Ich eröffne die I. Lesungen hinsichtlich der Drucksachen 15/1740 bis 15/1742. Für die gemeinsame Beratung aller Anträge steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu 5 Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der FDP. Der Kollege Ritzmann hat das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde mich freuen, und vielleicht auch der Rest des Hauses, wenn der Senat, bis auf Herrn Körting, an dieser Debatte teilnehmen könnte, weil es sich um ein wesentliches Politikfeld unserer Tage handelt, nämlich um Staatsaufgabenkritik, Verwaltungsreform, Deregulierung. – Hallo, Frau Knake-Werner, schön, dass Sie da sind! – Wenn weitere Mitglieder des Senats dazukommen würden, würde ich mich freuen.
Wunderbar! Aber ich glaube, er wollte gerade gehen, wenn Sie ihn nicht angesprochen hätten. Jetzt ringt er mit sich. – Bleiben Sie hier, es lohnt sich, Herr Sarrazin!
Ein kleiner Baustein im großen Gesamtkonzert ist die Verordnung zur Gewährleistung von Mindesteinkommen für Hebammen. Das klingt wie aus einer anderen Zeit, und das ist es auch. In den 70er Jahren gab es nicht genug Hebammen, und diese wurden sehr schlecht bezahlt. Daraufhin gab es eine Verordnung, die sicherstellen sollte, dass Anreize für Frauen – damals in erster Linie Frauen – geschaffen wurden, diesen Beruf zu ergreifen. Diese Verordnung besteht immer noch, aber das Problem ist nicht mehr existent. Wir schlagen vor, sie zu streichen. Die Kollegen von der CDU tun das Gleiche. Stimmen Sie dem doch einfach zu, das kann nicht so schwer sein.
Der zweite Punkt ist etwas komplexer. Auch hier geht es um unnötige Regulierungswut, nämlich um die so genannte Baumschutzverordnung. Der Schutz von Bäumen in Berlin ist sehr wichtig. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität in dieser Stadt, dass sie Grünflächen, große und kleine Bäume in allen Auswüchsen hat. Diese Regelung geht davon aus, dass Berlin in erster Linie von Baumhassern bewohnt wird, die, wenn es keine Verordnung gäbe, sofort zur Säge griffen und ihren Garten vielleicht zu einem Stellplatz umbauten.
Die Koalition hatte im Vorfeld dieses Tages zur FDP gesagt: Mensch, müssen wir denn schon wieder darüber reden? Macht ihr schon wieder Vorschläge zur Deregulierung, zur Staatsaufgabenkritik, zum Abbau von Gängelung, von Vorschriften, die die Bürger in ihrer Freiheit behindern? Haben wir das nicht schon öfter gehabt? – Und das stimmt. Das haben wir schon öfter gehabt, und die FDP wird das auch weiterhin tun: Initiativen einbringen für Eigeninitiative, für Entscheidungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger. Da kommen Sie nicht drum herum. Wo Sie Recht haben als Koalition ist, dass darüber schon viel geredet wurde. Geredet wurde ohne Ende. Ich möchte mal mit dem Überbegriff davon anfangen, dem so genannten Mentalitätswechsel. Der bringt u. a. zum Ausdruck, man müsste doch mal im Land Berlin privatisieren, man könnte doch mal die Verwaltung modernisieren, und man sollte doch mal die Gesetze und Verordnungen streichen.
Das ist ungefähr das, was in bisher 17 Monaten dieser Koalitionsarbeit, dieses Senats, zustande gekommen ist: Ankündigungspolitik. Aber Einzelne muss ich da ausnehmen: Der Innensenator hat 68 konkrete Streichungsvorschläge verfasst, hat sie seiner Koalition zukommen lassen und gehofft, dass sie hier eingebracht werden. Der Wirtschaftssenator hat ein Papier geschrieben, das wohl noch nicht durch den Senat gekommen ist, wo er sich aber auch Gedanken gemacht hat, wie man denn die Regulierung etwas abbauen könnte.
Was ist mit diesen Vorschlägen passiert? Nichts bisher. Was von diesen Vorschlägen wurde eingebracht? Nichts. Und was davon wurde umgesetzt? Natürlich auch nichts. Im Gegenzug dazu werden alle Anträge der FDPFraktion, die wir zum Thema Staatsaufgabenkritik stellen, abgelehnt – alle. Deswegen ist das natürlich kein Mentalitätswechsel, der hier propagiert wurde, sondern es ist die Fortsetzung des Betondenkens der großen Koalition.
Aber ich möchte eines nicht verschweigen. Die Koalition ist uns in einem Punkt der Liberalisierung gefolgt, der uns zwar wichtig ist, den wir aber nicht ganz vorn anstellen: die Verlängerung der Schankzeiten von Biergärten bis 24 Uhr.
Also, es geht. Sie haben da den Mut zusammengenommen. Es hat wohl nicht besonders wehgetan. Versuchen Sie es doch bitte bei anderen auch, denn ansonsten wäre das das alleinige Ergebnis Ihrer bisherigen Reformtätigkeit als rot-rote Regierung, die Staatsaufgabenkritik, Privatisierung, Deregulierung, Abbau von Gesetzen doch immer vor sich her trägt.
