Protokoll der Sitzung vom 13.11.2003

Mir fällt eigentlich vieles ein, was die Abwahl von Herrn Momper als Präsidenten des Abgeordnetenhauses rechtfertigen würde. Mich ärgert seine parteiliche Leitung der Sitzung, die Verquickung seiner politischen Ämter mit seiner beruflichen Tätigkeit, seine mangelnde Distanz zu seiner eigenen Person, auch Selbstherrlichkeit genannt.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Kaum jemanden im Hause überrascht es, wenn Herr Momper als braver Parteisoldat mit völliger Selbstverständlichkeit evident verfassungswidrige Gesetze unterschreibt wie beispielsweise die beiden Haushaltsgesetze für die Jahre 2002 und 2003.

[Unruhe bei der SPD]

Gründe also, Herrn Momper abzuwählen, gäbe es genug.

[Pewestorff (PDS): Dann machen Sie es doch!]

Die Anträge werfen meiner Meinung nach jedoch grundsätzlichere Fragen auf. Die Mitglieder unseres Hauses sind Teilzeitpolitiker. Wir wollen Politiker mit Beruf und keine Berufspolitiker. Schon jetzt kommen die meisten Mitglieder unseres Hauses aus dem öffentlichen Dienst. Bestimmte Berufsgruppen sind in unserem Parlament überhaupt nicht mehr vertreten. Eine Verschärfung der Verhaltensregeln würde diesen Trend verschärfen.

Mir scheint auch, dass das Problem der Berliner Landespolitik nicht die Interessenkollision einzelner Mitglieder dieses Hauses mit ihren beruflichen Tätigkeiten ist. Schon gar nicht gilt das für Walter Momper. Wenn er irgendwo auftritt, so bekannt wie er ist, ist dies binnen Stunden in Berlin durch. Das Problem der Berliner Politik ist in Wirklichkeit die Qualität ihrer Arbeit.

Es ist schon erstaunlich, wenn ein Verfassungsgerichtshof den Berliner Landesgesetzgeber bescheinigt, dass er noch nicht einmal die gängige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kennt oder dass er schlicht und einfach zu dumm gewesen ist, diese Regelungen zu beachten. Ich finde es noch erstaunlicher, dass sich die Bevölkerung offensichtlich kaum darüber aufregt, weil sie von den Berliner Politikern gar nichts anderes mehr erwartet.

[Frau Oesterheld (Grüne): Woher kommt das wohl?]

[Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP]

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Das Wort für eine Kurzintervention hat der Abgeordnete Lorenz von der SPD-Fraktion – bitte sehr!

[Zuruf von der CDU]

Frau Präsidentin! Gegen Herrn Strieder würde ich nie eine Kurzintervention machen.

[Czaja (CDU): Sondern eine lange!]

Witze, die man erklären muss, sind schlecht.

Ich wollte nur Folgendes sagen: Herr Braun, ich fand Ihre Rede im letzten Teil auch sehr nachdenklich, fand sie gut. Aber das, was Sie über Herrn Momper und die Reaktion der SPD gesagt haben, veranlasst mich, kurz zu erwidern.

Erstens, zu den Haushaltsgesetzen, die Herr Momper unterzeichnet hat: Ich habe das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts zum wiederholten Mal gelesen und analysiert. Ich bin sicher, dass die Haushalte der letzten zehn Jahre alle verfassungswidrig waren und dem Darlegungsgebot der Verfassung nicht entsprochen haben,

[Frau Herrmann (CDU): Sie waren doch mit dabei!]

Zu der Frage der Sensibilität: Ich bestreite nicht, dass es in allen Parteien eine gewachsene Sensibilität bezüg

lich der Verquickung von politischer und beruflicher Tätigkeit gibt. Ich finde es aber komisch, dass Sie sagen, das sei alles kein Problem. Andere in Ihrer Partei sehen das offensichtlich anders. Wenn man als Partei meint, man habe sich verändert, man habe heute eine höhere Sensibilität, dann wäre es die Aufgabe Ihrer Fraktion, den Präsidenten zurückzuziehen. Das ist problemlos möglich. Reden Sie mit Herrn Momper. Sagen Sie ihm, welche Sensibilität in Ihrer Fraktion vorherrscht und warum er möglicherweise sein Amt zurückgeben muss.

