Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Debatte heute Abend anguckt, kann man nur von Glück sagen, dass wir sie nicht vor laufenden Fernsehkameras geführt haben.

[Dr. Lindner (FDP): Jetzt kommt wieder der Moralische!]

Ja, das ist die moralische Ebene, Herr Lindner, und genau das wollten wir vermeiden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Deswegen haben wir von Anfang an gesagt, dass dieses Parlament nicht die Kontrollinstanz der Reisen des Regierenden Bürgermeisters ist, wenngleich man sich mit ihnen auseinander setzen muss.

Wir reden hier heute über den Regierenden Bürgermeister.

[Hoffmann (CDU): Noch ist er es ja!]

Lassen wir ihn zu Beginn selbst sprechen. Sie erinnern sich sicher alle noch an die schöne Wahlkampfbroschüre von Herrn Wowereit: Hochglanz, nüchtern, kühl, Schwarzweißfotos. Er sah auch noch etwas frecher aus zu dem Zeitpunkt. Klaus Wowereit präsentierte sich als der zupackende Erbe Willy Brandts, als Staatmann von der

Aber auf Wallfahrt zu gehen, wenn zu Hause die Hütte brennt, ist schon abenteuerlich, Herr Flierl: Die Hochschulen zerfleischen sich ob der Sparbeschlüsse, Frau Merkel grätscht Ihnen in die Opernreform, der Reformprozess der Hochschulmedizin implodiert, und der Ersatzstaatssekretär für den weggelaufenen Pasternack verschiebt seinen Dienstantritt um zwei Monate, weil er zu Hause noch die Weihnachtseinkäufe erledigen muss, statt sich hier um die Studienplätze zu kümmern.

Wo sollen all die jungen Menschen hin, die Sie in Mexiko eingeladen haben, Herr Wowereit? – Sie zerrupfen hier die Bildungslandschaft von der Kita bis zur Uni und verkünden im Ausland die frohe Botschaft, dass hier alle jungen Menschen willkommen sind. Wo sollen sie hin? Welche Antworten haben Sie, hat der Senat darauf? – Gar keine!

Wir durften dann aus Mexiko vernehmen, dass Sie gegen die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums sind – nur persönlich und gar nicht politisch. Die Hauptstadtfrage konnten Sie allerdings nicht thematisieren. Das, was Sie sich da geleistet haben, hatte schon steffelsche Qualitäten. Das ist nicht nur peinlich, sondern richtig ärgerlich. Die Bundesrepublik schickt sich an, ihr föderales System neu zu ordnen, in Berlin findet die Tagung zur Hauptstadtwerdung Berlins statt, und Herr Wowereit weilt in Mexiko. Sang- und klanglos hat er das Feld geräumt – keine Idee, kein Konzept, kein Angebot. Biedenkopf und Schäuble, Wolfgang Thierse und Krista Sager mussten statt seiner den Diskurs um Berlins Rolle als Hauptstadt einfordern. Es geht, Herr Wowereit, um das Selbstverständnis der Stadt. Wie stellen wir uns als Berlinerinnen und Berliner die Hauptstadt der Bundesrepublik vor? – Das regelt nicht, wie Sie es angedeutet haben, ein Anruf unter den Ministerialbrüdern Schröder und Wowereit, sondern das erfordert eine Debatte in dieser Stadt.

Spree, nicht abgehoben, fleißig, strebsam. Ich zitiere einen Satz aus dieser Broschüre:

Wer aber nur an sich denkt, der hat mit meinem Verständnis von Politik nichts gemeinsam.

Und heute: Der Kandidat des Mentalitätswechsels ist zum Regierenden der verpassten Chancen geworden. Die Internationalität ist eine – wenn nicht gar die entscheidende – Chance dieser Stadt. Es ist richtig und wichtig, das deutlich zu machen. Es ist wichtig, die Schätze der Stadt und ihre Kompetenz zu präsentieren, einzuladen, Fäden zu knüpfen, die Menschen an diese Stadt zu binden. Dazu soll und muss der Regierende Bürgermeister reisen. Er ist der erste Botschafter Berlins, und zwar eines neuen und jungen Berlins – nicht des miesepetrigen, grauen Diepgen-Berlins. Es gilt, die internationale Bedeutung Berlins in all ihrer Vielfalt zu zeigen. Diese Chance, Herr Wowereit, haben Sie verpasst.

Die Geschäftsgrundlage Ihrer Reise war genau die kleinkarierte Selbstinszenierung, Frau Michels, die Sie heute der Opposition vorgeworfen haben. Sie haben die Performance eines nonkonformen Vertreters für VorwerkStaubsauger hingelegt. Vom Bild eines Botschafters eines neuen, internationalen Berlins mit Kompetenz im Reisegepäck sind Sie weit entfernt.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Wissen Sie eigentlich, dass wir hier in Berlin ein Kompetenzzentrum Wasser haben, hochkarätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, denen es gelungen ist, Wasser in die Wüste zu tragen? – Sie fahren in die Stadt mit den Wasserproblemen auf dem südamerikanischen Kontinent und nehmen diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mit. Sie fahren in die Stadt mit den Müllproblemen und nehmen unsere Expertinnen und Experten nicht mit.

[Heiterkeit]

Verstehen Sie das unter der Präsentation Berliner Kompetenz?

