Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Probleme der Stadt können nicht auf den Rücken unserer Schülerinnen und Schüler und ihrer Familien abgeladen werden!

Die PDS-Fraktion ist von Anfang an davon ausgegan

gen, die Lernmittelfreiheit nicht völlig aufzuheben. Wir haben daher folgenden Vorschlag unterbreitet, dessen Grundzüge ich mir hier vorzutragen erlaube:

Lernmittel sollten künftig aus einem Anteil des Lan

des/Bezirks und einem Anteil aus Elternbeteiligung finanziert werden. Die Höhe der Elternbeteiligung sollte für die gesamte Legislaturperiode festgelegt werden. Unser durchgerechneter Vorschlag lag – je nach Berechnungsansatz – zwischen 30 und 50 € pro Kind. Empfänger von

Allerdings – und das war immer unsere Bedingung:

Neustrukturierung ja, aber nicht auf dem Rücken der Schwachen! Unser Ziel war und ist eine sozial verträgliche Finanzierung der Schulbücher! D. h. diejenigen, die es sich leisten können, finanzieren ihre Schulbücher selber, und diejenigen, die aus einkommensschwachen Familien kommen, erhalten Zuschüsse – ganz oder teilweise!

Sozialhilfe, Wohngeld und Asylbewerberleistungen sollten – das ist im Gesetz so geblieben – ausgenommen werden; ein Geschwisterbonus war vorgesehen. Die Schulen sollten die Summe aus beiden Anteilen erhalten und eigenverantwortlich zum Erwerb der erforderlichen Lernmittel einsetzen. Die Lernmittel sollten – wie bisher – an alle Schüler/-innen ausgeliehen werden. Die Schulen sollten verpflichtet werden, systematisch die Qualität der Lernmittelausstattung zu erhöhen, um durchgängig Schulbücher zu haben, die nicht älter als vier Jahre sind. Überdies wollten wir den Schulen wirklich Eigenverantwortung in dieser Frage übertragen.Je nach Schulprofil und schulischen Gegebenheiten sollten sie ihre Lernmittelausstattung, und das sind eben nicht nur Schulbücher und auch nicht immer in ganzen Klassensätzen, aufbauen bzw. erweitern können.

Der PDS-Vorschlag fand leider keine Koalitionszu

stimmung, obgleich Landesgremien und Verbände nach anfänglicher Ablehnung ihre Zustimmung für ein solches Herangehen signalisierten. Der Koalitionsausschuss hat sich und damit für die Koalition einen Kompromiss entschieden, der die deutlich die Merkmale eines Kompromisses trägt, d. h. positive wie weniger positive Seiten enthält.

Zu den weniger positiven Seiten zählen wir: die Höhe

der Familienbelastung mit maximal 100 € pro Kind und fehlende Kinderstaffelung – Geschwisterbonus –, die Gefahr einer Standardabsenkung der Lernmittelausstattung im Laufe der Zeit, weil die neuen Bücher in die Familien gehen. Das ist gut für die Familien, aber schlecht für die Schulen: Sie zehren ihre Bestände auf und haben wegen der deutlich niedrigeren Mittelzuweisung aus dem Landes-/Bezirkshaushalt keine finanziellen Bewegungsmöglichkeiten. Das betrifft insbesondere die Ausstattung mit solchen Lernmitteln, die nicht im Klassensatz benötigt werden oder keine Schulbücher sind (z. B. Montessori-Schulen). Eine für Schulen und Familien günstigere Lösung haben wir als Koalition verpasst; zudem haben wir zu befürchten, dass wir uns für den kommenden Haushalt dem Problem erneut stellen müssen.

Positiv können wir bewerten: Bezieher von Sozialhil

fe, Wohngeld und Asylbewerberleistungen bleiben von Zuzahlungen befreit, für den Elternbeitrag wird eine Höchstgrenze festgeschrieben, die beim Erwerb von gebrauchten Büchern deutlich unterschritten werden kann, und: Bücher, die über den Elternbeitrag hinaus benötigt werden, leiht die Schule aus. Das heißt: Es gibt keinen Komplettausstieg aus der Lernmittelfinanzierung. Setzen wir – wieder einmal – darauf, dass die Schulen die Umsetzung pädagogisch und organisatorisch klug hinbekommen werden.

Noch ’n Gesetz!

Es geht um die Beschränkung der Lernmittelfreiheit!

Grundsätzlich könnten wir diesem Gesetz zustimmen,

ginge es z. B. darum, über Strukturen neu nachzudenken und vielleicht alte, nicht mehr finanzierbare Zöpfe abzuschneiden.

Diese Zuschüsse erhalten die jeweiligen Familien, um

die Schulbücher erwerben zu können! Und das heißt ganz klar: alle Kinder werden Eigentümer von Schulbüchern – ein für die Liberalen ganz entscheidendes Moment!

