Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

Dann kam noch so ein Vergleich, Herr Niedergesäß – ich bin noch nicht fertig mit Ihnen –, dass Sie den Regierenden Bürgermeister mit Walter Ulbricht gleichsetzen. Also, Herr Präsident, mit Verlaub, das hätten Sie rügen müssen.

[Beifall bei der SPD]

Ich habe große Kritik auch an Herrn Wowereit, aber wenn eine ehemalige Blockflöte, die jahrelang den Schalmeien von Ulbricht und Honecker hinterhergezogen ist,

[Heiterkeit bei den Grünen und der PDS]

glaubt, hier wieder die alten Lieder flöten zu müssen, ist das für meine Begriffe wirklich zuviel.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Jetzt kommen wir zu dem Urheber dieser ganzen Debatte, der FDP mit ihrer Großen Anfrage. Wissen Sie, ich habe gedacht, das ist die Arroganz des Aufsteigers. Sieben Jahre lang waren Sie in der außerparlamentarischen Opposition und wären froh gewesen, wenn irgendjemand Sie in dieser Stadt zu irgendetwas gefragt hätte. Jetzt bildet der Senator einen runden Tisch, lädt die außerparlamentarischen Gruppen ein, und Sie haben das Glück, nicht mehr draußen zu stehen, sondern drin zu sein, und sagen, die anderen sollen nicht mitreden. Diese Arroganz der Aufsteiger, die mögen wir nicht. Lassen Sie es sein!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Zuruf von der FDP]

Wir halten den runden Tisch für eine gute Sache. Herr Senator, dass Sie die gesellschaftlichen Gruppen, die sich mit Verkehrspolitik auf hohem Niveau auseinandersetzen

[Ritzmann (FDP): Auf höchstem!]

auf höherem als auf Ihrem ist keine Kunst, das kann fast jeder –, aber auf hohem Niveau auseinandersetzen, ist eine gute Sache. Wir arbeiten daran mit. Wir sagen aber auch ganz klar, die Parteien wirken laut Grundgesetz, weil Sie das so hochgehängt haben, nur an der Willensbildung der Bevölkerung mit, aber sie haben kein Monopol. Deshalb ist es richtig, die Bevölkerung einzubinden, entscheiden muss der Senat und entscheiden tut das Parlament. Und das kann ich Ihnen, Herr Senator Strieder, sagen: Ich habe mitgearbeitet, aber wenn Sie Entscheidungen fällen, die mir nicht passen, dann habe ich doch die Souveränität und stimme dagegen. Das haben Sie auch, Herr Lindner, wahrscheinlich steht Ihr Urteil ohnehin schon fest. Deshalb, Herr Strieder, Sie müssen sich noch gewaltig anstrengen, um die Zustimmung der Bündnisgrünen zu Ihrem StEP Verkehr zu bekommen. [Beifall bei den Grünen]

Die FDP entwickelt sich offensichtlich zu der Partei der Bleifußfetischisten.

[Zuruf von der FDP: Was für ein Bleifuß?]

Das kennen wir aus der Schweiz. Die Rechtspopulisten verfolgen die drei großen A: Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Automobilismus.

[Zurufe von der FDP]

Ein Thema davon haben Sie schon versucht. Seien Sie vorsichtig mit dem Populismus, das kann auch zum zweiten Mal schief gehen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Und dann bringen Sie zu dieser Großen Anfrage unzählige Anträge ein, welche Straßen Sie bauen wollen

Herr Kollege Cramer! Sie haben mich vorher fälschlich bezichtigt, dass ein Vergleich direkt von Walter Ulbricht mit dem Regierenden Bürgermeister gefallen sei. Dies ist nicht der Fall, ausweislich unseres sehr genauen Zuhörens. Ich mahne doch dringlich, die Antisemitismusdebatte, die überflüssig wie ein Kropf ist in diesem Parlament, hier nicht mit Verkehrspolitik zu verbinden. – Bitte sehr!

