Protokoll der Sitzung vom 31.10.2002

Zur gemeinsamen Beratung empfiehlt der Ältestenrat eine Redezeit von bis zu 10 Minuten

pro Fraktion. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Beratung der drei Artikel miteinander zu verbinden. Hierzu rufe ich die Drucksache 15/632 auf. Ich verbinde damit die Bitte, den Geräuschpegel, den wir durch verschiedene Gespräche in den Fraktionen zu sehr erhöht haben, jetzt bei diesem wichtigen Thema zurückzuführen, damit die Redner von Ihrer Seite die volle Aufmerksamkeit genießen. Wortmeldungen liegen aus allen Fraktionen vor. Es beginnt für Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Ströver. - Bitte schön, Sie haben das Wort, und ich hoffe, dass Ihr Wort von den Fraktionen auch gehört wird.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herzlich willkommen, Frau Brinckmeier als Vorsitzende des Rundfunkrates des SFB und Herr Schättle als Intendant des SFB, zu dem Thema Fusion der beiden Rundfunkanstalten SFB und ORB. Ich bin froh, dass gerade Sie hier sind und unserer Debatte folgen, weil ich glaube, Sie beide sind die wichtigsten Zeugen dafür, dass Bündnis 90/Die Grünen seit 10 Jahren für eine Fusion von SFB und ORB nachdrücklich eingetreten sind.

[Beifall bei den Grünen]

Es sollte ein freudiger Tag werden, an dem die Fusion der beiden Landesrundfunkanstalten durch unser Parlament beschlossen wird, denn dieses von Grünen immer angestoßene und in der rotgrünen Übergangsregierung zur Konkretisierung in Auftrag gegebene Projekt, nachdem es die große Koalition in Berlin 10 Jahre verabsäumt und die SPD es nicht geschafft hatte, diese Fusion voranzutreiben, wäre ein wichtiges und das zentrale Projekt in dieser Region im Vorfeld einer Fusion der beiden Länder gewesen.

Herausgekommen ist heute ein visionsloses Bürokratenpapier, das tatsächlich den Umsetzungsauftrag überhaupt nicht erfüllt, das alles, was konkret mit dieser Anstalt dann verbunden wird, in die künftige Anstalt selbst verlegt. Das ist unfair, weil das die Probleme von der Ebene der Legislative wegweist in die künftige Anstalt. Und das ist nicht gut, weil sich damit der Staat verweigert, diese Perspektiven tatsächlich zu diskutieren.

Was für ein Programm braucht die Anstalt? - Eine Qualitätsdebatte über das, was wir wollen mit einer neuen Rundfunkanstalt aus der Region, hat nicht stattgefunden. Hier haben die handelnden Personen auf ganzer Linie versagt.

[Beifall bei den Grünen]

Dabei sind es gerade - um die Staatsferne zu demonstrieren und in der konkreten Umsetzung - die Aufgaben des Staates, damit der beiden Parlamente, die genaue Definition der Rahmenbedingungen für die Aufgaben dieser künftigen Anstalt festzulegen. Das ist nicht erfolgt. Ich finde das schade.

Ich war auch ein bisschen - wie soll ich das sagen - verstört, ich gebe es gerne zu, über die Einseitigkeit, mit der die Personalvertreter der Anstalten SFB und ORB sich ausschließlich in der Kritik auf den Staatsvertragsentwurf auf die veränderte Personalvertretungsregelungreduziert haben. Ich war zunächst der Meinung, das nimmt eigentlich den Blick von viel mehr zu kritisierenden, ganz grundsätzlichen Punkten, die in diesem Staatsvertrag zu beklagen sind. In der Diskussion im Ausschuss zur Mitbestimmungsregelung hat der Vertreter des Senats der Chef der Senatskanzlei, Herr Schmitz gesagt, es sei eigentlich kein Unterschied in den Mitbestimmungsregelungen des Bundespersonalvertretungsrechts und des Landespersonalvertretungsrechts. Umso mehr habe ich mich gefragt, warum übernimmt man es nicht und belässt es beim Berliner Landespersonalvertretungsgesetz, das ein gutes Gesetz war, das zu wenig Konflikten geführt hat, das tatsächlich die Bedeutung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalt mit diesem meinungsprägenden Auftrag gestützt hat. Warum macht man das nicht?

