Protokoll der Sitzung vom 29.01.2004

Nein, Herr Cramer, ich kenne Ihre Fragen aus dem Ausschuss. Ich beantworte sie jetzt nicht.

[Wansner (CDU): Für eine solche Rede würde ich mich schämen! – Matz (FDP): Wie war denn der Zeitablauf? Was kam zuerst?]

Ich weiß, dass Ihnen das wehtut.

[Zurufe – Unruhe]

Diese künstliche Erregung, die Sie hier ausgespielt haben, Herr Cramer, verdeckt nicht, dass Sie auch Teil der Ursache dafür sind, dass wir genau überlegen müssen: Können wir es uns als einzige Stadt bundesweit leisten, ein Sozialticket zu finanzieren, was keine andere Stadt macht, und das dann auch noch nach einem Prinzip, das nie durchgerechnet worden ist, sondern wo die Verkehrsbetriebe nach irgendeiner Tradition irgendwelche Zuschüsse bekommen? – Herr Cramer, Sie und Ihre Hauptausschussmitglieder, die bei jeder Sache eine ausführliche Begründung wollen, müssen doch jetzt wirklich rot werden, wenn Sie „Haltet den Dieb!“ rufen. Sie sind die Verursacher dieses Chaos, Sie ganz alleine!

[Cramer (Grüne): Lächerlich!]

Der Senat hat im vergangenen Jahr, weil er der Meinung war, wir können dieses Angebot in der Form nicht mehr aufrechterhalten, den Vertrag gekündigt und gesagt: Wir müssen jetzt neue Verhandlungen mit den Verkehrsbetrieben führen. – Die Verkehrsbetriebe haben bis heute keine vernünftige Kalkulation vorgelegt, warum sie zu welchem Preis ein Sozialticket anbieten können oder wollen, was für Einnahmeverluste sie dabei eventuell haben. Wir haben nichts, keine Zahlen, nichts. Und Sie stellen sich hin und sagen, wir sollen nicht nur die 17,5 Millionen € weiterzahlen, sondern wir sollen sogar noch etwas drauflegen, damit es dann noch mehr wird. – Die Verkehrsbetriebe bekommen von uns über 500 Millionen € im Jahr an Zuschüssen, und Sie sagen: Das ist ganz toll, und da legen wir noch etwas obendrauf. – Und das mit dem Verfassungsgerichtsurteil im Hintergrund, das Sie erstritten haben. Herr Cramer, wie ernst nehmen Sie sich eigentlich noch?

[Beifall bei der SPD und de PDS – Mutlu (Grüne): Peinlich!]

Deshalb glaube ich, dass der Senat hier richtig gehandelt hat und dass er auch richtig handelt, wenn er jetzt die Verhandlungen vorantreibt. Und ich glaube, dass es den Verkehrsunternehmen ganz gut tut, etwas Druck zu verspüren, dass diese reine Subventionsmentalität so nicht mehr weiterläuft. Man muss es klar belegen, wenn man Forderungen hat. Wenn man sagt, hier gibt es Ausfälle, dann müssen die auf den Tisch. Der Antrag, den wir als Änderungsantrag zu Ihrem vorgelegt haben, sagt nicht mehr und nicht weniger. Er sagt, die Verkehrsbetriebe sollen ein selbst kalkuliertes Angebot an Menschen machen, die sich normale Monatskarten nicht leisten können. Dann werden wir sehen, zu welchem Preis sie das machen können. Und dann muss man sehen, was der Senat tut, um das für alle erschwinglich zu machen.

Aber Ihre Vorstellung ist absurd, wir könnten jetzt alle Sozialhilfeempfänger zwingen, ein Ticket zu kaufen zu einem wie auch immer rabattierten Preis, und dann gibt es noch einen Sozialfonds. Was sind denn bei Sozialhilfeempfängern die Sozialfälle? Können Sie mir die mal definieren? Das ist doch nun wirklich der Gipfel der Absurdität, hier mit dem Semesterticketprinzip zu kommen. Also, Herr Cramer, überlegen Sie noch einmal wirklich, was Sie hier machen. Ich glaube, der Senat ist gut beraten, sich von den Verkehrsbetrieben erst mal etwas vorlegen zu lassen. Wir wollen, dass das Sozialticket schneller als Ende des Jahres wieder eingeführt wird. Insofern hoffen wir, dass diese Verhandlungen schnell gehen. Aber bitte, lassen Sie uns das seriös angehen, seriös begründen und dann eine vernünftige Abwägung auf Grundlage von Zahlen und nicht von Mutmaßungen und Wünschen treffen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege Gaebler! – Das Wort hat für eine Kurzintervention der Kollege Cramer – bitte schön!

