Protokoll der Sitzung vom 25.11.2004

Herr Senator Dr. Flierl – bitte!

Ich habe mit Vertretern der Gedenkstättenszene und auch mit der Ausstellung verbundenen Aktivisten einen Gedankenaustausch verabredet, auf welche Weise Berlin mit seiner Partnerstadt Windhuk weitere Aktivitäten zur Aufnahme dieses Projektes entwickeln kann. Darin sollte auch dieses eingeordnet werden. Ich erfahre jetzt von Ihrem Vorschlag und finde ihn der Sache nach interessant und prüfenswert.

Danke schön! – Eine Nachfrage von Herrn Schruoffeneger. – Bitte!

Das ist nicht unser Vorschlag, sondern der Vorschlag des Beirats für Entwicklungszusammenarbeit der Senatsverwaltung für Wirtschaft.

Herr Flierl! Werden Sie sich, wenn Sie das so sehen, dafür einsetzen, dass das Schreiben der Senatskanzlei vom Chef der Senatskanzlei zurückgezogen wird, in dem die Senatskanzlei eine solche Gedenktafel oder einen solchen Gedenkstein vehement ablehnt mit der Begründung, das sei keine bildungspolitische Frage für Berlin und auch keine Hauptstadtfrage, sondern eine außenpolitische Frage?

Herr Senator Dr. Flierl!

Ich weiß nicht, ob die Fragestunde geeignet ist, auf Differenzen der verschiedenen Senatsverwaltungen hinzuweisen, indem Sie jetzt Informationen in den Raum werfen und versuchen, Unterschiede in den Positionen herauszuarbeiten.

[Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Ich denke, das es eine bildungspolitische Aufgabe wäre, aber ich habe Ihnen die Prüfung zugesagt. – Herr Lindner, Sie haben keine Frage gestellt! Stellen Sie mir eine Frage, dann kann ich antworten.

[Dr. Lindner (FDP): Sie antworten doch auf keine Frage!]

Ja, wenn die Spontane Fragestunde darin besteht, Dinge, die gar nicht öffentlich kommuniziert und nicht an mich herangetragen werden, nachzufragen und auf diese Art und Weise Unkenntnis zu imitieren, dann ist das kein sinnvoller Dialog. – Ich sage Ihnen ausdrücklich zu, diesen Vorschlag zu prüfen und zu überlegen, was man von museums-, bildungs- und kulturpolitischer Seite aus machen kann. Ich fand es eine außerordentliche wichtige Ausstellung. Ich fand auch, dass die Umsetzung dieses vom Parlament ausdrücklich gewünschten Projektes sehr gut in unsere geschichtspolitischen Bemühungen hineinpasst. Ich kann nur jedem empfehlen, diese Ausstellung zu betrachten, und bin sehr aufgeschlossen und interessiert, weitere Initiativen dieser Art zu prüfen und zu unterstützen.

[Beifall bei der PDS]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 2:

Aktuelle Stunde

Gemeinsam leben in Berlin – Integration fördern und fordern

Antrag aller Fraktionen

Man erlebt sehr merkwürdige Kapriolen in den letzten Tagen. Als ich letzte Woche das Titelbild vom „Spiegel“ unter der Überschrift „Allahs rechtlose Töchter“ sah, wunderte ich mich zunächst, wer nun alles in diesem Land für Frauenrechte kämpft. Da werden Themen dargestellt, die seit langem in der Diskussion sind und plötzlich in diesem Zusammenhang hochgezogen werden. Ich hatte – leider nicht ohne Grund – Befürchtungen, was denn wohl der „Focus“ meint, eine Woche später drauflegen zu müssen. Meine Befürchtungen haben sich leider bewahrheitet: Der „Focus“ hat gleich alle Muslime in Deutschland unter Generalverdacht gestellt und erklärte sie zu „unheimlichen Gästen“. Auch der Begriff „Parallelgesellschaft“ reichte nicht mehr aus, er musste noch getoppt werden, und es heißt dann weiter: „die Gegenwelt der Muslime in Deutschland“. Sind sich Journalisten eigentlich noch bewusst, dass sie nicht nur für eine hohe Aufla

