Protokoll der Sitzung vom 26.08.2004

Tat lautet das übergreifende Thema der vorliegenden Anträge: Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und kulturelle Bildung und Erziehung. Wir haben dazu eine Anhörung – das ist schon erwähnt worden – am 6. Mai im Fachausschuss durchgeführt, die aus meiner Sicht sehr erhellend gewesen ist, auch wenn Herr Mutlu und Herr Steuer tapfer verleugnen, was dort gesagt wurde. Ich kann gern, wenn es die Zeit nachher noch erlaubt, ein wenig Argumentationshilfe aus dem Wortprotokoll geben.

Gemeinsam ist den vorliegenden Ursprungsanträgen allerdings, dass sie sehr kleinteilig sind und lediglich Einzelfragen aus Politikfeldern herausgreifen

und zwar solche, die auch schon Gegenstand von Senats- oder Koalitionshandeln sind. Deshalb haben sich die Koalitionsfraktionen bei den Beschlüssen entweder auf die Umsetzung dieser Vorhaben konzentriert oder die Anträge komplett abgelehnt.

Hier war die Rede von dem umfassendsten Antrag, den die CDU eingebracht hat: „Handlungsprogramm zur besseren Integration von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft in Berlin vorlegen“. Im Anliegen – das ist deutlich geworden – gibt es überhaupt keinen Dissens. Allerdings spät, sehr spät ist der CDU-Fraktion eingefallen, dass man so etwas braucht. Wenn man die lange Regierungszeit der CDU Revue passieren lässt, stellt man fest, dass solch ein Antrag nie eingebracht worden ist, geschweige denn ein entsprechendes Handlungsprogramm erarbeitet worden wäre. Der Senat hat inzwischen gehandelt, ebenso wie die Koalitionsfraktionen. Bereits mit der Koalitionsvereinbarung haben wir ein solches Bildungsprogramm ins Visier genommen. Inzwischen liegt es vor.

Die CDU-Fraktion hat deshalb ein Handlungsprogramm zur besseren Integration von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft gefordert und dafür ganz klare Schwerpunkte formuliert. Wir wollen mehr Werbung für den Kitabesuch, wir wollen, dass Kinder auch nach einer verpflichtenden Sprachstandsuntersuchung eine systematische Sprachförderung erhalten und gegebenenfalls bei starken Mängeln auch dazu verpflichtet werden können. Sie, Herr Senator, meinen, es sei schon gut, dass rund 92 % der Kinder eines Jahrgangs Kita oder Vorklassen besuchen und dort irgendeine Art von vorschulischer Bildung erhalten. Hierzu stelle ich fest:

1. Es gibt noch überhaupt keine Erkenntnisse darüber, wie viele Kinder nach dem absolut widersinnigen Wegfall der Vorklassen in den Schulen überhaupt noch in die Kitas gehen werden.

2. Tests allein reichen nicht aus. Anstatt eine Qualifizierungsoffensive zu starten und den Kitas endlich die benötigte und gesetzlich vorgeschriebene Anzahl von Erzieherinnen zur Verfügung zu stellen, lassen Sie ein aufwändig und – zugegeben – sehr schön auf Hochglanzpapier gedrucktes Bildungsprogramm erstellen, das die Kitas in freier Trägerschaft im Fachhandel erwerben können. Das ist löblich, reicht aber nicht aus.

3. Sind es gerade die Kinder, die weder in Kitas noch Vorklassen gehen, die wahrscheinlich die größten Probleme haben.

Diese Kinder sollen nun nach Ihrer Auffassung Sprachkurse besuchen. Das ist schön, aber für diese Sprachkurse stellen Sie im gesamten Land Berlin gerade einmal acht Stellen zur Verfügung. Dies haben Sie am 9. Januar im Hauptausschuss so zugegeben. Nein, Herr Senator, acht Stellen reichen nicht aus. Es ist auch nicht richtig, die Förderklassen in den Schulen abzuschaffen und alle Schüler unabhängig von ihren Behinderungen oder Handikaps in eine Gruppe zu stecken. Dies sind nur einige Beispiele unseres Schwerpunktprogramms.

