Protokoll der Sitzung vom 21.09.2002

Herr Steffel, gerade haben Sie wieder eine Lanze für die Sportlerinnen und Sportler gebrochen.

[Beifall und Zurufe bei der PDS]

Ab 2002 stellt das Land Berlin seine Beiträge zur Entwicklungshilfe ein. Der Z-Teil der Bezirke wird um jeweils 100 Millionen abgesenkt. Das Defizit der Bezirke wird nur noch um 80 % abgefedert. Es wird der revolvierende Einsparfonds eingeführt. Die FU wird in eine Stiftungsuniversität umgewandelt. Das Senatsgästehaus wird vermietet. Die Anrechnungs- und Ermäßigungsstunden im Lehrerbereich werden reduziert. Ein Konzept zur Absenkung der Kita-Kosten wird erarbeitet.

Ich will das gar nicht alles vorlesen – alles Vorschläge, an die Sie sich nicht mehr erinnern.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Demonstrativer Beifall bei der CDU]

Ich finde, dass Senator Kurth – –

[Zurufe von der CDU]

Was schimpfen Sie denn so? Jedesmal, wenn wir Ihre Vorschläge umsetzen, brechen Sie in wütendes Geschrei aus.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Herr Kollege Liebich! Ermöglichen Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Sie haben alles vergessen. Das war nicht irgendeine Liste aus der Verwaltung, sondern eine, die die CDU hochoffiziell vorgeschlagen hat.

[Dr. Lindner (FDP): Jetzt reden Sie doch mal zu heute!]

Herr Steffel, da Sie sich zu diesen Listen nicht mehr bekennen wollen, bleibt die Frage, was Ihre Vorschläge sind. Da haben Sie vorhin wieder Ihre Sonderkonjunkturwirtschaftswunderthese vorgetragen, die eigene Maßnahmen überflüssig macht. Die CDU versucht mit lautem Geschrei, die eigene Konzeptionslosigkeit zu überdecken. Das finde ich unehrlich.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Einen Widerspruch müsse die Vertreter von FDP, CDU und Bündnis 90/Die Grünen aufklären. Vielleicht machen das ja die Grünen, Herr Müller hat es bereits angesprochen. Wer sagt, dass die hier angesprochenen Sparvorschläge, die rund 3 Milliarden $ erbrächten, die Stadt kaputtsparen würden, der muss erklären,

[Ritzmann (FDP): Sie müssen erklären, was Sie wollen!]

wie er die Kürzungen erbringen will, die diesen angeblich verfassungswidrigen Haushalt zu einem ihrer Ansicht nach rechtmäßigen machen. Sie können keine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erkennen. Sie reichen eine Klage vor dem Landesverfassungsgericht ein und begründen sie damit, dass wir 4,2 Milliarden $ zuviel ausgeben würden. Und dann schreien Sie Skandal, wenn in den Verwaltungen überlegt wird, wie man zu Reduzierungen kommen kann. Was Sie machen, passt nicht zusammen und ist unehrlich.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Nötig ist in Berlin eine offene und ehrliche Debatte der Stadtgesellschaft insgesamt über die Richtung, die Berlin gehen soll. Sie wurde oft begonnen, in den Parteien, in den Gewerkschaften. Der Vorgängersenat hat die Berlinstudie in Auftrag gegeben. Die jeweilige Opposition und die Medien fordern die Debatten immer wieder ein und haben natürlich Recht. Deshalb, Herr Lindner, habe ich Thesen vorgelegt, nicht als der Weisheit letzten Schluss, [Gelächter bei der CDU]

sondern damit wir diese Debatte wieder miteinander führen. Und zwar nicht als Balsam oder Ablenkung von schmerzhaften Entscheidungen, sondern wir brauchen diese Debatte, um die Prioritäten mit den Berlinerinnen und Berlinern diskutieren zu können.

Natürlich kann jetzt wieder jeder behaupten, seine eigene Partei hätte das Konzept schon, das sei alles unnötig, sie wüssten genau, was zu tun ist. Aber wenn Sie ehrlich sind, werden auch Sie zugestehen, dass diese schwierige Lage, in der wir derzeit sind, weder die regierenden noch die opponierenden Parteien in Gänze beantworten können. Und ja, ich gestehe gern zu, die Wahrnehmung dieses Senats und der Koalition war bisher zu sehr, nur ein Sparbündnis zu sein. Dem wird man aber nicht damit begegnen – und das wird auch die PDS nicht tun –, dass man jetzt das Geld wieder mit vollen Händen ausgibt.

[Czaja (CDU): Aber morgen seid ihr doch raus aus der Regierung!]

Es muss gelingen, die Berlinerinnen und Berliner auf den Weg der Angleichung der Ausgaben an die Einnahmen mitzunehmen. Herr Müller, seien Sie mir nicht böse: Wenn es um die Einnahmen geht und Sie die sozial gerechte Politik von Gerhard Schröder und Joschka Fischer so preisen, will ich daran erinnern, dass sich die Einnahmen des Landes Berlin wegen dieser „großartigen“ Politik um 500 Millionen $ verringert haben. Dass das ein Problem ist, möchte man hier wenigstens mal sagen können.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir müssen die Menschen in Berlin mitnehmen. Und dass Veränderungen in Berlin ohne Brüche vor sich gehen, ist eine Illusion, die in den vergangenen Jahren genährt wurde. Das wird es nicht mehr geben. Dem sollten sich alle stellen, Regierung und Opposition.

