Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Wenn Sie sich aber schon nicht an Ihre Koalitionsvereinbarungen und Ihre Wahlversprechen halten, dann sollten Sie als Partei mit dem Sozialem im Namen wenigstens ein Ohr für die Betroffenen haben,

[Doering (PDS): Haben wir ständig!]

so hatten viele am Wochenende gehofft. Aber selbst der Mehrheit der SPD-Parteibasis war die Sorgen vieler Eltern gleichgültig.

[Doering (PDS): Das ist Behauptung!]

[Beifall bei der CDU]

[Doering (PDS): Nö?]

Auf die PDS möchte ich hier nur sehr kurz eingehen – auch wenn sie gerade am lautesten schreit –, denn Ihre Staatsgläubigkeit und Ignoranz gegenüber den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger erleben wir in diesem Parlament schon seit Beginn der Legislaturperiode. Deshalb nichts mehr hierzu.

[Beifall bei der CDU]

Die haarsträubendsten Begründungen für die Beitragserhöhung liefert der Senat. Erstens: Man hätte nun seit einigen Jahren bereits auf die Erhöhung der Beiträge verzichtet. Deshalb müsse man nun etwas stärker zugreifen, denn im Gesetz steht, eine Anhebung der Gebühren kann alle zwei Jahre den allgemeinen Lebenshaltungskosten und der Einkommensentwicklung angepasst werden. Diese hat sich aber in den letzten Jahren nicht um 40 oder 50 % erhöht, weder die Einkommen noch die Lebenshaltungskosten in Berlin sind so stark gestiegen.

Die zweite Behauptung, die Gebührenerhöhung hätte keinen Einfluss auf die Kitalandschaft: Falsch! Tatsächlich müssen wir schon jetzt verzeichnen, dass Eltern ihre Kinder aus den Kitas herausnehmen, weil sie sich die Erhöhung nicht leisten können.

[Liebich (PDS): Wo denn?]

Sie überlegen, gegen die Kitabeitragserhöhung zu klagen. Vor allem wohlhabendere Eltern aus den oberen Einkommen nehmen ihre Kinder aus der Kita heraus, womit die soziale Mischung in den Kitas gefährdet ist.

Drittens: Sie freuen sich darüber, dass Sie nun einen höheren Kostendeckungsgrad von 13 % anstatt 11 % erreichen. Herr Senator Böger, 13 % soll doch wohl kein Kostendeckungsgrad sein. Wenn Sie so argumentieren, müssen wir allerdings befürchten, dass Sie in den nächsten Jahren die Beiträge noch weiter erhöhen wollen, um zu etwas, das man Kostendeckungsgrad nennen könnte – um die 50 % –, zu kommen. Dann muss ich Ihnen allerdings eine Überraschung verraten: Wenn Sie in Richtung

Den Berlinerinnen und Berlinern ist das Wortgeplänkel innerhalb der SPD mittlerweile völlig egal. Die Berlinerinnen und Berlinern sind es leid, sich dies anzuhören, Herr Senator. Deshalb fordert die CDU-Fraktion eine Auflistung aller Kürzungsbeschlüsse dieses Senats, die

Familien in Berlin betreffen. Mit unserem Antrag wollen wir wissen, in welcher Höhe Familien durch die Einschränkung der Lernmittelfreiheit, die Erhöhung der Kitagebühren, der BVG-Tickets, der Eintrittspreise für Schwimmbäder usw. belastet werden. Wir sind uns sicher, dass die Belastungsgrenze für Familien in Berlin erreicht ist.

Danke schön! – Für die PDS-Fraktion hat Frau Dr. Barth das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Steuer! Sie haben gesagt, es habe mit der großen Koalition keine Erhöhung zwischen 30 und 50 % gegeben. Da muss ich Sie enttäuschen. Sie haben die Kitakosten u. a. in der untersten Gruppe von 65 auf 95 DM angehoben. Das ist eine Steigerung um 46 %. Aber das konnten Sie nicht wissen, denn Sie waren damals noch nicht im Parlament.

Jetzt komme ich zum Kitakostenbeteiligungsgesetz: Dieses hat in der Stadt bereits zu einer Debatte geführt, die aus meiner Sicht leider einseitig ist. Die Fokussierung auf die Tatsache, dass im Verhältnis wenige Eltern, nämlich die, die ein jährliches Bruttoeinkommen von mehr als 80 000 € haben und von steuerlichen Entlastungen profitieren, nunmehr einen Höchstbetrag von 405 € für die ganztägige Betreuung – das ist in Berlin immerhin ein Angebot von bis zu neun Stunden – ihres Einzelkindes zahlen müssen, hat den Blick darauf verstellt, dass sich für über 50 % der Eltern in der Höhe ihres Beitrags nichts verändern wird. Im Gegenteil: Durch die Einführung einer Geschwisterermäßigung für die unterste Einkommensgruppe werden die betroffenen Eltern sogar entlastet. So etwas gab es bisher nicht. Durch die engere Staffelung der Einkommensgruppen wird aus unserer Sicht mehr Gerechtigkeit bei der Beitragsbemessung erzielt als bisher. Ich würdige an dieser Stelle ausdrücklich die Bemühungen des Senats, bei der Neuregelung der Beitragsbemessung stärker als bisher soziale Kriterien zu berücksichtigen und mehr Gerechtigkeit herzustellen. Denn das ließ die bisherige Beitragsbemessungstabelle vermissen. Mehr soziales Augenmaß und Gerechtigkeit ist für diese Stadt bitternötig.

