbeitslosenhilfebeziehern nicht enthalten.

(A) (C)

(B) (D)

Zusatzfrage? – Frau Matuschek, bitte!

Das wundert mich jetzt, weil ich genau andere Informationen habe. Aber nichtsdestotrotz möchte ich noch einmal das Grundproblem ansprechen. Herr Senator! Sind Sie oder die Verwaltung in den Gesprächen mit einem offensiven Konzept an die Verkehrsbetriebe herangetreten, dass durch ein Arbeitslosenticket für den gesamten Berechtigtenkreis der Arbeitslosen, also 270 000 in Berlin, auch tatsächlich neue Kunden für die Verkehrsbetriebe zu gewinnen sind und damit die Einnahmen der Verkehrsbetriebe auch zu steigern sind? – Dafür gibt es Modelle. Sind Sie mit einem solchen Konzept in die Verhandlungen eingetreten, oder haben Sie sich immer das erzählen lassen, was die Verkehrsbetriebe gern erzählen?

Herr Senator Strieder!

Frau Abgeordnete! Sie können davon ausgehen, dass der Senat sehr offensiv mit den Verkehrsunternehmen umgeht und natürlich auch weiß, dass die Kosten eines Verkehrsmittels durchaus die Attraktivität beeinflussen. Dafür gibt es auch Erfahrungen und Berechnungen. 45 DM ist schon ein günstiger Preis für eine Monatskarte.

Wir müssen damit rechnen, dass es auch zu Verlusten kommen kann. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, diese möglichen Verluste bei der BVG und insbesondere der S-Bahn auszugleichen. Die Verkehrsunternehmen waren nicht bereit, ein größeres Risiko zu tragen. Angesichts des Umstands, dass die BVG ohnehin ein großes Risiko hat – wie der Unternehmensvertrag, den der Senat mit der BVG abgeschlossen hat, zeigt –, sehe ich auch unter kaufmännischen Gesichtspunkten keine Möglichkeit, von diesen Unternehmen ein höheres Risiko zu verlangen.

Herr Kollege Cramer hat eine Zusatzfrage. – Bitte!

[Niedergesäß (CDU): Das war ja klar!]

Herr Senator, Sie wissen doch, dass das größte Risiko der BVG darin besteht, dass ihr in den letzten fünf Jahren 25 Prozent der Fahrgäste davongelaufen sind. Wenn sich heute von den 170 000 arbeitslosen Geldempfängern 30 000 die Monatskarte für 100 DM leisten können und sie kaufen – eine Zahl, die sehr unwahrscheinlich ist –, dann erhält die BVG 3 Millionen DM an Einnahmen. Wenn aber 100 000 Personen für 40 DM – wie vom Abgeordnetenhaus beschlossen – ein Arbeitslosenticket kaufen würden, dann wären das 4 Millionen DM. Dabei ist es viel wahrscheinlicher, dass bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 1359 DM für die BVG 40 DM aufgebracht werden als 100 DM.

[Zuruf von der CDU: Frage!]

100 Mark ist nicht bezahlbar. Deshalb frage ich: Wann hören BVG und Senat auf, den Kurs der tarifpolitischen Geisterfahrerei fortzusetzen? [Beifall bei den Grünen – Niedergesäß (CDU): Unverschämtheit!]

Herr Senator Strieder!

Herr Cramer, ich kann Ihnen bestätigen, dass Sie richtig gerechnet haben. Dass sich die Zahl der Kunden verdreifacht, wenn man den Preis der Monatskarte halbiert, hat sich bei keiner Marketingmaßnahme bestätigt. Das ist derzeit höchstens bei einigen Börsenwerten möglich, aber nicht bei seriös kalkulierenden Unternehmen.

[Over (PDS): Aber Herr Strieder!]

Frau Mommert hat eine Zusatzfrage. – Bitte schön!

