Und für das kommende Schuljahr ist das bekanntlich noch einmal niedriger angesetzt mit 29 950 Stellen und liegt damit über 1 600 Stellen unter einer bedarfsgerechten Ausstattung. Dieses Problem muss gelöst werden in Berlin. Herr Wolf hat heute morgen über Altersteilzeit gesprochen und hat ein deutliches Gesprächsangebot unterbreitet. Das möchte ich hier noch einmal hervorheben und unterstreichen. Die Berliner Schule braucht dringend Reformen, darüber sind sich alle einig. Mit wem aber soll die Schule reformiert werden, wenn Lehrerinnen und Lehrer derart unter Druck gesetzt werden? Verstehen Sie die Proteste von gestern und der Wochen zuvor als Aufforderung, der Erhöhung der Lehrerarbeitszeit nicht zuzustimmen und stattdessen eine wirkliche Lösung des Problems zu diskutieren.
Stimmen Sie unseren Anträgen zu, die beinhalten, auf die Arbeitszeitverlängerung für Lehrerinnen und Lehrer zu verzichten, ebenso darauf zu verzichten, eine weitere Verschlechterung der Ausstattungsstandards zumindest ins Kalkül zu ziehen, wie es Artikel I § 4 Haushaltssanierungsgesetz zulässt. Stimmen Sie unserem Antrag zu, die Lernmittelfreiheit an Berufsschulen auch für das kommende Schuljahr zu sichern. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Worüber wollen wir heute entscheiden, wenn es um Bildungsfragen geht als Teil des Haushaltssanierungsgesetzes? – Drei Komplexe: Es geht um die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtungen für alle Lehrer um eine Stunde. Es geht zum Zweiten – das können wir hier vernachlässigen, weil eher organisatorischer Natur – um die Gründung eines Instituts für Schule und Medien und zum Dritten um die Senkung des Betrags für Lernmittel im berufsbildenden Bereich von 7,2 Millionen DM um 1,5 auf 5,7 Millionen DM. Hat das gestern 50 000 Menschen auf die Straße getrieben? Ich wage mal zu behaupten: Das war es offensichtlich nicht. Sondern es hat sich bei diesen 50 000 offensichtlich um Menschen gehandelt, die in Bezug auf das Berliner Schulsystem doch einige Sorgen darüber hinaus haben und die, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von allen Fraktionen, müssen wir wohl ernst nehmen. interjection: [Beifall des Abg. Cramer (Grüne)]
Ich will hier deutlich machen, was ich bei etwa 200 bis 300 Zuschriften in den letzten Wochen erfahren habe, nur mal hineingucken in die Fülle der Positionen. Da schreibt mir eine Lehrerin:
70 % unserer Kinder sind nichtdeutscher Herkunft. Ein erheblicher Teil unserer Kinder kommt zu uns mit Lernstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Die Konrektorenstelle ist seit drei Jahren kommissarisch besetzt. Das Durchschnittsalter des Kollegiums ist 49 Jahre. Es fehlen Lehrer für Sport und Musik.
Klassenräume, Fachräume, Sporthallen, Mehrzweckräume sind zum Teil seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert, Bücher, Landkarten und andere Arbeitsmittel veraltet.
Gleichzeitig beschwert man sich fast unisono im Lande Berlin über die Herabwürdigung der Lehrkräfte im Zusammenhang mit der Erhöhung der Unterrichtsstunden.
Ich möchte nicht verhehlen, dass die gestrige Versammlung deutlich gemacht hat, seitens der Eltern, dass der Unterrichtsausfall mehr als genug ist. Sie wollen ihn so nicht mehr hinnehmen. Von Schülern, dass auch sie es nicht mehr besonders lustig finden, dass Unterricht alle Nase lang ausfällt und dass die äußeren Rahmenbedingungen nicht vom Feinsten sind. Von Lehrern, dass sie ob der Tatsache, dass ihre Arbeitszeiterhöhung noch von einer zusätzlichen Faule-Säcke-Diskussion begleitet wird, nicht eben erfreut sind.
