Protokoll der Sitzung vom 11.09.2003

Herr Böger! Wie können Sie uns noch im Januar erklären, dass die Kitakostenbeitragserhöhung analog der Regelsatzerhöhung für die Sozialhilfe, die zum damaligen Zeitpunkt rechtlich möglich gewesen wäre, kontraproduktiv wäre, weil Kitas Bildungseinrichtungen sind, dann jedoch ein halbes Jahr später eine Beitragserhöhung präsentieren, die Beitragssteigerungen um bis zu 50 % vorsieht?

[Zuruf von der CDU: Sozialdemokraten!]

Herr Senator Böger – bitte!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete Jantzen! Wenn Sie die Presse im Januar genau verfolgt haben, werden Sie wissen, dass ich als zuständiger Senator von der gesetzlichen Möglichkeit im Kitagesetz Gebrauch gemacht und nach sechs Jahren erstmals eine Erhöhung um durchschnittlich 8 % vorgeschlagen habe. Das stand so in der Presse und ist auch richtig. Dieser Vorschlag ist damals vom Senat nicht akzeptiert worden, vielmehr ist gesagt worden, dass wir verschiedene Bereiche der Kitas zunächst einmal gemeinsam auf eine Position bringen – wenn Sie solche Dinge fragen, muss ich Ihnen länger antworten –: Erstens wollen wir den Ausstattungsstandard, den ich Ihnen vorhin geschildert habe, garantieren, zweitens wollen wir die Kitas als Bildungseinrichtung weiter profilieren, drittens wollen wir die Zugänge nicht verengen, wozu viertens eine andere Staffelung der Gebühren gehört. Diese andere Staffelung haben wir vorgenommen, die jedoch etwas mehr Zeit benötigt hat.

Es war auch vorher ungerecht, als wir nur sechs Staffelungen hatten. Das hatte zur Folge, dass mancher, der wesentlich mehr verdient, den gleichen Beitrag zahlen musste. Hier haben wir uns Hamburg angeschlossen und jetzt eine andere Staffelung eingeführt. Das habe ich im Januar nicht dementiert. Richtig ist aber auch, dass ich zunächst eine graduelle Erhöhung vorgeschlagen hatte. Wir haben nun eine Entlastung für die unteren Einkommen und eine graduelle Erhöhung für die höheren Einkommen vorgenommen.

Danke schön, Herr Senator Böger. – Eine weitere Nachfrage von Frau Jantzen – bitte!

Über einige Änderungen, die Sie jetzt vorgenommen haben, muss man nicht streiten. – Wie wollen Sie den Verdacht ausräumen, dass wirklich beabsichtigt ist, dass einige Eltern ihre Kinder abmelden, um das dann als sogenannten Effizienzgewinn verbuchen zu können, weil Sie dadurch letztlich die Kosten für den gesamten Platz sparen?

Herr Senator Böger – bitte!

Jetzt hat Frau Dr. Klotz das Wort zu einer weiteren Nachfrage. Bitte schön, Frau Dr. Klotz!

Herr Böger! Ich frage vor dem Hintergrund Ihrer Aussage, 50 % der Eltern seien davon nicht betroffen: Ist es denn richtig, dass von den 41 Stufen, die Sie eingeführt haben, in der Krippe 39 Einkommensstufen, im Hort 40 Einkommensstufen und im Kindergarten 39 Einkommensstufen mehr bezahlen als vorher?

Herr Senator Böger – bitte!

Zunächst einmal – damit nichts Falsches im Protokoll steht –: Ich habe gesagt, nach unserer Belegungsanalyse, die für die öffentlichen Kitas repräsentativ ist, können wir feststellen, dass deutlich mehr als 40 % – ich sage: fast 50 % – nicht mehr zahlen müssen. Im Gegenteil: Sie müssen sogar weniger zahlen, nämlich dann, wenn sie zwei Kinder haben, da wir eine zusätzliche Ermäßigung eingeführt haben.