Ich habe gesagt, dass für uns alle die gleichen Maßstäbe gelten. Ich habe darauf hingewiesen, dass Sie gesagt haben, die Fakten seien so nicht bekannt. Ich sagte daraufhin: Offensichtlich nicht bei Ihnen, aber bei Ihren Kollegen, die sich dazu geäußert haben. – Vielen Dank!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir geht es ein wenig wie dem Kollegen Braun, denn ich muss mich entscheiden, ob ich über Frau Klotz’ Beitrag rede oder über die vorliegenden Anträge. Frau Klotz hat die Medienlage referiert. Meine Haltung zu dem Thema ist deshalb auch bekannt. Ich werde aus diesem Grund nicht der Versuchung erliegen, das auszuwalzen. Sie können das ja auch in der Presse nachlesen. Ich werde vielmehr zu den Anträgen reden, und auch nicht der Versuchung erliegen, noch ein drittes Thema anzusprechen. Natürlich könnten wir uns über den verfassungswidrigen Haushalt, die Bankgesellschaft oder die Wasserbetriebe unterhalten, aber ich denke, dass das jetzt fehl am Platz ist.

und sie sind von allen Präsidenten abgezeichnet worden. Wir haben alle dazu gelernt, und ich finde, man sollte denjenigen, die vor diesem Urteil etwas unterzeichnet haben, keine Vorwürfe machen. Wir waren alle nicht schlauer. Es hat auch bislang niemanden gegeben, der Herrn Momper hierfür Vorwürfe gemacht hat.

Noch ein weiteres: Sie haben hier Herrn Rackles, Herrn Buchholz, Herrn Zackenfels zitiert.

Ich bin stolz darauf, dass wir in meiner Partei eine Sensibilität dafür entwickelt haben, dass manche Dinge nicht mehr gehen. Diese Sensibilität muss man manchmal dann auch mit den Realitäten und Notwendigkeiten abgleichen, denen wir alle unterliegen. Dieser Abgleich findet manchmal etwas später statt als die Stellungnahmen in den Presseorganen. Das ist bedauerlich, aber ich glaube, dass die SPD sich darauf etwas zugute halten kann, dass sie selbst kritisch all das hinterfragt, was mit der Moral von Politikern zu tun hat. Ich sage nicht, dass dies andere Parteien nicht täten. Wir sind alle sensibler geworden. Aber lassen Sie uns mit unserer Empfindsamkeit auch verantwortlich umgehen!

[Beifall bei der SPD]

Danke, Herr Kollege Lorenz! – Bitte, Herr Braun, Sie wollen erwidern!

Herr Lorenz! Ob ein Gesetz verfassungsgemäß ist oder nicht, das entscheidet immer noch der Verfassungsgerichtshof. Ihre Hypothese, die Haushalte der Vorjahre unter einer Koalition, der Sie angehörten, seien eventuell nicht verfassungsgemäß gewesen, können wir nicht beurteilen.

Der gravierende Unterschied besteht darin, dass wir anlässlich der Verabschiedung im Juni 2002 hier im Hause eine heftige Debatte hatten, in der Ihr damaliger rechtspolitischer Sprecher, Herr Benneter, versuchte, Herrn Sarrazin einen Ball zuzuspielen, indem er auf die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts hinwies. Herr Sarrazin war dennoch nicht bereit, diesen Haushalt aufzunehmen.