Jetzt muss ich sagen, die Gewerkschaftsvertreter hatten Recht mit ihrer Kritik, weil es genau das ist, was die Absicht dieses Staatsvertrags ist: eine Fusion, die gar nicht die Qualitätsfragen und nicht den Auftrag an die künftige Anstalt formuliert, sondern eine Fusion, die einzig und alleine unter Optimierungsgesichtspunkten im Personalbereich stattfindet. Das ist das Ziel. Es geht darum, eine Vielzahl von Personalstellen abzubauen. Deswegen ist diese Frage der Personalvertretung auch so eine zentrale in der Diskussion.

[Beifall bei den Grünen]

Und die PDS hat den Mund ziemlich voll genommen. In Brandenburg hat sie - dort in der Opposition befindlich - den Staatsvertrag abgelehnt, genau mit diesem Argument: Die Personalvertretungsregelungen sind demokratiefeindlich. - Hier stimmen Sie jetzt zu.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Hiller (PDS)]

Ich kann nur sagen: Sie sind ehemals als Tiger losgelaufen und als Bettvorleger gelandet. Und warum? - Weil Sie selbst versprochen haben, Sie würden in diesen Staatsvertragsverhandlungen die Personalvertretungsregelungen noch ändern. Es ist Ihnen nicht gelungen.

[Frau Michels (PDS): Warum?]

- Ja, deswegen ist es nichts mit dieser roten Nelke, Frau Michels, denn die sozialistische Demokratie gibt es hier nicht. Sie haben sich nicht durchsetzen können, Sie sind auf ganzer Linie gescheitert. Und wenn Sie heute zu dem Punkt einen Entschließungsantrag einbringen, wo Sie sagen, in der Satzung der nächsten Rundfunkanstalt sei eine Verbesserung der Personalvertretungsregelungen anzustreben,

[Frau Michels (PDS): Möglich!]

dann kann ich Ihnen sagen, hier hat sie die SPD aufs Glatteis geführt, weil das gar nicht satzungsgemäß zu regeln ist. Das braucht eine gesetzliche Regelung. Deswegen ist dieser Antrag, den Sie uns hier als Ergänzungsantrag heute vorlegen, leider nicht einmal das Papier wert, auf dem er steht.

[Beifall bei den Grünen]

Es ist mir ein Rätsel, ich verstehe es bis heute nicht, das konnte mir niemand erklären, warum hier eine neue Anstalt etabliert wird, die in wesentlichen Teilen eine Verschlechterung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als staatsfernes Modell bedeutet. Zentrale Demokratiedefizite neben der Personalvertretungsfrage sind Produkt des Verhandlungsergebnisses. Ich will Ihnen fünf weitere nennen.

Das erste ist die Rundfunkratzusammensetzung. Das Kontrollgremium besteht aus Verbandsunktionären, den kommunalen Spitzenverbänden aus Brandenburg, Rat der Bürgermeister, Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, Beamtenbund usw. - eine Ansammlung von Bürokratenvertretungen, nur zwei Kulturvertretungen bei 30 Sitzen insgesamt in diesem Gremium. Unser Antrag sah hier Nachbesserung und das Abbild von gewachsenen, veränderten Lebenswelten vor, das sich z. B. in einem Verbrauchervertreter oder in einem Vertreter der schwul-lesbischen Lebenswelt einer Großstadt widerspiegelt. Das haben Sie alles abgelehnt und nur in wenigen Einzelpunkten unsere Monita übernommen.