Dann – da haben Sie Recht – beginnen graduell Erhöhungen, die durchaus nicht immer gleich sind. Es gibt auch in den Erhöhungsstufen, dort, wo früher eine neue

Sen Böger

Ich sage noch einmal: Familien können die Beiträge für ihre Kinder aus dem Familieneinkommen und nicht aus dem Fraueneinkommen bestreiten. Das ist doch gar nicht logisch. Zum anderen wird die Erwerbstätigkeit dadurch auch gar nicht eingeschränkt.

Ich will auf ein Weiteres hinweisen: Die Gebührensituation, über die wir reden, über die man in einer Gesamtordnung ganz anders nachdenken könnte – die kann ich auf der Ebene Berlins aber nicht ändern –, betrifft Kinder in einem Alter von einem bis sechs Jahren. Wir werden das ändern, da demnächst die Einschulung früher sein wird. Abgesehen davon bleibt in Berlin die Vorschul- und Vorklassenerziehung in diesem Zeitraum kostenfrei. Insofern glaube ich, dass dies alles bezüglich der Berufstätigkeit gut kalkulierbar ist.

(D

Herr Dr. Augstin, ich will mit Ihnen aber nicht darüber streiten, dass, wenn man die gesamte Bildungslandschaft und ihre Finanzierung sowie die Bedeutung von frühkindlicher Bildung in der Bundesrepublik Deutschland komplett neu diskutieren könnte, die Frage von Gebühren nicht primär bei den Kindergärten anzusetzen wäre. Dies habe ich bereits mehrfach gesagt. Wir bewegen uns aber in einem vorhandenen Korsett von Zuteilung von Finanzen. Auch wenn der Bund – was Übrigens so nicht zutrifft, wie es heute in der „Berliner Morgenpost“ als Schlagzeile steht, das hat Herr Catenhusen so nicht gesagt – wirklich die Idee haben sollte, dass man das alles ändert, dann kann ich nur sagen: Nur zu! Dann statte die Gemeinden aber besser aus und mach es eben anders! Dann können die Gemeinden anders handeln, als sie das jetzt tun.

Einkommensgruppe begonnen hat, auch jetzt noch Absenkungen bei den mittleren Einkommen. Richtig ist jedoch, dass die Tendenz danach bei den Einkommensstufungen dazu führt, dass höhere Beiträge entstehen.

Jetzt erhält Herr Dr. Augstin das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte schön!

Da ich die Ausführungen von Senator Böger zur sozialen Entmischung überhaupt nicht teile, wenn ich zum Beispiel an Lichterfelde-Süd denke, und im Übrigen auch die Jugendstadträtin aus Zehlen dorf –

Es muss eine Frage sein!

– die Befürchtung hat, dass es zu entsprechenden Abgängen kommt, frage ich Sie, Herr Senator – auch unter fiskalischen Gesichtspunkten, wenn man bedenkt, dass letztlich die Eltern, die dann nicht mehr berufstätig sind, damit auch keine Steuern zahlen bzw. keine Sozialabgaben abführen –, ob es sich hierbei nicht um eine „Milchmädchenrechnung“ handelt.

Herr Senator Böger!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Augstin! Zunächst noch einmal zur Sozialstruktur – damit wir uns gegenseitig ernst nehmen: Die Sozialstruktur dieses Landes und auch die ungleichmäßige Verteilung von Einkommen und Lebenslagen in diesem Land können sie exakt an den Daten des Statisten Landesamtes – ich geben Ihnen die Broschüre – ablesen, abgesehen davon kennen wir unsere Stadt.