Die einzigen Experten, die Sie dabei hatten, waren solche, die Sie in Szene setzen sollten, aber nicht die Stadt Berlin. Dieses Tagebuch einer Klassenfahrt in der „Bild“ – das heute schon mehrfach zitiert wurde – war wirklich erbärmlich: „Zicke zacke, zicke zacke, hoi, hoi, hoi“ im deutschen Ruderclub, Touristen aus Elmshorn, die Wowi aus Christiansen kennen, der Pennäler Wowereit entflieht den Bodyguards, um Corona zu trinken, und Herr Flierl, der Sancho Pansa ihres Abenteuertrips,

[Heiterkeit]

hält auf Stehempfängen nicht durch und kauft lieber Adapter für Rasierapparate. – Das waren Ihre Botschaften nach Berlin von der Reise.

Wir gönnen Herrn Flierl die Reise. Sie war vielleicht wichtig für das Koalitionsklima. Und wer könnte sein Bedürfnis nach einer Wallfahrt an das Grab Trotzkis besser verstehen als ich?

[Heiterkeit]

Zum Abschluss zitiere ich noch einmal aus Ihrer Broschüre, in der Sie sagten:

Denn Politik hat nicht nur mit Verteilung von Geld zu tun. Politik ist der Wettstreit von Ideen.

Wie wahr, Herr Wowereit. Aber mehr als die Idee einer Selbstinszenierung konnten wir auf Ihrer Reise nicht feststellen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Ratzmann! – Der Regierende Bürgermeister bittet uns Wort. – Bitte, Sie erhalten es jederzeit!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer gut, dass nach so einem Tag fraktionsübergreifend lustige Momente in solchen Debatten entstehen. Wenn ich dazu beigetragen habe, dient das vielleicht sogar noch der Entspannung. Ich sage selbstkritisch, dass derjenige, der ein Eigentor schießt, sich nicht wunden muss, dass dieses hin

RBm Wowereit

Warum sind Sie eigentlich so aufgeregt? – Wenn ich mit diesen Kriterien

ich kann noch eine Weile warten, bis Sie zur Ruhe kommen – an Reisen von Politikerinnen und Politikern herangehe, dann werden sie einen Beitrag dazu leisten, was in der Bevölkerung sowie von uns vermutet wird, dass wir nämlich überhaupt nichts tun und dass wir Reisen als Urlaubsreisen nehmen.

Wir sollten uns aber gemeinsam überlegen, welchen Stellen- und Selbstwert Politik hat. Dazu gehört auch, dass man sich informiert. Wenn heute zum wiederholten Male aus einer Fernsehsendung, nur weil man es nicht verstanden hat oder weil man es gar nicht verstehen will, beispielsweise falsch zitiert wird mit dem Zitat: „Klaus, bist du besoffen?“ und das Zitat lautet: „Klaus, ist der besoffen?“, dann bekommt es eine andere Dimension. Gemeint war der Oberbürgermeister von Mexico-Stadt.

terher beim Ergebnis mitzählt. Das Reisetagebuch in der „Bild“ – daraus mache ich keinen Hehl, und das zeigen auch die Reaktionen, wobei es keine Rolle spielt, ob sie subjektiv oder objektiv sind – hat offensichtlich aufgeregte Debatten in der Stadt verursacht, die dem eigentlichen Sinn und Zweck dieser Reise und auch ihrem Ergebnis nicht zuträglich sind. Insofern war das ganz klipp und klar ein Fehler. Das kann man offen sagen, und daraus sollte man auch lernen.

Die Dimension und die Vermischung einer Boulevardzeitung mit politischen Inhalten sind allerdings aus meiner Sicht problematisch. Das sage ich jetzt nicht um abzulenken. Angesichts der mexikanischen und deutschen Presseberichterstattung ist das Reisetagebuch eine Petitesse. Wenn in einer seriösen Diskussion im politischen Raum dieser eine unpolitische Moment einer Reise instrumentalisiert und absichtlich zum eigentlichen Inhalt und Zweck der Reise überhöht wird, dann muss man sich fragen, ob das intellektuell noch zulässig ist.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das sage ich in aller Deutlichkeit und auch mit den Konsequenzen, die sich daraus ergeben.

Ich finde es auch gut, dass dieses Parlament reist, dass Herr Hahn auf der Chinesischen Mauer ist.

[Pewestorff (PDS): Auf der Mauer, auf der Lauer!]

Wenn Herr Hahn nach China fährt, ist das keine touristische Aktion, wenn er sich über eine Stunde von Peking entfernt, sondern vergleichbar damit, dass wir unsere Staatsgäste zum Brandenburger Tor fahren, weil wir wollen, dass diese Bilder um die Welt gehen. Es ist richtig, dass sich Herr Hahn die Mühe macht, sich von seinen politischen Gesprächen zu entfernen und sich opfert, zur Chinesischen Mauer zu fahren. Das finde ich gut.

[Beifall bei der SPD]

Ich finde es auch gut, wenn Herr Wellmann, der gar nicht dem Kulturausschuss angehört, sich opfert, um für eine lange Zeit nach Graz und Wien zu fahren und sich dort politisch zu bilden. Das finde ich gut, Herr Wellmann. Sie sollten das öfter tun.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Gram (CDU): Mit so kleiner Münze zahlen Sie zurück. Das ist ja peinlich!]

Das ist nicht peinlich.

Herr Hahn, ich finde es auch interessant, dass Sie in einer Fraktion sitzen, deren Fraktionsvorsitzender mit geschwellter Brust stolz ist, weil er mit Blaulicht durch eine ausländische Stadt gefahren wird, während anderen Fraktionsvorsitzenden das eher peinlich ist.

Bevor man sich dann hier hinsetzt und über den Wert oder Unwert von Reisen diskutiert, sollte man selbst reflektieren. Dann wird es interessant. Wenn ich mit Ihrer

Methode an Reisen von Politikerinnen und Politiker herangehe – –

[Zuruf von der CDU und der FDP]

[Unruhe bei der CDU]

[Zuruf von der CDU]