2. Punkt: die Parteienvertretungen. Wir sind deutlich der Meinung, und das sah unser Antrag auch vor, es wäre ein gutes Signal gewesen - nach dem unmöglichen Parteienproporzgeplänkel bei der ZDF-Intendantensuche, jetzt wieder beim Programmchef des ZDF, wo massivster staatlicher Einfluss stattfindet -, die Parteienvertreter, die über die Legislative massiv an der Gestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beteiligt sind, hier auszuschließen. Was Sie gemacht haben, ist wirklich der Gipfel. Sie haben ein Modell geschaffen, in dem in der jetzigen Konstruktion ausschließlich Repräsentanten genannt und gewählt werden, die von Regierungsfraktionen vorgeschlagen werden. Die Opposition, hier in diesem Hause 20 Prozent, wird nicht vertreten sein in dem künftigen Gremium. Das ist hochgradig demokratiefern, meine Damen und Herren! Die Antwort wäre wenigstens ein Grundmandat für alle Fraktionen beim Vorschlagsrecht für diesen Sitz gewesen.

[Beifall bei den Grünen - Wowereit (SPD): Sie wollten doch gar nicht rein!]

- Genau, das würde ich auch richtig finden, aber wenn schon, dann will ich wenigstens ein Minimum an Demokratie, nicht ausschließlich Regierungsvertreter in diesem Gremium.

[Wowereit (SPD): Ach so, das ist noch schärfer! - Frau Oesterheld (Grüne): Das hatten wir doch schon einmal!]

Der 3. Punkt: Der Rundfunkrat ist grundsätzlich in seinen Rechten massiv beschnitten worden gegenüber der alten Regelung, die der SFB hatte. Der Rundfunkrat hat nicht mehr das Haushaltsberatungsrecht, nur noch ein formales Entscheidungsrecht. Der Rundfunkrat selbst hat nicht mehr das Recht, mit einer großen, nämlich Zweidrittelmehrheit den Intendanten zu wählen etc. pp. Es gibt einen eigenen Verwaltungsrat, der außerhalb des Rundfunkrates agiert, der mit größeren Rechten ausgestattet ist. Das ist völlig unnötig, das heißt, man gibt im Grunde an ein kleines Verwaltungsgremium die wichtigen Aufgaben ab; der Rundfunkrat selbst wird geschwächt.

4. Punkt: Es gibt keine Mindestfestlegung über die Zahl der Programme. Ich finde, es gehört zu einem staatlichen Auftrag zu sagen, wir wollen sicherstellen, ehe die Medienanstalten die Frequenzen vergeben, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk mit soundsoviel Hörfunk- und Fernsehfrequenzen bedacht wird und entsprechend auch die Möglichkeit einer Mindestausstattung mit Programmen zugesichert bekommt. Das Signal wäre in Verbindung mit

einem klaren Programmauftrag für eine Stärkung des neuen Senders mit einem Auftrag aus der Hauptstadt und der Region nötig gewesen.

Als letztes und 5. Demokratiedefizit, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen sagen: Es hätte dieser Rundfunkanstalt gut angestanden, besonders in Zusammenhang mit der Diskussion über den kulturellen Auftrag einer Anstalt, von den Klangkörpern der Rundfunkorchester und -chöre GmbH die Verantwortung zu übernehmen für einen Chor oder über ein Orchester und hier zu sagen, wir als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt aus dieser Region beteiligen uns daran.

Am Ende, meine Damen und Herren, stehe ich etwas ratlos da, weil dieser Staatsvertrag eben einer ist, der eigentlich der SPD nicht würdig ist, einer SPD, die zwei Landesregierungen führt, eine in Berlin und eine in Brandenburg und es zulässt, dass solch ein bürokratisches Machwerk ein Demokratierückschritt ist, wie wir ihn nicht wollen können. Es tut mir persönlich hochgradig Leid, weil hiermit ein Projekt, für das ich mehr als zehn Jahre gekämpft habe, jetzt in dieser Weise auf den Weg gebracht wird.

