Protokoll der Sitzung vom 25.11.2004

Langfristig kommen wir nicht darum herum, darüber nachzudenken, ob das jetzige Gebührenerhebungsverfahren überhaupt noch angemessen ist, denn es stärkt nur die großen Anstalten und schwächt die kleinen. Das kann aus Berliner Sicht nicht das Interesse sein.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Ströver! – Herr Dr. Lindner hat um eine Kurzintervention gebeten. – Bitte, Sie haben das Wort!

Frau Kollegin Ströver! Damit hier keine Missverständnisse aufkommen, mache ich noch einmal die Verhältnisse klar – diese sind vielleicht den Mitgliedern im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medienpolitik klar, aber eventuell nicht dem Rest –: Wir reden, was das Verhältnis von Gebühreneinnahmen zu Werbeeinnahmen angeht, darüber, dass bei ARD und ZDF im Jahr 2002 203 Millionen € Einnahmen aus Werbung 8,1 Millarden € Gebühreneinnahmen gegenüberstehen. Niemand kann vor diesem Hintergrund ernsthaft behaupten, dass derjenige, der das kappen will, einen Kahlschlag beim öffentlichen Rundfunk betreibe oder diesen platt machen wolle. Wir sind völlig einer Meinung, dass wir beides brauchen, ein duales Sys

tem, einerseits den öffentlichen Rundfunk und andererseits einen lebensfähigen privaten Rundfunk. Das ergänzt sich.

Herr Dr. Lindner, Ihre Redezeit ist abgelaufen!

Ich führe noch zu Ende aus! – In einer solchen Situation muss man – das erwarte ich auch vom Regierenden Bürgermeister – darauf drängen, dass dieses ungerechte Verteilungssystem geändert wird, und zwar zu Gunsten der kleinen Länder. Dafür kann man auch werben. Das hat er nicht getan.

[Beifall bei der FDP]

Frau Ströver möchte replizieren. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lindner! Es hilft doch nichts: Wenn wirtschaftliche Situationen schwierig sind, dann ist es nicht die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass die

Zur Begründung der Großen Anfrage haben die Fraktionen der SPD und PDS eine Redezeit von bis zu fünf Minuten. Frau Baba wird die Begründung übernehmen. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frauenrechte sind Menschenrechte. Heute ist der internationale Tag „Nein zu Gewalt an Frauen“. Aus diesem Anlass gibt es weltweit eine Vielzahl von Aktionen und Veranstaltungen, die das Thema „Gewalt an Frauen“ auf ganz unterschiedliche Weise in die Öffentlichkeit bringen. Ich begrüße das ausdrücklich und betrachte die jetzt beginnende Debatte zu unserer Großen Anfrage über Menschenhandel in Berlin als einen Teil davon.

privaten, kommerziellen Rundfunkanstalten geschützt werden. Das ist nicht unsere Aufgabe.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Unsere Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk als System stabil ist. Ich komme zu meinem Ausgangssatz zurück: Nur auf der Grundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besteht verfassungsrechtlich ein Existenzrecht für den privaten Rundfunk.

Deswegen finde ich es schwierig, dass die Ministerpräsidenten in dieser Weise politisch eingegriffen haben und einen staatsunabhängig ermittelten Bedarf, der gegenüber der angemeldeten Summe um die Hälfte reduziert worden war, zum Schutz der Privaten und zu Lasten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geändert haben. Dieses Prinzip müssen Sie sich vergegenwärtigen.

Herr Lindner, leider haben Sie nicht gesagt, wie viele Fernseh- und Hörfunkprogramme der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gebühr von rd. 17 € anbietet. Schauen Sie sich das in der Summe an.

Es besteht kein Zweifel daran, dass auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gespart werden muss. In dieser Frage sind wir uns einig. Auch wir wissen, dass massive Polster vorhanden sind. Diesbezüglich müssen die Strukturen der öffentlich-rechtlichen Anstalten reformiert werden.

Herr Lindner, ich weiß nicht, wessen Anwalt Sie sind. Ich fühle mich jedenfalls im Sinne des dualen Systems als Anwältin eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, denn nur dieser hat einen gesetzlich formulierten Programmauftrag, der weit über das hinausgeht, was für die Privaten gilt. Den müssen sie erfüllen. Wir müssen genau aufpassen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk davon nicht abweicht. Auch in diesem Punkt bin ich mit Ihnen einer Meinung.