Kleineidam

Aber auch bei denjenigen, die permanent vom christlich geprägten Abendland sprechen, habe ich nicht mehr den Eindruck, dass da viel von Christentum die Rede ist – vielleicht noch ganz viel Abendland sehr spät abends, aber Christentum ist da kaum herauszuhören. Es erscheint mir sehr widersprüchlich, wenn führende Politiker der CDU sich so vehement auf das Christentum beziehen, gleichzeitig aber eine Härtefallkommission mit Vertretern

der christlichen Kirchen in der Angst ablehnen, dort könnte es zu christlich zugehen.

Das Zusammenleben in unserer Gesellschaft basiert auf dem Wertekanon des Grundgesetzes. Das Grundgesetz gibt klare Orientierung, wie wir Menschen in diesem Land zusammenleben, und zwar mit unterschiedlicher politischer, religiöser und weltanschaulicher Auffassung. Das Grundgesetz – und nichts anderes – ist unsere Leitkultur – wenn wir denn diesen Begriff unbedingt brauchen.

Es sei mir die Randbemerkung gestattet: Auch in den letzten Jahren, nachdem der Begriff „Leitkultur“ in die politische Debatte gekommen ist, ist es offensichtlich niemand gelungen, ihn inhaltlich zu füllen. Wenn ich mir Deutschland angucke, dann kann ich – ganz unabhängig von Migranten – nicht sehen, wo die deutsche Leitkultur ist.

Es gibt zwischen Bayern und den Friesen, zwischen Berlinern und Schwaben viele kulturelle Unterschiede, und das ist gut so. Das gemeinsame Dach ist das Grundgesetz. Zum Wertekanon dieses Grundgesetzes zählt auch die Religionsfreiheit, die als besonders starkes Grundrecht ausgestaltet ist. Das scheint gerade in diesen Tagen bei den Vertretern der so genannten christlich-abendländischen Leitkultur permanent in Vergessenheit zu geraten. Sonst könnte man nicht auf so abwegige Formulierungen kommen wie: Es muss in Deutsch gepredigt werden. Unser Grundgesetz – also unser gemeinsamer Wertekanon – kennt keine besseren oder schlechteren Religionen. Wer heute meint, den Islam als Religion bekämpfen zu müssen, verstößt gegen elementare Werte unseres Grundgesetzes.

ge zu sorgen haben, sondern auch eine besondere gesellschaftliche Verantwortung tragen, der sie gerecht werden sollten?

[Beifall bei der SPD, der PDS , den Grünen und der FDP]

Aber auch die Stichwortgeber aus der Politik waren nicht faul und haben – wie schon gesagt – aus der Hüfte geschossen und neue Forderungen aufgestellt. Ich nenne einige Beispiele, die ich besonders drastisch empfunden habe. Da wurde plötzlich gesagt: In Moscheen muss deutsch gepredigt werden. Hasspredigern muss die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden. – Dann gibt es so friedensfördernde Vorschläge wie, einen christlichen Feiertag durch einen muslimischen zu ersetzen.

[Zurufe von den Grünen]

Oder: In den Schulen muss das Schulgebet wieder eingeführt werden. – Mir erscheinen alle diese Vorschläge eher als Ausdruck von Hilflosigkeit.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Das sind keine Vorschläge, die zur Problemlösung beitragen, und ich glaube, es wird dringend Zeit, in dieser erregten Diskussion die Gedanken etwas zu sortieren.

