Protokoll der Sitzung vom 29.08.2002

Herr Kollege Ratzmann! Sie werden mit diesem neuerlichen Antrag, mit einer zwangsweisen Stasi-Überprüfung, die Bedeutungslosigkeit der Bürgerrechtsbewegung nicht rückgängig machen können. Das ist nun mal so. Das ist eine Tragik dieser Bewegung.

[Cramer (Grüne): Was soll das denn?]

Diese Entwicklung und die Tatsache, dass viele Abgeordnete der früheren DDR auch im Wissen um ihre Verknüpfung mit Stasi-Tätigkeiten dennoch Zustimmung gefunden haben und gewählt wurden, werden Sie mit einem solchen Antrag nicht rückgängig machen können. Sie selbst weisen ja in Ihrem Vorschlag darauf hin, dass er nur für diese Legislaturperiode befristet gelten soll. Ich denke, wir haben für diese Legislaturperiode schon einverständlich, einmütig und mit großer Mehrheit mit dem gesamten Parlament

[Wieland (Grüne): Wird aber nicht umgesetzt!]

eine Regelung in allen Verfahrensabschnitten, in allen Beteiligungsrechten und in den Verfahrensfeststellungen getroffen. Diese Regelung sollte so beibehalten werden. Ein freies Mandat verträgt nicht den Zwang, den Sie hier vorhaben,

[Dr. Lindner (FDP): Aber im Bundestag?]

schon gar nicht, wenn dies 13 Jahre nach Fall der Mauer der Fall ist.

Und was den zweiten Besprechungspunkt angeht, der zu diesem Tagesordnungspunkt mit abgehandelt werden soll: Der Senat hat dem Abgeordnetenhaus mitgeteilt, dass die dem Regierenden Bürgermeister am 31. Juli 2002 zugegangene Mitteilung der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik keine Anhaltspunkte dafür ergeben hat, dass eine dem Abgeordnetenhausbeschluss vom 21. März entsprechende Mitteilung des Regierenden Bürgermeister an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses geboten sei. Damit ist jedenfalls auch dieser Antrag und sind die damals gefassten Beschlüsse erledigt. Also in dem einen Punkt erledigt und in dem anderen Punkt Ablehnung, weil ein freies Mandat einen solchen Zwang nicht verträgt.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Wieland (Grüne): Das könnte Ihnen so passen!]

Vielen Dank, Herr Kollege Benneter! – Herr Kollege Ratzmann hat nach § 63 Abs. 9 der Geschäftsordnung das Wort für eine Kurzintervention in maximaler Länge von drei Minuten erbeten und erhalten. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Herr Kollege Benneter! Es ist bezeichnend, wie die SPD je nach Koalitionsbeteiligung ihre Argumente ausrichtet. Mir liegt hier ein Gesetzesantrag aus der 13. Legislaturperiode vor, in dem es heißt:

Eine Überprüfung findet ohne Antrag und ohne Einwilligung statt, wenn der Ehrenrat das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für den Verdacht einer solchen Tätigkeit oder politischen Verantwortung festgestellt hat.

(A) (C)

(B) (D)

Unterschrieben ist das von Herrn Böger und einer Frau Flesch, ihres Zeichens wohl Mitglieder der damaligen SPD-Fraktion. Dieser Antrag ist, soweit ich weiß, den Gang aller Anträge gegangen, die nicht rechtzeitig zum Ende der Legislaturperiode abgearbeitet werden konnten, und der Diskontinuität anheim gefallen. Dass Sie jetzt aber entgegen Ihrer damaligen Ansicht, weil Sie jetzt in einer bestimmten Regierungskoalition sind, meinen, das mit grundsätzlichen Erwägungen begründen zu müssen, ist schon ein starkes Stück.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Und dass Sie dann auch noch sagen, dass die entsprechende Bundesregelung – da sind wir ja nun mal in einer Koalition, Herr Benneter –, die von beiden Parteien mitgetragen wurde und im Übrigen auch angewandt wird, mit dem freien Mandat nicht vereinbar sei, ist dann auch ein starkes Stück.

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Dr. Lindner (FDP): Er bewirbt sich ja noch für den Bundestag!]

Das Schönste aber ist, dass Sie den Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, noch nicht einmal richtig gelesen haben. Dann hätten Sie nämlich festgestellt – das habe ich extra noch einmal betont –, dass es nicht darum geht, Sanktionen auszusprechen, sondern ein Verfahren zu haben, in dem auch hier in diesem Hause abgestimmt eine Auseinandersetzung über genau diese Punkte stattfinden kann, die dann mit konkreten Verdachtsmomenten unterlegt werden müssen. Wir wissen doch alle, dass der Ehrenrat nicht in der Lage ist, jemandem hier das Mandat streitig zu machen, sondern dass es darum geht, Transparenz herzustellen und Wissen in diesen Zusammenhängen herzustellen. Das verhindern Sie mit Ihrer an Ihrer jetzigen Koalitionszusammensetzung ausgerichteten Argumentation.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Herr Benneter hat das Wort für die Replik auf die Kurzintervention.

Herr Kollege Ratzmann! Das war in der 13. Legislaturperiode. Da sind inzwischen mindestens fünf Jahre ins Land gegangen. Das heißt, es ist seither auch mindestens zwei Mal wieder gewählt worden.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Man kann doch rechtlich argumentieren!]

Das ist ein Fakt, den Sie auch zu berücksichtigen haben.

Zum anderen hat sich dieses Parlament einstimmig darauf verständigt, eine freiwillige Überprüfung vorzunehmen und diese freiwillige Überprüfung auch für ausreichend zu halten.

[Wieland (Grüne): In der Erwartung, dass sich alle beteiligen!]