Ich persönlich – das ist allerdings nicht die Mehrheitsmeinung meiner Partei – fände es gut, wenn sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk gänzlich von der Werbefinanzierung verabschieden würde. Aber dann bräuchten wir eine entsprechende Summe als Ausgleich in Form von höheren Gebühren. Das müsste man dann in Kauf nehmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt zu beiden Vorlagen die Überweisung an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medienpolitik. Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Dies gilt auch für den Entschließungsantrag von SPD und PDS, Drucksache 15/3421.

Wir kommen zu den lfd. Nrn. 5 bis 10. Diese sind bereits durch die Konsensliste erledigt.

Die lfd. Nr. 7, das ist die Große Anfrage der Grünen über Eine Zukunft für die BVG, steht als vertagt auf der Konsensliste. Hierfür rufe ich unter diesem Tagesordnungspunkt etwas anderes auf, nämlich

lfd. Nr. 7:

Große Anfrage

Menschenhandel in Berlin

Große Anfrage der SPD und der PDS Drs 15/3342

Die Gewalt hat viele Gesichter und ist überall zu finden: zu Hause in den eigenen vier Wänden, im Kreis von Kollegen und auf nächtlichen Straßen ebenso wie im Zusammenhang mit Verschleppung und Krieg. Frauen werden vergewaltigt, erpresst, gefoltert, verbrannt, beschnitten und verkauft. Hinzu kommen Zwangsverheiratung und Mord im Namen der Familienehre. Gestern hatten wir im Ausschuss für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen eine ausführliche Anhörung zum Thema Zwangsverheiratung, die in bestimmten communities leider nach wie vor gang und gäbe ist.

Gewalt gegen Frauen ist überall möglich, wo es strukturelle Diskriminierung gibt, wo Frauen nicht gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können. Alle Erfolge in der Gleichberechtigung von Frauen auf internationalem Parkett nutzen wenig, wenn Frauen in neue Abhängigkeitsverhältnisse geraten, wie sie jetzt bei uns im Zuge von Hartz IV entstehen. Eine Form von Gewalt spielt sich im so genannten Rotlichtmilieu ab, wo Frauen nicht etwa selbstbestimmt ihre besonderen Dienste verkaufen, sondern unter Zwang und Gewalt zu verkäuflichen Waren werden. Frauen werden in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse verkauft oder zu Objekten eines aufblühenden Heiratshandels gemacht. „Frauen, das moderne Gesicht der Sklaverei“ – so haben wir eine Veranstaltung genannt, in der es um Gleichberechtigung für die Opfer von Menschenhandel ging.

Frau Baba

Die Bekämpfung erfordert eine enge Kooperation aller mit diesem Thema befassten Verwaltungen und Einrichtungen nichtstaatlicher Organisationen. Aus diesem

Grund gab es bereits 1995 im Land Berlin die Initiative zur Bildung einer interdisziplinären Fachkommission „Frauenhandel“. Der Vorsitz wird von der Staatssekretärin für Frauen geführt, mit der Zielsetzung, alle mit dem Thema befassten staatlichen und nichtstaatlichen Stellen zu koordinieren, Lösungsansätze für eine effektive Bekämpfung zu entwickeln und das Problembewusstsein für die Lebensbedingungen der Betroffenen und Opfer zu schärfen, um Verbesserungen zu erreichen. Es ist zentral bei dem Thema „Bekämpfung von Menschenhandel und Frauenhandel“ nicht nur auf eine bessere Strafverfolgung und die Erhöhung der Strafverfolgungsbereitschaft zu zielen, sondern zentral sind vor allem der Opferschutz, die Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen und das Schaffen von Rahmenbedingungen, damit sie aus dieser menschenunwürdigen Lage herauskommen können.

Darüber hinaus haben wir die Große Anfrage über Menschenhandel in Berlin gestellt. Heute ist der richtige Tag, diese im Parlament zu debattieren.

[Beifall bei der PDS]

Berlin strebt nach dem Fall der Mauer an, Drehscheibe für den Handel mit Ost- und Mitteleuropa zu werden. Zumindest was den Handel mit Frauen angeht, ist Berlin auf dem besten Weg dahin, denn Menschenhändler betreiben in Berlin ihr risikoarmes Geschäft mit Gewinnspannen, die sogar den Drogen- und Waffenhandel in den Schatten stellen. Wir fragen den Senat, welche Maßnahmen er im Sinne der Opfer gegen den Menschenhandel ergreift. In den vergangenen Jahren bzw. Monaten wurden schon einige Anstrengungen unternommen. Es gibt beispielsweise die Kooperationsvereinbarung zwischen Beratungsstellen für Opfer von Frauenhandel und Polizei. Der Abschluss der Vereinbarung im April 2003 sollte ein politisches Signal sein, dass der Senat diese besonders menschenverachtende Form der organisierten Kriminalität mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft.