Ich bin sicher, wir werden uns über die tatsächliche Umsetzung dieser öffentlichrechtlichen Anstalt und ihrer Bedeutung und Stärkung noch heftig auseinander setzen müssen, weil es ein großes Problem sein wird, diese Anstalt überhaupt finanziell und von ihrer Geamtstruktur überlebensfähig sein zu lassen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Ströver! - Der Herr Regierende Bürgermeister hat jetzt Rederecht begehrt und erhält es, um unmittelbar für den Senat zu sprechen. - Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Redebeitrag von Frau Sröver habe ich es doch für notwendig erachtet, in dieser Debatte auch das Wort zu ergreifen.

Frau Ströver, es ist gut, dass Sie gesagt haben, dass Sie 10 Jahre dafür gekämpft haben, dass SFB und ORB zusammengeführt werden. Sie haben es am Anfang Ihrer Rede gesagt, und Sie haben es am Ende Ihrer Rede gesagt. Nur zwischendurch haben Sie alles dazu getan, Ihre Meinung darzulegen, dass es nicht richtig ist, dass wir es vollziehen. Das ist die Diskrepanz.

[Beifall bei der SPD und der PDS - Unruhe bei den Grünen]

Die von Ihnen angegebene Begründung, vor allem auch die Ereiferung, mit der Sie das hier dargestellt haben, widerspricht sich in allen Punkten.

[Mutlu (Grüne): Haben Sie überhaupt zugehört?]

Sie haben hier jahrelang gesagt, das Abgeordnetenhaus soll aus dem Rundfunkrat ganz heraus sein, und heute beschweren Sie sich darüber, dass Sie selbst nicht drinnen sind - weil Sie zu wenig Prozent der Stimmen bekommen haben. Das ist doch die Wahrheit.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Darüber kann man sich als Partei aufregen. Das verstehe ich, aber das wird nicht dazu führen, dass dann nach Belieben die Zahl der Sitze der Parlamentarier im Rundfunkrat erhöht wird. Das ist der Hintergrund, und dann tun Sie nicht so, als ob hier irgendjemand diskriminiert werden würde.

Die Fusion von SFB und ORB ist in der Tat eine Leistung, die seit langem hätte erbracht werden müssen. Ich bin zufrieden, dass es uns jetzt innerhalb eines Jahres gelungen ist, mit unterschiedlichen Konstellation in beiden Ländern, mit unterschiedlichem Beharrungsvermögen in den beiden Anstalten etwas zu schaffen,

[Zuruf von den Grünen: Aber schlecht!]

was es in der Bundesrepublik so schnell nicht gibt, nämlich dass man sich selbst überwindet, dass man verkrustete Strukturen überwindet. Deshalb ist es gut, dass eine gemeinsame Rundfunkanstalt gebildet wird.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Diese Gemeinsamkeit führt dazu, dass wir die Chance haben, in dieser gemeinsamen Medienregion Berlin-Brandenburg eine starke Rundfunkanstalt zu haben, die auch im Konzert der ARD mitspielt und im Konzert der Anbieter sowohl im Rundfunk als auch im Fernsehen konkurrenzfähig ist. Dieses kommt dem Publikum zu Gute. Das kommt den Fernsehzuschauern und auch den Hörerinnen und Hörern an den Radioapparaten zu Gute, denn wir wollen eine gute Programmstruktur haben. Dafür wollen wir ineffiziente Verwaltungsstrukturen abbauen und es durch die Zusammenfassung ermöglichen, mehr Geld in das Programm hineinzustecken.

[Beifall bei der SPD]

Es ist nicht die Aufgabe der Parlamente, Frau Ströver, in einem Staatsvertrag zu regeln, wo der Sitz des einzelnen Pförtners sein wird, ob das in Cottbus, in Potsdam, in Berlin oder in Neuruppin ist. Das ist die Aufgabe der gemeinsamen Rundfunkanstalt. Deshalb haben wir in allen Fragen versucht, das zu regeln, was notwendigerweise als Rahmen geregelt werden muss. Die gemeinsame Rundfunkanstalt und die da zuständigen Gremien haben den Auftrag, den Rest zu regeln. Da gehört es auch hin, und nicht zu uns ins Parlament oder in das Parlament von Brandenburg.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Unruhe bei den Grünen]