Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

[Zurufe von der FDP]

Sie haben mit Ihren unausgegorenen verkehrspolitischen Vorstellungen bereits die Ampelkoalitionsverhandlungen maßgeblich torpediert.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Heiterkeit bei der FDP – Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Scheuen Sie jetzt den inhaltlichen Dialog am runden Tisch, aus Angst, Ihre Parolen könnten sich als haltlos erweisen? – Sie wollen sich offensichtlich weiterhin inhaltlicher Aufklärung verweigern, um – von jeder Sachkenntnis ungetrübt – Ihr Spaßparteiimage zu pflegen!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das ist verantwortungsloser Populismus!

In Ihrer Großen Anfrage bemängeln Sie offensichtlich, dass der Verkehrssenator versucht, außerhalb des parlamentarischen Raumes verkehrspolitische Konsense zu erzielen. Das wundert mich, weil in vielen anderen Diskussionen von Ihnen immer die Beschwerde kommt, man müsse die Betroffenen einbeziehen, mit den Betroffenen diskutieren, mit den Betroffenen nach Lösungen suchen. Aber beim Verkehr, wenn Sie durch Ihre Windschutzscheibe gucken, hört der Dialog offensichtlich auf. So kann es auch nicht gehen, meine Damen und Herren von der FDP! [Beifall bei der SPD und der PDS – Doering (PDS): Im Stau kann man schön in den Dialog treten! – Hoffmann (CDU): Wie viele Autofahrer haben Sie denn befragt?]

Die Mobilität in Berlin hat einen hohen Standard erreicht. Für die zukünftige Verkehrspolitik sind drei Rahmenbedingungen von Bedeutung: die Bevölkerungsentwicklung, die Mobilitätsnachfrage und die finanziellen Ressourcen. Im Ergebnis wollen wir die Konzentration auf Substanzerhalt und Pflege und eine bessere Ausnutzung der vorhandenen Infrastruktur. Netzerweiterungen werden die Ausnahme sein und sich einer strengen Wirkungsanalyse hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und der Ziele der Stadtentwicklung unterziehen müssen. Ihre Anträge wiederum, meine Damen und Herren von der FDP, kann man unter die Überschrift subsumieren: Viel Geld ausgeben ohne Konzept.

Damit zu Ihrer Frage, Herr von Lüdeke, was Planung eigentlich zu leisten hat. Planung hat eine Integration herzustellen, nicht einfach wild draufloszubauen und dann zu schauen, was letztlich dabei herauskommt, wenn man die Investition getätigt hat und nicht weiß, wie man die Anlagen unterhält und wie man des Verkehrs noch einigermaßen Herr wird.

[Zuruf des Abg. Hahn (FDP)]

Durch Geschrei, Herr Hahn, ändern Sie daran auch nichts. Sie müssen sich anhören, was ich hierzu sage.

[Hahn (FDP): Was haben Sie denn in der Leipziger Straße gemacht? – Schwarzbau!]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?

(A) (C)

(B) (D)

[Cramer (Grüne): Wenn der Hahn dreimal kräht, wirst du mich verleugnet haben!]

Herr Gaebler, könnten Sie mir erklären, welches Prinzip dahinter steckt, dass Verbände wie der ADAC und die IHK mit einer relativ großen Mitgliederzahl am runden Tisch das gleiche Stimmrecht haben wie kleinere, die oftmals nur 30 bis 50 Mitglieder haben?

Ihre Frage, Herr Schmidt, zeigt, dass Sie sich mit dem Instrument des runden Tischs leider nicht auseinander gesetzt haben. Es geht dort nicht um eine Abstimmung per Mehrheit, wo jeder eine Stimme hat, sondern darum, Themen inhaltlich zu diskutieren, sich über gemeinsame Zielsetzungen zu unterhalten und zu prüfen, was an Maßnahmenkatalogen vorgelegt wird. Der runde Tisch ist kein Entscheidungsinstrument, sondern der Versuch, einen Dialog herbeizuführen. Insofern ist es relativ unerheblich, wie viele Mitglieder eine Organisation hat. Wichtig ist, was sie dort inhaltlich einbringt. Das sollte auch der Maßstab für unsere Diskussion hier sein.

[Zuruf des Abg. Kittelmann (CDU)]

Herr Kittelmann, es tut mit leid, Sie beim Schlafen zu stören!

[Beifall und Heiterkeit bei der SPD und den Grünen]

Vielleicht hören Sie mir einmal zu! Sie könnten auch noch etwas dazulernen. Bei Herrn von Lüdeke hatten Sie diese Chance nicht.

[Cramer (Grüne): Nicht aufklären! Dumm sterben lassen!]

Zu der Legende, wir hätten in den letzten Jahren nichts für Investitionen ausgegeben und man müsse nur mehr investieren, um mehr zu erreichen: Von 1995 bis 1999 sind für Straßenbau in Berlin 950 Millionen $ ausgegeben worden, für die Unterhaltung der Straßen 816 Millionen $, für ÖPNV-Investitionen 843 Millionen $. Man kann demnach nicht sagen, es sei kein Geld ausgegeben worden. Insgesamt sind fast 3 Milliarden $ investiert worden. Wenn ich Sie höre, habe ich den Eindruck, dass im Straßenbereich alles ganz schrecklich ist.

Wenn man sich die Fahrgastentwicklung im ÖPNV anschaut, dann kann man sagen, dass diese eher gleich geblieben ist.

[Cramer (Grüne): 24 Prozent!]

