Und hier in Berlin? – Wir gedenken dieser Tage der vielen Toten an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze, der Menschen, die dort für nichts anderes gestorben sind, als für ihre Sehnsucht nach einem freien und selbstbestimmten Leben – hingerichtet von den Schergen der SED-Diktatur.
Auch ich halte das Stück neu errichteter Mauer und die Gedenkkreuze am ehemaligen Checkpoint Charlie, initiiert von Alexandra Hildebrandt, nicht für die endgültige Weise, der Toten zu gedenken. Aber es ist ein Anfang. Es ist vor allem das Engagement einer Mitbürgerin, und es berührt die Menschen an dieser zentralen und historischen Stelle. Das kann man spüren.
Nicht alle spüren es; der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit gehört jedenfalls nicht dazu. Denn statt eine Konzeption erarbeiten zu lassen, den Anfang, den Frau Hildebrandt gemacht hat, in würdiger Weise fortzuführen, haut er dagegen, so wie dies seine Art ist. Er hat der Initiative mit dem Gericht gedroht, statt sich seriös und angemessen mit dem Problem auseinander zu setzen.
Irgendwie passt es auch in diese Tage und zu dieser Politik des Senats – „Einheit gestalten“, so wie Sie Ihre Aktuelle Stunde heute nennen –,
was sich der Senator Flierl heute geleistet hat, um das alte SED- und MfS-Establishment weiterhin an seine Partei zu binden,
mit Stasimethoden einen ehemaligen informellen Mitarbeiter der Stasi an seiner Konkurrenz vorbei zum Generaldirektor für die Berliner Opernstiftung zu machen.
Hier freue ich mich, dass der Regierende Bürgermeister klare Worte gefunden hat. Noch mehr würde es mich und uns alle freuen, wenn den klaren Worten auch einmal klare Taten folgten und Herr Flierl endlich aus dem Senat geworfen würde.
Solche Unerfreulichkeiten sollten uns indes nicht den Blick auf das verstellen, was alles in den letzten 15 Jahren in Berlin und Deutschland geleistet wurde. Auch hierzu müssen wir uns in die Tage vor dem Fall der Mauer zurück versetzen, um zu ermessen, was alles passiert ist.
Wir müssen uns an die Tränen auf dem Bahnhof Friedrichstraße erinnern, wenn sich Menschen voneinander verabschiedeten, die zueinander gehörten, aber nicht zueinander konnten. Wir erinnern uns an die Schikanen auf dem Transit. Wir erinnern uns an die eisigen VopoMienen und das ferne Hundegebell an den Grenzübergängen.
Ich selbst erinnere mich an einen trüben Novembertag Ende der 80er Jahre. Ich war damals Lehrling bei Siemens in Berlin und besuchte eine Ausstellung im Gropiusbau hier gegenüber. Beim Verlassen des Gropiusbaus fiel mir erstmalig das gegenüber liegende Gebäude auf der anderen Seite der Mauer auf:
Ich hatte vor wenigen Tagen das Vergnügen, am Ende der Straße im 18. Stock eines Hochhauses wieder auf das Gebäude zu schauen und auf die vielen anderen Gebäude, die in unserer Stadt entstanden sind. Was für ein gigantischer Anblick! Welch ungeheuren Werte wurden in der Zwischenzeit geschaffen – vom Staat, von Unternehmen und von Privatmenschen. Wie schön ist unsere Stadt geworden. Wie schön ist auch allein dieses Haus geworden. Das dürfen wir auch an so einem Tag nicht vergessen.
Aber nicht nur Materielles wurde geschaffen. Vor allem haben die Menschen die Freiheit wieder erlangt – die Freiheit zu reisen, die Freiheit, sich selbst zu verwirklichen, die Freiheit zu reden, was man denkt, ohne dafür eingesperrt zu werden, die Freiheit, gegen die Regierung zu demonstrieren, ohne dabei Leben und Gesundheit zu riskieren. Wir dürfen dies an einem Tag wie heute bei aller Kritik, bei aller berechtigten Kritik, was seit 15 Jahren parteiübergreifend – Kollegin Klotz, da haben Sie Recht – Politik, Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften und Kirchen, aber auch jeder Einzelne falsch gemacht haben, nicht vergessen und vor allem nicht klein reden.
Die Menschen, wir alle, können auch stolz sein auf das Erreichte, stolz auf unser Land und ganz besonders stolz auf unsere Stadt. – Herzlichen Dank!
Danke schön, lieber Herr Abgeordneter! – Den Vorwurf der Stasimethoden gegenüber einem demokratisch gewählten Senator weise ich hiermit durch einen Ordnungsruf zurück.
[Unruhe bei der FDP – Doering (PDS): Schauen Sie einmal ins Protokoll! – Ritzmann (FDP): Was hat das mit Senator zu tun?]
eines Hauses oder die Würde von Debatten kann man nicht anordnen, die Momente der Würde müssen erbracht werden. Ich glaube, dass man bei einem solchen Thema einmal innehalten und überlegen sollte, ob der übliche Schlagabtausch in einer Parlamentsdebatte dem Thema gerecht wird.