Wenn Sie über Lichterfelde-Süd sprechen, so haben Sie dort eine bestimmte Einkommensstruktur, viele allein Erziehende. Die werden von dem, was wir für die Kitas planen, überhaupt nicht betroffen. Im Gegenteil: Sie müssen weniger zahlen. Nehmen Sie das zunächst doch einmal zur Kenntnis, dass diejenigen, die in der Sozialstruktur etwas niedriger stehen, überhaupt nicht betroffen sind. Kein Mensch aus Frohnau bringt sein Kind in die Kita nach Lichterfelde-Süd. Jedenfalls ist mir das nicht bekannt. In Frohnau werden diejenigen bleiben, die dort auch wohnen. Deswegen begreife ich diesen Ansatz nicht, wenn Sie sagen, dass dort eine Entmischung stattfinden wird.

Nun kommt die nächste Frage: Sie haben in einem Recht: In einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist es klar, dass in dem Moment, in dem mehr Menschen ein erwerbsfähiges Einkommen haben, sie damit also Steuern zahlen und auch einen volkswirtschaftlichen Mehrwert darstellen. Berlin bietet auch, da wiederhole ich mich, für diejenigen allein Erziehenden, für Eltern, die im Beruf sind, nach wie vor die Möglichkeit. Insofern wird es auch nicht dazu kommen, dass man sein Kind wegen der Beiträge abmeldet.

Letzte Bemerkung: Wenn einer außen stehend das hier in Berlin beobachtet, und Sie reden mit einer Familie etwa aus Detmold oder aus Dortmund, dann werden diese bestimmte Dinge gar nicht begreifen, weil nämlich in diesen Ländern schon längst ein Kostendeckungsgrad von fast 30 % von den Eltern erwartet wird. Wir wollen uns bei einem Kostendeckungsgrad von 11,7 % auf 13,1 % bewegen. Das muss man doch bitte auch einmal zur Kenntnis nehmen, wenn man dies in Berlin diskutiert.

Danke schön, Herr Senator Böger. – Keine weiteren Nachfragen.

Dann hat das Wort der Abgeordnete Wieland von der Fraktion der SPD zu dem Thema

Müssen Berlins Polizeianwärter nach der Ausbildung von Sozialhilfe leben?

Bitte schön, Herr Wieland, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Treffen Presseberichte zu, nach denen junge Polizeianwärter, die Ende August 2003 in Berlin ihre Ausbil

Wieland, Ralf

Ungefähr 50 Auszubildende wurden nicht unmittelbar am 29. August übernommen. Aber auch für diese wurde

gesorgt: Für sie wurde am 29. August eine Veranstaltung zusammen mit dem Bundesgrenzschutz durchgeführt. Wir haben allen diesen Personen 30 Stellen beim Bundesgrenzschutz und die Übernahme zum 1. Oktober – einen Monat nach Abschluss der Ausbildung – angeboten. Darüber hinaus haben wir 40 Stellen bei der Wachpolizei zum 15. September im Angestelltenverhältnis und in zweieinhalb Jahren im Beamtenverhältnis angeboten. Wir haben demnach 50 Auszubildenden insgesamt 70 Stellen angeboten. Es handelt sich vielleicht nicht um deren Lieblingsstellen, aber um Arbeitsstellen im Bereich des Polizeidienstes. Bei der Wachpolizei haben sie zudem die Garantie, nach zweieinhalb Jahren als Beamte in den Vollzugsdienst übernommen zu werden. Das führt eventuell dazu, dass diese Mitarbeiter für 16 oder 31 Tage keine Vergütung erhalten. Ich halte das angesichts der Inaussichtstellung einer Festanstellung zum 15. September oder 1. Oktober für zumutbar. Mich stört es nicht, wenn ein Mitarbeiter dadurch in eine kritische Situation kommt, weil er 14 Tage überbrücken muss und nicht weiß, was er machen soll. Das ist für mich nicht die entscheidende Frage.

Jeden, der sich in dieser Situation mit jammervollem Gesicht gegenüber der Presse hinstellt und sagt, er habe keine Zukunftsperspektive mehr, kann ich nur fragen: Welcher Auszubildende in der Privatwirtschaft oder sonst wo hat die Garantie, nach 16 oder 31 Tagen einen Job auf Lebenszeit zu bekommen? – Das hat fast keiner.

dung beendet haben, nunmehr gezwungen sind, Sozialhilfe zu beantragen?

