Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Ich wiederhole, was ich zuvor schon in der Begründung gesagt habe: Wir wissen, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, Ausbildungsplätze zu schaffen. Es ist Aufgabe der Wirtschaft und dieser Aufgabe kommt sie in Berlin nicht befriedigend nach. Im März diesen Jahres waren 12 267 Schulabgänger gemeldet, die keine Lehrstelle hatten. Im vergangenen Jahr haben die Berliner Betriebe 2 800 Lehrstellen weniger angeboten als im Vorjahr. Es gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass das in diesem Jahr durchgreifend anders sein wird. Die Entwicklung der letzten Jahre ist unterschiedlich. Im Jahr 2001 gab es einen Rückgang um mehr als 4 %, im Jahr 2002 von fast 2 %, und in diesem Jahr erwarten wir einen Rückgang, wenn wir den bisherigen Statistiken glauben können, von fast 7 %. Das ist nicht befriedigend.

rung der betrieblichen Ausbildung sein. Welche Schritte wir dazu angehen wollen, habe ich bereits ausgeführt.

Meine Damen und Herren! Aus meinen Ausführungen ist deutlich geworden, dass der Senat weiterhin hohe Priorität auf die Schaffung von Ausbildungsplätzen legt, sowie auf die Umsetzung des Ziels der Koalitionsvereinbarung, dass jeder und jede Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz wollen, ein entsprechendes Angebot bekommt. Das wird nur in einer gemeinsamen Anstrengung der Sozialpartner möglich sein. Diese Anstrengung werden wir gemeinsam mit den Sozialpartnern unternehmen. Wir werden seitens des Landes Berlin die notwendigen finanziellen Anstrengungen unternehmen, um die Ausbildungsplatzlücke zu schließen. Ich hoffe, dass wir es gemeinsam schaffen werden, über die Verbundausbildung, über die Ausweitung von betrieblichen Ausbildungsplätzen, über die Schaffung und Erschließung neuer Ressourcen, unter anderem im Bereich der ethnischen Ökonomie, einen Schritt in einem insgesamt schwierigen Umfeld voranzukommen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Senator Wolf! – Für die Besprechung der Großen Anfrage steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU. Es spricht Herr Kurth. – Bitte schön, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Senator! Die Beantwortung der Großen Anfrage wird all diejenigen, die sich im Ausschuss in den letzten Monaten mit den Fragestellungen befasst haben, ein wenig ratlos lassen. Sie wirkten zwar – wie üblich – im Detail ganz gut informiert, irgendeine Linie war jedoch schwer zu erkennen, Schwerpunkte auch nicht so recht. Ich glaube auch, dass Sie über die tatsächlichen Probleme etwas hinweggegangen sind.

Ich beginne dort, wo Sie aufgehört haben – bei Ihrer Koalitionsvereinbarung. Dort haben Sie in der Tat gesagt:

Der Senat wird im Bündnis mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften unter Ausschöpfung aller finanziellen und organisatorischen Unterstützungsmöglichkeiten dafür Sorge tragen, dass allen Jugendlichen, die wollen und können, ein Ausbildungsplatz angeboten wird.

Das ist keine Bemühenszusage, sondern klingt nach etwas mehr. Man könnte es als Versprechen ansehen. Die Frage lautet dann natürlich: Wie sieht die Realität aus. – Auf den Hinweis der Kollegin Grosse im Ausschuss, es stünde das Jahr nicht dabei, in dem diese Zusage erfüllt sein soll, gehe ich besser nicht ein.

[Beifall bei der CDU]

Nicht befriedigend ist auch, dass es keine Unterlagen darüber gibt, in welchen Branchen, in welchen Bereichen die Lage überdurchschnittlich problematisch ist und für welche Bereiche deshalb besondere Aktivitäten entwickelt werden müssen. Ich nehme an dieser Stelle Bezug auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Mutlu und Pop vom Beginn dieses Jahres, die so klein nicht war. Unter anderem wurde in ihr danach gefragt: „In welchen Bereichen, in welchen Berufsfeldern ist das Defizit an Ausbildungsplätzen besonders hoch?“ In der Beantwortung führen Sie aus:

Der Ausbildungsmarkt in Berlin ist insgesamt schlecht. Es gibt keinen Berufsbereich mehr, in dem es mehr Ausbildungsstellen als Bewerber und Bewerberinnen gibt. Bestimmte Bereiche können nicht besonders hervorgehoben werden.