Herr Senator, ist in Ihrer Verwaltung einmal ausgerechnet worden, wie groß die Anzahl der Arbeitslosen ist, die von der Zuzahlung von Medikamenten befreit sind? Diese Gruppe käme für eine weitere Stufe des Arbeitslosentickets in Frage. Auch in anderen Fällen wird diese Personengruppe besonders behandelt.

Ist auch ein Einzelticket für Empfänger von Arbeitslosenhilfe vorgesehen?

Herr Senator!

Frau Abgeordnete! Der Senat ist nicht mit der BVG gleichzusetzen. Die Verkehrsunternehmen haben einen Vorschlag gemacht. Sie haben deutlich gemacht, dass sie zu anderen Regelungen nicht bereit sind. Es sei denn, das Land Berlin trage die dafür entstehenden Ausfallkosten. Das wären bei jeder Karte 60 DM. Dazu haben wir uns nicht in der Lage gesehen. Wenn es gelingt – wie Herr Cramer meint –, dass sich die Anzahl der Bezieher von Umweltkarten verdreifacht, dann werden wir im nächsten Jahr – auf Grund dieser Erfahrung – das Arbeitslosenticket für alle haben. Wir werden probieren, ob es gelingt.

Zudem sieht sich der Senat nicht in der Lage, Unterstützung und Subvention zu leisten. Die Verkehrsunternehmen waren nicht bereit, ein anderes Risiko zu tragen. Wir haben intensiv und hart verhandelt. Ich bin froh, dass wir überhaupt ein solches Tikket haben, denn es sollte ursprünglich auch mit einer finanziellen Abfederung durch das Land Berlin eingeführt werden. Das hat das Land nicht leisten können.

Vielen Dank, Herr Senator!

Jetzt hat die Abgeordnete Jantzen von der Fraktion der Grünen das Wort zu einer Anfrage über

Kita-Antragsverfahren – Frauen zurück an den Herd, Kinder auf die Straße!

[Zuruf von der CDU: Genau!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie will der Senat den Teufelskreis: „Keine Arbeit, keinen Kitaplatz – keinen Kitaplatz, keine Arbeit“ durchbrechen, wenn er mit der geplanten Verordnung zum Antragsverfahren Kindern arbeitsloser Eltern keinen Krippen- oder Hortplatz und lediglich eine fünfstündige Betreuung im Kindergartenalter zugesteht?

2. Wie ernst meint der Senat eigentlich seine wiederholten Absichtserklärungen, sozial benachteiligte Kinder und Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache bzw. mit Sprachschwierigkeiten verstärkt in den Kindergärten zu fördern und mit einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit für den frühzeitigen Besuch von Kindergärten zu werben, wenn sie bei Arbeitslosigkeit eines Elternteils lediglich einen Rechtsanspruch auf eine fünfstündige Betreuung im Kindergartenalter haben?

Das Wort zur Beantwortung hat Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete! Bei dem vorliegenden Diskussionsentwurf – nur um einen solchen handelt es sich – zur Erfassung und Erstellung einer Rechtsverordnung zur Ausfüllung des Kitagesetzes handelt es sich nicht um einen neuen Rechtstatbestand und erst recht nicht um eine Philosophie „Frauen zurück an den Herd und Kinder auf die Straße“.

(A) (C)

(B) (D)

Bm Böger

§ 1 des Kitagesetzes formuliert den „Anspruch auf bedarfsgerechte Förderung“ und sagt, dass der Betreuungsumfang den Bedürfnissen der Familie gerecht werden soll. Er sagt aber auch:

Insbesondere bei Berufstätigkeit und Ausbildung der Eltern... soll das Jugendamt eine Ganztags- oder Teilzeitförderung... anbieten.

An diesem Grundsatz wird nichts geändert. § 21 Abs. 7 des Kitagesetzes formuliert:

Weiteres über das Antragsverfahren, die Planung... regelt die für Jugend und Familie zuständige Senatsverwaltung durch Rechtsverordnung.