Ich kann auf der anderen Seite allerdings auch nicht verhehlen, dass ein Teil der Lehrer, an der Spitze die GEW, und auch ein Teil der Eltern sich selbst unglaubwürdig gemacht hat. Denn wer hier nach dem Motto: „Der Zweck heiligt die Mittel“ beispielsweise Kinder instrumentalisiert – das ist in beachtlichem Umfang geschehen –,
wer auf der anderen Seite Streik aus der Sicherheit eines Beamten und öffentlich Bediensteten initiiert und statt an einem Samstag zu demonstrieren lieber am Mittwoch streikt und Unterrichtsausfall durch Unterrichtsausfall bekämpft, macht sich selbst unglaubwürdig.
Ich muss jedoch auch betonen, das muss registriert werden, dass zwei Drittel der Lehrer selbst nach Auskunft der GEW, die diese Zahl eher niedriger sehen würde, sich nicht am Streik beteiligt haben und ihren Pflichten nachgegangen sind.
Meine Damen und Herren, wir sind uns schon bewusst, dass die Lehrer im Lande Berlin durch das Haushaltssanierungsgesetz eine zusätzliche Last aufgebürdet bekommen, die sonst dem öffentlichen Dienst im Land Berlin nirgendwo zugemutet worden ist. Insofern handelt es sich fraglos um ein Sonderopfer. Wenn wir es denn im Rahmen der Haushaltssanierung beschließen müssen, dann nicht, weil wir glauben, dies sei eine pädagogische Sanierungsmaßnahme, obwohl mit diesen 1 200 Stellen – das muss ausdrücklich aus der Sicht der großen Koalition betont werden – sowohl das Vertretungsreservoir deutlich angehoben und damit der Unterrichtsausfall bekämpft wird als auch die Möglichkeit geschaffen wird, wenn auch sicherlich nach unserer Auffassung – da bin ich mit Herrn Senator Böger vollkommen einig – noch immer zu wenig, aber immerhin eine Anzahl von jungen Lehrkräften einzustellen,
wie wir hoffen in diesem Jahr 500 bis 800 und im nächsten Jahr dann weitere wahrscheinlich 300 bis 500.
Ich gehe davon aus, dass also die Vertretungsmittel erhöht werden, und ich gehe auch davon aus, dass in diesen Haushaltsjahr – in den weiteren Jahren wird das fortgesetzt – sowohl die Sanierung der Schulen als auch die Investition in die technische
Ausstattung voranschreitet. Und ich bin auch fest davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, in den nächsten Jahren ein Mehr an Arbeitszeitgerechtigkeit in die Schulen zu bringen und die Lehrerarbeitszeit zu objektivieren, damit es endlich aufhört, über das Vehikel der Unterrichtsstunden ständig die Lehrerarbeitszeit zu erhöhen. Das wird auch diesem Berufsstand nicht gerecht.
Ich komme zum Schluss, indem ich darauf hinweise: Die Arbeit der Berliner Lehrerinnen und Lehrer bleibt anerkennenswert. Wir sollten ihr Engagement unterstützen. Ich zitiere aus einem Brief einer Schule, die gesagt hat:
Trotz aller Veränderungen auch sicherlich einschneidender Art werden wir auch in Zukunft kein Nein zu Klassenfahrten, kein Nein zu Schulfesten, kein Nein zu außerschulischen Angeboten sagen. Wir werden weiterhin engagiert die Schule in Berlin betreiben.
Dafür danke ich ausdrücklich. Ich möchte am Ende auf einen Vergleich, wenn er denn stimmt, zwischen Bayern und Berlin hinweisen: Sollten wir denn tatsächlich nur 12 % unseres Haushalts für Bildung ausgeben gegenüber 30 % im Land Bayern, so müssten wir mit dem Ziel in den Haushalt 2001 hineingehen, diese Spannbreite erheblich zu reduzieren. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, das nächste Mal werde ich rennen, damit Sie zufrieden sind. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie gestern den Fernsehbildern entnehmen konnten oder heute in den Zeitungen gelesen haben, waren gestern nicht 60 000 Menschen versammelt, sondern das war eine Massendemonstration von Schülerinnen und Schülern, von Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern, Herr Schlede. Das war keine reine Ansammlung, das war eine Massendemonstration, die die Berliner Innenstadt in letzter Zeit kaum gesehen hat. Diese Menschen sind auf die Straße gegangen, um gegen Ihre kurzsichtige Haushaltspolitik zu demonstrieren, sie sind auf die Straße gegangen, weil sie mit der Bildungspolitik Ihrer großen Koalition nicht einverstanden sind. Ich weiß nicht, ob Sie dort waren. Die Stimmung war einfach überwältigend. Die Beteiligung insbesondere der Schülerinnen und Schüler war einfach Spitze. Ich kann nur sagen: Weiter so. Eine andere Sprache scheinen Sie nicht zu verstehen.