In unserer Antragsserie „Mehr Berlin, weniger Staat“ haben wir mittlerweile 36 Initiativen eingebracht, die sich mit dem Wettbewerb bei der Berliner Stadtreinigung beschäftigen, mit einer Aufgabenentlastung für die Berliner Polizei, mit mehr Eigenverantwortung für die Berliner
Schulen, mit dem Streichen von überflüssigen Gesetzesvorschriften und Verordnungen. Und ich möchte aus dem heutigen Paket der 10 Anträge, die wir eingebracht haben, zwei herausgreifen.
Aus unserer, aus liberaler Sicht ist das nicht der Fall, und wir gehen davon aus, dass Bürger mit gesundem Menschenverstand selbst in der Lage sind, ihren Garten zu ordnen und festzulegen, wo welche Bäume zu stehen haben. Deswegen glauben wir, ist das eine überflüssige Vorschrift. Der Baumbestand wird in seinem großen Teil durch andere Verordnungen geschützt. Hier geht es darum, den Bürger in seinem Privatbesitz zu regulieren und zu strangulieren. Deswegen wollen wir diese Verordnung abschaffen.
Hinzu kommt, dass das eine kommunale Aufgabe ist. Jede Kommune in Bayern etwa handhabt das anders. Es ist nicht so, dass es dort keine Bäume im Privatbesitz gäbe. Es ist ein sehr grünes Bundesland, nicht was die Parteien, sondern was die Bäume angeht, und das ist auch richtig so.
Unsere Vorschläge reihen sich in eine lange Reihe von Initiativen zu Reformen ein, um das Land voranzubringen. Wir haben auf der anderen Seite beim Senat eine Ankündigungspolitik, die meistens, wie ich aufgezeigt habe, in Tatenlosigkeit mündet. Persönlich habe ich ein gewisses Unverständnis gegenüber der destruktiven Herangehensweise der Koalition, die alles ablehnt, ohne eigene Alternativen einzubringen. Ich verstehe das nicht. Woran mangelt es der Koalition und dem Senat? Mangelt es an gutem Willen oder an der Reformfähigkeit? Der Eindruck, dass hier ideenlos herumgewerkelt wird, dass
Schwieriger sind einige Ihrer anderen Anträge. Zum Beispiel wollen Sie § 10 Abs. 3 des Berliner Straßengesetzes ändern. Das würde allerdings bedeuten, dass jeder Anwohner vor seinem Haus, so wie Sie es formuliert haben, einen Blumen- oder einen Würstchenstand ungeregelt aufmachen kann – sicherlich eine Entwicklungschance für Ich-AGs, aber ob das städtebaulich besonders sinnvoll ist, darüber muss man reden.
Viel interessanter ist die Änderung des § 11 Abs. 2 des Berliner Straßengesetzes – Sondernutzungen. Da wollen Sie einen Großteil der Formulierungen belassen, streichen aber gerade die Formulierung, die Sondernutzungen dann nicht erlaubt, wenn sie den Gemeingebrauch nicht unerheblich einschränken. Das hätte zur Folge, dass dann, wenn städtebaulich nichts mehr zu beanstanden ist und Straßenbaumaßnahmen oder Versorgungsanlagen nicht betroffen sind, jeder im Straßenland machen könnte, was er wollte. Ein schönes Beispiel möchte ich Ihnen sagen, was dann möglich wäre. Die Freunde von Herrn Möllemann könnten eine Sondernutzung dergestalt machen, dass sie eine Mahnwache in der Reinhardtstraße durchführen, sechs Meter lang, zwei Meter breit, und das an jedem Tag. Das wäre nach der Regelung, wie Sie sie aufgeschrieben haben, durchaus möglich. Ob das die FDP erfreut, weiß ich nicht. Als Liberale würden Sie es sicherlich akzeptieren. Der Blindenverband hätte sicherlich etwas dagegen.
Zukunftsfähigkeit nicht begriffen wird, dass kein Konzept vorliegt – von Visionen will ich gar nicht sprechen –, ist immanent. Diese Regierung strahlt Resignation aus. Dabei braucht Berlin eine mutige und zukunftsorientierte Politik.
Das war der letzte Satz. Jetzt muss ich ihn wiederholen, Herr Präsident! – Dazu ist dieser Senat offensichtlich nicht in der Lage.
Danke schön, Herr Kollege Ritzmann! – Es folgt die SPD. Herr Kollege Schimmler hat das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann verstehen, dass Kollege Sarrazin hinausgegangen ist. Es hat sich nämlich nicht gelohnt.
Man muss neidlos anerkennen, welche Mühe sich die FDP-Fraktion gibt, bereits im Abbau befindliche Mauern noch kräftig einzureißen. Die Hebammenverordnung ist dafür ein schönes Beispiel. Sie wird im Prinzip längst nicht mehr angewandt; wir müssen sie irgendwann mal aufheben.