Der Tag des Mauerfalls ist einer der schönsten Tage in der deutschen Geschichte. Wir haben allen Grund, auch heute glücklich über diesen Tag zu sein. Am 9. November 1989 haben wir die Teilung Berlins überwunden. 28 Jahre nach dem 13. August 1961 konnten sich die Menschen erstmals ungehindert begegnen. In Berlin wuchs zusammen, was zusammengehört. Der 9. November 1989 markiert das Ende der Teilung und das Ende der Nachkriegszeit, die nicht nur ein kalter Krieg war. Die Mauer, der Stacheldraht, der Schießbefehl forderten Menschenleben. So mischt sich in die Freude an der Einheit auch die Trauer über die Opfer der Teilung und das Erinnern an Menschen, deren Rechte von Staats wegen mit Füßen getreten wurden und die Opfer eines Unrechtssystems geworden sind.
Der 9. November 1989 ist das Symbol für den Ausweg aus einem System, das moralisch und ökonomisch am Ende war; moralisch, weil es die Menschenrechte nicht schützte, sondern verletzte, und ökonomisch, weil die DDR kurz vor dem Bankrott stand. Friedlich und ohne Blutvergießen haben die Menschen in der DDR eine Revolution herbeigeführt. Diese Revolution ist ein Glanzlicht in der deutschen Geschichte. All die vielen Hunderttausend Berlinerinnen und Berliner, die im Herbst 1989 für Meinungs- und Versammlungsfreiheit und für freie Wahlen demonstriert haben, können stolz darauf sein.
Der 9. November 1989 ist ein deutsches und zugleich auch ein europäisches Datum. Der Fall der Mauer war der Erfolg einer europäischen Bewegung für Freiheit, Demo ! & ' Grenzöffnung in Ungarn und die Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung in der Tschechoslowakei hatten den Boden für die friedliche Öffnung der Mauer bereitet. Vergessen wir nicht, es war Michail Gorbatschow, der den friedlichen Wandel möglich machte.
Der friedliche Wandel, das war Berlins historische Chance. Heute, im Abstand von 15 Jahren, können wir sagen: Berlin hat seine Chance genutzt. Wir haben die Spaltung überwunden. Die Menschen in beiden Teilen der Stadt haben zusammengefunden, und Berlin ist zusammengewachsen. Die Stadt selbst ist ein Beispiel für ein gelungenes Zusammenleben von Ost und West. Eine Million Menschen ist in den letzten zehn Jahren neu nach Berlin gezogen. Das ist knapp ein Drittel der Berliner Bevölkerung. Viele Menschen denken glücklicherweise mehr an die gemeinsame Gestaltung der Zukunft und weniger an Belastendes aus der Vergangenheit. Am Eindrucksvollsten ist es, wenn 15-jährige Schülerinnen und
Schüler heute sagen: Es hat einfach keine Bedeutung, ob einer „Ossi“ oder „Wessi“ ist. – Eine neue Generation wächst heran, die mit den Klischees von Ost und West nichts mehr anfangen kann.
Und doch gibt es weiterhin Unterschiede und gegenseitige Fremdheit. Die Debatte über die Arbeitsmarktreformen – Stichwort Hartz IV – hat teilweise Vorurteile verstärkt und neue Gräben aufgerissen, manchmal kann man zu Recht von einer Mauer in den Köpfen reden. Ich glaube aber auch, da haben wir einen Unterschied gemerkt zwischen dem Rest der Republik und Berlin. In Berlin habe ich auch in den härtesten Auseinandersetzungen über die so genannten Montagsdemonstrationen im Zusammenhang mit Hartz IV nicht das Aufbrechen von alten Gräben gemerkt. Aber die Menschen in Ostdeutschland und die Menschen in Westdeutschland verstanden sich auf einmal nicht mehr, und es war teilweise schlimmer als zehn Jahre zuvor. Insofern merken wir, wir müssen weiter daran arbeiten, dass dies aufhört.
Wir sollten uns nicht damit abfinden, 15 Jahre nach der Wende sollten wir uns gegenseitig respektieren. Es lohnt sich zuzuhören, wenn über persönliche Erfahrungen in Ost und West erzählt wird. Das hilft, gegenseitige Verletzungen zu verstehen. Ich fand es beeindruckend, wie der Fraktionsvorsitzende der PDS aus seiner persönlichen Sicht eines damals 16-Jährigen berichtet hat. Es tut uns allen gut, auch über diese Biographie zu hören, sie zu akzeptieren als ein Schicksal unter vielen in einem geteilten Deutschland.
Wir sollten uns gegenseitig annehmen können wie wir sind, mit allen Unterschieden und Widersprüchen, als Marzahner oder als Neuköllner, als Pankower oder als Tempelhofer, denn Berlin hat eine wichtige gesamtstaatliche Aufgabe.
Lichtenrade ist immer besonders gut, wir kommen nämlich aus Südberlin und nicht aus Ost- oder Westberlin.
Wir sind Vorreiter bei der Gestaltung der inneren Einheit. Wir sind nicht nur Hauptstadt, sondern auch die einzige Stadt, in der das Zusammenwachsen im direkten
Miteinander, im Alltag der Menschen stattfindet. In kaum einer anderen Stadt ist die wechselvolle deutsche Geschichte so lebendig wie hier in Berlin. In diesen Tagen wurde die juristische Aufarbeitung von DDR-Unrecht durch die Gerichte – jedenfalls vorläufig – beendet. Keine Frage, dies ist ein wichtiges Kapitel unserer gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Nachkriegsgeschichte. Aber wir wissen auch, die historische Aufarbeitung der deutschen Teilung ist damit nicht beendet. Sie geht weiter, sie ist im Fluss, und wir alle sind daran beteiligt. Die Form eines würdigen Gedenkens ist nichts, was ein für alle Mal feststeht. Vor 15 Jahren waren sich die Berlinerinnen und Berliner einig: Die Mauer muss weg.