Meine Herren, meine Damen von Rot-Rot: Und was

machen Sie? – Sie lassen die besser Gestellten die Bücher bis 100 € selber kaufen. Kinder, deren Eltern Mittel zum Lebensunterhalt beziehen, bleiben weiterhin an das staatliche Leihsystem gebunden! Diese Kinder, die ja häufig aus bildungsfernen Schichten stammen, sollen so ein positives Verhältnis zu Büchern aufbauen? Auf diese Weise soll lebenslange Neugierde auf Lesen und Lernen geweckt werden?

Ich bitte Sie und ich frage Sie: Ist das gerecht? – Mit

diesem Gesetz machen Sie Unterschiede sichtbar! Auf der einen Seite besitzen Kinder und Jugendliche neuwertige Bücher. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, deren Bücher nach 2 bis 3 Jahren zerfleddert auseinander fallen! Das ist eine Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsschichten! Und das muss ich Ihnen sagen, die Sie den Begriff soziale Gerechtigkeit immer wieder gerne gebrauchen – inflationär gebrauchen!

Was bringt uns dieses Gesetz denn nun wirklich außer

den angeblichen Einsparungen?

Die Vorlage setzt auf Eigentum bei denjenigen, die

ohnehin bereits besitzen! Alle anderen gucken in die Röhre! Selbst die Fibel, die stolz und gern von den IDötzchen nach Hause getragen wird, muss zukünftig wohl in der Schule bleiben! Die Möglichkeiten der Neuanschaffung sind begrenzt, 4 Jahre bleiben die Bücher im Ausleihsystem! Und was ist, wenn die vorgegebene Einsparsumme nicht reicht? Sind es dann 6 Jahre? Bleibt es dann bei Atlanten aus der Vorwendezeit?

Der bürokratische Aufwand für die einzelne Schule

bleibt – das Gesetz bringt keine Entlastung, das Gesetz

Die Praxis der Lernmittelfreiheit ist in den 16 Bundes

ländern nach Art, Umfang und Verfahren unterschiedlich geregelt. Laut Schulgesetz herrscht an Berlins allgemeinbildenden Schulen Lernmittelfreiheit, die Schülerinnen und Schüler erhalten die Lernmittel als Ausleihe zur Verfügung gestellt.

Die Senatsverwaltung für Finanzen überweist den

Bezirken pro Jahr und Schüler/-in einen äußerst knapp bemessenen Betrag, der sich aus einer Zuweisung für Lernmittel und für Lehrmittel zusammensetzt. Während die Lernmittel aber einer Zweckbindung unterliegen und von den Bezirken im vollen Umfang an die Schulen weitergereicht werden müssen, werden die Lehrmittel häufig mit erheblichen Kürzungen an die Schulen überwiesen. Die unzureichende Ausstattung im Bereich der Lehrmittel kompensieren viele Schulen wiederum durch einen Griff in den ohnehin schlecht ausgestatteten Lernmitteltopf. Das Ergebnis ist ein veralteter Schulbuchbestand – Atlanten mit Karten der ehemaligen DDR sind keine Seltenheit!

und unterscheidet lediglich zwischen Beziehern öffentlicher Mittel und anderer! Was ist denn eigentlich mit der allein erziehenden Krankenschwester, was ist mit den kinderreichen Familien? Auch die gucken in die Röhre! Ist das sozial gerecht?

Wir lehnen dieses Gesetz ab. Wir halten an unserem

Modell fest! Eigentum an den Schulbüchern, sozial gestaffelt, ein Gutscheinsystem wie in Rheinland-Pfalz auch hier in Berlin! Wir sind dagegen, die Bildungslandschaft in Abhängigkeit von Einkommensverhältnissen zu definieren! Deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab und bleiben bei unserem Vorschlag, der Ihnen allen vorliegt.

Der rot-rote Senat hat seine wochenlange Entschei

dungsunfähigkeit in der Frage der Lernmittelfreiheit auf Kosten der Eltern beendet. Die SPD hat gekocht, die PDS darf jetzt kellnern und die frohe Botschaft den Eltern und Schülerinnen und Schülern beibringen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich hier stehe und zur

Bildungspolitik der rot-roten Regierung spreche. Es ist nicht das erste Mal, dass ich hier stehe und vergeblich nach positiven Worten zur Bildungspolitik des rot-roten Senats suche.

Leider ist unter Rot-Rot „Bildung hat Priorität“ oder

„Priorität bei Bildung“ längst zur Floskel verkommen. Leider haben Sie, meine Damen und Herren von SPD und PDS, Ihren vollmundigen Versprechungen in ihrer Koalitionsvereinbarung nur Taten mit umgekehrtem Vorzeichen folgen lassen.

Bei Ihnen hat Bildung keine Priorität, das wissen

inzwischen sogar die Kinder in den Vorklassen. Sie haben den Rückenwind von PISA nicht genutzt.

Sie haben durch Anpassung der Kitagruppengröße an

den Hortschlüssel und durch Reduzierung bei Leitungsstellen der Kitas Qualitätsentwicklung in Kitas unmöglich gemacht.

Sie haben die Lehrerarbeitszeit ein weiteres Mal er

höht.

Sie haben die Mittel für die Schulen in freier Träger

schaft gekürzt.