Protokoll der Sitzung vom 10.02.2005

Wir können es kurz machen: Es mag für Berlin finanziell bitter sein, so viele Gedenkstätten und Gedächtnisorte zu haben und diese erhalten zu müssen, aber es ist auch ein Gewinn für diese Stadt, dass sie eben diese vielen Gedenkorte hat. Sie sind Teil unseres Selbstverständnisses. Wir kommen an Geschichte nicht vorbei. Und weil dies so ist und wir Geschichte nicht selektiv aussuchen können, soll und muss dieser Ort Teil des Gedenkstättenkonzepts werden. Die CDU-Fraktion wird sehr viel Wert darauf legen und genau hinschauen, was nachher im Gedenkstättenkonzept steht und ob dieser Ort aufgenommen ist. Wir werden die Ersten sein, die lauthals den Senator daran erinnern, dass er hier in die Pflicht zu nehmen ist. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Apelt! – Es folgt die Fraktion der PDS. Das Wort hat Herr Kollege Brauer. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon irgendwie tragisch: Wenn sich in der Stadt herumspricht, wo die FDP gegenwärtig ihre politischen Prioritäten setzt, nämlich in Gedenktafeldebatten,

[Goetze (CDU): Dass Ihnen das nicht passt, ist klar!]

besteht hochgradig die Gefahr, dass dem Hohen Haus im Jahr 2006 Martin Lindners schrumpfendes Häuflein endgültig abhanden kommt.

Zum vorliegenden Antrag – die Vorgeschichte: Vorausgegangen war diesem Antrag eine Sightseeing-Tour der fliegenden Geschichtswerkstatt der Liberalen in den „wilden Osten“, dahin, wo er ostiger nicht sein kann, an eine Stelle, an der selbst kapitalkräftige Eigentümer sich offenbar nicht getrauen, auch nur einen Euro für Fensterfarbe auszugeben.

[Zuruf des Abg. Hahn (FDP)]

Zurück zum Geschehen vom 21. Januar 2005.

[Schruoffeneger (Grüne): Aschermittwoch ist vorbei!]

Recht so, Herr Lindner! Militärische Verteidigung der Arbeiterklasse, wo kommen wir da hin, das sagt doch einfach alles! – Es hilft nur eines, so die FDP: Das Haus muss in das angekündigte Gedenkstättenkonzept einbezogen werden. Da ist zwar keine Gedenkstätte mehr drin – fragen Sie den Kollegen Stölzl, Herr Hahn. Der hat, glaube ich, seinerzeit einen Teil des Mobiliars und wahrscheinlich noch viel schlimmere Papiere als das von Herrn Lindner gefundene ins Depot schaffen lassen. Es ist auch egal, dass die Eigentümer daraus eigentlich lieber ein Hotel oder Büros machen wollen. Nun gut, mir scheint, die Kollegen haben exorzistische Neigungen. Seien Sie froh, dass Sie in Berlin nicht regieren, ich glaube, der Abgeordnete Wellmann würde sofort eine Kleine Anfrage stellen.

Dass die Idee mit dem Gedenkstättenkonzept Quatsch ist, haben Sie offenbar schon beim Schreiben Ihres Antrags gemerkt. Sie weichen schon im zweiten Satz zurück und sagen: „mindestens eine Gedenktafel“. – Toll, gut! Aber darauf kann man sich einigen, denn in einem muss ich Ihnen Recht geben: Die Geschichte dieses Ortes ist tatsächlich in Vergessenheit geraten. Es muss gesagt werden, dass da das SED-ZK saß, es muss gesagt werden, dass da das Institut für Marxismus-Leninismus mit dem Parteiarchiv seinen Sitz hatte. Das mit den Schauprozessen ist allerdings ziemlicher Unsinn. In Ihren Seminaren müssen Sie einigermaßen fest geschlafen haben, liebe Kollegen. Der Begriff Schauprozess ist in der Geschichtsschreibung eigentlich belegt. Zu Schauprozessen in der

Danke, Herr Präsident! – Herr Brauer, Sie haben eben gesagt, wir hätten uns mit unserer Fraktion auf eine Expeditionsreise zu einem Ort begeben, wo Berlin nicht ostiger hätte sein können. Sie irren sich. Zu diesem Zweck hätten wir wohl Sie und Ihre Wohnung aufsuchen müssen.

Aber Scherz beiseite, die Sache wird an dieser Stelle ernst. Wenn Sie sich im Jahr 2005 in diesem Saal im Preußischen Landtag hinstellen und uns erzählen wollen, es habe in der DDR keine Schauprozesse gegeben, dann wird die Sache allerdings ernst. An diesem Punkt wird sie auch schlimm, Herr Brauer!

