Es ist in Berlin sicher nicht einfacher geworden. Aber der Kalte Krieg – hoffe ich – mit Blick auf einige Redebeiträge – ist endgültig zu Ende, weil die Berliner im Jahr 2004 andere Sorgen haben. Mechthild Küpper hat in der „FAZ“ vorgestern geschrieben, dass in Berlin die Herkunft aus dem Osten oder Westen nicht mehr als politisches Argument eingesetzt wird. Und weiter: „Das verdankt sich ausgerechnet der Regierungsbeteiligung der PDS.“ Wenn das tatsächlich so wäre, hätte sich schon allein dafür diese Koalition gelohnt. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Herr Kollege Liebich! – Es folgt die Fraktion der Grünen. Das Wort die Frau Kollegin Dr. Klotz. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin ist der exemplarische Ort für die Einheit Deutschlands und das Zusammenwachsen Europas. Hier in Berlin sind die Wunden des Kalten Krieges am größten. Berlin ist auch ein wichtiger Seismograph für den Stand der Wiedervereinigung.
Die zahlreichen Veranstaltungen zur Erinnerung an die Novemberpogrome 1938 zeigen, dass die Berliner Bevölkerung und wir um die vielschichtige Bedeutung des 9. November in der deutschen Geschichte wissen. Herr Stölzl hat darauf hingewiesen. Diese vielschichtige Bedeutung reicht eben wirklich vom Ausrufen der Republik von 1918 über den Hitler-Putsch 1923 bis hin zu eben jener grausamen Reichspogromnacht 1938.
Deswegen ist der 9. November kein Tag zum unbeschwerten Feiern, sondern ein Tag des Gedenkens und ein Tag der Erinnerung, nicht nur an den Fall der Mauer vor 15 Jahren, sondern auch und gerade in Berlin daran, dass in unserer Stadt die Nationalsozialisten den Völkermord an den Juden, aber auch an den Sinti und Roma geplant und organisiert haben. Das darf und das wird in dieser Stadt nicht vergessen werden.
Der Umgang mit den Zeugnissen der Geschichte war das beherrschende Thema in den letzten Tagen in Berlin. Zu kurz gekommen ist die Frage, welche Bilanz Berlin 15 Jahre nach dem Fall der Mauer zieht. Wo steht diese Stadt auf ihrem Weg in die innere Einheit nach 15 Jahren politisch, ökonomisch und auch mental? Haben wir die Chancen, die wir hatten, auch wirklich genutzt? – Die Euphorie der Novembertage 1989 – da sei eben nicht nur an den Fall der Mauer am 9. November, sondern auch an die große Demonstration am 4. November auf dem Alexanderplatz erinnert – ist der täglichen Arbeit und auch der unvermeidbaren Ernüchterung gewichen. 40 Jahre unterschiedliche Sozialisation lassen sich nicht so einfach weg
Ökonomisch – das will ich noch einmal unterstreichen – hatten die Berliner wirklich in den letzten Jahren einiges wegzustecken. Massenhaft sind Arbeitsplätze in der Industrie, aber auch in der öffentlichen Verwaltung abgebaut worden. Die Berlinzulage ist weggefallen. Die öffentlichen Kassen sind leer. Manches Geld, Herr Zimmer, ist gut investiert gewesen. Ich kann mich aber auch an viele Millionen erinnern, die in Wachstumsphantasien und Verschwendung hineingesteckt wurden und die wir heute gut für Investitionen in Bildung oder Wissenschaft gebrauchen könnten.
Mental ist insbesondere – so stelle ich zumindest fest – in der Altersgruppe 45 + noch viel „ihr“ und von „wir“ die Rede, auch wenn dies die tägliche Arbeits- und Lebenssituation nicht immer rechtfertigt. Wo „ihr“ und „wir“ – das ist meine Erfahrung – in einem produktiven Arbeitsprozess aufgehoben wurden, ist zwar auch nicht überall eitel Sonnenschein, gibt es aber mehr Verständnis und weniger Vorurteile.
Es stimmt, Herr Liebich, es gibt eine ganze Reihe von Brückenschlägen, die wir auch hervorheben sollten. Allerdings: Die Heftigkeit der öffentlichen Debatte um die Besetzung von Posten in der Kultur in den vergangenen Tagen hat mich erschreckt, weil ich gerade die Kultur in Berlin für den Bereich gehalten habe, der es am besten geschafft hat, die Unterschiede zwischen Ost und West und zwischen den Zuwanderern in einen produktiven Austausch zu stellen. Wie der Kultursenator in diesen Tagen in Personalfragen agiert und auch einige Reaktionen darauf, spaltet die Stadt. Das will ich auch ausdrücklich sagen.
Das hat im Übrigen nichts mit dem versprochenen Senat zu tun, der die Einheit vollenden wollte. Das ist Spaltung, Herr Brauer. – Jetzt hören Sie einmal zu!
