Protokoll der Sitzung vom 26.09.2002

Was die Wählerbeschimpfung anbelangt, die Sie hineinlesen, die Bürgerinnen und Bürger wissen selbst, wie sie darauf zu reagieren zu haben, spätestens bei den nächsten Wahlen. Dafür brauchen sie Sie nicht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Abgeordnete Herr Wieland!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den meisten Redbeiträgen, die wir eben gehört haben, muss ich sagen, es war eine weise Entscheidung, diese Debatte nicht zu Beginn vor laufenden Fernsehkameras zu führen, sondern mehr oder weniger entre nous um 21.15 Uhr. Das, was Herr Stölzl angerichtet hat, ist mit einigen Redebeiträgen hier noch verschlimmert worden, und das ist schade.

Wir hatten eigentlich immer den Eindruck, das wir mit Herrn Professor Stölzl auf der Dialogebene sind. Wir haben uns seinerzeit einmal herzlich über einen Satz des Fraktionsvorsitzenden Landowsky amüsiert, als er sagte: „Mit Professor Stölzl sind Geist und Esprit in den Senat von Berlin eingezogen.“ Wir haben uns amüsiert, weil die Frage war, was vorher war. Wir haben uns jedoch nicht amüsiert, weil wir es in Abrede gestellt hätten, dass Professor Christoph Stölzl in besonderem Maße durch Eloquenz, auch durch Wissen und geistreiche Zitate und geistreiche Äußerungen auffällt. Umso – das muss ich deutlich sagen – konsternierter sind wir durch diese Äußerungen in der Wahlnacht gewesen. Es war gleichsam eine Kette von Diskreditierungen, die er in wenigen Sätzen ausgesprochen hat. Ich habe einmal gezählt, nicht weil ich gern Buchhalter bin, sondern weil man solch einen Vorgang irgendwie für sich verarbeiten will. Er sprach von einem großen Unglück, das diese Wählerentschei

dung über das deutsche Volk gebracht habe. Er sprach zweitens von einem Sieg der Unvernunft über die Vernunft. Er sprach drittens davon, dass man irrationalen Stimmungen nachgegeben habe, er sprach viertens davon, dass man Propagandaphrasen aufgesessen sei, er sprach fünftens den Vergleich mit der Kriegshysterie von 1914 an, er zog sechstens – für uns natürlich das Schlimmste – den Vergleich mit den Wahlen 1931/32, und er stellte siebtens die Nüchternheit der Wählerinnen und Wähler in Abrede.

Wir waren nicht siegestrunken in dieser Wahlnacht. Wir sind, denke ich, dem gerecht geworden, was Joschka Fischer formuliert hat, wir sind im Sieg bescheiden geblieben. Aber wir fragen uns natürlich auch, und unsere Wähler haben es gefragt und fragen es immer noch: Was muss man sich hier eigentlich sagen lassen, welcher Parallelität muss man sich stellen lassen? Gehören wir zu denjenigen, die die Weimarer Republik bekämpft haben, indem sie auf KPD-Ticket für eine Räterepublik waren, oder gehören wir mehr zu denjenigen, die als Nazis dann schließlich die Weimarer Republik abgeschafft haben? Wie kann ein gelernter Historiker diese Parallele von demokratischen Parteien zu totalitären ziehen? – Diese Antwort sind Sie leider bis jetzt schuldig geblieben, Herr Professor Stölzl.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Natürlich kann man jetzt polemisieren, mir ist eigentlich gar nicht danach, wie ausgerechnet ein Landesvorsitzender der CDU nun Vernunft-Wahlkampf anmahnt, wo es Spezialität dieser Partei nachgerade immer gewesen ist, emotionalisierte Wahlkämpfe zu führen, Wahlkämpfe, die auf den Bauch zielen. Ich kann mich erinnern an diese Plakate „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau“, wahrscheinlich in ihrem Deutschen Historischen Museum noch ausgestellt, noch heute Lehrbeispiel sozusagen für ein suggestives, wirkungsvolles Plakat. Ich kann mich an den Einheitswahlkampf erinnern von Helmut Kohl, der voll auf den Bauch, auf die Emotion zielte, und auch an viele Angstwahlkämpfe mit der inneren Sicherheit. Immer ist genau das Gegenteil von dem passiert, was Sie hier gefordert haben.