Sie wird nicht mehr benutzt und fließt nicht mehr in irgendeine Dienstkräfteanmeldung ein. Es ist aber immer schön, wenn man die 68 Punkte des Innensenators aufnimmt, sie noch mal aufwärmt, das gibt immer gute Presse. Die Presse schreibt gern gegen die Bürokratie. Sie hätten aber auch erwähnen müssen, dass ein Teil der Punkte, die Herr Körting aufgeschrieben hat, zum Beispiel bei der Novellierung des Schulgesetzes Einfluss gefunden haben. Wenn Sie glauben, dass sich in der Koalition nichts tut, dann irren Sie. Nicht nur dass die Arbeitskreise fleißig etwas tun
Und dann werden Sie sich wundern, lieber Herr Kollege von der FDP, denn die Staatssekretäre sitzen im Augenblick fleißig dabei, dann werden Sie sehen, was aus den Vorschlägen von Herrn Körting in dem Gesetzentwurf, der eigentlich diese Woche noch fertig werden sollte, herauskommt. Da werden Sie schon staunen. Wir müssen uns das nämlich genau ansehen, was Sie zum Teil machen.
Über die Abschaffung des Stadtreinigungsgesetzes kann man nachdenken. Die Koalition berät zur Zeit einen Entwurf, wo wir noch einen Schritt weiter gehen, nämlich die Wegnahme der Schrottautos gleich zu privatisieren
Dass Sicherheitsüberprüfungen nicht doppelt gemacht werden sollen, ist richtig. Allerdings muss man dann auch sicherstellen, dass die überprüfenden Dienste ihre Informationen austauschen. Dann dürfen Sie allerdings nicht aufschreien und „Datenschutz“ rufen!
Wenn Sie an das Wohnungsaufsichtsgesetz herangehen, kann man in vielen Bereichen übereinstimmen, da kann man einiges tun. Allerdings muss man auch berücksichtigen, was wir noch vor kurzer Zeit hatten, dass es immer wieder notwendig war, Hauseigentümer, die Asylbewerber in kleine Kabuffs mit unter 2 Meter Deckenhöhe oder in Kellerverschläge gesteckt haben, daran zu hindern. Das wollen wir auch zukünftig nicht haben, und da müssen wir Regelungen finden. Ob das diese oder eine andere sein muss, ist hier nicht der Punkt.
Als letzten Punkt noch einen Hinweis zur Baumschutzverordnung. Da muss sicherlich entrümpelt werden, da dort zu viel Bürokratie enthalten ist. Sie müssen aber hier nicht nur an einen früheren Parlamentspräsidenten aus den Reihen der CDU denken, sondern – ich sage dies aus meiner früheren beruflichen Erfahrung – Sie müssen beachten, was für Anträge in Berlin gestellt werden, bis dahin, dass Leute Naturdenkmale abholzen wollen.
Beim letzten Mal haben Sie uns vertröstet und gesagt, es sei schon alles auf dem Weg. Heute auch wieder. Anschließend haben Sie unsere Anträge mit Stimmen der Koalition in allen Ausschüssen plump niedergestimmt, von Entschlackung keine Spur. Teilweise ohne eine entsprechende Diskussion zu den einzelnen Themen. Wenn Sie so weitermachen, wird wieder nichts passieren. Wir machen jedenfalls Ernst mit der Aufgabenkritik und mit der Abschaffung überflüssiger Gesetze, und ich bin der FDP deshalb dankbar, dass sie uns mit ihrer Antragsserie dabei unterstützt und wir in der Öffentlichkeit und im Parlament gemeinsam Druck machen.
Überflüssige Genehmigungen nach dem Straßengesetz können weg. Gesetz zur Beseitigung von Wohnungsmissständen kann auch weg. Stadtreinigungsgesetz kann weg, Fischereiamt kann von anderen Behörden übernommen werden – alles sinnvolle Vorschläge. Baumschutzverordnung kann überdacht werden, doppelte Sicherheitsüberprüfungen brauchen wir auch nicht, Verordnungen, die Sachverhalte regeln, die sowieso inzwischen gesetzlich geregelt sind, können ebenfalls weg. Mindesteinkommen für Hebammen ist zwar gut, aber die Verordnung kann ebenfalls weg. Das Argument, Herr Kollege Schimmler, dass der Antrag überflüssig wird, weil die Verordnung ja ohnehin nicht mehr praktiziert wird, zeigt doch genau Ihre Denkweise. Die Konsequenz ist nicht, dass wir die Verordnung bestehen lassen, obwohl sie nicht mehr praktiziert wird, sondern die Konsequenz muss sein, dass die Verordnung wegfällt.
Das ist eine größere Menge. Da muss man sich Möglichkeiten vorbehalten. Ob das in der Form, wie sie derzeit geregelt ist, sein muss, müssen wir gemeinsam überprüfen.
Ein letzter Punkt: Zum Schluss haben Sie die Geschäftsanweisungen wegen der Bestattung stehen. Wenn Sie das nachlesen, dann lesen Sie bitte richtig, denn das beruht nur auf § 3 Abs. 1 der DVO zum Bestattungsgesetz. Eigentlich müssten Sie diese aufheben und § 6 des Bestattungsgesetzes und nicht nur die Geschäftsanweisung ändern.