Es ist bedauerlich, dass Sie zur SBahn kein Wort sagen. Es ist auch bedauerlich, Herr Gaebler, dass Sie noch nicht einmal das, was im Ausschuss diskutiert wurde, wenigstens aufgenommen und bis heute behalten haben. Ich will Ihnen zunächst einmal sagen: Im letzten Monat hat das Land Berlin mehr für die Sozialhilfeempfänger an die Verkehrsbetriebe gezahlt als mit dem alten Sozialticket. Das heißt, das Risiko für die Mehrzahlungen trägt dieser Senat, tragen diese Parteien.

Sie erwähnen das Verfassungsgericht. Nach dem Spruch des Verfassungsgerichts hat Ihr Senator Strieder den Nulltarif für Kurzparker angekündigt. Die Einnahmeausfälle spielen keine Rolle, die haben ja die Bezirke zu tragen. Das ist alles vereinbar mit dem Verfassungsgerichtsurteil. Und dann – das habe ich Ihnen im Ausschuss auch schon gesagt –: Die 17 Millionen €, die der Senat gestrichen hat, hat er zu einem Zeitpunkt gestrichen, als es das Urteil des Verfassungsgerichts noch gar nicht gab.

[Beifall bei den Grünen]

Das wissen Sie doch, das habe ich Ihnen doch schon im Ausschuss gesagt. Warum blamieren Sie sich denn hier wissentlich? Bleiben Sie doch wenigstens bei der Wahrheit! Wir wissen es doch alle. Glauben Sie denn, wir hätten so ein schlechtes Gedächtnis wie Sie?

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Nicht unerwartet repliziert der Herr Abgeordnete Gaebler. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Kollege Cramer, wenn Sie mir richtig zuhören würden, hätten Sie gehört, dass ich nicht gesagt habe, der Senat hat nach dem Verfassungsgerichtsurteil gekündigt. Er hat aber aus den Gründen gekündigt,

[Gelächter bei den Grünen]

die das Verfassungsgericht auch angeführt hat bei der Frage: Wie müssen wir unsere Ausgabenpolitik im Land Berlin in Zukunft überprüfen? – Dazu, Herr Cramer, haben Sie inhaltlich nichts gesagt. Sie haben sich hinter Formfragen versteckt. Aber sagen Sie doch einmal substantiell etwas dazu: Wie wollen Sie das vor dem Hintergrund des Urteils, das Sie erwirkt haben, das vernünftig begründen? Das haben Sie nicht gesagt. Sie haben hier diffuse Sachen gesagt, Sie haben auf Herrn Strieders Kurzparken verwiesen, was übrigens nur eine Möglichkeit für die Bezirke sein soll, wo Sie aber dagegen sind. Warum sind Sie denn dafür, dass das beim Sozialticket gemacht wird? Ihre Logik ist nicht ganz durchgängig. Und deshalb sage ich Ihnen noch einmal: Das, was der Senat hier macht, ist konsequent. Es ist ausgewogen, und ich hoffe, dass es in kurzer Zeit zu einem Ziel führt und dass BVG und S-Bahn sich hier einmal von der Subventionsmentalität verabschieden. Dass Sie diese Lobbyisten auch noch durch Ihre Argumentation unterstützen, finde ich sehr bedauerlich. Es wäre besser, wenn wir gemeinsam auf die Verkehrsunternehmen den Druck ausüben würden, endlich zu vernünftigen Verhandlungen zu kommen und vernünftige Zahlen vorzulegen und schnell wieder ein Sozialticket zusammen mit dem Senat einzuführen. Damit wäre ihnen mehr geholfen als mit Ihrem Geschrei. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Gaebler! – Wir fahren fort in der Redeliste. Das Wort hat für die CDU-Fraktion der Kollege Hoffmann – bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Es ist schade, Herr Gaebler, dass Herr Cramer jetzt nicht antworten kann. Vielleicht kann ich wenigstens zwei Punkte ansprechen. Sie haben es ja hier dick aufgetragen mit Ihrem Vortrag. Ganz groß angekündigt, ganz groß Beschuldigungen an die Opposition getragen, das deckt Ihre eigene Unfähigkeit in dem Punkt überhaupt nicht.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Das ist einmal ganz klar festzuhalten.