Natürlich muss man fragen, woher diese fiebrige Tendenz der vielen Nazivergleiche kommt, gerade in letzter Zeit. Da haben Sie völlig Recht, Dr. Lindner! Nur hat die hochintelligente Bundesjustizministerin – ich kenne sie fachlich und persönlich – aus ihrem deplatzierten Vergleich immerhin die Konsequenz gezogen, nicht mehr anzutreten und aus dem Amt auszuscheiden. Welche Konsequenz in diesem Maße hat denn Professor Stölzl gezogen? – Er hat keine gezogen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Es ist nicht dieselbe Gewichtsklasse!]

Er hat sich – und danach haben Sie gefragt, Herr Dr. Steffel – im vierten Anlauf entschuldigt. Noch am Montag, nachdem ich geäußert hatte, wir fänden, dass er sich entschuldigen oder zurücktreten müsse, kam eine Erklärung über Ihren Pressesprecher, Herrn Wambach, in der wörtlich stand: „Ich habe keinen Vergleich gezogen. Wer derartiges sieht, hat eine böswillige Unterstellung geleistet, und im Übrigen bin ich bereit, mich auf dem entsprechenden Niveau mit meinen Thesen fachlich auseinander zu setzen.“ – Noch im Ältestenrat war das Schlusswort der Erklärung von Professor Stölzl: „Ich empfehle dennoch jedem den Blick ins Geschichtsbuch.“ –, was nur heißen sollte: Ich denke, ich hatte Recht mit meinen historischen Analogien. – Dieser Satz wurde dann gestrichen. Am Ende blieb – das sage ich auch bewusst – eine formal ausreichende Erklärung, eine formal ausreichende Entschuldigung bei den Mitgliedern der drei Parteien, nicht bei den Wählerinnen und Wählern. Am Ende stand auch der Satz: „Es tut mir Leid.“ – Das haben wir akzeptiert. Deswegen haben wir die Rücktrittsforderung fallen gelassen.

Was allerdings auch unser Eindruck ist – das macht es für uns schwer, deswegen stehen wir auch hinter dieser Resolution, und Herr Dr. Stölzl hat nichts getan, diesen Eindruck zu widerlegen –, im Grunde ist er immer noch der Ansicht, dass er Recht hatte. Im Grunde ist er immer noch der Ansicht, dass es ein großes Missverständnis ist. Deswegen müssen wir die Gefahr sehen, dass

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irgendwann wieder entsprechende Äußerungen kommen. Deswegen ist für uns der Umgang mit Professor Stölzl in Zukunft sehr schwierig.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die antragstellenden Fraktionen haben um sofortige Abstimmung gebeten. Ich lasse also über den Antrag abstimmen. Wer dem Antrag auf Annahme einer Entschließung seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der PDS und der Grünen bei Enthaltung von Professor Stölzl angenommen.

Die lfd. Nr. 40 ist bereits durch die Konsensliste erledigt.

Zu Beginn der Sitzung wurde bereits bekannt gegeben, dass der A b g e o r d n e t e H i l l e n b e r g eine p e r s ö n l i c h e E r k l ä r u n g abzugeben wünscht. Es wurde ihm am Ende der Tagesordnung gewährt. Demzufolge hat der Abgeordnete Hillenberg nunmehr das Wort. – Bitte schön!

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf Grundlage eines Beschlusses des Petitionsausschusses wurde ich als dessen Vorsitzender beauftragt, mich nach erfolglosen Bemühungen beim Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, Walter Momper, um die Rücknahme der Entscheidung zur Streichung der Personalstelle „Pressesprecherin des Petitionsausschusses“ an die Öffentlichkeit zu wenden. Während des obligatorischen Pressefrühstücks am 25. September 2002 zusammen mit meiner Stellvertreterin, der Abgeordneten Annelies Herrmann, habe ich die anwesenden Journalisten darüber informiert. Im Anschluss daran wollte ich diese Presseerklärung auf dem offiziellen Briefkopf unseres Ausschusses über die Pressestelle des Abgeordnetenhauses verteilen lassen, was jedoch boykottiert wurde.

[Gram (CDU): Von wem denn? – Dr. Lindner (FDP): Hört, hört!]

