Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Die lfd. Nrn. 32 bis 34 sind bereits durch die Konsensliste erledigt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 35:

a) Antrag

Parlamentswillen im Abfallwirtschaftskonzept umsetzen

Antrag der Grünen Drs 15/2114

b) Antrag

Missbilligung der Senatoren für Stadtentwicklung, Peter Strieder, und Wirtschaft, Arbeit und Frauen, Harald Wolf

Antrag der Grünen Drs 15/2115

Die antragstellende Fraktion wünscht Beratung. Hierfür steht den Fraktionen nach der Geschäftsordnung eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Für die Fraktion der Grünen hat sich Frau Kubala gemeldet. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal ist die Rechnung für die BSR aufgegangen. Mit dem Einverständnis der zuständigen Senatoren Strieder und Wolf hat die BSR eine Abfallausschreibung durchgeführt, die nicht das wirtschaftlich und ökologisch beste Ergebnis für Berlin bringen wird, sondern das vorteilhafteste für die BSR. Dabei müsste man erwarten, dass sich die BSR als öffentliches Unternehmen in Sachen Ökologie und Wirtschaftlichkeit an die Spitze der Bewegung stellt. Aber nein, wenn es um die Umwelt und um das Geld der Gebührenzahlerinnen und -zahler geht, dann lässt die BSR gerne fünfe grade sein. Dabei nimmt sie dann auch in Kauf, dass der Wille des Parlaments auf eklatante Weise missachtet wird.

Dabei hätte die Umsetzung des Parlamentsbeschlusses vom März kein Problem sein dürfen. Die BSR ist eine Anstalt öffentlichen Rechts, gelenkt durch die Fachaufsicht der Wirtschaftsverwaltung und durch die Abfallbehörde. So weit die Theorie, in der Praxis sieht das ganz anders aus. Wir erinnern uns, das Abgeordnetenhaus beschließt im März mit deutlicher Mehrheit weit über die Regierungskoalition hinaus ambitionierte ökologische und wirtschaftliche Kriterien für die Abfallausschreibung. Der Senat nimmt in seinem Beschluss vom 1. April 2003 genau diese Kriterien auf. Und Umweltsenator Strieder bekräftigt diese Kriterien explizit durch eine Protokollnotiz. Die BSR – zur Erinnerung: eine Anstalt öffentlichen Rechts – schreibt die entsprechenden Leistungen aus, aber in der Ausschreibung fehlen wesentliche Vorgaben von Abgeordnetenhaus und Senat. Wo bleibt da die Fachaufsicht, wo bleibt da der Lenkungsausschuss, um dies zu korrigieren? – Der Senat will oder kann sich gegenüber der BSR nicht durchsetzen.

Ein Geheimnis ganz besonderer Art bleiben dabei die Unterlagen der öffentlichen Ausschreibung. Jedem Interessierten gehen sie ohne jegliche Prüfung zu, aber dem Parlament wird der Einblick nicht gewährt. Erst auf massiven Druck des BSR-Sonderausschusses haben die Parlamentarier im geschlossenen Datenraum Einblick in die Unterlagen erhalten.

[Sen Strieder: Hei, hossa!]

Die Wirtschaftsverwaltung als Fachaufsicht übersieht elementare Wirtschaftsaspekte wie die parlamentarische Festlegung auf lange und gebührenverträgliche Vertragslaufzeiten. Hier hatte das Parlament zehn Jahr vorgegeben. Aber die BSR hat die Vertragslaufzeiten eigenmächtig auf fünf Jahre verkürzt. So kommt sie schneller wieder an den Müll, natürlich alles auf Kosten der Gebührenzahler.

Und die Umweltverwaltung lässt wesentliche ökologische Kriterien wegfallen. Die Transportoptimierung wird ausgehebelt durch die Festlegung auf die zentrale Anlieferung in der Gradestraße. Die Berücksichtigung der Luftschadstoffe bei der Abfallaufbereitung lässt man gleich ganz weg.

Eins ist im Ausschreiben deutlich geworden: Hier soll nicht die wirtschaftlich und ökologisch beste Lösung für Berlin und die Gebührenzahlenden gefunden werden, sondern allein die vorteilhafteste für die BSR. Der alte Berliner Mief stinkt weiter. Und wie es bei der BSR stinkt, führen uns SPD und PDS aktuell vor: Das Vorstandsmitglied Landerer, der für Intransparenz, Vertuschung, Gebührenskandal steht, soll jetzt auch noch Vorstandsvorsitzender werden. Das ist ein Skandal erster Sorte.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Ritzmann (FDP)]

Landerer soll endlich dem Beispiel der Herren Guski und von Dierkes folgen und die BSR verlassen.

