Protokoll der Sitzung vom 21.09.2002

Ich ergänze ausdrücklich: Auch wir fühlen uns als Opposition von heute verantwortlich für gemeinsame Jahre in der großen Koalition, in denen in Berlin viel aufgebaut wurde, in denen aber auch Fehler gemacht wurden. Der schwerwiegendste Fehler verbindet uns bis heute mit der Bankenaffäre.

Was heißt Verantwortung? – Erstens – darin unterscheiden wir uns – müssen wir zwar sparen und konsolidieren, dürfen dies aber nicht auf die Ausgabenseite reduzieren, sondern müssen vor allen Dingen und verstärkt die Einnahmeseite im Blick haben.

[Beifall bei der CDU]

Zur Konsolidierung haben wir viele Vorschläge gemacht

[Doering (PDS): Wo denn?]

und fragen uns bis heute beispielsweise, warum Sie die Verwaltungsreform nicht umsetzen, die Vorschläge der Scholz-Kommission zur Staatsaufgabenkritik nicht anpacken, die Oberfinanzdirektion nicht abschaffen, das Facility-Management – ein Vorschlag unseres ehemaligen Finanzsenators Peter Kurth – nicht endlich umsetzen und die Vermögensaktivierung seit 16 Monaten blockieren.

Aber Verantwortung bedeutet auch, dass Sie den Berlinerinnen und Berlinern endlich eine zweite Liste vorlegen müssten, und zwar eine Liste, mit der Sie die Wirtschaftskraft in Berlin steigern, die kleinen und mittleren Unternehmen entlasten und Arbeitsplätze sichern, neue Arbeitsplätze schaffen wollen

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

und mit der Sie Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen wieder eine Perspektive in Berlin geben. Auf diese Liste, Herr Regierender Bürgermeister, warten die Berlinerinnen und Berlin seit nunmehr 16 Monaten.

Deshalb fordern wir Sie noch einmal auf: Setzen Sie unser Sofortprogramm für Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum um, oder machen Sie wenigstens endlich eigene Vorschläge. Unser Programm kann sehr schnell realisiert werden, ist praktisch kostenneutral, entlastet die kleinen und mittleren Unternehmen und stößt sofort ein Wachstum bei Arbeit und Beschäftigung in unserer Stadt an.

Verantwortung heißt aber auch Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, damit man nicht sofort mit In-Kraft-Treten des neuen Haushalts eine Haushaltssperre verhängen muss. Heben Sie endlich diese Haushaltssperre, die die 16 Monate Ihrer Amtszeit begleitet, Herr Regierender Bürgermeister, auf, und beenden Sie diese arbeitsplatzvernichtende Maßnahme, die keinerlei Planungssicherheit für die öffentliche Hand und insbesondere für die Berlinerinnen und Berliner bedeutet.

[Beifall bei der CDU]

Herr Regierender Bürgermeister, was heißt Verantwortung noch? – Verantwortung bedeutet: Gerade wenn man – und das sagen Sie – entschlossen und vielfach schmerzhaft vorgehen will, die Berlinerinnen und Berliner mitzunehmen, zu motivieren und ihnen zu erklären, wofür sie sparen sollen, anstatt sie zu verschrecken und bewusst Widerstände zu provozieren.

Herr Dr. Steffel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, da meine Redezeit kurz ist. – Anstatt aber die Berlinerinnen und Berliner zum Mitmachen aufzufordern, drohen Sie ihnen mit Schlägen. Die meisten Ihrer Sparvorschläge sind aber keine Vorschläge, sondern Anschläge; Anschlag auf die Attraktivität und Zukunft Berlins.

Finanzsenator Sarrazin hat jüngst wörtlich erklärt:

Ich habe eine Liste mit 300 konkreten Sparvorschlägen in der Schublade.

Bislang sind uns nur 80 Vorschläge bekannt. Heraus mit der Sprache, Herr Finanzsenator! Was sind die anderen Vorschläge? [Beifall bei der CDU]

Welche Inhalte haben sie? Was wollen Sie damit tun? Was wollen Sie erreichen? – Sagen Sie es uns heute hier unmissverständlich, und zwar wenige Stunden vor einer für Berlin äußerst wichtigen Wahl. [Zurufe von der SPD]

Wir erwarten nicht, Herr Regierender Bürgermeister, dass Sie heute alle 80 Punkte zurückziehen, aber die Berlinerinnen und Berliner erwarten heute sehr wohl, dass Sie mindestens zu einigen Sparvorschlägen eindeutige Garantieerklärung abgeben.

Geben Sie den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass Sie an die Streichung der Zuwendung für Verfolgte des Naziregimes nicht einmal denken!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Diese Vorschlag ist historisch, moralisch und menschlich schamlos. – Geben Sie den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass das Freizeit- und Erholungszentrum in der Wuhlheide nicht

geschlossen wird! Dieser Vorschlag zerstört eine einmalige Jugendeinrichtung von weit überregionaler Bedeutung mit weit über einer Million Besucherinnen und Besuchern im Jahr.