Die Besonderheit, dass Herr Sarrazin einen Tag zuvor in seinem Haus die Rede, die er uns hier gehalten hat, aufgeschrieben hat und hier in die Plenarsitzung kommt und erklärt, der Haushalt sei verfassungswidrig – – Dann kommt unser schärfster Verfassungsrichter, Herr Wowereit, der guten Umgang und Klärung hat, und erklärt für den Senat, der Haushalt sei verfassungsgemäß.

In einer solchen Situation, in der erkennbar war, dass ein solches Gesetz vor den Verfassungsgerichtshof geht, hat der Präsident selbstverständlich Prüfungspflichten. Diesen ist er nicht in ausreichendem Maß nachgekommen.

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Braun! – Das Wort für die PDS haben Sie, Herr Kollege Lederer!

Die Anträge der Fraktion der Grünen sind aus Sicht meiner Fraktion diskussionswürdig. Der Antrag auf Änderung der Verfassung entspricht der Regelung des Artikels 14 Abs. 2 der Landesverfassung von SchleswigHolstein und sieht die Abwahlmöglichkeit für die Parlamentsspitze vor. Meine Fraktion ist der Ansicht, dass die Berufung in ein Wahlamt prinzipiell mit der Möglichkeit einhergehen sollte, die oder den Berufenen auch wieder abzuwählen. Sicherlich ist für die Ausübung des Präsidentenamts ein besonderes Maß an Unabhängigkeit erforderlich. Eine Regelung darf daher nicht dazu führen, dass jede umstrittene oder Widerspruch erregende Haltung oder Handlung zu Abwahlanträgen oder einer sukzessiven Demontage des Amtes führt. Das kann aber – wie es in Schleswig-Holstein geregelt worden ist und in der Drucksache vorgeschlagen wird – durch ein besonders hohes Antragsquorum und eine qualifizierte Mehrheit für den Erfolg sichergestellt werden. Deshalb stehen wir dem Vorschlag durchaus positiv und aufgeschlossen gegenüber. Wir würden ihm zustimmen.

Aus unserer Sicht wäre es sogar sinnvoll, über eine Einbeziehung der Vorstände der Berliner Bezirksverordnetenversammlungen nachzudenken. Das Berliner Be

Lederer

Danke schön, Herr Kollege! – Die Redeliste schließt mit Herrn Dr. Lindner. – Bitte, Sie haben das Wort für die FDP-Fraktion!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat eine schwierige Frage, wann in einem Teilzeitparlament noch ein Mandat, ein Auftrag übernommen werden kann, wenn auf der anderen Seite das Land Berlin steht. Kann man das generalisieren? Wird zwischen einem Bauunternehmer und einem Handwerker unterschieden? Dürfen diese sich auf Ausschreibungen bewerben? Was ist mit Notaren und Rechtsanwälten? – Das ist nicht so einfach. Ich habe mich selbst gefragt, ob ich als Rechtsanwalt Mandate übernehmen kann, wenn auf der anderen Seite das Land Berlin steht. Gilt dabei für mich als Oppositionsmitglied etwas anderes als für einen Angehörigen einer Regierungsfraktion? – Das ist schwierig. Es kann nicht generell ausgeschlossen sein, dass man weiterhin tätig ist. Die Grenze ist manchmal schwer zu ziehen. Es geht nicht immer nur um Bauaufträge oder um Vergabegeschichten. Man stellt sich beispielsweise auch die Frage, ob man im Innenausschuss dieses Parlaments sitzen und gleichzeitig auf der eigenen Website darauf hinweisen darf, dass die eigene Kanzlei auf die Vereinbarung von Deeskalationskonzepten im Vorfeld mit der Polizei spezialisiert ist. Kann ich das, oder erwecke ich den Eindruck, ich verfügte über einen leichteren Zugang zu Staatssekretären des Inneren, die mir bei solchen Angelegenheiten regelmäßig über den Weg laufen? Das sind alles Dinge, die müssen nicht problematisch sein, aber ich glaube, man muss vorsichtig damit umgehen. Ich erwarte von unserem Präsidenten, dass er das nötige Fingerspitzengefühl entwickelt und prüft, ob die jeweilige Annahme eines solchen Mandats, einer solchen Beauftragung mit diesem Ethos, den man als Abgeordneter hat, vereinbar ist oder nicht.

zirksverwaltungsgesetz müsste entsprechend geändert werden. Da ist das Problem nämlich ähnlich.

