Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

Dann bin ich fast sicher, dass ich im Senat eine positive Entscheidung für die Aufnahme von Verhandlungen mit Ihnen bekommen könnte.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön, Herr Senator! – Eine Nachfrage!

Lieber Herr Dr. Sarrazin! Das freut mich ganz besonders, dass wir demnächst ins Geschäft kommen werden. – Aber noch einmal meine Frage: Glauben Sie nicht, dass Sie mit einer Äußerung dieser Art, ein Landesunternehmen für einen Euro sozusagen verscherbeln zu wollen, dass Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Unternehmens Unrecht tun und den Wert des Unternehmens ebenso wie die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer ganz üblen Art und Weise beschädigen?

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Herr Senator!

Das war in einem anderen Zusammenhang. Sie waren an dem Abend nicht da, obwohl das vielleicht auch für Sie interessant gewesen wäre. Ich saß dort zusammen mit einem Experten, der behauptete, dass man durch den Verkauf des Landesvermögens den Haushalt sanieren könnte. – Herr Lindner hätte sich gefreut! – In allem Ernst wollte jener mir klar machen, dass man 50 Milliarden        laufende Ausgaben des Landes von 6 Milliarden   durch den Verkauf von Vermögen beseitigen könnte. Daraufhin habe ich gesagt: Wenn man all das, was wir noch an verkaufbaren Unternehmen haben, großzügig bewertet, die Bankgesellschaft ausgenommen, dann sind dies vielleicht 6 Milliarden          einem Euro bewertet – auch, wie ich fand, eine zutreffende Darstellung. Sie hat dann die weitere Diskussion wesentlich beflügelt.

Danke schön, Herr Senator!

Die nächste Frage hat Herr Schruoffeneger von Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön!

Ich habe eine Frage an den Sportsenator, Herrn Böger. – Herr Böger! Was werden

Sie in Ihrer Verwaltung tun, um es dem Deutschen Sportmuseum anlässlich des Turnfestes im nächsten Jahr zu ermöglichen, seine bisher nicht präsentierten, im Archiv schlummernden Schätze beim Turnfest auf dem Olympiagelände zu zeigen, zum Beispiel durch die Bereitstellung des Dorset-Hauses oder durch sonstige Unterstützungen aus Ihrem Haus?

Herr Senator!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Schruoffeneger! Zunächst einmal freue ich mich – wahrscheinlich mit Ihnen – auf das Deutsche Turnfest in Berlin. Das ist auch etwas Wichtiges für die Stadt.

Ich kenne die Pläne um ein Sportmuseum in Berlin. Kollege Flierl hat mir dazu auch geschrieben. Leider fehlt immer bei solchen Schreiben – Herr Schruoffeneger, da Sie im Hauptausschuss tätig sind, stoße ich damit vielleicht bei Ihnen Türen auf – die finanzielle Basis. Das sind sozusagen Visionen, er ist der Visionär, und ich bin der, der sich fragt, wie ich das finanziere. Da Sie aber doch solide Haushaltspolitik machen wollen, wissen Sie, dass dort die eigentliche Schwierigkeit liegt.

Im Ernst: Ich glaube, dass wir in der Museumslandschaft in Berlin bisher eine Chance vergeben haben, neben Köln, die ein Sportmuseum haben, die wertvollen Exponate der deutschen und der Berliner Sportgeschichte einer breiteren Öffentlichkeit in einem angemessenen Rahmen zu präsentieren. Dazu gäbe es prinzipiell auf dem Olympiagelände im Haus des Sports – das große Frontgebäude, das Sie kennen, auch mit einem Kuppelsaal – sicherlich Möglichkeiten. Dazu braucht man aber investive Mittel, die wir gegenwärtig nicht haben. Jedenfalls sehe ich gegenwärtig keine Möglichkeiten.

Was man temporär für das Deutsche Turnfest machen könnte, diese Frage ist bisher nicht an mich herangetragen worden. Aber ich nehme das gern auf. Das Dorset-Haus ist in meiner Verwaltung und wird punktuell, worauf Sie auch achten, gegen Entgelt vermietet. In dem Fall müssten wir wahrscheinlich auf Entgelt verzichten und sagen, wir wollen dies für die Besucher, die auch dieses neue Areal kennen lernen wollen, möglich machen. Hoffentlich sind Sie jetzt nicht entsetzt, dass ich diesen Vorschlag gern von Ihnen aufnehme.