Das ist auch mein Eindruck, dass Sie das nicht wissen. Ihre Verwaltung weiß nicht, in welchen Bereichen ein besonderer Problemdruck besteht und in welchen Bereichen Aktivitäten entfaltet werden könnten. Wie ist z. B die Situation im Berliner Handwerk? Was ist der Grund für den dortigen überdurchschnittlichen Rückgang an

gelangen.

na, ja, ich komme darauf noch – gewerbliche Ausbildungsplätze abgebaut worden. Das mag den einen oder anderen noch nicht so überraschen. Das Problem ist, dass inzwischen die Ausbildungsplatzrelation in der Bauindustrie seit zwei Jahren erstmals unter der Ausbildungsplatzrelation der Gesamtwirtschaft liegt. Statt 5,9 % sind es 5,2 %. Daraus kann man wenigstens die Folgerung ziehen, verehrte Frau Kollegin, dass eine Umlagefinanzierung zu einer Verbesserung der Ausbildungssituation jedenfalls überhaupt nichts beiträgt. Es gibt keinen Zusammenhang seit dieser Umlagenfinanzierung mit der tatsächlichen Entwicklung der Ausbildungsverhältnisse in diesem Bereich. Deshalb können wir nur davor warnen, die Kostenbelastung gerade für die kleinen und mittel

ständischen Unternehmen weiter anzuziehen. Es kommt darauf an, eher für eine Kostenentlastung zu sorgen, damit die Unternehmen in die Lage versetzt werden, wieder Ausbildungsplätze anzubieten.

Ich komme zu dem Bereich, in dem der Senat mittelbar und unmittelbar Verantwortung trägt. Da, Herr Senator Wolf, hat mich Ihre Antwort nicht befriedigt: Na ja, nehmen wir die privatrechtlichen Unternehmen bzw. nehmen wir die Anstalten und stellen fest, das ist, bezogen auf den Bereich der Anstalten, so problematisch nicht. – Ich verweise darauf, dass in den letzten drei Jahren die Zahl der Ausbildungsverhältnisse in den Anstalten des öffentlichen Rechts um mehr als 10 % zurückgegangen ist. Bezogen auf die Berliner betriebliche Wirtschaft ist das eine deutlich überdurchschnittliche Entwicklung.

Ich verstehe nicht, woher Sie das Recht nehmen, in Sonderaktionen und Gipfeln die Unternehmen der privaten Wirtschaft zu verstärkten Anstrengungen aufzurufen, wenn Sie selbst dort, wo Sie Verantwortung tragen, in weit überdurchschnittlichem Bereich abbauen.

Das betrifft den Bereich der privatrechtlichen Unternehmen noch viel mehr. Wir wissen, dass es seit dem Jahr 2000 in Berlin Privatisierungen nicht mehr gegeben hat. Insofern sind keine Unternehmen weggefallen, aber die Zahl der Ausbildungsplätze ist um 25 % reduziert worden. 25 % innerhalb von drei Jahren, von 2 307 auf 1 707. Das macht endgültig deutlich, dass der Senat, dass das Land Berlin seiner Verantwortung in diesem Bereich wirklich nicht nachkommt.