Zur Anwendung kommt hier der so genannte kumulierte Energieaufwand, d. h. auch die Vorkette zur Bereitstellung der Energie wird berücksichtigt. Die Verwendung des kumulierten Energieverbrauchs als Leitparameter für Umweltbelastung ist insbesondere für die ökologische Bewertung von Transportprozessen wissenschaftlich anerkannt. Die Immissionen von CO2 und Wasserdampf sind direkt proportional zu diesem kumulierten Energieverbrauch, so dass die klimaschädlichen Wirkungen nahezu vollständig erfasst werden.

Der weitere Vorwurf, dass mit Mehrkosten zu Lasten des Gebührenzahlers zu rechnen sind, ist auch nicht haltbar. Denn im Rahmen der Dienstleistungsausschreibung wurden für 230 Tonnen die Anlieferung an der Umladestation Gradestraße festgelegt. Ziel ist es, dass der eingesammelte Siedlungsabfall umweltverträglich über die Schiene zu den entsprechenden Abfallbehandlungsanlagen transportiert wird. In dem Beschluss wird nicht die Schließung vorhandener Anlagen verlangt, weil dann die Fixkosten auch bei Leerstand vom Gebührenzahler zu tragen wären. Daher wird die vorhandene Umladestation Gradestraße aus künftig eine wichtige Entsorgungsfunktion haben.

Die Senatoren Wolf und Strieder haben unverfroren in der Abfallausschreibung die parlamentarischen Vorgaben missachtet. Wer dieses Verhalten hier und heute nicht missbilligt, hat jede Achtung vor Parlamentsbeschlüssen und damit vor der demokratischen Legitimation von Politik verloren. Im Sonderausschuss BSR waren alle Fraktionen – ich wiederhole: alle Fraktionen – empört und verärgert über das eigenmächtige Verhalten der Senatoren und der BSR im Ausschreibungsverfahren. Ich fordere Sie auf: Bringen Sie dies heute auch mit Ihrem Abstimmungsverhalten zum Ausdruck!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin Kubala! – Für die Fraktion der SPD hat nun Frau Abgeordnete Leder das Wort. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lautet: Der Umweltsenator und der Wirtschaftssenator haben die im Abgeordnetenhaus getroffene Zusage nicht eingehalten, die ihm vom Parlament vorgegebenen Bestandteile des zukünftigen Abfallwirtschaftskonzepts zu achten. – Dieser Vorwurf ist absurd. Es liegt noch gar kein vom Parlament gebilligtes Abfallwirtschaftskonzept vor.

[Frau Oesterheld (Grüne): Aber eine Ausschreibung! – Frau Kubala (Grüne): Es ist doch da!]

Dieses Konzept kann erst erstellt werden, wenn die Ergebnisse der Ausschreibung gemäß Abgeordnetenbeschluss vom März 2003 vorliegen. In diese Ergebnisse müssen folgende Angaben einfließen:

[Zuruf der Frau Abg. Kubala (Grüne)]

Aussagen über Art, Menge, Herkunft sowie Verwertung oder Beseitigung der im Entsorgungsgebiet gegenwärtig und voraussichtlich in den nächsten zehn Jahren anfallenden Abfälle, ferner Darstellung der getroffenen und geplanten Maßnahmen zur Vermeidung und Verwertung der nicht ausgeschlossenen Abfälle sowie Darstellung der getroffenen und geplanten Maßnahmen der Behandlung nicht verwertbaren Abfälle zur Vermeidung ihrer Menge und Schädlichkeit.

[Frau Oesterheld (Grüne): Was lesen Sie denn da vor?]

Und ferner muss der Nachweis einer zehnjährigen Entsorgungssicherheit geliefert werden, eine Zeitplanung und eine Wirtschaftsbetrachtung sind ebenfalls anzuführen.

Diese Ausschreibungen werden wahrscheinlich erst im Februar 2004 abgeschlossen sein. Danach wird dann das Abfallwirtschaftskonzept fertiggestellt. In der Folge werden die Träger öffentlicher Belange beteiligt,

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

und dann wird es dem Abgeordnetenhaus zum Beschluss vorgelegt werden.

Der Vorwurf, die ökologischen Kriterien seien nicht beachtet worden, muss dementsprechend zurückgewiesen werden, weil die Freisetzung von klimaschädlichen Gasen und Schadstoffen in den Ausschreibungen mittelbar über den Leitparameter Energieverbrauch bewertet wird.