Gibt es eine Nachfrage?

Das entsetzt mich überhaupt nicht, Herr Böger, das erfreut mich! Teilen Sie meine Auffassung, dass eine gute Präsentation für die ca. eine halbe Million Besucher anlässlich dieses Events auch dazu beitragen könnte, die Zukunft des Sportmuseums zu sichern, indem man sich beispielsweise Sponsoren und potentielle Trägern präsentieren kann, und sind Sie bereit, mit Herrn Flierl gemeinsam das Modell zu entwickeln, wie man die temporäre Präsentation ermöglicht?

Herr Senator!

Herr Abgeordneter! Wie viel Tausend Besucher in das DorsetHaus kommen werden, kann ich nicht abschätzen. Sie wissen, das liegt nicht ganz zentral, auch wenn wir einige zentrale Veranstaltungen dort im Olympia-Stadion haben. Aber mit Ihrer Hilfe werden die Menschen dort sicherlich strömen. Mit dem Kollegen Flierl mache ich alles zusammen, was uns im Museumsbereich voranbringt. Wir werden gewiss auch Ideen bringen. Herr Kollege, da Sie auch im Hauptausschuss tätig sein, machen Sie bitte noch diesen kleinen Sprung und sagen, dass Sie ein paar Sponsoren mitbringen – Sponsoren heißt, Geld zu geben, nicht, Geld zu nehmen –, dann wäre ich noch glücklicher, und wir sind dann noch näher dran an einem Erfolg, den wir gemeinsam wünschen.

Danke schön, Herr Senator! – Die Fragestunde ist jetzt beendet, die Zeit ist um, und wir fahren fort in der Tagesordnung.

Bevor wir den Tagesordnungspunkt 2 aufrufen, der mit einer historischen Bilanz zu tun hat, gestatten Sie mir bitte einige Worte der Einordnung. Der 9. November ist bei den Deutschen, anders als der 14. Juli bei den Franzosen oder der 4. Juli bei den Amerikanern, kein Datum, das nur eine Erinnerung, sondern eine Vielzahl von gemischten Erinnerungen hochruft, guten und bösen, vor allem vielen bitter traurigen.

Es beginnt mit einem Datum, das fast schon vergessen ist, dem Mord an Robert Blum am 9. November 1848 durch die Militärs der Gegenrevolution, womit die erste deutsche demokratische Revolution ihren Wendepunkt ins Traurige gefunden hat.

Ob man 1918 unbedingt nur feiern kann, weil die Revolution in jeder Hinsicht unvollendet war – wie die Historiker sagen –, ist eine Frage, über die sich die Deutschen lange unterhalten können. 1923 wollen wir hier gar nicht zu würdigen versuchen.

Aber eines ist sicher: dass der 9. November 1938 in das Gedächtnis der Welt eingebrannt ist als Vorspiel, Start und Eröffnung dessen, was wir mit dem unzulänglichen Wort Holocaust niemals ganz beschreiben können. Diese Orgie der Zerstörung und der Mordtaten ist damals schon auf der ganzen Welt als ein Tag der deutschen Schande registriert worden, ein Fanal, dass ein zivilisiertes Volks aus der Gemeinschaft von Nationen ausgetreten ist, die sich in irgendeiner Weise an das europäische Erbe halten. Die Beobachter von außen wussten: Wenn das geschieht und ein ganzes Volk bis auf wenige tapfere Ausnahmen schweigt, war der Weg ins Undenkbare eröffnet.

Ich bin mir klar, dass die Blicke in die Abgründe unserer Geschichte nicht auf bestimmte Gedenktage konzentriert sein können und damit auch nicht vorbei sind. Es

ist eine Pflicht für jeden Menschen, im ganzen Jahr sich dessen bewusst zu halten. Ein ungeschriebenes „nie wieder“ ist eine nicht formulierte Präambel zum Grundgesetz, weil die Väter und Mütter des Grundgesetzes genau dies im Kopf hatten. Wenn wir heute dieses sehr erfreulichen, zum Jubel und zur langen Freude dienenden Datums 9. November 1989 gedenken und die Bilanz ziehen, wissen wir, dass wir dies nicht naiv tun, sondern sehr bewusst der anderen Daten in unserer Geschichte, die die gleiche Zahlenkombination haben.