Was haben Sie denn geändert an Ihrem Haushalt? – Ich kann mich noch an die Debatten erinnern. Sie haben für alles irgendwelche Begründungen gefunden, nur dafür soll es angeblich keine geben. Auch das ist einfach nur lächerlich, was Sie machen: erst handeln, dann Chaos feststellen und dann sich erschrocken umdrehen und denken, was ist denn jetzt passiert. Das läuft nach dem Motto ab: planlos, kopflos, ratlos. Und das Ärgerliche, und deswegen wird die Debatte auch mit so viel Emotionen geführt, ist, dass das alles auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die unserer Unterstützung bedürfen, weil sie in einer sozialen Lage sind, die dringend der Unterstützung der Gemeinschaft, dieser Gemeinschaft, die das soziale Zusammenleben darstellt, bedarf. Deswegen ist noch einmal deutlich zu sagen, dass wir feststellen,

noch einmal deutlich zu sagen, dass wir feststellen, dass Rot-Rot erst die Streichung des Sozialtickets in Berlin ermöglicht.

[Beifall bei der CDU]

Das ist sozialer Kahlschlag, weil es keine Veranlassung dafür gab. Wir haben im Fachausschuss mehrfach darüber diskutiert, welche Lösungsmöglichkeiten es geben könnte, wie die Berechnungen aussehen. Haben Sie sich denn einmal darüber Gedanken gemacht? Sie haben sich der Debatte verweigert. Wir haben gerechnet, wie es aussehen könnte, und wir haben es auch so bekommen, wie wir es vorausgesagt haben: Die Bezirke sollen die Belastungen tragen, genau das ist das Ergebnis. Es wird auch so umgesetzt. Glücklicherweise für die Betroffenen wird den Sozialhilfeempfängern und anderen Gruppen, Grundsicherungsempfänger, Empfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die Möglichkeit gegeben, das Ticket zu erwerben. Glücklicherweise sind die Bezirke eben nicht mit einer solchen sozialen Kälte ausgestattet, wie Sie es offenbar sind, die erst einmal alles wegfallen lassen.

[Beifall bei der CDU]

Insofern ist es richtig, dass alles teurer geworden ist, was Sie hier mit verursacht haben. Sie haben Chaos provoziert, und Sie haben es eben nicht geschafft, rechtzeitig über einen Lösungsansatz zu diskutieren.

Da will ich einmal deutlich sagen, dass sich das ganz deutlich von der Position der CDU unterscheidet. Wir haben nämlich überlegt, wie wir das Problem lösen könnten. Wir haben darüber nachgedacht, wie man zu einer anderen Lösung kommen kann, ohne diese 17,4 Millionen € bereitzustellen. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der zum einen die Zeit berücksichtigt, zum anderen die Auslastung und zum dritten auch den finanziellen Rahmen, der gegeben ist. Dazu muss man Verhandlungen führen, bevor man Entscheidungen trifft, und nicht erst entscheiden und dann dumm dastehen.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Hoffmann! – Die PDS folgt. Das Wort hat Herr Dr. Nelken – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Debatte muss man sich entscheiden, ob man über die Sachzusammenhänge reden oder zunächst einmal den politischen Konkurrenten mit Polemik abservieren möchte. Ich glaube, auch der ansonsten an Sachzusammenhängen orientierte Kollege Cramer hat in seiner Rede, sogar anders als im Antragstext, die Sachebene an mehreren Stellen verlassen. Die Frage ist, worüber wir reden, und das ist im Antrag der Grünen richtig formuliert. Es ging zunächst um die Abschaffung des Zuschusses zur Finanzierung des Sozialtickets, also eines zusätzlichen Zuschusses für die entsprechend Bedürftigen. Das ist eine Entscheidung, die die Koalition zu verantworten hat, und das geschah unter dem Eindruck der Klage, die wir selbst eingereicht haben, um Finanzhilfen zu bekommen, wo wir uns die Frage stellen mussten, ob Leistungen und

Ausgaben des Landes gerechtfertigt sind. Darüber kann man streiten, aber das ist nicht das Thema unserer Debatte, sondern man vermischt hier diesen Zuschuss zur Subventionierung des Sozialtickets mit dem Sozialticket selbst. Der Zuschuss wurde gestrichen.