Dem ewigen Hinweis, dass zum einen zu wenig, aber zum anderen zu viel gestrichen würde und dann zumeist am falschen Ende, begegnet man nicht mit dem Holzhammer. Alles zu kürzen, was sich kürzen ließe, ist das Ende von Politik. Berlin ist keine Luftmatratze, die sich durch Ausquetschen der letzten Sparreserven zu Sparmaßnahmen bewegen ließe. Dafür steht die PDS nicht zur Verfügung. Nicht blindes Benchmarking im Vergleich der Kita- und Studienplätze von Berlin mit Clausthal-Zellerfeld, sondern Prioritäten und Nachrangigkeiten bestimmen unsere Entscheidungen und unter Berücksichtigung der gemeinsamen politischen Ziele die Konsolidierung des Landeshaushalts voranzutreiben. Dabei ist für diese Koalition die soziale Gerechtigkeit das Entscheidende. Dafür hat der Senat unsere Unterstützung.

Die sogenannte Giftliste ist vom Tisch. Die weitere Debatte hierüber ist sinnlos. Die Berlinerinnen und Berliner brauchen keine Angstkampagnen, sondern Problemlösungen in schwierigen Zeiten für Berlin. Der SPD-PDS-Senat stellt sich dieser Herausforderung und wird dabei von den Koalitionsfraktionen unterstützt. [Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Herr Liebich! – Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende Herr Wieland. – Bitte schön, Herr Wieland!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns als Grüne um diese Debatte heute morgen nicht unbedingt gerissen. Man hat einen Tag vor der Bundestagswahl zum Teil merkwürdige Klatschfronten. Einer recht ungenießbaren

(A) (C)

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Wieland, Wolfgang

Rede von Michael Müller klatschten wir wegen des Schlusssatzes Beifall, und die PDS enthielt sich dabei. Das war vorauszusehen.

[Frau Michels (PDS): Wegen des Schlusssatzes!]

Ja, ist mir doch klar! – Dennoch, ich denke, wir sind legitimiert, diese Frage zu beantworten: Ist es nun nur Wahlkampfshow, wie behauptet, was die CDU heute beantragt hat, oder ist es nicht vielmehr Schuld dieser rot-roten Koalition, dass wir so dicht an diesen Wahltermin herangerückt sind? Ich meine, es ist die Schuld dieses Senats.

Ich führe auch aus, Herr Liebich, was der Unterschied ist zu den vielen „Giftlisten“, die es – da haben Sie Recht – in der Vergangenheit immer gegeben hat. Ein Unterschied ist: So groß war die Aufregung in der Stadt über eine Giftliste noch nie.

[Zurufe von der SPD]

Das ist regelrecht Guinness-Book-of-Records-verdächtig!

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Innerhalb von wenigen Tagen haben sich Eltern, Lehrer, IHK, DGB, Künstler, Intendanten, NS-Verfolgte, beide Kirchen, Studenten, Professoren, Behinderte und Kranke – schlichtweg die ganze Stadt – empört zu Wort geäußert.

[Liebich (PDS): Diese Vorschläge standen alle schon in I h r e r Streichliste!]

Die Frage ist: Hat das nicht damit zu tun, dass dieser Senat es versäumt hat, das, was er immer angekündigt hat, die tatsächlichen strukturellen Spareinschnitte, zu dem Zeitpunkt vorzuschlagen, wo sie vorzuschlagen gewesen wären – bei den Haushaltsberatungen? Ist es nicht dieser Senat, der uns diese unsäglich kurze Terminierung vor der Wahl erst eingebrockt hat, indem er diese Vorschläge nicht dem Gremium vorgelegt hat, vor das sie gehören – nämlich vor dieses Parlament?

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ihr Finanzsenator hat vor der Sommerpause einen – wie er selbst sagte – verfassungswidrigen Haushalt verabschieden lassen. Er hat einen Tag vor dessen Inkrafttreten eine haushaltswirtschaftliche Sperre verhängt. Auch dieses bedeutet nach unseren Erkundungen Weltrekord, gleichzeitig eine Bankrotterklärung des eigenen Haushalts. Statt nun rechtzeitig den Kurs anzugeben, wo strukturell gespart werden soll, setzt er sich hin, plaudert neckisch mit der Presse, sagt: „Ich habe da eine Einsparliste in meiner Schublade, aber ich, Thilo Sarrazin, bin doch nicht blöd; ich hole sie nicht heraus,

[Heiterkeit bei der CDU und der FDP]

ich will Finanzsenator bleiben. Das werden wir erst nach der Wahl sehen. Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß’!“

[Heiterkeit bei der CDU und der FDP]

Aber: Dumm gelaufen an dem Punkt, Herr Sarrazin! Die Stadt weiß es! Und das ist das Verheerende, was auch bei Ihnen einmal ein Anlass sein sollte, etwas selbstkritisch da heranzugehen, meine Damen und Herren von der PDS!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Beifall des Abg. Benneter (SPD)]

Danke, Kollege Benneter! – Das Verheerende ist, dass man in der Stadt dieser Koalition nach der Benjamin-Franklin-Debatte – Sie erinnern sich, Herr Kollege Benneter, in Ihrem Wahlkreis! –, nach der Erhöhung der Kinderzahlen in den Kitas, nach der brüsk vollzogenen Aussperrung junger Anwärterinnen und Anwärter vom öffentlichen Dienst, per Federstrich vom Innensenator vorgenommen, offenbar jede einzelne Schurkerei auf dieser Giftliste zutraut. Das haben Sie zu verantworten!

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]