Es stellt sich die grundsätzliche Frage: Welches Verhältnis hat unsere Gesellschaft eigentlich noch zur Religion? – Wir haben – ich glaube, vor zwei Wochen – schon einmal über dieses Thema diskutiert. Der Kollege Ritzmann war es, der darauf hinwies: 62 % der Berlinerinnen und Berliner gehören gar keiner Religion mehr an. – Man muss sich fragen, was die, die keiner Religion angehören, dann noch über Religion wissen. Lassen Sie mich das mit einem besonders drastischen Beispiel belegen. In einer großen Tageszeitung hat sich in der letzten Woche ein Journalist kritisch mit dem Vorschlag des Bundestagsabgeordneten Ströbele auseinander gesetzt, einen christlichen Feiertag durch einen muslimischen zu ersetzen, und geschrieben:

Dabei liegt Ströbele gar nicht so schief. Seinem Vorschlag fehlt nur ein Schuss deutsche Leitkultur. Wir müssen ja nicht gleich einen christlichen Feiertag opfern. Man könnte den Vatertag streichen, es werden ja ohnehin keine Kinder mehr geboren.

So viel zum Wissen Berliner Journalisten über Christentum. Wahrscheinlich wird Himmelfahrt dann auch eher als Gedenktag an die erste Mondbereisung angesehen.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Henkel (CDU): Ist ja widerlich!]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Ich sage aber genauso deutlich, dass die Religionsfreiheit dort ihre Grenzen findet, wo in Rechte anderer eingegriffen wird. Gewalt in der Öffentlichkeit oder Gewalt in der Familie wird nicht von der Religionsfreiheit gedeckt. Wer versucht, solche Taten religiös zu rechtfertigen, missbraucht Religionen. Jeder hat das Recht, seine Religion nach seinen Vorstellungen auszuleben, aber keiner hat das Recht, unter Berufung auf seine Religion das Selbstbestimmungsrecht anderer – und zwar auch seiner Familienangehörigen – einzuschränken.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)]

In der aktuellen Debatte wird immer wieder behauptet, die Entstehung von Parallelgesellschaften sei ein Beleg für die angeblich gescheiterte Integration. Es wird gefordert, die Konzentration von Migranten in Kiezen zu beseitigen und die Ghettos in den Großstädten aufzulösen. Wie eigentlich? Wollen wir eine Politik der Zwangsumsiedlung machen? – Das ist keine Politik, die unserem Ver

Kleineidam

Ist die Idee einer multikulturellen Gesellschaft gescheitert? – Auch zu dieser These von mir ein eindeutiges Nein. Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft. Gescheitert ist vielleicht die Hoffnung mancher, dass sich das alles problemlos von allein vollzieht. Dafür bedarf es konkreter Anstrengungen aller Beteiligten. Die Migranten müssen sich auf die deutsche Gesellschaft einlassen, aber die deutsche Gesellschaft muss sie dazu auch einladen.

Das größte Integrationshemmnis sind Angst, Furcht und Verunsicherung. Die Diskussion, die im Augenblick in der deutschen Öffentlichkeit geführt wird, ist alles andere als hilfreich. Menschen, die Angst haben, können nicht auf andere zugehen, die können sich nicht integrieren. Wer meint, mit Repressionen Integration erzwingen zu können, wird genau das Gegenteil erreichen.

Herr Abgeordneter! Bitte achten Sie auf die Zeit, Sie sind schon weit drüber!

Entschuldigung, ich danke für den Hinweis. – Der Spracherwerb von Migrantenkindern wird nicht durch Drohungen wie Kürzung von Sozialhilfe befördert, sondern nachhaltig erst durch die Einsicht der Kinder, dass die Sprachkenntnisse ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. In diesem Sinne fördern und fordern – für alle am Integrationsprozess Beteiligten sollten wir die weitere Diskussion um die besten Lösungen führen. – Vielen Dank!

ständnis eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates entsprechen kann.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Den Gipfel hat allerdings der Innenminister des Landes Brandenburg, Jörg Schönbohm, erreicht, der die These äußerte, ein Teil der bei uns lebenden Ausländer habe selbst Ghettos gegründet, weil dieser uns Deutsche verachte. Wie man auf einen solchen Gedanken kommen kann, ist mir schleierhaft. Diese Bemerkung lässt eher auf mangelndes Selbstbewusstsein schließen, als dass sie irgendeinen Realitätsbezug zu den Verhältnissen in Deutschland hat.

[Beifall bei der SPD und der PDS]