Meine Damen und Herren, alle scheinen sich einig zu sein: Der Umgang mit den Zeugnissen der Berliner Teilung, die eine deutsche, nicht nur eine Berliner und vor allem eine europäische Teilung war, ist unbefriedigend. Ich finde es auch unbefriedigend, Herr Zimmer, wie Sie versuchen, einseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen. Es war auch die große Koalition, es war auch die CDU, die in dieser Frage Versäumnisse hinterlassen hat, die wir jetzt aufarbeiten müssen. Das gehört zur geschichtlichen Wahrheit auch dazu.
Schon länger suchen Bewohner, aber auch Besucherinnen und Besucher Berlins nach den Spuren der deutsch-deutschen Geschichte im Stadtbild. Sie finden viel zu wenig. Jetzt ist dieses Manko in Politik und Me
dien endlich erkannt worden. „Endlich“ muss ich wirklich sagen. Leider hat erst der fragwürdige Alleingang der Chefin des Mauermuseums dazu geführt, dass dieser Handlungsbedarf in den Medien und in der Politik erkannt wurde. Die verbliebenen Mauerreste, die Wachtürme und die Grenzanlagen sind schon seit langem, nicht erst seit diesem November, in einem beklagenswerten Zustand. Darauf haben wir immer wieder hingewiesen.
Zwei der noch drei vorhandenen innerstädtischen Wachtürme existieren nur noch dank privater Initiativen. Um die Unterstützung des Landes haben die Betreiber seit Jahren vergeblich gebeten. Ben Wargins Parlament der Bäume wird nur geduldet, immer bedroht von der geplanten Überbauung. Der Wachturm am Potsdamer Platz konnte dank einer Initiative der Grünen – das darf man auch einmal sagen – in letzter Sekunde gerettet werden. Für die Rettung von Teilen der Mauer am Potsdamer Platz verweigerte das Abgeordnetenhaus – so finden wir – leider seine Unterstützung.
Für die Idee des Mauerradweges, mit dem sich der Senat jetzt so gern schmückt, musste sich mein ehemaliger Kollege Michael Cramer jahrelang den beißenden Spott seiner Parlamentskollegen anhören, insbesondere von Herrn Senatsbaudirektor Stimmann. In welch jämmerlichem Zustand die East-Side-Gallery, das Symbol der weltweiten Freude mit Berlin über das Ende der Teilung, ist, wissen Sie selbst. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Aber auch die Tourismusbranche hat jahrelang geschlafen. Berlin ist für viele Touristen doch so interessant, weil Menschen aus Ost und West nach Berlin kommen und diese Stadt als den Ort ansehen, an dem die Konfrontation zwischen Ost und West nachzuempfinden ist. Während Besucherinnen und Besucher Berlins nach den Spuren dieser ehemaligen Konfrontation suchen, kommen Tourismusmanager über ein Werben für Berlin mit der Langen Nacht des Shoppings leider nicht hinaus.
Für viele Berliner wiegt der fehlende oder unsensible Umgang mit der ehemaligen Mauer schwer. Viele Probleme Berlins sind in seiner ehemaligen Teilung begründet. Wenn man die Freude über den Fall der Mauer wirklich am Leben erhalten und die Einheit vermitteln will, muss man doch zeigen, was wo vorher in dieser Stadt war. Nur so ist das doch möglich. Wie kann das gelingen? – Berlin braucht die authentischen Orte der Teilung. Aufgabe von Bund, Land und betroffenen Bezirken ist es unserer Ansicht nach nicht, zum jetzigen Zeitpunkt Neues zu schaffen. Die Aufgabe lautet, das Vorhandene wirklich dauerhaft zu sichern, es sichtbar zu machen und in der Stadt für die Menschen wirklich auch erkennbar zu verbinden. Dies kann nur gelingen, wenn diejenigen einbezogen werden, deren Engagement und Wissen viel zu lange ungewürdigt blieb.
Der Pfarrer Manfred Fischer von der Versöhnungsgemeinde an der Bernauer Straße sagte gestern den Satz:
Man muss mit einer guten Dokumentation der Realität der Mauer Fragen beantworten können, die man heute noch nicht hat.
Dies gilt zum Beispiel für Fragen, die die nächste Generation hat oder die Besucher haben, die die geteilte Stadt Berlin nicht erlebt haben. Der Gedenkstätte an der Bernauer Straße kommt aus unserer Sicht eine ganz besondere Bedeutung zu, auch wenn man durchaus – das ist in unserer Fraktion auch umstritten – zur künstlerischen Gestaltung unterschiedlicher Meinung sein kann. Mit einer Umgestaltung oder Erweiterung des vorhandenen Mauerstreifens in den nichtgenutzten Bereich der Sophiengemeinde hinein kann das Bedürfnis nach Authentizität berücksichtigt werden. Nach dem unsäglichen Streit, die dortige Mauer zu Gunsten der Verbreiterung der Bernauer Straße abzureißen – wir erinnern uns –, wurden die für die Mauergedenkstätte nicht benötigten Mauersegmente sowie die Grenzanlagen erhalten und eingelagert. Übrigens dank der Initiative von Peter Strieder. Wir haben ihn oft gescholten, aber Lob ihm, wenn ihm Lob gebührt. In diesem Fall teilen wir seine Position ausdrücklich. An dieser Stelle kann, anders als beim Checkpoint Charlie, authentisch gezeigt werden, wie monströs und menschenverachtend die Grenze zwischen Ost und West war.