Es steht aber fest, dass bei diesen Quoren Vorwürfe oder Verdächtigungen nicht reichen werden. Eine große Mehrheit des Parlaments muss der Ansicht sein, dass die oder der Bewerber in seiner Amtsausübung nicht mehr tragbar ist. Ich wäre deshalb vorsichtig, die Abwahloption in die Nähe dessen zu rücken, was Frau Klotz hier thematisiert hat.

Der zweite Antrag, dessen Inhalt in einer besonderen Anzeigepflicht für berufliche Tätigkeiten besteht, bei denen eine mögliche Interessenkollision zwischen Amt und entgeltlicher Tätigkeit gegeben sein könnte, bringt aus unserer Sicht ein Problem mit sich. Unsere Fraktion meint, dass die Spitze des Parlaments nicht in besonderer Weise Publizitätspflichten unterworfen werden sollte, die sich nicht aus der besonderen Amtsstellung ableiten lassen. Die Pflicht, berufliche Tätigkeiten und Mandatsausübung auseinander zu halten, trifft alle Abgeordneten gleichermaßen. Der Kollege Lorenz hat darauf soeben bereits hingewiesen.

Beim Berliner Abgeordnetenhaus handelt es sich um ein Halbtagsparlament, so dass die Option einer beruflichen Tätigkeit aller Mitglieder eingeschlossen ist. Wenn also die Möglichkeit einer Interessenkollision besteht, so ist das demnach nicht nur bei einigen, sondern bei allen Mitgliedern unseres Hauses der Fall. Es ist deshalb aus unserer Sicht nicht begründbar, weshalb die entsprechenden Sorgfalts- und Transparenzpflichten eine Präsidentin bzw. einen Präsidenten und die Stellvertreterinnen oder Stellvertreter allein treffen sollen. Verhaltenspflichten müssen für alle Abgeordneten gelten. Es gibt keine Mitglieder des Hauses 1. oder 2. Klasse.

Deshalb sollten wir im Weiteren prüfen, welche Transparenz- und Anzeigepflichten sinnvollerweise in die Verhaltensregeln aufgenommen werden sollten. Es ist gut vorstellbar, hier weiter zu gehen als bisher. In diesem Zusammenhang müssten wir aber auch die Frage aufwerfen, was über Abschnitt 1 Ziffer 1 Nummer 1 der Verhaltensrichtlinien, nämlich die bisherigen Regelungen, hinaus zu Angaben im Zusammenhang mit beruflichen Tätigkeiten stehenden Angelegenheiten geregelt werden soll und wie am Ende nachvollziehbar und bestimmt festgestellt werden kann, ob gegen die Richtlinien verstoßen wurde.

Hierüber scheint ein Austausch in den Ausschüssen mit dem Ziel praktikabler Regelungen erforderlich. Ich freue mich auf diese Diskussion. Es ist unseres Erachtens aber nicht, wie es der Grünen-Antrag intendiert, sinnvoll, den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Megaausschuss mit ausufernder Zuständigkeit zu entwickeln, wie es augenblicklich die Tendenz ist. Unseres Erachtens ist das Präsidium der richtige Ort für die Verhandlung des Verhaltens der Mitglieder des Hauses, denn es handelt

sich hierbei weder um eine Geschäftsordnungsfrage noch um eine Immunitätsangelegenheit. – Danke!

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Jetzt zu den Anträgen. Die sind vernünftig. Die Abwahl eines Gewählten in einer Demokratie ist eine Selbstverständlichkeit. Mir fallen äußerst wenig Fälle ein, bei denen eine Abwahl oder eine Amtsenthebung nicht möglich ist

[Zurufe: Der Papst!]