Die Koalition hat unseren Antrag im Jugendausschuss amputiert und fordert nun den Senat auf, irgendeinen Bericht vorzulegen. Um es deutlich zu sagen: Wir sind nicht damit einverstanden, dass Sie wie die Waldschnecke den Kopf einziehen und still sitzen bleiben. Deshalb können wir Ihrem verkürzten Antrag nicht zustimmen.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Die PDS-Fraktion folgt, Frau Schaub hat das Wort. – Bitte schön!

[Rabbach (CDU): Das ist auch so eine Schnecke!]

[Mutlu (Grüne): Vor allen Dingen der Dringlichkeitsantrag von ihnen!]

Was also fordern Sie eigentlich? – Frau Harant hat die Details genannt, ich erspare es mir, sie zu wiederholen. Ein Programm „Integration durch Bildung“ liegt vor. Es wurde mit dem neuen Schulgesetz weiterentwickelt, auch das ist in der Anhörung betont worden. Es ist hier die Rede von einem Paradigmenwechsel gewesen, der erfolgen müsse. Nein, meine Herren! Sie haben im Ausschuss schlicht nicht zugehört. Dort hat Herr Piening sehr deutlich gesagt, dass es sich um einen solchen Wechsel handelt: weg von der Politik des pragmatischen Improvisierens hin zur Politik aus einem Guss. Wer sich die Mühe macht, die integrationspolitischen Schwerpunkte des Migrationsbeauftragten nachzulesen, findet dort eine, wenn auch nicht wortgleiche, aber inhaltlich gleiche Einschätzung. Es gibt eine deutliche Veränderung der Politik in Berlin genau auf diesem Gebiet. Ich empfehle Ihnen, das noch einmal nachzulesen.

Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der grundsätzlicher ist, als der kleinteilige CDU-Antrag – wobei ich noch einmal darauf hinweise, dass wir im Anliegen übereinstimmen – und der den Senat in die Pflicht

Frau Schaub

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Juni 2003 hat die FDP-Fraktion einen Antrag zur verbindlichen Umsetzung des Bildungsprogramms für Kitas eingebracht. Dieser ging in die gleiche inhaltliche Richtung wie nun der dringliche Antrag von SPD und PDS über Bildungsprogramm verbindlich für alle Berliner Kitas. Der Antrag wurde unter anderem mit folgender Begründung von Seiten der rot-roten Koalition im Ausschuss und schließlich im Plenum im Frühjahr 2004 abgelehnt:

Der Antrag der FDP-Fraktion habe sich mit Mitteilung zur Kenntnisnahme – Drucksache 15/1967 – erübrigt. Eine weitere Berichterstattung werde nicht für erforderlich gehalten.

Die Einsicht, dass dies nicht der Fall ist, kommt nach einem Jahr sehr spät. Aber dies zeigt auch, wie unqualifiziert von der rot-roten Regierung mit Anliegen der Bildung umgegangen wird.

Ein Handlungsprogramm zur besseren Integration von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft mit detaillierten Schwerpunkten – die Betonung liegt auf detailliert – zum vorschulischen Bereich, zur Schule und zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule, wie von der CDU beantragt, wurde durch den Änderungsantrag – ich halte die Bezeichnung Ersetzungsantrag für besser – der rot-roten Koalition in einen allgemeinen Zeit- und Maßnahmenplan umgewandelt. Dieser überlässt es letztlich der Senatsverwaltung, welche Schwerpunkte dabei berücksichtigt werden. Die Liberalen können diesem Änderungsantrag nicht zustimmen.

nimmt, in einer deutlich kürzeren Zeit einen Bericht vorzulegen, wie dieses Programm umgesetzt wird und dabei die neuesten Entwicklungen zu berücksichtigen, nämlich die Ergebnisse des Sozialatlasses.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu?

Ja, Kollege Mutlu! – Dann habe ich nachher vielleicht noch Zeit, kurz etwas zu zitieren.

