Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Danke schön! – Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Abgeordnete Herr Lindner. – Bitte sehr!

Ja, der Witz ist auch irgendwann mal wieder vorbei! – Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! – Den Hintergrund, vor dem wir diskutieren, brauche ich nicht zu vertiefen. Wir geben 7,2 Milliarden € jedes Jahr für das Personal im öffentlichen Dienst aus. Das sind etwa 90 % unserer Primäreinnahmen. Deswegen ist es besonders dringend erforderlich, dass wir vertieft darüber nachdenken, wie wir zu einem Abbau dieses gewaltigen Kostenblocks kommen. Wir begrüßen daher als FDP-Fraktion jede Maßnahme, die dem Ziel dient, systematisch im Land Berlin Personal abzubauen. Deshalb begrüßen wir auch die Einrichtung eines zentralen Stellenpools, um den Personalüberhang, den es in der Berliner Verwaltung gibt, zunächst aufzufangen und dann hoffentlich abzubauen.

Wir werden in den kommenden Jahren nicht unerhebliche Abgänge in Pension und Rente haben. Dies wird aber nicht unbedingt dort sein, wo auch die Aufgaben verloren gehen. Aufgabenkritik und altersbedingtes Ausscheiden passen nicht immer adäquat zusammen. In der Vergangenheit, weshalb man vielleicht keinen zentralen Stellenpool brauchte, wurden altersbedingte Abgänge immer durch Neueinstellungen kompensiert. Das geht künftig nicht mehr. Wenn, wovon ich ausgehe, der Senat die Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zu einem erfolgreichen Abschluss bringt, wird es gleichwohl nur wenige Neueinstellungen und auch die nur in bestimmten Berufsgruppen geben. Wir haben die Aufgabe, ein Konstrukt zu schaffen, das den Senat in die Lage versetzt, Mitarbeiter von dort, wo Aufgaben wegfallen, dorthin zu bringen, wo sie dringend gebraucht werden. Wir benötigen in allen Verwaltungen eine Personalbedarfsplanung. Das bedeutet auch, dass wir die Personalbedarfsdeckung aus eigenen Kräften erreichen müssen. Das wiederum bedeutet, dass wir unsere eigenen Überhangkräfte rechtzeitig für andere oder neue Aufgaben schulen. Darüber hinaus werden wir sinnvoller Weise diese Überhangkräfte entsprechend ihrer Qualifikation, ihrem Amt, ihrem Arbeitsvertrag für geeignete Übergangsaufgaben einsetzen. Es gibt eine Fülle von Aufgaben, die sich im Land Berlin angestaut haben. Sie können durch geeignete Kräfte in Gruppen, in „Feuerwehrtruppen“, abgebaut werden. Ich sage nur: Staus in den Einbürgerungsfällen, Staus bei den Unterhaltsvorschusskassen. Mir fällt eine ganze Reihe von Aufgaben ein, die vielleicht ein wenig besser zu den Mitarbeitern und ihren Qualifikationen und Ämtern passen als manches, was ich in der letzten Zeit in der Presse gelesen habe.

Aber natürlich wird es auch darum gehen, das Personal, das wir als Land Berlin in Folge von Aufgabenkritik und anderem nicht mehr brauchen, an andere Arbeitgeber, vorrangig im öffentlichen Dienst, zu vermitteln. Dafür sind sie qualifiziert. Dafür müssen wir geeignete Wege finden.

Eines sollten wir bei der gesamten Diskussion nicht vergessen:

[Dr. Lindner (FDP): Sie erzählen uns ja spannende Sachen!]