Dies ist das, worauf wir uns stützen. Sie müssen doch zugestehen, dass Sie alles das, was Sie wollen – jemanden zur Mandatsaufgabe zu bringen oder dazu zu zwingen –, mit Ihrem Antrag nicht durchsetzen können. Dann müssen Sie doch mal sagen, was sie wollen. Wen wollen Sie denn an den Pranger stellen mit Ihrem Antrag?

[Ratzmann (Grüne): Wen stellen Sie denn an den Pranger?]

Nein, ich stelle überhaupt niemanden an den Pranger, sondern ich nehme die Möglichkeiten wahr, um die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten, wer sich beispielsweise nicht an dieser freiwilligen Aktion des Parlaments beteiligt. Dann mögen die Wählerinnen und Wähler daraus ihre Schlüsse ziehen. Aber eines müssen Sie doch auch konstatieren: Die Wählerinnen und Wähler in der früheren DDR haben ihre Schlüsse gezogen und teilweise auch Abgeordnete gewählt, obwohl sie wussten, dass sie mit der Staatssicherheit zu tun hatten

[Wieland (Grüne): Wen denn zum Beispiel?]

und dass sie informelle Informanten für die Staatssicherheit waren. Dennoch sind diese gewählt worden. Das Entscheidende, worum es hier für Sie geht, ist eben, dass dieses An-denPranger-Stellen mit Ihrem Antrag nicht zu erreichen und mit dem freien Mandat nicht vereinbar ist.

[Wieland (Grüne): Jetzt kann ich dich nicht mehr wählen!]

Schönen Dank, Herr Kollege Benneter. – Für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Braun das Wort. – Bitte schön, Herr Braun!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Benneter! Sie haben Unrecht.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Solange wir hier eine Fraktion im Abgeordnetenhaus haben, die ihre Partei damals nach der Wende bewusst, anders als andere kommunistische Parteien, eben nicht aufgelöst, sondern um sich das Vermögen der SED anzueignen, nur den Namen geändert hat, so lange werden wir das im Parlament weiter diskutieren.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir werden das machen, auch wenn Sie mit Ihrer Mehrheit mit der PDS zusammen den Regierenden Bürgermeister gerade nicht auffordern, die Ergebnisse der Stasi-Überprüfung der Senatoren offenzulegen. Offensichtlich ist diese Koalition der Meinung, einzelne – in diesem Fall der Regierende Bürgermeister – seien sozusagen gottgleich in der Lage, allein über das zu befinden, was wir als Parlamentarier wissen dürfen und was nicht. Diesen Gesichtspunkt, dass die Ergebnisse der Überprüfung der Senatoren allein beim Regierenden Bürgermeister vorliegen, halten wir nach wie vor für falsch und werden es auch künftig immer wieder im Parlament kritisieren.

Da stellen sich nach dem, was wir bekommen haben, auch Fragen. Zunächst erhielten wir die erste Mitteilung am 23. Juli, mit der Maßgabe, dass der Senat zum 30. September berichten wird – acht Tage nach der Bundestagswahl. Am 31. Juli gingen die Ergebnisse der Birthler-Behörde dann beim Regierenden Bürgermeister ein, und nur vier Stunden später erklärte Gregor Gysi seinen Rücktritt vom Amt des Bürgermeisters und Wirtschaftssenators in dieser Stadt. Ich halte es nicht für unzulässig zu fragen, ob das nicht auch in einem Zusammenhang damit steht, [Liebich (PDS): Das ist Quatsch!]

dass Herr Gysi, der in seinem Leben schon ganz andere Dinge durchgestanden hat, auf einmal ein moralisches Gewissen entdeckt und sagt: Dieser Vorwurf, der mir gemacht wurde, dass ich Bonusmeilen in Anspruch genommen habe, ist so schlimm, viel schlimmer als alle anderen Vorwürfe, die man vorher gemacht hat. [Beifall bei der CDU]

Da stellt man fest, dass der Immunitätsausschuss – übrigens mit den Stimmen der SPD – 1998, nach immerhin sechsjähriger Prüfungszeit, festgestellt hat, dass die inoffizielle Tätigkeit von Gregor Gysi für die Stasi als erwiesen angesehen wurde. So jedenfalls der Immunitätsausschuss.

All diese Vorwürfe haben Herrn Gysi mit seiner Moral überhaupt nicht tangiert. Es ist offensichtlich nicht schlimm, dass gegen einen der Vorwurf erhoben wird, er habe gespitzelt. Schlimm ist es aber, ein paar Bonusmeilen in Anspruch zu nehmen. Allein das – will Herr Gysi uns sagen – reicht aus, zurückzutreten, der Vorwurf, er habe seine Mitbürger bespitzelt, offensichtlich nicht. Da stellt sich die Frage, ob der moralische Anspruch, den Herr Gysi für sich selbst erhebt, tatsächlich so moralisch ist, wie von ihm behauptet. Ich halte das für eine Inszenierung erster Klasse, und ich frage, ob der Rücktritt an dem Tage, an dem Herr Wowereit die Unterlagen über Herrn Gysi bekommen hat, nicht auch mit den Ergebnissen zusammenhängt, die ihm vorgetragen wurden.

[Müller (SPD): Lächerlich! – Liebich (PDS): Das ist Quatsch!]

Herr Kollege Braun! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Flemming?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.

Nein, Herr Dr. Flemming, es geht nicht. – Bitte, fahren Sie fort!

Ich kann nur Herrn Wowereit auffordern, die Ergebnisse vorzulegen, um solchen Verdächtigungen entgegenzuwirken. Dann kann er belegen, dass all diese Zufälligkeiten, die aufgetreten sind, in keinem Zusammenhang stehen und Herr Gysi sich wirklich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat.

[Zurufe von der PDS]