Ich mache es auch kurz. – Können Sie uns sagen, weshalb der „Bärenstark“-Test eingestellt worden ist? Haben Sie die Befürchtung, dass dieser erneut beweisen wird, dass Ihre Maßnahmen nichts gebracht haben?

Herr Kollege Mutlu! Das ist ein Beispiel von grüner Demagogie. Es ist nicht so, dass der Test wegfällt, sondern der Test wird verändert. Mit „Deutsch plus“ findet ein neuer Test statt, und zwar bei den Kindern, bei denen zu Recht die Vermutung besteht, dass es Sprachdefizite gibt. Es kann mitnichten davon die Rede sein, dass es keinen Test gibt. Kein Test ist so gut, dass man ihn nicht noch verändern und verbessern könnte. Sie teilten übrigens im Ausschuss alle kritischen Anmerkungen zum Testverfahren von „Bärenstark“. Wir hatten eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen. Wissenschaftler haben in anderen Bundesländern einen anderen Test vorgelegt, der nun eingesetzt wird. Dagegen gibt es aus meiner Sicht nichts zu kritisieren.

Herr Piening hat im Ausschuss gesagt:

Allerdings glaube ich, dass seit dem letzten Jahr dieses Stichwort „pragmatisches Improvisieren“ für Berlin nicht mehr gilt, weil im letzten Jahr grundlegende Entscheidungen getroffen worden sind, so dass man zu Recht sagen kann, es gibt in Berlin zurzeit eine Politik aus einem Guss.

Ein letzter Satz von ihm aus der Anhörung, der auch mein letzter Satz sein soll:

Dazu gehört meines Erachtens auch, unabhängig von den politischen Sichtweisen auf Details anzuerkennen, dass die Veränderungen des letzten Jahres die große Chance bieten, einen Schritt weiterzukommen, hin zu einem Bildungssystem, das mehr Chancengerechtigkeit für alle Berliner Kinder bietet – egal woher sie oder ihre Eltern kommen. Deshalb lautet mein Wunsch an Sie, diese Chance nicht zu vertun.

Ich würde sagen: Diese Chance nicht zu zerreden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Vielen Dank, Frau Kollegin Schaub! – Die FDP-Fraktion erhält nun das Wort. – Bitte, Herr Dr. Augstin!

[Frau Senftleben (FDP): Die rot-rote Schnecke!]

Die Schnecke kann hier zitiert werden. Frau Schaub, Sie haben das auf die CDU bezogen, aber für die Koalition gilt das eher.

Auch dem Antrag der Grünen – Interkulturelles und globales Lernen in der Lehrerfortbildung sichern! – werden wir nicht zustimmen. Der Antrag ist vor dem Hintergrund der Kürzungen zu verstehen, die für diesen Bereich beim LISUM vorgenommen wurden. Sicher sind die Mittelkürzungen in diesem Bereich schmerzlich.

Wir leben in einer multikulturellen Stadt mit globalen Verflechtungen, wo das Wissen über andere Kulturen, Religionen und Wertegebäude von großer Bedeutung ist. Das gilt nicht nur für Lehrer, sondern auch für Schüler. Deswegen fordert die FDP-Fraktion schon seit langem ein Wahlpflichtfach Religion. Im Rahmen der Lehrerausbildung wird dieses Wissen schon jetzt vermittelt. Unser derzeitiger Schulbetrieb bietet jedoch kaum Gelegenheit dazu. Prioritäten müssen gesetzt werden. Grüne Sozialromantik und Multikultiträume helfen nicht weiter. Vielmehr gefährden sie die Zukunft der Migrantenkinder, wenn sie zur Verschleierung der Tatsache beitragen, dass spätere Lebenschancen primär von der Beherrschung der deutschen Sprache abhängig sind. Sprachförderung ist von essentieller Bedeutung. Der Schwerpunkt muss auf der Vermittlung von Deutsch in der Kita liegen. Aber

Dr. Augstin

Zum Antrag der Fraktion der Grünen, Drucksache 15/1825, – Interkulturelles und globales Lernen in der Lehrerfortbildung sichern! – empfiehlt der Ausschuss mehrheitlich – gegen die Grünen und bei Enthaltung der CDU – die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die SPD, PDS und die FDP. Enthaltungen? – Das ist die CDU. Damit ist das abgelehnt.

auch Deutsch als Zweitsprache im Zusammenhang mit der Schule muss gestärkt werden.