Gut. Dann hätten Sie vorhin auch den Senator rügen können, der hat im Grunde mit der „Haiderisierung der FDP“ im Zusammenhang mit Verkehrspolitik dasselbe gesagt. Ich warne vor diesen Gefahren und fordere Sie auf, nachzudenken, Ihr Hirn anzustrengen und nicht die populistischen Parolen von anderen ins Parlament zu tragen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Hinzu kommt, dass Sie Ihr Programm mit den unzähligen Straßen so darstellen, als wäre das Verkehrspolitik. Am StEP Verkehr hängen noch andere Dinge dran – Bahn, Bus und Fahrrad. Und bitte beachten Sie: Ein Jahr nach der Wende waren bereits 90 Prozent der Straßen miteinander verbunden, aber in 13 Jahren wurde nur eine Fernverkehrsstrecke bei der Eisenbahn wieder in Betrieb genommen, mussten wir 13 Jahre auf den S-Bahnring warten und waren damit drei Jahre langsamer als unsere Vorfahren vor 125 Jahren. Das ist ein Skandal, und nicht die 27. oder 28. Neuauflage einer Straße, die nach Meinung der FDP unverzichtbar ist.

Herr Cramer! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hahn?

Nein. Ich muss hier erst mit meinem Konzept fertig werden.

Die neue Strategie wurde von Herrn Strieder und Herrn Gaebler mit „zurück zu den 60er Jahren“ bezeichnet. Ich kann nur sagen: Back to the Fifties, und wahrscheinlich noch weiter. Ich will Ihnen mal sagen, was der Verkehrsvorsitzende in New York S. H. Bingham bereits 1952 gesagt hat. Ich zitiere wörtlich:

(A) (C)

(B) (D)

Die Existenz unserer Städte ist bedroht. Der Verkehr kann sich in den Straßen nicht mehr freizügig bewegen. Anstatt an die Beförderung von Fahrzeugen in unseren Straßen zu denken, sollten wir danach trachten, möglichst viele Personen durch die Straßen zu befördern.

1952, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses in New York, wo die Automobilisierung schon erheblich weit fortgeschritten war. Ganz anders als Sie heute war der schon 1952 so clever und hat die Zukunft gesehen.

20 Jahre später ist diese Erkenntnis auch nach Deutschland gedrungen. Hans-Jochen Vogel schrieb 1972 im „Stern“:

Das Auto mordet unsere Städte. Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.

Sie sagen, das sie ein „unsinniges Motto“; so schreiben Sie es in Ihrem Antrag. Ich kann Ihnen sagen: Mit Hans-Jochen Vogel hat die FDP eine Koalition geschlossen und hat ihn damals als Städtebauminister gewählt. Und der war der jüngste Oberbürgermeister in Deutschland. Ich kann Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren von der FDP, Sie müssen sehr alt werden, um das intellektuelle Niveau von Hans-Jochen Vogel von 1972 noch zu erreichen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Wenn Sie so alt sind, wie Sie ausschauen!]

In der Tat, es ist ein Mentalitätswechsel nötig, auch in der Verkehrspolitik. Aber wenn ich Sie betrachte, ist der Mentalitätswechsel bei der FDP viel angebrachter als hier in Berlin, obwohl ich in der Verkehrspolitik noch viel zu beklagen habe.

[Zurufe von der FDP: Ja, ja!]

Ich kann Ihnen sagen, die autogerechte Stadt, die Sie propagieren, ist was fürs Dorf. Da hat der Bäcker 10 Parkplätze, und 3 Kunden kommen höchstens gleichzeitig. Zum KaDeWe kommen 90 % der Kunden ohne Auto. Wenn die alle aufs Auto angewiesen wären, wäre das KaDeWe pleite. Das wollen weder wir noch Sie. Also muss die Verkehrspolitik sich so ausrichten, dass auch das KaDeWe überleben kann – obwohl ich nicht permanent in diesen Konsumtempel gehe, das will ich dazu sagen.

[Dr. Lindner (FDP): Sie sind ein Kunde von Karstadt!]

Paris haben Sie angesprochen. Als ich zum ersten Mal mit dem Auto, Herr Lindner, mit 18 Jahren 1967 in Paris war, ich hatte gerade meinen Führerschein, haben alle geschwärmt: Wenn der Periphe´rique fertig ist, haben wir keine Probleme mehr. – Heute ist der Periphe´rique fertig mit 8 Spuren, er ist genauso gestaut wie damals der halbfertige. Das hat nichts gebracht, nur viel Geld gekostet. Und im Übrigen, die Behauptung, dass, wer Straßen baut, die Wirtschaftskraft fördert – da kann ich nur sagen: Deutschland ist Weltmeister im Straßenbau, aber leider nicht Weltmeister in der Wirtschaftskraft. Dieser Zusammenhang stimmt nicht.

