Protokoll der Sitzung vom 19.02.2004

[Unruhe]

Unsere Kultur ist im Wesentlichen geprägt von der christlich-jüdischen abendländischen Tradition und vom geistigen Erbe der Aufklärung. Es ist deshalb ein Irrtum, anzunehmen, dass wir mit dem Verbot des Kopftuches auto

matisch das Verbot jeglicher religiöser Symbole an den Schulen fordern werden.

Es sollen nur Bekundungen untersagt werden, die geeignet sind, den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Hierzu gehört auch, dass die Union von allen Lehrern erwartet, dass sie sich durch ihr äußeres Verhalten für die Werte unserer freiheitlichen Grundordnung einsetzen.

Antje Vollmer, Vizepräsidentin des Bundestages und Mitglied der Grünen, hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Kopftuch-Tragen immer mehr zum politischen Symbol der Anhänger islamistischer Bewegungen geworden ist.

[Beifall bei der CDU]

Wörtlich sagt Frau Vollmer:

Das Symbol des verhüllten Frauenhaars ist in der Moderne spätestens seit Khomeini ein Symbol gegen Toleranz, gegen Pluralismus und für eine rechtlich minderwertige Stellung der Frau. Wer das Kopftuch der Unterrichtenden zulässt, lässt diese Sichtweise im Klassenzimmer zu.

Die CDU-Fraktion teilt diese Auffassung.

[Beifall bei der CDU]

Bischof Huber hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Kopftuchverbot nicht mit dem Tragen eines Kreuzes am Revers oder eines Davidsterns an einer Kette gleichgesetzt werden darf. Auch ein Staat, der sich selbst zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, muss die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreiten.

In diesem Sinn ist das Bewahren eines Lebenselements unserer Kultur keine Bevorzugung einer Religion seitens des Staates, sondern eine Praxis, die aus der kulturellen Herkunft gegeben ist.

[Ritzmann (FDP): Und verfassungswidrig ist!]

Wer das Kopftuch einer Lehrerin in der Schule verbietet, greift niemanden wegen seiner Religion an, verlangt aber Mäßigung im Blick auf eine damit nicht auszuschließende politische Botschaft, die mit den Grundüberzeugungen der Verfassung vereinbar ist.

Gerade in einer religiös pluraler werdenden Gesellschaft ist die eindeutige Unterscheidung zwischen Politik und Religion bedeutsam. Aus diesem Grund bitte ich für die CDU-Fraktion um die Unterstützung unseres Gesetzentwurfs. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Braun. – Es folgt die SPD mit Herrn Dr. Felgentreu. – Bitte schön!

[Ritzmann (FDP): Die kündigen jetzt einen eigenen Entwurf an!]

Vizepräsident Dr. Stölzl

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes bringt die CDU nun zum zweiten Mal einen Antrag ein, der Konsequenzen aus dem Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgericht ziehen soll.

Ein zweiter Ausgangspunkt für die Union ist offenkundig die Auseinandersetzung innerhalb der Koalition über diese Frage. Die PDS will Lehrerinnen das Kopftuch vor der Klasse nicht verbieten, die SPD will es dennoch. Es ist nachvollziehbar, dass die CDU der Versuchung nicht widerstehen kann, die Meinungsverschiedenheiten in der Koalition zu vertiefen, wenn ihr das denn gelingen sollte.

In Ihrer Begründung behaupten Sie, Herr Braun, eine angebliche Untätigkeit der Politik beenden zu wollen. Damit sich dieses Haus überzeugen kann, dass die Untätigkeit nur in der Wahrnehmung der CDU liegt, lassen Sie mich kurz erläutern, worauf wir uns in der Koalition geeinigt haben und was die SPD erreichen will.

Die Regierungsparteien sind sich zunächst darüber einig, dass die Frage einer landesrechtlichen Regelung zügig, aber nicht überstürzt zu entscheiden ist. Wir wollen der gesellschaftlichen Diskussion den angemessenen Raum lassen, einer Debatte, die unsere Stadt auch deswegen braucht, weil Berlin wie keine andere deutsche Stadt von Einwanderung geprägt ist. Deshalb wird es erst im Frühjahr einen Vorschlag unsererseits geben.

Zum Zweiten sind wir uns darüber einig, im öffentlichen Dienst dort keine Öffnung zuzulassen, wo es bereits Bekleidungsvorschriften gibt. Das umfasst unter anderem die Schutzpolizei und weite Teile der Justiz.

Die SPD will jedoch noch einen Schritt weiter gehen. Wir schließen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Berlin braucht ein Gesetz, das es Amtsträgern verbietet, durch ihre Kleidung religiös, politisch oder weltanschaulich Einfluss auszuüben, wo sie als Repräsentanten staatlicher Gewalt den Bürgerinnen und Bürgern gegenübertreten.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Henkel?

Herr Dr. Felgentreu! Stimmen Sie mit mir darin überein, dass es Ihr Innensenator war, der, kaum dass die Tinte unter dem Bundesverfassungsgerichtsurteil trocken war, gesagt hat, wir brauchten dringend ein Gesetz für ein Kopftuchverbot im gesamten öffentlichen Dienst?

