Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, um den Akteuren des Agenda-Forums meinen herzlichen Dank für die Arbeit auszusprechen, die sie an der lokalen Agenda 21 für Berlin geleistet haben.
Sie haben trotz vieler Schwierigkeiten, Widrigkeiten und Unsicherheiten – ich nenne nur das Stichwort „Sicherung der Finanzierung“ – die im Wesentlichen ehrenamtliche Arbeit mit viel Engagement und zeitlichem Aufwand vorangebracht und zu einem vorläufigen Ergebnis geführt. Ich bin überzeugt, dass es ohne die vielen Aktiven dieser Gruppen diesen Bericht heute noch nicht geben würde. Ich hoffe sehr – ich bin eigentlich sicher –, dass die Akteure den Prozess bis zu einer Beschlussfassung im Abgeordnetenhaus weiterhin begleiten und sich bei der Umsetzung der Maßnahmen und Projekte engagieren werden. Hier also nochmals Dank und auch die Bitte um weitere Unterstützung!
Zu dem Bericht nur in aller Kürze: Berlin hat sich mit der Erarbeitung einer lokalen Agenda 21 für die Gesamtstadt sehr schwer getan. Ich möchte daran erinnern, dass nach dem UN-Weltgipfel in Rio alle Städte und Gemeinden den Auftrag hatten, bis 1996 einen Konsultationsprozess zwischen Verwaltung, Bürgern und Interessengrup
pen in Gang zu setzen und einen Handlungsplan für das 21. Jahrhundert zu erarbeiten. Ziel sollte es sein, die Entwicklung ökologisch, sozial und ökonomisch zu gestalten. Zwei Enquetekommissionen „Zukunftsfähiges Berlin“ wurden von diesem Hause eingesetzt und haben sich zwischen 1998 und 2001 mit diesem Prozess befasst. Das Abgeordnetenhaus hat erst Ende 1999 einen Auftrag an den Senat erteilt, sich mit diesem Prozess zu beschäftigen und einen eigenen Beschluss zu fassen. Nun liegt uns dieser Bericht vor. Ob das gewählte Verfahren, den Prozess in die Hand des Agenda-Forums zu legen, richtig war, darüber lässt sich jetzt im Nachgang trefflich streiten, aber das ist nicht hilfreich für den weiteren Umgang mit dem Bericht.
Alle Abgeordneten hatten seit dieser Beschlussfassung von 1999 die Möglichkeit und eigentlich auch die Pflicht, gemäß der Beschlussfassung steuernd oder regulierend in den Prozess mit einzugreifen. Ich finde, es ist etwas unredlich und auch unehrlich von der CDU, jetzt mit dem Antrag „Lokalen Agenda-Prozess ernsthaft gestalten“ zu kommen und damit offensichtlich alles zum Guten wenden zu wollen. Ich kann mich erinnern, dass die CDUFraktion im Rahmen der Haushaltsdebatten nie eingefordert hat, Mittel in den verschiedenen Verwaltungsbereichen einzustellen. Sie hat sich auch immer damit zufrieden gegeben, dass ausschließlich in dem Bereich Stadtentwicklung Gelder dafür vorgesehen waren.
Deshalb finde ich es sehr merkwürdig, wenn Sie jetzt plötzlich kommen und meinen, Sie hätten in dieser Sache den Stein der Weisen gefunden.
Ich kann mich auch sehr gut erinnern, dass gerade Vertreter der CDU-Fraktion die Arbeit in den Enquetekommissionen blockiert und verzögert haben. Wir – PDS, SPD und Grüne – hatten 2001 schon ein sehr hohes Maß an Übereinstimmung in Sachen Ziel- und Indikatorensystem erreicht. Gescheitert ist der Abschluss an der Unbeweglichkeit der CDU. Ich denke, der Versuch, hier irgend jemanden vorzuführen, geht wegen der fehlenden Eigenaktivitäten daneben.
Wie sollten wir nun weiter mit dem Bericht verfahren? – Die Überweisung in die verschiedenen Ausschüsse ist vorgesehen, wobei der Ausschuss für Stadtentwicklung die Federführung hat. Wir werden dort einen Vorschlag zum weiteren Verfahren machen. Denkbar sind Anhörungen in den jeweiligen Politikfeldern in den Ausschüssen unter Hinzuziehung von Mitgliedern – die Zuständigen sind in dem Bericht am Schluss erwähnt – des AgendaForums, der Verwaltung und von Sachverständigen. Im Ergebnis sollten Empfehlungen an den Stadtentwicklungsausschuss gegeben werden. Dieser Prozess sollte bis Mitte 2005 abgeschlossen sein, und es sollte dann ein Votum des Parlaments vorliegen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die Anhörungen und Debatten auch als
Chance zu begreifen. Viele Entscheidungen, die für diese Stadt getroffen werden, sind auf die Zukunft ausgerichtet. Sie sollten aber sozial gerecht, ökologisch und wirtschaftlich im Einklang sein. Die Umsetzungen sollten dann insgesamt unter dem Motto „Lokale Agenda 21 für Berlin“ stehen. Ich würde mir sehr wünschen, dass der Regierende Bürgermeister, der ja schon in der ersten Enquetekommission eine sehr gute Arbeit geleistet hat, dieses Thema zur Chefsache macht. – Danke!