[Frau Oesterheld (Grüne): Unglaublich!]

[Dietmann (CDU): Das hat Ihnen wohl ein anderer vorgeschrieben! – Rabbach (CDU): Unerhört!]

Ebenfalls nicht gerechtfertigt ist der Vorwurf, dass die Laufzeiten der Verträge nicht umgesetzt wurden. Das Abgeordnetenhaus hat beschlossen, dass die Laufzeiten bis zum Jahr 2015 ausgeschrieben werden sollen.

[Beifall des Abg. Dr. Heide (CDU)]

Das bedeutet eine Laufzeit von 10 Jahren und nicht, wie in der Missbilligung erwähnt, von 15 Jahren. Nach dem Beschluss des Abgeordnetenhauses können auch Teilmengen mit kürzeren Laufzeiten ausgeschrieben werden, sofern dieses wirtschaftlich darstellbar ist.

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Diese Wirtschaftlichkeit lässt sich allerdings erst im Ergebnis der europaweiten Ausschreibung erkennen.

[Frau Oesterheld (Grüne): Das muss erst einmal drinstehen!]

Dieser Missbilligungsantrag ist nicht fundiert. Im Gegenteil, er ist heuchlerisch. Es wird der Versuch unternommne, die Gebührenzahler für dumm zu verkaufen, den Parlamentariern wird die Zeit gestohlen und den Senatoren gegenüber mit Unterstellung gearbeitet.

[Beifall bei der SPD]

Die ganze Sache ist nicht überraschend gekommen. Die Tatsache etwa, dass sich die Grünen auf diese merkwürdige Geschichte eingelassen haben, müssen wir auch noch einmal nachbereiten. Was hatten wir für eine Situation? – Die Urteile des EuGH lagen vor, und innerhalb von 14 Tagen hat die Regierungskoalition einen Beschluss gefasst – und zwar deswegen, weil man als rotrote Koalition offensichtlich schneller war als der Senat, der hatte nämlich noch keinen Beschluss gefasst – und die Grünen sind in die ganze Geschichte hineingegrätscht. Sie haben dann einige ökologische Anforderungen gestellt, die wurden von der Regierungskoalition zum Teil berücksichtigt, und so haben sie zugestimmt. Das hat mich schon damals gewundert. Wie kommt man dazu, diese Geschichte mitzumachen, in dem Glauben, es würde funktionieren? – Das Ganze innerhalb von 14 Tagen durchzupeitschen, mit den Stimmen der Grünen, darüber war ich mehr als verwundert. Die ganze Geschichte hat sich eine gute Woche nach der Beschlussfassung im Parlament – mit den Stimmen der Grünen – gegen die Grünen gewandt. Im Stadtentwicklungsausschuss, in dem wir das Thema dann endlich ausführlicher behandelt haben, habe ich Senator Strieder die Frage gestellt, ob ein hoher Anteil stofflicher Verwertung beim Hausmüll in der Ausschreibung nicht vorgesehen sei. Darauf hat Senator Strieder mit dem Wort: „Richtig“ geantwortet. Was ist jedoch Tatsache? – Die Tatsachen haben zu dem heutigen Missbilligungsantrag geführt. Sie hatten sich darauf eingelassen, deshalb ist es letztlich Ihre eigene Schuld.

Danke schön, Frau Leder. – Das Wort für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Goetze. – Herr Goetze, bitte, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind überzeugt davon, dass die BSR der Falsche ist, der geprügelt wird. Für all das, was wir hier besprechen, ist nach dem Gesetz der Senat verantwortlich. Der Senat hätte alles, was in diesem Fall der BSR zugeordnet ist, eigentlich selbst zu erledigen, mit seiner eigenen Manpower, auf eigene Kosten und mit eigener Verantwortung. Also ist die BSR nur sehr mittelbar befangen, sie ist in einem höchst merkwürdigen Verfahren beauftragt, genötigt worden, für den Senat zu handeln. Der Senat, namentlich Senator Strieder, können sich schön heraushalten. Das Praktische an der Geschichte ist, dass die gesamten teuren Gutachten, die in den vergangenen Jahren in den Sand gesetzt worden sind, zu Lasten der Gebührenzahler finanziert werden und nicht etwa aus dem Hause Strieder. Diesem Problem muss im Übrigen gebührenrechtlich noch nachgegangen werden, ich hoffe, dass sich der Sonderausschuss damit befasst.