Ich möchte Sie nach Ihrem Rechtsverständnis fragen: Was meinen Sie, mit was für Prozessen wir es zu tun haben, wenn noch bevor der Prozess überhaupt begonnen hat in einem Politbüro – einem politischen Gremium – die Strafe festgelegt und der Vorschlag „lebenslänglich Zuchthaus“ durchgestrichen und „mit Todesurteil einverstanden, Ulbricht“ schriftlich ersetzt wird? Anschließend werden zu diesem „Prozess“ – ich weiß nicht, ob er von der berüchtigten Frau Benjamin oder jemand anderem, in dem Fall vielleicht einem Dr. Schumann geführt wurde – eine ausgesuchte Öffentlichkeit der DDR geladen, damit die Angeklagten vorgeführt und gedemütigt Werden können.

Art, wie Sie sie inkriminieren, kam es in Moskau, in Warschau, in Budapest, in Prag, in Sofia. In der DDR ist es zu dieser perfiden Ausprägung von Schauprozessen nicht gekommen. Sie meinen doch hoffentlich nicht die Waldheimprozesse, da muss man etwas genauer hinschauen.

[Zuruf des Abg. Hahn (FDP)]

Eines muss ich aber ganz deutlich sagen, Herr Hahn – schreien Sie doch nicht dazwischen –, über die Bewertung des finsteren Kapitels einer entsetzlichen politischen Strafjustiz in der DDR dürften Sie mit uns schneller Einigung erzielen als Ihnen vermutlich lieb sein dürfte, denn da käme Ihnen ein Feindbild abhanden.

Es muss gesagt werden – auch das ist richtig –, dass der Platz vor diesem Haus einer der zentralen Punkte des Arbeiteraufstandes des 17. Juni war.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hahn?

Nein, das kann er hinterher tun.

Danke!

Tut mir Leid! – An einen der zentralen Punkte des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 in Berlin erinnert zu haben – das möchte ich auch sehr deutlich sagen –, ist ein Verdienst Ihres Antrages.

Im vergangenen Jahr gab es schon einige – beispielsweise wie von Herrn Küchenmeister – initiierte temporäre Aktionen. Aber das war eben temporär. Für eine Tafel ist jedoch ein Parlamentsbeschluss nicht erforderlich. Wir bitten den Senat, hier sehr rasch aktiv zu werden. Ich gehe davon aus, dass zum 17. Juni 2005 eine solche Tafel dort angebracht sein wird.

Einen Hinweis möchte ich noch geben: Wenn man schon über die zentralen Stätten der SED-Herrschaft redet, schließen Sie bitte das Auswärtige Amt nicht aus. Dort sollte auch eine solche Tafel angebracht werden. Um weitere Stadtspaziergänge unserer geschätzten liberalen Geschichtserkunder ermöglichen zu können, erlaube ich mir, der Fraktion der FDP einen Ostalgieplan der Hauptstadt der DDR – der Begriff stammt leider nicht von mir, er ist leider aufgedruckt – mit fast 130 eingezeichneten Orten stalinistischer Herrschaft zu überreichen. Haben Sie dann Ihre 130 Anträge abgearbeitet, bin ich gern beim Auffinden weiterer Orte behilflich. Einen Tipp habe ich noch: Nehmen Sie diesen Plan ernst, fangen Sie mit dem dort eingezeichneten Modeinstitut der DDR an. Millionen vom Einheitslook geknechteter Frauen werden Ihnen sehr dankbar sein. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Brauer! – Das Wort erhält nach dem Beifall der Kollege Hahn für eine Kurzintervention. – Bitte schön!

[Heiterkeit bei der FDP und bei der CDU]

Da weht offensichtlich ein Geist, der ostiger nicht mehr sein kann.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

[Henkel (CDU): Unappetitlich!]

Wollen Sie uns erzählen, dass das keine Schauprozesse sind? Ich möchte Ihnen jetzt die Gelegenheit geben, hier raufzukommen und diese ungeheuerliche Aussage zurückzunehmen. Das ist wirklich im Ernst jetzt und hier nötig!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Hahn! – Herr Brauer repliziert. – Bitte schön!

[Reppert (CDU): Er erzählt uns jetzt, wie die Wohnung eingerichtet ist!]

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich versuche zu replizieren. Das fällt einigermaßen schwer angesichts der Qualität einiger Zwischenrufe. – Eine persönliche Bemerkung sei mir gestattet. Herr Hahn! Sie dürfen mich gern besuchen kommen. Meine Wohnung wurde im vergangenen Jahr eingeweiht. Vielleicht findet sich irgendwo ein Honeckerbild, das ist möglich.

[Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP]

Ich habe es auf keinen Fall an der Wand. Wir können gemeinsam durch die Kisten im Keller schauen.