[Zuruf von der CDU: Kommt schon noch!]

Und dann noch das: Dass Sie die Chuzpe haben und sagen, Sie wollen, wenn das Schloss aufgebaut wird, die Linden dort sperren, aber am Brandenburger Tor in beide Richtungen den Autoverkehr durchjagen – das mag verstehen, wer will, Sie vielleicht, wir jedenfalls nicht.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Mein letzter Punkt: Eigentlich geht es ja um den runden Tisch und die Ergebnisse für den StEP Verkehr. Jetzt muss ich mich mit dem Senat auseinander setzen. Sie zwingen mich die ganze Zeit, dem Senator Beifall zu klatschen als Opposition. Dabei hätte ich genug zu kritisieren. Aber eine Minute auch noch für Herrn Strieder. – Herr Strieder, der Wissenschaftliche Beirat des Runden Tischs hat zwei Ergebnisse vorgelegt: Erstens, den Modal Split, den wir ja alle verändern wollen, die CDU auch – die FDP will die CDU und den ADAC ja noch rechts überholen, viel Spaß dabei – verändern Sie durch eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung. Dann machen Sie es doch! Die Ergebnisse sind da. Alle sagen, das ist das effizienteste Instrument. Das kostet kein

Geld, das bringt Geld in die Kassen, und ist effizient. Ich kann nur sagen: Machen Sie es! Dann kriegen Sie unsere Zustimmung. Unterlassen Sie es, müssen wir leider dagegen stimmen.

Der zweite Punkt: Es ist bekräftigt worden, dass dieses alte Zitat von Hans-Jochen Vogel, wer Straßen sät, wird Verkehr ernten, stimmt. Die Analysen haben erbracht, dass die TeltowkanalAutobahn nicht nur die Verlagerung von den bestehenden Straßen bringt, sondern doppelt so viel neuen Verkehr generiert, was Sie ja nicht wollen. Deshalb kann ich sagen: Nehmen Sie es sich zu Herzen, streichen Sie Ihre Straßenbaupläne, investieren Sie dieses Geld in die Alternativen, in den öffentlichen Nahverkehr, in den Umweltverbund.

[Ritzmann (FDP): Urwald!]

Folgen Sie hier den Empfehlungen der Wissenschaft. Dann sind Sie auf gutem Weg, und dann werden wir Sie dabei unterstützen. Denn denken Sie daran: Die Worte allein zählen nicht. Sie sind 3 Jahre als Verkehrsenator im Amt. Sie propagieren die Straßenbahn. Sie wollten uns dieses Thema wegnehmen. Bislang haben Sie in 3 Jahren keinen einzigen Kilometer auf die Schiene gesetzt. Das hat Haase allerdings auch schon geschafft. – Vielen Dank! [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Das Wort zu einer Kurzintervention hat Herr Kollege Wellmann erbeten und bekommt derselbe. – Bitte schön!

Herr Kollege Cramer! Sie haben da in Bezug auf den früheren Fraktionsvorsitzenden der CDU eine bestimmte Charakterisierung gewählt. Sie sollten erwägen, ob Sie mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden kurz beraten und wir ihnen Gelegenheit geben, dieses mit dem Ausdruck der Entschuldigung zurückzunehmen, bevor das Weiterungen hat. Nehmen Sie sich ein Beispiel an der SPD. Der SPD-Kreisverband Friedrichshain musste das auch schon machen.

[Wieland (Grüne): Er steht unter Verdacht!]

Vielen Dank, Herr Wellmann! – Herr Cramer, Sie wollen sicher darauf antworten. Ich finde auch, dass es sich nicht lohnt, zu so starken Worten zu greifen.

Ich finde schon, dass der Rechtsanwalt von Herrn Landowsky von mir eine Antwort verdient. Die soll er bekommen. – Natürlich obliegt es mir nicht, hier eine Gerichtsentscheidung vorwegzunehmen. Ich kann nur sagen, die Wohnungen und die Räume von Herrn Landowsky sind durchsucht worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Er steht unter Verdacht, ein Verbrechen begangen zu haben. Mehr wollte ich damit nicht zum Ausdruck bringen. Das Endergebnis wollte ich nicht vorwegnehmen.