Ausbildungsplätzen? Welche Aktivitäten sind unternommen worden, um dem entgegenzuwirken? Wie sieht die Situation in der Bauindustrie aus? Den öffentlichen Sektor haben wir angesprochen. Wenn Sie sich diese drei Bereiche ansehen, Handwerk, Bauindustrie, öffentlicher Sektor, haben Sie die Bereiche, in denen die Ausbildungstätigkeit Berlins in den letzten Jahren eher überdurchschnittlich war. Wenn wir dort zu massiven Absenkungen kommen, heißt das, dass sich der Problemdruck verstärkt. Wie reagieren Sie darauf? Ich habe in Ihrer Antwort eine Einschätzung, eine Kenntnis des Problems vermisst, und ich befürchte, dass Sie außer dem Zusammentragen sehr vieler Zahlen und vermeintlicher Detailinformationen auch nicht in der Lage sind, an den eigentlichen Problemen anzusetzen und zu einer Verbesserung zu

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wie reagiert darauf die Politik? – Die SPD, wie nicht anders zu erwarten, mit dem alten Vorschlag: Dann machen wir doch eine Ausbildungsplatzabgabe. So zuletzt der Kanzler vor dem Bundestag am 14. März: „Dann muss eben eine Ausbildungsplatzabgabe her.“ Die Jusos sagten früher: „Wer nicht ausbildet, wird umgelegt.“ Oder irgend so etwas Ähnliches. Das sind immer die Sprüche, die es so gibt.

[Over (PDS): Ausbildungsplatzumlage, Herr Kurth!]

Ich habe genau darüber gesprochen, Herr Kollege! Ich will in der knappen Zeit jetzt keine grundsätzliche Diskussion darüber führen, wie die Einwände dagegen von der grundsätzlichen Seite aus sind. Mein Appell wäre,

[Over (PDS): Der Kollege Liebich hat uns das erläutert!]

mein Appell wäre, Herr Over, und vielleicht geben Sie das an Herrn Liebich weiter – dass Sie sich die Bereiche ansehen, in denen es eine Ausbildungsplatzumlagefinanzierung gibt. Das ist die Bauindustrie. Das wissen Sie bestimmt. Seit dem Jahr 1987 haben wir dort tarifvertraglich begründet diese Umlagenfinanzierung der Ausbildungsplätze. Wie sieht die Entwicklung aus? Allein in den letzten sechs Jahren sind in der Bauindustrie 42 000

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Aber doch nicht wegen der Umlage, Herr Kurth, das wissen Sie doch besser!]

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Das festzustellen, ist eines. Es ist wirklich eine unbefriedigende Situation. Fast ärgerlich wird dann, wenn man – ich zitiere jetzt wieder, ich hoffe, dass das zulässig ist – sich sinngemäß die Antwort auf die Anfrage der Grünen ansieht, wo Sie wieder sagen: Okay, da sollte eine aufwändige Untersuchung gemacht werden. – Aufwändige Untersuchung! Ich habe fünf Fachverwaltungen gefragt, wie viele Ausbildungsplätze es gibt. Dass Sie nicht in der Lage sind, das zu beantworten, dass Sie dann wieder mit so einem Satz kommen: Im Übrigen sind wir allein dem Berliner Betriebegesetz und dem Aktiengesetz und dem GmbH-Gesetz verpflichtet, und mehr gibt es nicht. – Das ist auch endgültig das politische Armutszeugnis, das wir hier haben.

Wir haben den Vorschlag gemacht, über Zielvereinbarungen entsprechend entgegenzuwirken. Da sagen Sie, diese Zielvereinbarungen sind Ihnen nicht bekannt. Wie anders führen Sie eigentlich Unternehmen, wie anders bringen Sie über die Aufsichtsräte das, was Sie inhaltlich wollen, den Unternehmen nahe? Ich glaube, dass wir in einer durchaus realistischen Einschätzung der Situation nicht gesagt haben, in keinem einzigen Unternehmen darf ein Ausbildungsplatz abgebaut werden. Wir sagen auch nicht, das Gesamtangebot muss so bleiben, aber wir sa

2. Gerade in Berlin und den neuen Bundesländern werden jedoch schon seit Jahren weniger betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt, als Bewerber

vorhanden sind. Zum Teil ist das sicherlich ökonomischen Schwierigkeiten der Betriebe in Zeiten des Strukturwandels und schwacher Konjunktur geschuldet, zum Teil aber auch einer um sich greifenden Trittbrettfahrermentalität, insbesondere bei den großen Unternehmen. Frei nach dem Motto: Für die von uns künftig benötigten Fachkräfte werden schon andere sorgen, im Zweifelsfall der Staat.