Danke schön, Frau Kollegin Hinz! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat nunmehr Frau Kubala. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 12 Jahren haben sich in Rio Deutschland und 177 weitere Länder darauf verständigt, lokale Agenden abzuschließen, Pläne für eine zukunftsfähige Lebens- und Wirtschaftsweise. Deutsche Großstädte wie München und Leipzig haben ihre lokale Agenda bereits seit vielen Jahren. Und jetzt, 12 Jahre nach der Rio-Konferenz, wird endlich auch in Berlin eine lokale Agenda vorgelegt. Das Parlament hatte seinerzeit den Senat beauftragt, mit den Berliner Bürgerinnen und Bürgern eine Agenda mit konkreten Handlungskonzepten zu erarbeiten und dem Parlament eine beschlussfähige Vorlage vorzulegen. Diesem Auftrag des Abgeordnetenhauses ist der Senat mit seiner Vorlage nicht nachgekommen. Wir dürfen heute lediglich darüber beraten, ob wir der inhaltlichen Bewertung des Senats zur Agenda zustimmen oder ob wir sie ablehnen. Der Senat hat es versäumt, sich rechtzeitig und engagiert in die Agenda-Debatte einzubringen, und das ist nach zwölf Jahren Agenda-Prozess mehr als peinlich.
Nachhaltige Politik heißt, in langen Zeiträumen, über Generationen hinaus zu denken und zu planen und dabei ökologische und soziale Aspekte neben den wirtschaftlichen gleichrangig zu berücksichtigen. Aber tagtäglich erleben wir, dass die Senatspolitik alles andere als nachhaltig ist. Lieber Kollege Buchholz, da reicht kein Bekenntnis in zehn Punkten! – Mit der Tangentialverbindung Ost setzt der Senat die alte autogerechte, nicht nachhaltige Verkehrspolitik der 60er und 70er Jahre fort. Vor diesem Hintergrund wird der Runde Tisch StEP Verkehr mit seinen ökologischen Forderungen zur Alibiveranstaltung.
Die Branche für erneuerbare Energien boomt leider nur andernorts, an Berlin geht die Entwicklung vorbei. Ein großer Berliner Solarproduzent wandert mit 500 Arbeitsplätzen nach Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ab, weil es der Senat versäumt hat, einen im besten Sinne zukunftsfähigen Wirtschaftszweig in Berlin systematisch zu entwickeln und zu fördern.
Stattdessen, Kollege Buchholz, beruft sich der Senat jetzt auf eine kleine private Initiative, die drei Solaranlagen auf Berliner Dächer gebracht hat.
Wir sind für Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement, aber sie dürfen nicht als Feigenblättchen für eine unterlassene Senatspolitik herhalten!
Die nachhaltige Wasserpolitik wird nur verbal vom Senat propagiert. Wasserpreise werden erhöht, Wasserwerke und Klärwerke werden willkürlich geschlossen, Keller und Produktionsanlagen stehen unter Wasser, und andernorts trocknet die Natur aus. Statt einer zukunftsfähigen Wasserpolitik regiert hier die schnelle Rendite.
Die langfristige Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist eine der großen Herausforderungen für die Zukunft und ein Beitrag für die Nachhaltigkeit. Sporadisch setzt die Koalition den Verkauf oder die Entwicklung des einen oder anderen Krankenhausstandortes auf die Tagesordnung, aber eine nachhaltige Entwicklung für einen Gesundheitsstandort in Berlin ist dabei nicht erkennbar.
Beispiele für eine Senatspolitik, die sich nicht an den Kriterien der Nachhaltigkeit messen lassen, können wir hier beliebig fortsetzen. Ich nenne nur die Stichworte nicht nachhaltige Haushaltspolitik, nicht nachhaltige Bildungspolitik, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Die Senatspolitik setzt auf kurzfristige Problemlösungen, die nicht über das Haushaltsjahr hinausblicken. Das kann sich Berlin nicht länger leisten.