Wir werden weiterhin die Proteste der Schüler, der Eltern, der Lehrer unterstützen, und es wird sich auch in unserer Arbeit im Parlament niederschlagen.
Mag ja sein, dass die Entschuldigungszettelaktion der Elternvertretungen nicht korrekt war. Jetzt ist Herr Steffel nicht da, aber ich kann es ja trotzdem mal in seine Richtung sagen: Es mag ja sein, dass Ihnen die ganzen Proteste der letzten Monate nicht schmecken. Aber ich sage Ihnen, trotzdem sind diese Proteste gerechtfertigt, trotzdem ist dieser Streik legitim. Eine andere Sprache verstehen Sie nämlich nicht.
Ich sage, der bögersche Konfrontationskurs und die Bildungspolitik der großen Koalition in den vergangenen neun Jahren ließen keinen anderen Weg und sind Grund genug, um auf die Straße zu gehen. Unsere Solidarität ist mit denen, die auch in Zukunft auf die Straße gehen werden, um gegen die verfehlte Politik der großen Koalition zu demonstrieren.
Unterrichtsausfall kann nicht durch Unterrichtsausfall bekämpft werden. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Allerdings muss ich Ihnen auch sagen, falls Sie nicht da gewesen sind: Der gestrige Streik, die Demonstration gestern, das war der beste Sozialkundeunterricht, den die Schülerinnen und Schüler in Berlin erlebt haben, am eigenen Leibe erfahren haben.
Noch authentischer hätte man den Schülerinnen und Schülern Demokratie nicht mehr beibringen können. Ich habe gestern mehrere Tausend Schülerinnen und Schüler gesehen, die den Streik nicht als Gelegenheit genutzt haben, um blau zu machen, sondern sie sind mit ihren Lehrerinnen und Lehrern auf der Straße gewesen, um deutlich zu machen, dass es so nicht weitergehen kann. Wir sehen es ebenso.
Meine Damen und Herren von der großen Koalition, Sie wissen wie ich, dass es in dem Streik gestern und in den Demonstrationen davor nicht nur um die Erhöhung der Lehrerarbeitszeit ging, sondern um viel mehr. Wir unterscheiden uns allerdings in der Schlussfolgerung. Ihnen sind die Proteste scheinbar egal – uns nicht. Alle Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen – allen voran Herr Böger – fahren ihren Kurs fort – aber nicht mit uns! Die Ablehnung des Haushalts durch die Fraktion der Grünen sicher wir zu.
Die Parteien der großen Koalition scheinen nicht nur ihre Wahlversprechen vergessen zu haben, sondern sie haben auch schnell vergessen, dass am 11. März 40 000 Eltern, Schülerinnen und Schüler auf der Straße waren. Vor knapp einer Woche, am 5. April, waren über 10 000 Lehrerinnen und Lehrer auf der Straße. Gestern waren es über 60 000 Menschen. Beim Fußball würde man das so werten: am 11. März haben Sie die gelbe Karte bekommen, Herr Böger, gestern die rote. Damit sind Sie faktisch des Platzes verwiesen worden. Akzeptieren Sie, dass Ihre Politik der vergangenen Monate falsch war.
Was muss noch passieren, damit Sie als verantwortlicher Schulsenator einlenken und sich gegen den Finanz- und Innensenator durchsetzen können? Wollen Sie französische Verhältnisse? – Keine Sorge, wenn Sie so weitermachen, werden wir sie haben.
Als nächstes kommt die Schülerdemo. Im Gegensatz zu Ihnen werden wir an der Seite der Schülerinnen und Schüler für eine zukunftsorientierte und qualitative Bildungspolitik marschieren. Die Berliner Schule braucht dringend eine Qualitätsverbesserung und eine Verjüngung der Lehrerschaft. Ich weiß, dass das viel Geld kostet. Die finanzielle Situation Berlins ist außerordentlich dramatisch.
Allerdings ist die finanz- und wirtschaftspolitische Misere, in der Berlin steckt, weder nach dem 10. Oktober 1999 entstanden noch ist sie über Nacht gekommen. Sie ist das Resultat von neun Jahren großer Koalition und Klientelpolitik.