Vorrangiger Daseinszweck der öffentlichen Verwaltung Berlins ist immer noch die Befriedigung der Interessen der Einwohnerinnen und Einwohner. Ein weiteres sollten wir auch nicht vergessen, das sage ich besonders den Beschäftigtenvertretungen: Arbeitgeber ist das Land Berlin, nicht eine einzelne Dienststelle. Das muss klar in den Köpfen ankommen. Wir als SPD-Fraktion wollen selbstverständlich keine virtuelle Behörde, sondern eine effiziente Personalserviceagentur, um die Ziele, die wir mit dieser Behörde verbinden, auch erreichen zu können. Ich weiß, es gibt viele Einwände und Stellungnahmen allein schon gegen den Gedanken des zentralen Stellenpools und gegen diesen Gesetzentwurf. Dort, wo sie nicht allein interessenbedingt sind, wo sie sachlich untersetzt sind,

werden wir uns diese Bedenken gut anhören und, falls es notwendig sein sollte, mit Sicherheit auch aufgreifen.

[Dr. Lindner (FDP): Ach, Frau Flesch!]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Pewestorff (PDS): Das ist kalter Milchkaffee!]

Wir haben schon viele Dinge begrüßt, die im Grundsatz richtig und dienlich sind, aber leider dann in der Durchführung relativ schwach gehandhabt wurden. Ich erinnere daran, dass wir als einzige Oppositionsfraktion begrüßt hatten, dass das Land Berlin aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist. Ich halte Ihnen nicht das Urteil des Arbeitsgerichts vor, weil ich es in der Begründung etwas merkwürdig finde. Einem Land vorzuhalten, es habe keine hinreichende Begründung, wenn es sich in einer dermaßen desolaten Haushaltslage befindet und dieses im wesentlichen darauf zurück geführt werden kann, dass wir einen gewaltigen, viel zu großen Personalkörper im öffentlichen Dienst haben, das finde ich merkwürdig. Diese Ansicht kann ich nicht teilen.

Aber, Herr Körting, und meine Damen und Herren des Senats, selbst wenn es rechtlich zulässig wäre, was wir ja wollen, und da wünschen wir Ihnen auch viel Glück in der nächsten Instanz, es würde nicht viel helfen, weil Sie diese Chance durch den Austritt bisher nicht genutzt haben. Die Angebote, die Sie gerade zum Schluss gemacht haben, waren wieder von einem Grad des Entgegenkommens, das die möglichen Ziele verwischt. Ganz im Gegenteil, für ein relativ schmales Verhandlungsergebnis,

Es geht weiter: Grundsätzlich, so heißt es aus Wolfs Haus, bestehe im Senat Einvernehmen über den Bürokratieabbau. Aber weil die Wirtschaftsverwaltung mit ihren Vorschlägen auch in die Kompetenzen der Bauverwal

tung, – der Strieder war auch gerade im Urlaub – oder der Innenbehörde und des Sozialressorts eingreife, gebe es noch Abstimmungsbedarf. – Das wird dann wieder so lange abgestimmt, da wette ich mit Ihnen, bis keiner – –

Herr Dr. Lindner! Sie reden immer vehement für den Bürokratieabbau. Da macht sich die FDP-Fraktion und ihr Vorsitzender gerade an der Bürokratie zu schaffen und fordern weitere Verordnungen, unter anderem Oben-Ohne-Verbote in der Innenstadt. Wie steht es denn damit, wenn Sie hier noch solchen Unsinn fordern und nicht eine ernsthafte Sachpolitik machen?

das Sie anstreben, steht bereits wieder das unselige Wort des Ausschlusses betriebsbedingte Kündigungen im Raum. Sie möchten die Beschäftigungssicherungspakte, die zunächst bis zum Jahr 2004 laufen, schon wieder fortsetzen. Das kann wirklich nicht Zweck der Übung sein, dass Sie auf der einen Seite sinnvollerweise aus dem Arbeitgeberverband austreten, auf der anderen Seite die Geschichte dadurch wieder konterkarieren, dass Sie den Weg, den Berlin über Jahrzehnte gegangen ist, nämlich sich nicht zu trennen von seinem Überhang im Personalbereich, erneut gehen.