3. Der Staat, d. h. unsere Gesellschaft, kann es sich nicht leisten, den Jugendlichen keine Perspektive zu bieten. Das hätte in jeder Hinsicht individuell und gesellschaftspolitisch verheerende Folgen. An der Frage jedoch, wie der Staat, wie die Politik dafür sorgen kann, dass jeder und jede Jugendliche einen Ausbildungsplatz in Berlin erhalten, scheiden sich in diesem Haus die Geister. Im Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen hat Herr Kurth – hier hat er es im Prinzip wiederholt – auf die Ausbildungsplatzsituation im öffentlichen Dienst verwiesen und gefordert, das Land Berlin möge über den Bedarf hinaus ausbilden. Von der Humoreske einmal abgesehen, dass derselbe Herr Kurth vor noch nicht einmal ganz zwei Jahren selbst Finanzsenator war und derartige Ansinnen mit Sicherheit von sich gewiesen hätte, ist der Vorschlag als solcher nicht ernst zu nehmen. Wieso soll der Staat verstärkt in seinen Verwaltungen ausbilden,

gen, machen Sie doch bitte im Rahmen von Zielvereinbarungen den Geschäftsführungen klar, dass es ein gemeinsames Interesse der Politik und der Verwaltung gibt. Vereinbaren Sie konkrete Ziele, mit denen Sie Ihre Unternehmen führen wollen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und den Grünen]

Wenn Sie liebenswürdigerweise zum Schluss kommen wollen, Herr Kurth!

[Vereinzelter Beifall]

Ja, das ist schwierig, weil zu den meisten Punkten –

Das glaube ich!

jetzt keine Zeit mehr war. Aber die Antwort des Senats hat ohnehin deutlich gemacht, dass wir uns mit den einzelnen Fragestellungen im Rahmen des Ausschusses für Wirtschaft, Betriebe und Technologie noch verstärkt widmen müssen. Die Antwort zur Situation der Berufsschulen und zu anderen etlichen Punkten mehr war unbefriedigend. Wir sind an dem Punkt, an dem wir mit Sorge feststellen, dass Sie hinter den Versprechungen Ihrer Koalitionsvereinbarungen weit zurück bleiben. Wir sind an dem Punkt, an dem wir im Interesse der Berliner Jugendlichen auf deutlich mehr Aktivitäten bestehen werden und müssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Kurth! – Nunmehr hat für die Fraktion der SPD der Kollege Jahnke das Wort. – Bitte schön, Herr Jahnke! Sie sind dran!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage zum Thema Ausbildung in Berlin spricht die CDU zweifelsohne ein zentrales politisches Thema in unserer Stadt an, dass auch die Regierungskoalition umtreibt. Zu dem polemischen Zusatz der CDU – Priorität statt leerer Versprechen – komme ich noch im Lauf meiner Ausführungen.

Lassen Sie mich zunächst drei Thesen voranstellen, die möglicherweise sogar über alle Fraktionen hinweg unstrittig sind.

1. Das duale System der Berufsausbildung – die berufspraktische Ausbildung im Unternehmen und parallel dazu die staatliche Berufsschule – hat sich in Deutschland seit Jahrzehnten bewährt. Es ist auch die logische Konsequenz unseres Wirtschaftssystems, dass berufliche Fertigkeiten, insbesondere in Zeiten raschen technologischen Wandels, nur dort erlernt werden können, wo sie in der Praxis auch vorkommen, in Privatunternehmen.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Wieso „verstärkt“?]

wenn bereits feststeht, dass das Land Berlin die zusätzlich ausgebildeten Kräfte nicht beschäftigen wird, weil Verwaltung abgebaut werden soll? Wir sind uns doch über alle Fraktionen hinweg einig, dass der Staat schlanker werden und auf Dauer bleiben soll. Wieso sollen wir dann am Bedarf vorbei ausbilden?