Inzwischen ist sie wieder leicht gestiegen. Herr Cramer, Sie haben Recht. Sie ist nicht so gestiegen, wie man es angesichts der Investitionen hätte erwarten könne. Sie war leicht rückgängig und pendelt sich jetzt wieder auf dem Niveau von 1995 ein. Was lehrt uns das? – Das lehrt uns, dass es noch keine bessere Verkehrslösung bringt, wenn man einfach Geld ausgibt. Das kann auch in die völlig falsche Richtung gehen.

[Beifall bei der SPD]

Deshalb brauchen wir eine Koordination. Wir brauchen eine Grundlage, auf der die einzelnen Maßnahmen dann auch umgesetzt werden. Nicht einfach hier und da etwas bauen und schauen, was dabei herauskommt, um es dann den Kräften des freien Marktes zu überlassen, wie es sich die FDP wünscht.

[Zurufe von der FDP]

Ich habe übrigens noch nicht gehört, dass Sie alle Straßen privat finanzieren lassen wollen. Und auch zur Frage des Road-Priceings – die Gebührenerhebung für Straßenbenutzung – habe ich von Ihnen noch keine entsprechenden Initiativen gesehen. Ganz so weit ist es offensichtlich mit der Marktwirtschaft im Straßenverkehr bei Ihnen nicht. – Das kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Wir brauchen ein Konzept, dass die Prioritäten, den Handlungs- und Steuerungsbedarf nennt. Das muss aus einer Hand vorangetrieben werden. Ansonsten geben wir nur Geld aus und erreichen für die Stadt nichts.

[Beifall bei der SPD]

Ich hörte das Stichwort Straßenverengung. Das nehme ich gerne auf. – Sie sind offensichtlich wenig darüber informiert. Herr Schmidt hat in der letzten Ausschusssitzung nach der Entwicklung der Straßenbaukosten in Berlin in den vergangenen zehn Jahren gefragt. Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, nämlich eine Broschüre der Stadtentwicklungsverwaltung „Mobilität der Stadt – Berliner Verkehr in Zahlen“. Darin steht alles. Ich gebe sie Ihnen, wenn ich meine Rede beendet habe. Wenn Sie diese Broschüre durchlesen, können Sie das nächste Mal hier einen besseren Beitrag halten und wissen auch, worüber Sie reden.

[Krestel (FDP): Haben Sie die Broschüre verstanden?]

Zurück zu den Straßen: Die Straßenfläche in Berlin beträgt 67 qm pro Kraftfahrzeug. Zum Vergleich: In Frankfurt sind es 61, in München 45 und in Wien 50. Ich bezweifle, dass wir da einen immensen Nachholbedarf haben. Wenn man sich zudem anschaut, dass jedem Einwohner in Berlin nur 26 qm an Parkund Erholungsfläche zur Verfügung stehen, dann muss man sich überlegen, wo hier der Handlungsbedarf besteht. Sicherlich nicht in der Richtung, die Sie dargestellt haben.

Herr Kollege Gaebler, denken Sie an die Zeit! Sie geht dem Ende entgegen.

Kurz zusammengefasst: Der Stadtentwicklungsplan Verkehr ist der richtige Weg. Er ist Ausdruck des Mentalitätswechsels. Den Mentalitätswechsel, den die FDP propagiert, nämlich „Zurück in die 60er – autogerechte Stadt – Windschutzscheibensicht“, wollen wir nicht. Wir wollen, dass am StEP Verkehr im Dialog zügig weitergearbeitet wird und dass wir in Herbst die Ergebnisse diskutieren können. Bis dahin können Sie sich noch ein bisschen sachkundiger machen, meine Damen und Herren von der FDP. – Ansonsten danke ich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Gaebler! – Bevor wir in der Redeliste fortfahren, hat Herr Dr. Lindner das Wort für eine Kurzintervention erbeten und erhält es auch.

[Oh! von der PDS]

Bitte, Sie haben maximal drei Minuten!

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Herr Gaebler, Sie haben darauf hingewiesen, dass wir neu im Parlament sind und deswegen Nachhilfeunterricht in der Frage, wie Demokratie funktioniert, brauchten. Dazu mein Hinweis: Das besondere Ausgeprägtsein Ihres Demokratieverständnisses, das Sie mit dem Stadtentwicklungssenator teilen, ist ein runder Tisch. Auch wenn ich zugebe, dass ein Großteil von uns in dem Verzeichnis der Abgeordneten keine Sternchen hinter dem Namen sammelt wie älterer Metaxa, sondern etwas neuer im Parlament sind, so bitte ich Sie doch, zur Kenntnis zu nehmen, dass repräsentative Demokratie so funktioniert, wie es in unserer Berliner Verfassung und im Grundgesetz statuiert ist: Es gibt eine Exekutive und eine Legislative. Die Exekutive versucht, Entwürfe in das Parlament zu bringen, und dort werden sie beraten.

[Doering (PDS): Es ist trotzdem nicht verkehrt, Experten anzuhören!]

Und es findet eine Beratung in den Ausschüssen statt. Und wenn diese den Bedarf haben, Sachverstand heranzuholen, haben sie die Möglichkeit, Hearings durchzuführen. Man kann auch Enquetekommissionen einsetzen. Das sind demokratische Regularien, so wie sie bei uns vorgesehen sind. So sollte das bei uns funktionieren.

[Beifall bei der FDP]

Was Sie mit Ihren runden Tischen versuchen, ist der Aufbau eines Scheinkonsenses.

[Cramer (Grüne): Quatsch!]

Der runde Tisch ist nichts anderes als ein vordemokratisches Instrument, in dem derjenige, der einlädt, nach Gutsherrenart bestimmen kann, wer an diesem runden Tisch Platz zu nehmen hat und wer nicht.