Damit kommen wir zu

lfd. Nr. 2:

Aktuelle Stunde

Bilanz 15 Jahre nach dem Mauerfall – die Einheit gestalten und der Opfer gedenken

Antrag aller Fraktionen

in Verbindung mit

lfd. Nr. 37B:

a) Dringlicher Antrag

Gesamtkonzept zur öffentlichen Darstellung und Aufarbeitung der jüngsten deutschen Zeitgeschichte in der Hauptstadt Berlin

Antrag der CDU Drs 15/3378

b) Dringlicher Antrag

Die Teilung Berlins und die Erinnerung an ihre Opfer im Stadtbild wach halten

Antrag der Grünen Drs 15/3379

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Damit beginnen wir mit den Wortmeldungen. Es beginnt die SPD. Das Wort hat Herr Kollege Momper. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir auf die letzten 15 Jahre zurückblicken, können wir immer noch sagen – das möchte ich auch an die Spitze stellen –, dass wir ein wirklich glückliches Volk sind. Wann hat je ein Volk in seiner Geschichte so friedlich und gewaltfrei die Einheit und die Freiheit gewonnen? Mir sind kaum andere Völker bekannt. Wir Deutschen haben das geschafft, einfach indem die Deutschen in der DDR damals mit protestantischer Ethik und preußischer Disziplin so friedvoll diese große politische Bewegung zustande gebracht haben.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wenn wir von dem Mut und der Tapferkeit der Bürgerbewegung in der damaligen DDR sprechen, wollen wir nicht vergessen, dass es der Vorlauf des tapferen polni      ! "#$%– unter Kriegsrecht und unendlichen Entbehrungen – gewesen ist und dass darüber hinaus auch die mutige ungarische Regie

rung, die bereits im Sommer die Grenzen geöffnet hat, es überhaupt erst möglich gemacht haben, dass der Durchbruch so kommen konnte, wie er dann gekommen ist.

[Beifall]

Wenn wir über die Freude am 9. November, über den 9. November und die wieder gewonnene Einheit sprechen, dann wollen wir nicht vergessen, welches Elend und unendliches Leid Mauer, Stacheldraht, Stasi- und SEDHerrschaft, die Teilung Berlins, Deutschlands und Europas über unser Volk gebracht haben. Dieses Leid darf niemand vergessen, auch wenn heute zu meinem Entsetzen Ostalgie und Nostalgie angesagt sind. Auch wenn man im Palast der Republik spielt – wogegen ich nichts habe, warum soll das Gebäude nicht bespielt werden? –, darf man nicht vergessen, dass auch dieses Gebäude Teil des Machtsystems gewesen ist. Mauer und Stacheldraht dürfen nicht vergessen werden!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall bei der CDU und der FDP]

Wenn wir überlegen, dass von den 3,4 Millionen Einwohnern Berlins ungefähr ein Drittel in den letzten zehn Jahren 18 Jahre alt geworden oder zugezogen sind und sie Mauer und Stacheldraht nicht unmittelbar erlebt haben –, weder von der Ost- noch der Westseite – wissen wir, dass wir um so mehr für Aufklärung, Erklärung, Bildung und Geschichte sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Unterricht tun müssen, damit auch die Zugezogenen und Jüngeren erfahren, wie es gewesen ist. Die vergangenen fünfzehn Jahre sind erfolgreich gewesen. Aber es hat auch viele Enttäuschungen gegeben. Ich erinnere daran, dass das Versprechen der blühenden Landschaften so verstanden worden ist, als stünden sie bald vor der Tür. Wir alle haben uns geirrt. So gut wie jeder hat in den vergangenen 15 Jahren erfahren müssen, dass alle Prozesse im Zusammenhang mit der deutschen Einheit viel länger dauern, als alle es zuvor eingeschätzt haben, dass es nicht eingehaltene Versprechungen gegeben hat, dass manche damals davor gewarnt haben, dass die deutsche Einheit nicht quasi aus der Portokasse zu bezahlen sei – ich erinnere daran, mit welcher Häme Oskar Lafontaine bedacht wurde, als er sagte

[Zurufe von der CDU und der FDP]