[Mutlu (Grüne): Was ist denn das für ein Gesinnungswandel?]

Geben Sie den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass die Berliner Opern, der Friedrichstadtpalast, das Berliner Ensemble, die Berliner Sinfoniker und die Schaubühne erhalten bleiben! Dieser Vorschlag nimmt den Berlinern Lebensfreude und Identität und fügt der Berliner Kulturlandschaft unwiederbringlich Schaden zu. [Beifall bei der CDU]

Geben Sie, Herr Regierender Bürgermeister, den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass der Tierpark Friedrichsfelde nicht geschlossen wird!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Dieser Vorschlag missachtet die Gefühle vieler Berliner, die zu Recht auf ihren Tierpark stolz sind und ihn seit langen Jahren lieben. – Geben Sie den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass Investitionsförderung, Filmförderung, Liquiditätsfonds, Wirtschaftsfördermittel und die Meistergründungsprämie nicht wegfallen! Diese Vorschläge verhindern Existenzgründungen, gefährden unsere kleinen und mittleren Unternehmen und bedeuten nachhaltig steigende Arbeitslosigkeit.

[Beifall bei der CDU]

Geben Sie, Herr Regierender Bürgermeister, den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass Sie in den kommenden zwei Jahren nicht 70 Millionen $ bei Behinderten und den Schwächsten unserer Gesellschaft einsparen!

[Beifall bei der CDU]

Diese Vorschläge sind kaltschnäuzig und belasten gerade die Menschen, die unsere größte Solidarität und Hilfsbereitschaft benötigen. – Geben Sie den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass keine 25 000 Studienplätze in Berlin wegfallen! Dieser Vorschlag bedeutet den Abschied vom Wissenschaftsstandort Berlin und zeigt, dass Bildung bei Ihnen nur im Wahlkampf Priorität geniest.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Geben Sie den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass die Sportförderung nicht eingestellt wird und die Vereine und der Breitensport nicht mit 50 Millionen $ an den Betriebskosten beteiligt werden!

[Beifall bei der CDU]

Dieser Vorschlag wird der großen sozialen Bedeutung des Sports und dem großartigen Engagement tausender ehrenamtlicher Trainer und Betreuer nicht gerecht. – Geben Sie den Berlinerinnen und Berlinern Ihr Wort, dass die Kitagebühren nicht erhöht oder gar verdoppelt werden!

[Beifall bei der CDU]

Dieser Vorschlag vertreibt junge Familien aus Berlin, belastet allein Erziehende und macht Berlin weder kinderreicher noch kinderfreundlicher. Ihre angebliche Sparliste ist keine Sparliste, sondern eine Kapitulationsurkunde vor der Zukunft Berlins.

Ihre Schließungsdebatte macht das Bemühen zur Umstrukturierung, das Einwerben von Drittmitteln, das Finden von Sponsoren und die Berufung von Künstlerinnen und Künstlern, auch von Wissenschaftlern für viele Einrichtungen fast unmöglich. Wer kommt in eine Stadt, wenn er nicht weiß, ob das Theater, für das er arbeiten möchte, oder die Universität, für die er arbeiten möchte, morgen überhaupt noch existieren? Ihre konzept- und kopflosen Vorschläge setzen keine Schwerpunkte. Sie machen nicht deutlich, wohin Sie mit Berlin eigentlich wollen. Sie haben einfach keine Vorstellungen von der Zukunft Berlins. Bei Ihnen hat man den Eindruck, Sie verwalten lediglich den Mangel, statt die Zukunft zu gestalten.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Es verstärkt sich die Befürchtung, dass nach Ihrer Amtszeit die Zeit der Metropole Berlin abgelaufen sein wird.

[RBm Wowereit: Oh! – Gelächter bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Die Völker der Welt werden dann nicht mehr auf Berlin schauen, und Berlin wird eben keine Reise mehr wert sein. Sie beschädigen durch Ihre Vorschläge, allein durch die Debatte der genannten Vorschläge, das Bild Berlins in aller Welt. Diese Stadt wird nicht attraktiver, sondern weniger attraktiv.

[Beifall bei der CDU]

Herr Regierender Bürgermeister, Ihre Vorschläge machen Berlin nicht reicher, nein, sie machen Berlin ärmer. Ihr Finanzsenator hat Berlin schweren Schaden zugefügt. Sie sollten die Konsequenzen ziehen.

[Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Danke schön, Herr Dr. Steffel. – Das Wort für die SPD-Fraktion hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende Herr Müller. – Bitte schön, Herr Müller!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Worte zu meinem Vorredner.