[Gram (CDU): Wo ist denn der Innensenator?]

Die Täter zu fassen, ist äußerst schwer, weil die Frauen in völlig ungesicherten Verhältnissen leben – ohne Geld, ohne Papiere, ohne Sprachkenntnisse und ohne Wissen, an wen sie sich wenden könnten. Im August dieses Jahres hat Berlin zur Bekämpfung von Frauenhandel die aufenthaltsrechtliche Situation wenigstens teilweise verbessert. Die Aufenthaltsdauer für aussagewillige Frauen ist auf ein Jahr verlängert worden. Inzwischen ist auch der Bundestag der Verpflichtung gemäß EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Menschenhandels nachgekommen. Ende Oktober wurde einstimmig die Beschlussfassung zum Strafrechtsänderungsgesetz verabschiedet.

Abschließend begrüße ich es sehr, dass sich auch das Abgeordnetenhaus dieses Themas in gebührender Form annimmt, auch wenn die Abwesenheit vieler im Saal dies nicht widerspiegelt. Lang genug hat es gedauert. Ich hoffe, dass die Debatte mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit geführt wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Baba! – Zur Beantwortung hat nunmehr Herr Senator Wolf das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Menschenhandel, der in der Regel Frauenhandel ist, ist eine eklatante Menschenrechtsverletzung und eine der brutalsten Formen der Ausbeutung. Er muss mit aller Entschlossenheit bekämpft werden. Die Täter müssen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und die Opfer geschützt werden.

[Beifall bei der PDS]

[Beifall bei der PDS]

Die Verbesserung der Lage der Betroffenen und die Unterstützung der Opfer sind zugleich eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Strafverfolgung funktionieren kann, weil es nur über einen wirkungsvollen Opferschutz möglich sein wird, die betroffenen Frauen dazu zu gewinnen, den Mut und die Rahmenbedingungen zu haben, dass sie es riskieren können, ihre Lage öffentlich zu machen, sich Beratungsstellen mitzuteilen oder sich an die Strafermittlungsbehörden zu wenden.

Wir haben durch die Arbeit in der interdisziplinären Fachkommission eine Reihe von Verbesserungen erreichen können – einmal bei der aufenthaltsrechtlichen Situation durch Weisung der Senatsverwaltung für Inneres an die Ausländerbehörde – Frau Baba hat es schon kurz angesprochen, ich werde darauf noch ausführlicher eingehen –, dann durch vereinfachte Abläufe bei der Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, durch eine interdisziplinäre Fortbildung an der Landespolizeischule sowie im letzten Jahr durch die Kooperationsvereinbarung zwischen der Polizei und den Beratungsstellen für die Opfer von Menschenhandel und Frauenhandel, womit eine Effektivität der Arbeit im Interesse der Betroffenen gewährleistet worden ist.

Von Seiten der Senatsverwaltung für Frauen werden drei Projekte direkt finanziert, die sich mit dem Thema Menschenhandel befassen – einmal die Ban-YingKoordinationsstelle, die Ban-Ying-Zufluchtswohnung, das Projekt ONA, und es gibt eine weitere Forderung zur Finanzierung von Stellen aus dem Arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramm für das Projekt Hydra und das Projekt IN VIA. Dieses Thema hat auch in der Grundsatzarbeit der Senatsfrauenverwaltung einen hohen Stellenwert. Im Rahmen der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister hat dieses Thema – wesentlich auf Initiative aus Berlin – immer eine wichtige Rolle gespielt. Wesentliche Beschlüsse sind durch diese Arbeit initiiert worden.

In der Großen Anfrage wird die Frage nach den Opferzahlen und den Erfolgen der Strafermittlungsbehörden gestellt. Dazu muss ich einige Einschränkungen machen –

Bm Wolf

Sie stellen die Frage nach dem Vorgehen der Menschenhändler. Hier liegen uns Erkenntnisse vor, einmal aus dem Schwerpunktdezernat zur Bekämpfung der Rotlichtkriminalität seitens des Landeskriminalamts – hier insbesondere die Aussagen von Opferzeuginnen – und