Kostendeckungsgrad weiter arbeiten, dann werden Sie die Kitalandschaft in Berlin zerstören, und alle Eltern werden ihre Kinder aus den Einrichtungen herausnehmen.

[Beifall bei der CDU]

Die ungeheuerlichste Erklärung ist aber wohl der Ausgleich dieser Maßnahme durch das geplante Vorziehen der Steuerreform. Wer so argumentiert, hat von der Bundespolitik und der Situation, in der sich die Bundesrepublik Deutschland befindet, überhaupt nichts verstanden. In die eine Tasche hineintun und aus der anderen Tasche herausnehmen: Das ist wirklich ein ungeheuerlicher Vorgang. Sie verhöhnen damit auch die Eltern in Berlin, die wahrlich eine schlechtere Einkommenssituation haben als vielleicht in anderen Bundesländern und die auf das Geld, das sie durch die vorgezogene Steuerreform zusätzlich bekommen, wirklich nicht verzichten können. Diese Politik ist nur eines: Diese Politik ist familienfeindlich und rückwärtsgewandt.

Die CDU-Fraktion fordert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Staat muss Eltern das Angebot machen, auch wenn sie berufstätig sind, Kinder groß ziehen zu können. Wir brauchen mehr Entscheidungen für Kinder in Berlin und nicht weniger. Deshalb fordern wir den Verzicht auf die Beitragserhöhungen und die sofortige Garantie der bisherigen Betreuungszeiten, die nicht mehr gesichert sind. Jede Kita ist in der Frage, wie sie die Personalkürzungen kompensiert, auf sich allein gestellt. Sie wissen auch, dass 388 Erzieher nicht ausreichen werden, um das zu kompensieren.

Auf der Großbaustelle Bildungspolitik, die dieser Senat in Berlin eröffnet hat, debattieren wir die Kitakostenerhöhung gleichzeitig mit dem Schulgesetzentwurf. Im letzteren sieht Rot-Rot die Abschaffung der Vorklassen vor. Das ist ein bildungspolitisch unglaublicher Vorgang. Sie schaffen die qualitativ hochwertige Vorklassenbildung ab, anstatt sie auszubauen. Die Kinder sollen dann den Vorschulunterricht in der Kita besuchen. Dann, Herr Senator Böger, muss der Kitabesuch im letzten Vorschuljahr aber auch kostenlos sein.

Ihr Kollege aus Brandenburg, Bildungsminister Reiche, forderte Anfang der Woche sogar die völlige Kostenbefreiung.

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Und während der Senat nebulös über eine Länderfusion sinniert, macht Senator Böger in Berlin erst einmal das Gegenteil seines brandenburgischen Kollegen. Auch die Bundespolitik geht in eine andere Richtung. Das wurde Ihnen auch schon auf einer Pressekonferenz mitgeteilt. Das interessiert den Berliner Senat aber augenscheinlich überhaupt nicht.

[Beifall bei der CDU]

[Frau Jantzen (Grüne): Das macht Ihre Politik aber nicht besser!]

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich mache Sie an dieser Stelle auf das wesentliche Problem aufmerksam: Jedes siebte Berliner Kind bzw. jeder siebte Jugendliche lebte am Ende des Jahres 2001 von Sozialhilfe. Bei Kindern unter sieben Jahren waren das fast 44 000 Kinder. Mehr als 40 % der Berliner Eltern von Kitakindern müssen mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von weniger als 22 500 € ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ich versichere Ihnen, dass uns als PDS das Wohl aller Kinder und Familien am Herzen liegt. Besondere Aufmerksamkeit brauchen aber jene, die es am schwersten haben.

Diese Erhöhung ist nämlich – das muss Ihnen auch klar sein – familien- und gleichzeitig bildungsfeindlich. Die Mehreinnahmen dienen nicht einmal dazu, Bildungseinrichtungen zu sanieren, wie hier gerade ausgeführt wurde. Die Familien allein sollen einen erheblichen Beitrag zur Sanierung der Berliner Finanzen tragen. Die Kitas bleiben zum Teil in einem desolaten Zustand. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird damit in Frage gestellt. Jungen Eltern wird die Rückkehr ins Berufsleben unnötig erschwert.