[Beifall bei der FDP]

Was letztlich völlig außen vor blieb, sind Verwaltungsreform und Deregulierung. Da haben wir bisher allenfalls Erbärmliches erlebt. Wir fangen mit Ihnen, Herr Senator Körting, an. Sie haben vor über einem Jahr in irgendeiner geheimen Klausur, unbeobachtet von der eigenen Verwaltung, damit Sie nicht gehindert werden, 68 Vorschriften aufgeschrieben. Wo sind denn die 68 Vorschriften, die Sie abbauen und abschaffen wollten, geblieben? Ich habe keine einzige – –

[Krüger (PDS): Abgeschafft!]

Nein, Herr Krüger, keine einzige! –

[Krüger (PDS): Wollen Sie sie wieder?]

von keiner einzigen dieser Vorschriften wurde jemals bekannt, dass sie tatsächlich abgeschafft worden ist. Ich glaube, der Katalog dieser 68 Vorschriften ist in irgendeinem Stahlschrank bei Ihnen zu Hause gelandet, damit Sie die SPD Basis nicht noch weiter durcheinander bringen. Aber auch andere Senatoren tun sich immer durch ganz wohl gemeinte Äußerungen und Vorstöße hervor. Zum Beispiel fühlte sich Herr Wolf bemüßigt – er ist im Augenblick leider nicht da – während der Osterpause, etwas provoziert durch den Fraktionsvorsitzenden Herrn Müller, der ihm vorgeworfen hat, dass er nichts tue für die Wirtschaft, der „Berliner Zeitung“ ein paar Vorschriften zu nennen, die aus seiner Sicht abgeschafft gehörten. Ich zitiere aus der „Morgenpost“ vom 24. April: – Einige Rechtsvorschriften will Wolf ersatzlos streichen,

[Doering (PDS): Sprechen Sie über den Stellenpool?]

so dass das Landesarbeitsschutzgesetz oder die Gebrauchtwarenverordnung

[Doering (PDS): Wir haben den Tages- ordnungspunkt Stellenpool!]

oder die Infektionsschutzverordnung wegfallen soll. Wegfallen soll auch die Wohnungsaufsicht und die Zweckentfremdungsverbotsordnung. – Donnerwetter, da waren wir im April 2002 schon so weit. Immerhin! Aber jetzt kommt wieder das Wasser in den Wein.

[Doering (PDS): Ach, so!]

Herr Abgeordneter! – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller? Er hat zwar nicht gedrückt, aber er hat sich gemeldet. – Gestatten Sie?

Ja, wenn ich den Satz noch zu Ende führen kann.

Selbstverständlich!

Ich wette was mit Ihnen! Nicht eine einzige dieser Vorschriften wird uns von den Koalitionsfraktionen zukünftig vorgelegt werden. Es wird wieder untereinander so lange abgestimmt, bis nichts mehr übrig bleibt. Herr Müller, bitte!

[Pewestorff (PDS): Das Wort erteilt eigentlich die Präsidentin!]

[Heiterkeit bei der SPD und der PDS]

Herr Müller, im Unterschied zu beispielsweise Handyverboten und ähnlichem lag dem Ganzen ein Interview zu Grunde. Die Äußerung war von mir auf Schmerbäuche in der Innenstadt bezogen,

[Krüger (PDS): Was denn nun?]

dass dies mit meinen ästhetischen Vorstellungen eines großstädtischen Getriebes nicht vereinbar sei.

[Over (PDS): Also alles bloß Phrasen! – Doering (PDS): Wie wollen Sie Verbote durchsetzen?]

Aber Sie werden von der FDP-Fraktion nicht ansatzweise ein Stück Papier bekommen, in dem wir – was in anderen Zeitungen geschrieben wurde – 150 € Strafe und anderen Käsekram gefordert hätten. Das ist eine geschmackliche Frage, und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. De gustibus non est disputandum.