Daraufhin hat die BVG das Sozialticket gänzlich abgeschafft, hat es nicht zu dem ursprünglichen Preis angeboten und hat gleich zwei weitere Tickets generell abgeschafft, weshalb wir beides auseinanderhalten wollen. Deswegen sage ich: Jemand, der eine Verkehrsleistung für das Land Berlin erbringt und dafür Steuergelder in Höhe von 500 Millionen € im Jahr erhält, hat ein entsprechend strukturiertes Angebot an Tickets zu erbringen, auch entsprechend der sozialen Struktur in der Stadt. Darüber kann man mit ihm verhandeln. Dann muss man sich die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, wenn er dieses Angebot erbracht hat, das er selbst kalkuliert hat, ob man dann noch einzelne Tickets für bestimmte Gruppen zusätzlich zu dem von der BVG dargestellten Preis subventioniert. Darüber kann man diskutieren. Aber man muss beides auseinander halten und nicht unzulässig miteinander vermischen.

Also bleiben wir dabei, dass wir alle ein Sozialticket wollen, das von der BVG selbst kalkuliert wird, weil es darum geht, dass der Mobilitätsanspruch, den alle sozial Schwachen in dieser Stadt haben, einen Rechtsanspruch darstellt und garantiert bleibt.

[Hoffmann (CDU): Das ist doch geheuchelt!]

Nein, das ist das, worüber wir reden, da muss man einmal richtig hinhören! –Wenn man das mit der BVG ausgehandelt hat, können Sie die Frage neu aufmachen, ob der Preis, der dann herauskommt, zu hoch oder zu niedrig ist und ob es Gruppen gibt, wo man sagen muss, dass der Preis wiederum zusätzlich subventioniert werden muss. Beide Debatten durcheinander zu werfen, hilft nichts. Warten wir mal ab, zu was für einem Ergebnis diese Verhandlungen führen, und dann können wir die andere Debatte über die Zusatzsubventionen gern aufmachen. Da bin ich gespannt, welche Position die Grünen und die anderen Parteien der Opposition, die sich hier als Retter des Sozialtickets gerieren, dann einnehmen werden.

Was Sie vorgeschlagen haben, Herr Cramer, dass wir ein Pflichtticket für alle sozial Bedürftigen einführen, ist kaum die Lösung, selbst dann, wenn wir in diesem Pflichtticket noch eine Sozialklausel einführen. Das war keine so gute Idee. – Danke!

[Beifall bei der PDS]

Danke schön, Herr Dr. Nelken! – Nun folgt die FDP. Herr Kollege Lehmann hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Senat in seinem Haushalt 2004/2005 auf die glorreiche Idee kam, ca. 17 Millionen € durch den Wegfall des so genannten Sozialticket einzusparen, hat er anscheinend die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er hat

dabei alles andere getan, als sich mit Ruhm zu bekleckern, denn er befindet sich nun in der Zwickmühle. Angesichts der katastrophalen Umfrageergebnisse für PDS und SPD versucht der Senat, nun auf Teufel komm raus zurückzuschwimmen. Hektisch treffen sich nun die Sozialsenatorin und der Wirtschaftssenator mit den Verantwortlichen der BVG – wie wir heute gehört haben, bisher ohne die S-Bahn –, damit zumindest für das nächste Jahr ein wie auch immer konzipiertes Sozialtickets mit Brachialgewalt entstehen kann. Lieber Herr Wolf, liebe Frau Knake-Werner, was sagt eigentlich Ihr Finanzsenator zu so viel Dilettantismus? Setzen Sie sich durch, wird Herr Sarrazin, wie viele Male zuvor, das Gesicht verlieren. Kommt es zu einer Vereinbarung zwischen der BVG und dem Senat über das Sozialticket, dann ist das wohl nichts anderes als eine Politik von der linken Tasche in die rechte Tasche. Einerseits wird die BVG mit 500 Millionen € jährlich subventioniert, andererseits versucht der Senat, dem öffentlichen Nahverkehr kostenneutral immer mehr aufzudrücken. Das gilt nicht nur für das Sozialticket. Das betrifft auch den Telebus. Mit dieser unseriösen Politik werden Sie Schiffbruch erleiden.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Es ist mir ein Rätsel, wie Sie mit dieser Politik die BVG sanieren wollen. Es ist auch kein Wunder, dass die SBahn diese Mehrkosten nicht tragen will. Wir stehen eindeutig auf dem Standpunkt: Wer bestellt, muss auch bezahlen.