Durch die Einführung der Kitacard und durch eine weitergehende Überführung staatlicher Kitas in freie Trägerschaft würde die Wahlfreiheit der Eltern gestärkt, der Qualitätswettbewerb befördert, es würden Effizienzgewinne erzieht, und die Gebührenerhöhungen könnten entbehrlich werden. Stattdessen bewahrt die rot-rote Koalition nach wir vor staatliche, unwirtschaftliche Strukturen und senkt Qualitätsstandards. Und wenn Sie auch ausgeführt haben, Frau Harant, wir hätten in Berlin ein vorzügliches System, dann muss man dennoch sagen: Die anderen bauen zwar ein solches auf, aber wir bauen es leider ab. Die Liberalen akzeptieren diese einseitige Belastung der jungen Familien für schlechtere Leistungen ebenso wenig wie das Festhalten an ineffizienten Strukturen. Bildung und Betreuung unserer Kinder in Schulen und Kitas sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die nicht nur zu Lasten der ohnehin stark belasteten Familien gehen dürfen.

[Beifall bei der PDS]

Soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit dürfen nicht zu leeren Phrasen werden. Aus diesem Grund hat die PDS eine lineare Erhöhung der Elternbeiträge abgelehnt und dafür plädiert, bei der Neuregelung der Elternbeiträge die finanzielle Situation der Eltern zu berücksichtigen. Das ist sicherlich für einige Betroffene schmerzlich, nämlich für die, die mit höheren Einkommen etwas mehr zahlen müssen.

[Frau Jantzen (Grüne): Oder mit mittlerem Einkommen viele Kinder haben!]

Aber wir meinen, dass dies leistbar ist.

Der CDU-Antrag, einmal die finanziellen Belastungen und die soziale Lage von Familien zu untersuchen, ist ein durchaus unterstützenswertes Anliegen, das im Rahmen der Sozialberichterstattung zu leisten wäre. Vielleicht könnte sich der nächste Familienbericht dieser Frage widmen. Dabei müssten wir allerdings auch die Konsequenzen aus der Bundespolitik einbeziehen.

In den letzten Wochen ist der Begriff Familienfreundlichkeit oft bemüht worden. Was ist das eigentlich? Wodurch zeichnet sich familienfreundliche Politik aus? – Für uns zählt auf jeden Fall die Aufrechterhaltung unseres hohen Versorgungsangebots der Tagesbetreuung dazu. Darum beneiden uns viele Bundesländer. Es gibt nicht viele Städte in Deutschland, die ein solches Angebot vorhalten.

Es wurde oft davon gesprochen, dass wir eine andere Möglichkeit hätten die 12 Millionen € einzusparen. Sie wissen aber ganz genau, wie viel 12 Millionen € sind, wenn wir uns in den gegenwärtigen Haushaltsberatungen um jeden einzelnen Euro streiten, und zwar auch im Kinder- und Jugendbereich. Sie wissen auch, dass diese 12 Millionen € nicht dem Schuldenabbau dienen, sondern dafür benötigt werden, die Auswirkungen des Tarifvertrags und die Mehraufwendungen, die durch den Zuwachs von mehr als 2 000 Plätzen in den Einrichtungen im letzten Kitajahr zu verzeichnen waren, zu finanzieren. Eingedenk dieser Tatsache, Frau Jantzen, sollten wir uns dazu verständigen, dass dieser Bereich nicht abgebaut wird, sondern in der Qualität erhalten oder ausgebaut wird. Eingedenk der Tatsache, dass selten eine Senatsvorlage zur Änderung eines Gesetzes dieses Haus ohne Veränderung verlassen hat, werden wir uns damit bereits in der nächsten Woche im Fachausschuss beschäftigen. Die PDS hat bereits Änderungsbedarf angekündigt. Ich hoffe, dass wir uns sachlich mit diesem Gesetz auseinandersetzen. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön! – Für die FDP-Fraktion hat nun Dr. Augstin das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es nach dem Willen von SPD und PDS geht und das Gesetz zur Änderung der Kita- und Tages

pflegekostenbeteiligung zum 1. Januar in Kraft tritt, wird die überwiegende Mehrheit der Familien drastisch zusätzliche Beiträge für die Betreuung zahlen müssen.

[Liebich (PDS): Das ist falsch!]

Die FDP lehnt diese Beitragssteigerung grundsätzlich ab.

[Beifall bei der FDP]

Die Liberalen teilen die Intention des CDU-Antrages, die Auswirkung der Konsolidierung des Berliner Haushalts auf die Familien in Berlin zu klären. Es wäre hilfreich, wenn die Mitglieder der SPD- und der PDSFraktion gezwungen wären, ab und an etwas über die Konsequenzen der Entscheidungen zur Haushaltskonsolidierung nachzudenken. Dazu könnte dieser Antrag der CDU beitragen. Doch wenn alle Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung auf die manifesten und latenten Folgewirkungen untersucht würden und diese halbwegs seriös erfolgte, müsste zuvor das Personal der Senatsverwaltung dramatisch erhöht werden.

[Klemm (PDS): Warum recherchieren Sie denn nicht selber, Herr Abgeordneter?]

Doch letztlich werden die Ergebnisse auf Grund unzähliger unbekannter Faktoren doch nicht aussagekräftig genug, um gegebenenfalls Blindheit und Ignoranz zu überwinden.