[Doering (PDS): Jetzt zum Stellenpool!]

Lassen Sie mich zum Schluss noch zu Ihrem SPDLeitantrag kommen, Herr Müller.

Aber dann müssen Sie sich wirklich sehr beeilen, weil die fünf Minuten um sind.

Das ist nicht fair, ich beantworte so nett die Zwischenfragen.

Mit dem zentralen Stellenpool geht es meiner Meinung nach darum, den öffentlichen Dienst von Berlin mit seinen über 140 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als einen internen Arbeitsmarkt zu betrachten und zu organisieren. Auch wenn Stellen abgebaut werden, wenn Aufgaben wegfallen, heißt das noch lange nicht, dass es nicht genügend Arbeit im öffentlichen Dienst und nicht genügend Nachfrage in der Bevölkerung nach seinen Dienstleistungen gäbe. Die Kolleginnen und Kollegen, die nun dem Personalüberhang zugeordnet werden, sind nicht überflüssig, sondern es ist die Aufgabe des öffentlichen Arbeitgebers, ihnen freie Stellen innerhalb oder auch andere Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes zu vermitteln. Sie mögen in der klinischen Sprache der Verwaltung als „Überhangkräfte“ bezeichnet werden, ihre Kreativität und ihr Einsatz für das Land Berlin werden weiterhin gebraucht.

Neue Schwerpunkte im öffentlichen Dienst wie die gezielte Vermittlung von Sozialhilfeempfängern in Arbeit oder unbewältigte Aufgaben, wie die 35 000 unbearbeiteten Einbürgerungsanträge können nicht mehr durch neue Arbeitsplätze, sondern durch mehr Flexibilität des Personals bewältigt werden. Mit dem zentralen Stellenpool möchte das Land Berlin ein zentrales Instrument zur Lenkung dieses internen Arbeitsmarkts im öffentlichen Dienst schaffen. Wer den öffentlichen Dienst jedoch nur als locker verbundene Struktur ansonsten untereinander abgeschotteter Behörden und Ämter begreifen will, in der es neben der Arbeitsplatzgarantie auch noch die Gewähr dafür gibt, lebenslang für ein und dieselbe Aufgabe eingesetzt zu werden, der wird sich mit den neuen Ansprüchen auf Flexibilität nicht anfreunden können. Wer bislang – und ich spreche hier die Behördenleitungen und nicht die Mitarbeiter an – bei der Vergabe so genannter „kwVermerke“ getrickst hat, der wird dieses Gesetz für eine unangenehme Form der Transparenz halten. Das Überhangpersonal muss tatsächlich aus seinen Aufgaben herausgelöst werden, wenn es eine landesweite Personalplanung geben soll. Dazu hat die Kollegin Flesch hier schon instruktive Ausführungen gemacht. Ich will davon nichts wiederholen. Soweit zur Ausgangslage.

[Heiterkeit]

Ja, gleiches Recht für alle Abgeordneten. Darauf haben wir zu achten.

[Doering (PDS): Zum Stellenpool muss er noch etwas sagen!]

Bitte, wenn Sie es in zwei Sätzen schaffen.

Den SPD-Leitantrag wird ein ähnliches Schicksal ereilen. Ich habe es schon vor zwei Monaten gesagt, als der erste Entwurf das Licht der Welt erblickte, er ist schon einmal durch den Waschgang gelaufen. Und jetzt kommt er noch ein zweites und ein drittes Mal durch den Waschgang, es wird nichts übrig bleiben. Es werden vielleicht ein paar kleine Käsekramreförmchen übrigbleiben, aber von einem echten Abbau von sinnlosen und überzähligen Vorschriften, von einer echten Verwaltungsreform sind Sie meilenweit entfernt. Wenn Sie das nicht beherrschen, wenn Sie das nicht endlich einmal anfangen, wird im Ergebnis übrig bleiben, was der „Spiegel“ in seiner neuesten Ausgabe