Im Ergebnis dessen verlange ich vom Parlamentspräsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Walter Momper, Aufklärung über:

1. Wer hat am 25. September 2002 veranlasst, dass meine Presseerklärung als Vorsitzender des Petitionsausschusses zunächst nicht auf dem offiziellen Briefbogen des Abgeordnetenhauses abgedruckt werden sollte?

[Zuruf von der CDU: Maulkorb!]

Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass ich etwa um 12 Uhr verlangt habe, dass die Presseerklärung gedruckt wird. Um 16 Uhr erhielt ich in meinem privaten Büro die Information und auch ein Fax, dass es endlich passiert ist.

2. Wer hat veranlasst, dass meine Presseerklärung nicht über die Pressestelle des Abgeordnetenhauses verteilt werden darf? – Ich hatte also nur die Möglichkeit, diese Presseerklärung mit meinem privaten Faxgerät selbst zu verteilen.

[Zuruf von der CDU: Unerhört!]

Ich stelle fest, dass die Arbeit unseres Ausschusses in einer noch nie dagewesenen Art und Weise behindert wurde. Ebenfalls stelle ich fest, dass die Meinungsfreiheit der Mitglieder des Petitionsausschusses eingeschränkt wurde.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Lindner (FDP): Hört, hört!]

Ich stelle weiterhin fest, dass Mitgliedern des Abgeordnetenhauses der Zugang zu den Medien über die Pressestelle des Hauses verweigert wird.

[Zurufe von der CDU]

In dem ablehnenden Antwortbrief des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Walter Momper, vom 21. September 2002 heißt es in Bezug auf diese Problematik der ersatzlosen Streichung der Pressestelle:

Im Übrigen wünsche ich dem Petitionsausschuss bei seiner wichtigen Aufgabe viel Erfolg und hoffe, dass das erarbeitete Konzept einer modernen Öffentlichkeitsarbeit ein wenig dazu beitragen kann.

Sehr geehrter Herr Präsident, Ihre Vorstellung von einer modernen Öffentlichkeitsarbeit habe ich nunmehr kennen gelernt. Kritik in bestimmter Richtung ist nicht gewollt. Es versteht sich von selbst, dass ich neben der Aufklärung auch strukturelle Konsequenzen verlange, die die Arbeit des Petitionsausschusses als unabhängiges und parteiübergreifendes Gremium sicherstellen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ich werde es als Vorsitzender des Petitionsausschusses nicht zulassen, dass unsere Arbeit, egal von wem und mit welchem Parteibuch, behindert wird. Das sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig. – Schönen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Bravo! bei der CDU]

Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Die nächste Sitzung des Abgeordnetenhauses findet am 31. Oktober 2002 um 13 Uhr – wie immer in diesem Saal – statt. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien, soweit das möglich ist, erholsame Ferien. Bis zur nächsten Sitzung gute Erholung! Die Sitzung ist geschlossen.

[Schluss der Sitzung: 21.27 Uhr]

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A n l a g e 1

Konsensliste

Der Ältestenrat empfiehlt, nachstehende Tagesordnungspunkte ohne Aussprache wie folgt zu behandeln:

TOP 3 15/781 Vorlage – zur Beschlussfassung – über Gesetz über die Versorgung der Steuerberaterinnen, Steuerberater und der Steuerbevollmächtigten im Land Berlin an Haupt

TOP 4 15/784 Antrag der Fraktion der CDU über Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz) an StadtUm (f) u. GesSozMiVer

TOP 5 15/804 Antrag der Fraktion der Grünen über Aufhebung der Berliner Bannmeile an Recht (f) u. InnSichO

TOP 11 a) 15/743 Große Anfrage der Fraktion der CDU über konzeptionslose Kürzungen – Berliner Kitas bald ein Scherbenhaufen? vertagt

b) 15/776 Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS über Neuordnung der Kitalandschaft vertagt

TOP 14 15/769 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen vom 11. September 2002 zum Antrag der Fraktion der Grünen über Gender-Mainstreaming: Verankerung der Chancengleichheit in allen Politikfeldern – (3) Weiterbildung von Senatorinnen und Senatoren, Staatssekretärinnen und Staatssekretären und Führungskräften der Berliner Verwaltung