In diesem Punkt stimme ich nicht nur mit Ihnen überein, sondern auch mit dem Innensenator. Ich erkläre Ihnen auch gern, warum es Zeit

braucht, so etwas gut und richtig zu machen, anders als Sie das versucht haben.

Lassen Sie mich bitte weiter fortfahren: Natürlich geht es uns auch um das Kopftuch. Für viele Menschen ist das Kopftuch nicht mehr als ein Kleidungsstück, und gewiss ist es für viele auch ein gottgefälliges Kleidungsstück. Aber wir müssen doch erkennen, dass der politische Islam das Kopftuch im Kampf gegen die Menschenrechte und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu einem seiner wichtigsten Symbole gemacht hat.

Wir können und wir werden nicht akzeptieren, dass sich eine Beamtin dieses Landes mit Symbolen schmückt, die gegen die Grundwerte der Demokratie gerichtet sind.

[Beifall bei der SPD – Henkel (CDU): Wie lange brauchen Sie dafür?]

In der besten Tradition dieser Stadt sagen wir: In Berlin kann von jeher jeder nach seiner Façon selig werden. Das soll auch so bleiben. Aber noch nie konnte jeder nach seiner Façon Beamter werden. Das soll auch so bleiben. Mit dieser Auffassung stehen wir der Opposition gelegentlich näher als unserem Koalitionspartner. Trotzdem ist der Antrag der CDU in der vorliegenden Form für uns nicht zustimmungsfähig. Inhaltlich lehnen wir ihn aus zwei Gründen ab:

Erstens greift uns eine Regelung nur für den schulischen Bereich zu kurz. Wir wollen eine Norm, die in den gesamten öffentlichen Dienst hineinwirkt.

Zweitens, weil Ihr Gesetzentwurf christliche Symbole privilegiert. Es ist müßig, an dieser Stelle unser christliches Erbe in die Diskussion einzuführen.

Der kulturelle Aspekt dieser Auseinandersetzung ist von großer Bedeutung, aber er berührt nicht die Rechtsfragen, um die es dabei geht. Das Bundesverfassungsgericht hält in seinem Urteil ein Verbot nur dann für begründet und durchsetzbar, wenn – ich zitiere –:

... Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden.

Die SPD-Fraktion wird es in dieser wichtigen Frage nicht darauf ankommen lassen, ein Gesetz zu machen, das vor dem Verfassungsgericht nicht bestehen kann. Auch deshalb nehmen wir uns ein bisschen mehr Zeit als Sie, Herr Braun. Dass etwas mehr Bedachtsamkeit auch der CDU gut getan hätte, zeigt die Nachbesserung Ihrer Vorlage, die wir heute auf den Tischen haben.

[Henkel (CDU): Schon viele Male passiert!]

In Ihrem Ursprungsantrag zitieren Sie noch Landesgesetze von Baden-Württemberg. Warum? – Weil Sie den ganzen Antrag ohne Sinn und Verstand aus der dortigen Vorlage abgeschrieben haben. Deshalb!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

So ist es! Und das ohne jede Rücksichtnahme auf den Stand der Diskussion in unserer Stadt oder auf solche

Nebensächlichkeiten wie die unterschiedlichen Verfassungen und Traditionen in der föderalen Republik. Sie vertrauen blind darauf, dass eine erfolgreichere CDU als die Ihre schon alles richtig gemacht haben dürfte. Das mag für Sie genügen, für die SPD-Fraktion genügt es nicht. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke, Herr Kollege Dr. Felgentreu! – Frau Senftleben für die FDP hat das Wort und nimmt es. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Es ist richtig, das Bundesverfassungsgericht hat eine Debatte angestoßen, die weit über den Schulbereich hinaus geht. Es hat entschieden, dass es einer gesetzlichen Grundlage bedarf, um einer Lehrerin das Tragen eines Kopftuches in der Schule und im Unterricht zu verbieten. Dem Landesgesetzgeber – so das Bundesverfassungsgericht – stehe es allerdings frei, diese Grundlage zu schaffen und mit einer zumutbaren Regelung das zulässige Maß religiöser Bezüge neu zu bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht macht es uns nicht leicht. Es stellt fest, dass die jeweiligen Rechte gegeneinander abzuwägen sind. Die Religionsfreiheit, das Benachteiligungsverbot auf Grund religiöser Zugehörigkeit, die Neutralitätspflicht des Staates und das Erziehungsrecht der Eltern sind zu beachten. Karlsruhe gibt allerdings wenig Hinweise darauf, wie das geschehen soll.

Wir sind der Auffassung, dass wir eine klare gesetzliche Regelung benötigen, um ein Neutralitätsgebot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen zu schaffen.

[Handyklingeln – Heiterkeit]

Vielleicht warten wir ein wenig!

Aus gegebenem Anlass weisen wir die Übeltäter darauf hin: Wir müssen doch noch Unterschiede zum Rheinland haben, auch an diesem Donnerstag! – Fahren Sie bitte fort!