Meine Damen und Herren! Fehler zu machen ist schlimm, aber noch schlimmer ist es, aus den Fehlern nicht zu lernen. Lassen Sie uns den 15. Jahrestag des Mauerfalls zum Anlass nehmen, gemeinsam mit allen Beteiligten dafür zu sorgen, dass die Erinnerung an die Teilung der Stadt, das Gedenken an die Opfer sichtbar wird und bleibt. Die Antwort auf die Frage nach dem Wie und dem Wo der Mauer: Sie gehört in das Stadtbild. 15 Jahre nach dem Mauerfall sollten wir gemeinsam die Kraft dafür haben.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Wenn wir an Tagen wie heute, an Tagen rund um den 9. November, Bilanz zu 15 Jahren nach dem Mauerfall ziehen sollen, gehen unsere Gedanken zurück in jene Tage rund um den 9. November 1989.
Die Anspannungen während der Wochen vor dem 9. November, die gestammelte Pressekonferenz von Günther Schabowski und schließlich der im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlose Jubel der Menschen gerade in Berlin – es gibt wohl keinen der über Dreißigjährigen hier im Hause, in Berlin oder sonst wo in Deutschland, der nicht genau weiß, wo er sich an diesem Tag, an dem die Mauer fiel, befand.
Der ehemalige Bürgermeister und Justizsenator von Berlin, mein im letzten Jahr verstorbener Parteifreund Herrmann Oxfort, hatte mir noch kurz vor seinem Tod
erzählt, dass ironischerweise am 9. November 1989 im Reichstag eine Konferenz veranstaltet wurde – nota bene vom Innerdeutschen Ministerium –, die zum Ergebnis kam, dass eine Wiedervereinigung Deutschlands ausgeschlossen sei. Das stimmt, und so ehrlich müssen wir auch sein: Kaum einer, bis auf wenige Ausnahmen – Herrmann Oxfort war eine –, hatte den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands noch erwartet.
Nicht wenige Politiker der damaligen Zeit hatten die Wiedervereinigung indes nicht nur nicht erwartet, sondern auch ganz klar abgelehnt. Herr Lafontain, auf den unser Herr Parlamentspräsident gerade Bezug genommen hatte, war so einer. Er wollte mit den 100 Milliarden DM kalkulierter Einheitskosten nicht den Realitätssinn schärfen, sondern er wollte den Westen gegen die Einheit in Stellung bringen. Das gehört hier ganz klar gesagt.
Wir dürfen die europäische Nachkriegsordnung nicht in Frage stellen. Wir müssen weiterhin von der Zweistaatlichkeit Deutschlands und auch von der Angehörigkeit zu verschiedenen Militärblöcken ausgehen.
Noch vier Monate nach dem Fall der Mauer, am 9. Februar 1990 schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“:
Berlins Regierender Bürgermeister Momper lehnt eine Wiedervereinigung ab. Dies hat Momper in einem Gespräch in kleinerem Kreis mit dem französischen Landwirtschaftsminister Nallet in Berlin dargelegt.
Aber auch unser heutiger Finanzminister Eichel hatte klare Positionen zur Wiedervereinigung. Ich zitiere aus der November-Ausgabe 1989 „Wir in Hessen“:
Diejenigen, die derzeit von Wiedervereinigung daherreden, haben aus der Geschichte nichts gelernt und haben darum auch keine realitätsnahe Perspektive. Auch die gebetsmühlenartig wiederholte Phrase der Wiedervereinigung bringt weder Wohnungen noch Arbeit für alle.
Zur Krönung zitiere ich Ihnen auch noch unseren heutigen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er erklärt laut „Frankfurter Allgemeiner Zeitung“ vom 19. August 1989, noch wenige Wochen vor dem Mauerfall:
Da kann es auch nicht wirklich verwundern, wenn es ausgerechnet die beiden zuletzt zitierten Herren Schröder und Eichel sind, die dieser Tage zur Rettung ihrer verkorksten Haushalts- und Wirtschaftspolitik gerade den Tag der Deutschen Einheit, unseren Nationalfeiertag, abschaffen wollten. Dies ist gerade 15 Jahre nach dem Fall der Mauer besonders geschmacklos, besonders
Und hier in Berlin? – Wir gedenken dieser Tage der vielen Toten an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze, der Menschen, die dort für nichts anderes gestorben sind, als für ihre Sehnsucht nach einem freien und selbstbestimmten Leben – hingerichtet von den Schergen der SED-Diktatur.