Noch einige Worte zum CDU-Antrag. Wir teilen durchaus die Kritik der CDU, dass der Senat nicht ausreichend finanzielle Mittel für den Agenda-Prozess zur Verfügung gestellt habe. Wir teilen diese Kritik nicht nur, sondern haben sie hier auch mehrfach vorgetragen. Unlängst wurden sogar die geringfügigen Mittel für die Agenda-Geschäftsstelle gekürzt. Es kann aber nicht sein, so wie die CDU es jetzt fordert, dass wir die Agenda aus der parlamentarischen Beratung nehmen. Das hieße, die jahrelange Arbeit der Bürgerinnen und Bürger zu missachten, die aktiv am Agenda-Diskussionsprozess teilgenommen haben.
Das Parlament steht jetzt in der Pflicht, die Agenda zügig in allen Ausschüssen zu beraten. Wir erwarten, dass der Senat und die Senatsverwaltungen sich in diesen Prozess einbringen, aktiver als in der Vergangenheit. Innerhalb der nächsten sechs Monate sollten sich Senat und Parlament auf umsetzbare Leitprojekte für eine nachhaltige Entwicklung in Berlin verständigt haben.
Die lokale Agenda in Berlin muss endlich auch von der Politik einen entscheidenden Impuls bekommen, denn noch einmal zwölf Jahre ohne eine zukunftsfähige Politik kann Berlin sich nicht mehr leisten.
Danke schön, Frau Kubala! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr der Kollege Hahn das Wort. – Bitte schön, Herr Hahn!
Danke schön, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorab und vorweg: Wir begrüßen und anerkennen das bürgerschaftliche Engagement, das zahlreiche Bürger im Rahmen des AgendaProzesses über Jahre erbracht haben. Sie haben Anspruch darauf, dass ihre Vorschläge und Anregungen ausgiebig diskutiert werden.
Dass wir mit zahlreichen Vorschlägen nicht einverstanden sind, sondern sie ablehnen werden, wird Sie nicht überraschen. Dass unsere Einwände auch über das hinausgehen, was der Senat in seiner vorsichtigen Stellungnahme kritisiert, auch das wird Sie nicht überraschen. Überrascht hat uns dagegen der vorliegende Antrag der CDU.
Ich habe jetzt, Herr Kollege Goetze, verstanden, dass Sie ihn weitgehend ironisch gemeint haben. Gelesen hatte es sich noch anders, wie ein Antrag aus der grünen Periode der Berliner CDU.
Im letzten Satz der Begründung formulieren Sie da die Sorge, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit auf der Strecke bleiben könnte. Doch dieser Begriff – das Leitmotiv des Agenda-Prozesses – muss einmal grundsätzlich – auf seine Brauchbarkeit als Paradigma hin – diskutiert werden, und ich will meine Redezeit dafür nutzen.
Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt nämlich nicht aus der Ökologie, sondern aus der preußischen Forstverwaltung. Er besagt schlicht und einfach: Schlage nur so viel Holz ein, wie im Jahr nachwächst.
Es ist nicht alles falsch, was die Alten formulierten. Als alleiniger, alles überragender Grundsatz hätte er jedoch auch schon damals nicht getaugt. Die preußische Forstverwaltung war auf die Mehrung ihrer Waldbestände ausgelegt. Und so ist schon damals – mit der Mehrung der Waldbestände – ein Erbe für nachkommende Generationen geschaffen worden, von dem wir noch heute zehren. Tatsächlich gibt es heute in Deutschland mehr Waldflächen als noch im vorindustriellen, vorpreußischen Deutschland.
Nachhaltigkeit – so verstanden – ist in der Haushaltspolitik auch heute ein Desiderat – eine fromme Wunschvorstellung, könnte man auch sagen. Hier hat der preußische Begriff seine unverzichtbare Bedeutung. Aber auf eines kann sich der Begriff nicht stützen: auf die Natur. Denn die Natur ist überhaupt nicht nachhaltig. Ihr Kalkül
ist Wachstum, Vergehen und Veränderung. Die Natur ist evolutionär. Die Natur der Erde ist oft auf einen gigantischen Überfluss gegründet, auf eine unaufhörliche, weit über die Arterhaltung hinaus programmierte Vermehrung alles Lebendigen.
Ein Apfelbaum zum Beispiel schenkt uns im Laufe seines Dasein mehr als 10 000 Äpfel mit mehr als 60 000 Kernen. Aus jedem dieser Kerne könnte ein neuer Baum erwachsen. Aber um sich fortzupflanzen und seine Art nicht aussterben zu lassen, ist nur ein einziger Kern eines Apfelbaums nötig, aus dem unter den entsprechenden Umständen ein neuer Baum entsteht. So bleiben also alle anderen Äpfel von diesem einen Baum zur anderweitigen Verwendung in der Natur zur Verfügung: zum Verzehr für Mensch und Tier, als Brutplatz für Insekten oder auch zur natürlichen Düngung des Bodens.