Wir können die Absicht der Grünen durchaus nachvollziehen und hegen sogar gewisse Sympathien dafür. Letztlich teilen wir aber die Schwerpunktsetzung nicht. Daher werden wir dem Antrag nicht zustimmen.

Nun zum Antrag der FDP-Fraktion mit der Überschrift „Vorschulische Bildung – Subjektförderung statt undifferenzierte Pauschalbezuschussung!“: Kindertagesstätten erhalten einen Personalzuschlag für Kinder nichtdeutscher Herkunft im Umfang von zehn Wochenstunden. Die jeweilige Kita kann jedoch erst auf diesen Zuschlag zurückgreifen, wenn die Anteilsmarge von 40 % überschritten ist. Liegt der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund nur knapp unter dem 40-prozentigen Schwellenwert, erhält die Kita keinen Zuschlag. Liegt der Anteil der Kinder nichtdeutscher Herkunft deutlich über 40 %, erhält die Kita auf Grund der unflexiblen Berechnungsmethode keine darüber hinausreichende Förderung. Diese pauschale Regelung ist angesichts der festgestellten Defizite, die – ich zitiere „Bärenstark“ – ausschließlich Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache berücksichtigt, nicht zu verantworten, denn Sprachdefizite als solche bleiben unberücksichtigt. Das ist angesichts der vorliegenden Sprachstandsstudien unverantwortlich. Die Diskriminierung der deutschen Kinder mit großen Sprachproblemen ist nicht länger hinnehmbar.

Ziel des Antrags der FDP-Fraktion ist es, bedarfsorientiert im Bereich der vorschulischen Bildung die Subjektförderung durchzusetzen und die undifferenzierte Pauschalbezuschussung zu beenden.

[Beifall bei der FDP]

D. h., die Vorgaben hinsichtlich des Personalschlüssels mit Hilfe der Frühdiagnostik so zu ändern, dass künftig die personelle Ausstattung zur Überwindung von Sprachproblemen nicht mehr quoten-, sondern subjektgebunden bzw. bedarfsgerecht erfolgt. Diese fachliche Sicht teilt auch der Landesjugendhilfeausschuss.

Unverständlich ist die Begründung für die Ablehnung der SPD im Ausschuss, nach der die Kosten für die Feststellung der bedarfsorientierten, subjektbezogenen Förderung einer solchen fachlichen Regelung nicht entspreche. Es soll also weiter das Gießkannenprinzip statt einer subjektorientierten Förderung zum Tragen kommen. Hat Berlin und mit ihm unsere Jugend so viel Ignoranz verdient? – Arme Jugend in Berlin! – Danke!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Augstin! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so dass wir zu den Abstimmungen kommen können. Zum Antrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/2610, – Stichworte: Handlungsprogramm zur besseren Integration von Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft – empfiehlt der Ausschuss mehrheitlich – gegen CDU und

FDP und bei Enthaltung der Grünen – die Annahme mit der neuen Überschrift und in neuer Fassung. Hinsichtlich des Termins für die Berichtspflicht müssen wir eine Aktualisierung vornehmen. Ich schlage in Abstimmung mit den Fraktionen dafür den 30. Oktober 2004 vor. Wer in der Fassung der Beschlussempfehlung und unter Berücksichtigung des neuen Termins so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Regierungsfraktionen. Gegenstimmen? – Das sind CDU und FDP. Enthaltungen? – Das sind die Grünen. Dann ist das mehrheitlich so beschlossen.

Zum Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 15/2763, – Vorschulische Bildung – Subjektförderung statt undifferenzierte Pauschalbezuschussung! – empfiehlt der Ausschuss mehrheitlich – gegen die CDU, FDP und die Grünen – die Ablehnung. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU, die Grünen und die FDP. Gegenstimmen? – Das ist die Regierungskoalition. Enthaltungen? – Es gibt keine. Damit ist das ebenfalls abgelehnt.