2. Was unternimmt der Senat, um diesen jungen Menschen eine berufliche Perspektive in dem von ihnen angestrebten Beruf als Polizeibeamte zu ermöglichen?

Danke schön, Herr Wieland. – Das Wort zur Beantwortung hat der Senator für Inneres Herr Dr. Körting – bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Wieland! Zur Beantwortung muss ich etwas weiter ausholen, um eine Grundsatzfrage zu klären.

Wir haben eine Ausstattung der Polizei, die sich nach den Aufgaben Berlins, Verbrechensbekämpfung und Ähnliches, richtet. Gleichwohl gibt es Bemerkungen des Rechnungshofes, dass die Ausstattung der Polizei in einem Städtevergleich mit anderen Ballungsräumen ungefähr 4 700 Leute zu hoch ist.

Das hat bei meinen Vorgängern, Herrn Schönbohm und Herrn Werthebach, dazu geführt, dass die Polizei seit 1992 um mehrere tausend Vollzugsbedienstete abgespeckt wurde. Das wird bei uns dazu führen, dass wir die Polizei bis zum Jahr 2007 um insgesamt noch einmal 1 450 Mitarbeiter entlasten werden. Das hat andererseits Konsequenzen für die Einstellung in den Polizeidienst.

Ungeachtet dieser Zahlen hat mein Vorgänger Herr Werthebach in den Jahren 2000 und 2001 vorgesehen, über 1 000 Polizeiauszubildende in die Ausbildung zu übernehmen, bei einem jährlichen Ersatzbedarf von 450. Anders ausgedrückt: Der Kollege Werthebach hat damals gesagt, wir werden höchstwahrscheinlich neue Stellen bekommen –oder ich weiß nicht, wie er gerechnet hat –, und deshalb lassen wir vorsorglich jeweils tausend Polizeiauszubildende in einem Jahr pro Ausbildung zu.

Diese Erbschaft habe ich übernommen und bemühe mich seitdem, in Kenntnis, dass in diesem Umfang eine Einstellung im Berliner Polizeidienst nicht möglich ist, die Auszubildenden vernünftig unterzubringen. Das ist uns im Jahr 2002 vollständig gelungen. Das wird uns voraussichtlich im Ergebnis auch im Jahr 2003 gelingen.

Jetzt zu der konkreten Situation: Ende August dieses Jahres haben 163 Auszubildende der Berliner Polizei im mittleren Dienst die Ausbildung beendet. Von diesen 163 sind 57 von der Berliner Polizei in Beamtenstellen übernommen worden. Für die anderen waren Beamtenstellen nicht vorhanden. Wir haben aber im Vorfeld durch Bundesgrenzschutz, Bundeskriminalamt und andere Bundesländer sichergestellt, dass ein erheblicher Teil von anderen Bundesländern zeitgleich übernommen wurde.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich verstehe zwar jeden einzelnen, der bedauert, dass seine Lebensplanung nicht wie vorgesehen geklappt hat, aber die vorwurfsvolle Haltung, der Staat habe dafür zu sorgen, dass jeder morgen eingestellt und bezahlt wird, kann ich weder nachvollziehen noch tolerieren. Wir haben uns im Rahmen unserer Fürsorgepflicht bemüht, für alle Mitarbeiter eine Regelung zu finden und haben das auch geschafft. Ich hoffe, dass wir auch für diejenigen, die Ende des Jahres ihre Ausbildung im gehobenen Dienst machen, eine Regelung finden. Danach werden wir nur noch in dem Umfang ausbilden, wie wir Stellen bei der Polizei besetzen müssen. Für die Sünden der Vergangenheit bin ich nicht verantwortlich, die habe ich geerbt.