Wenn Sie genauer hingehört hätten – schauen Sie bitte im Protokoll nach –, werden Sie feststellen, dass ich da

Es wurde wenig getan. Wir haben Sie alle zum Jagen getragen. Deutlich ist natürlich auch, dass wir uns überlegen müssen, was an Örtlichkeiten einbezogen werden muss, um diese Dimension zu erfassen. Wir haben schon die Orte, die Gedenkstätte Hohenschönhausen. Wir haben das Museum und die Gedenkstätte Bernauer Straße. Wir haben Checkpoint Charlie und die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Wir fragen uns gerade, ob wir einen weiteren künstlerisch gestalteten Gedenkort brauchen. Sie wissen vielleicht, dass ich diesem etwas skeptisch gegenüber stehe, weil ich der Meinung bin, dass wir mit den authentischen Orten arbeiten müssen. Da steht die Bewertung noch aus, Herr Hahn. Ich bin mir beileibe nicht so sicher wie Sie, ob diese Örtlichkeit, Torstraße 1, in dieser Dimension die Bedeutung verdient, wie Sie es in Ihrem Antrag formulieren.

Dieser Ort verdient aber in einem ganz anderen Sinn Bedeutung, nicht nur bezogen auf die zehn Jahre, die Sie jetzt herausgegriffen im Zuge der Nutzung, die dieses Haus erfahren hat. Aus diesem Grund habe ich mir die Mühe gemacht und habe mich um die echten Fakten rund um dieses Haus gekümmert.

von sprach, dass der Begriff Schauprozess historisch einigermaßen genau belegt ist. Wir können uns darüber gern verständigen und diskutieren. Das ist aber keine Frage des parlamentarischen Disputes. Unter diesem Begriff sind subsumiert, das, was Wyschinsky und Konsorten in Moskau anstellten, beginnend Mitte der 30er Jahre mit unsäglichen Folgen, das, was unter dem Begriff Rajk-Prozesse subsumiert ist und das, was in Prag unter dem Begriff Slansky-Prozesse lief. Sie wissen das, das hoffe ich. Ansonsten schauen Sie bitte in die Dokumentenbände. Das ist inzwischen veröffentlicht. Das hatte eine entsetzlich andere Qualität.

Damit will ich überhaupt nicht die wirklich furchtbaren Ergebnisse politischer Prozesse in der DDR geringreden und überhaupt nicht verniedlichen, verharmlosen oder ähnliches. Ich gestehe gern ein, dass solche Prozesse wie Slansky, Rajk und Wyschinsky durchaus im Kalkül einiger Politstrategen der damaligen SED lagen und man versuchte, solches vorzubereiten. Das gestehe ich gern. Dazu kam es nicht. Wir sind sehr froh darüber. Bleiben wir bitte, wenn wir uns mit dieser Phase beschäftigen auch detailgetreu bei der historischen Korrektheit und wenden die Begriffe an, wie sie konsensual in der Geschichtswissenschaft auch verwendet werden. Nicht jede politische Polemik ist gut, wenn sie sich doch zu leichtsinnig um eines vordergründigen Effektes heraus dieser Dinge bedient. Herr Hahn, Sie wissen das. Hier hängen Menschenschicksale, Menschenleben daran. Damit sollten wir etwas behutsamer umgehen.

Im Übrigen habe ich erklärt, dass wir durchaus gewillt sind, einem Teil Ihres Antrags Folge zu leisten. Allerdings bin ich der Auffassung, dass Sie für bestimmte Dinge ein viel zu großes Kaliber auffahren. Eine Gedenktafel sollte angebracht werden, das ist richtig.

Danke schön, Herr Kollege Brauer! – Nun hat endlich Frau Ströver für die Fraktion der Grünen das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser interessante Disput eben zeigt, dass wir uns noch ziemlich weit verständigen müssen über die Bewertung der DDR-Geschichte und auch des Unrechtssystems der SED. Insofern ist es – damit sind wir beim Thema – wirklich hohe Zeit, dass wir uns allesamt an ein Gedenkstättenkonzept heranmachen, das sich nicht nur darin erschöpft, an die Mauer in ihrer materialisierten Form zu erinnern, sondern dass wir wirklich so etwas brauchen wie eine Einschätzung von diesen 40 Jahren des DDR-Systems. Es ist allerhöchste Zeit. Man weiß, dass sich in den letzten 15 Jahren keine Landesregierung ernsthaft mit diesem Thema beschäftigt hat.

Natürlich auch nicht die rot-rote Koalition. Es ist gut, dass nun der öffentliche Druck so groß ist, dass endlich damit begonnen wird und der Senator eine Kommission einberufen hat, die in diesem größeren Kontext die Frage

des Gedenkens an dieses Unrechtsystem hoffentlich auf einen klärenden Weg bringt.

Und das, finde ich, ist wirklich ein sehr interessanter Vorgang. Denn dieses Haus – manche Kollegen haben es schon erwähnt – wurde 1928/29, übrigens durchaus in Bauhaus-Tradition, erbaut vom jüdischen Kaufmann Hermann Goldgruber, der dort das Kaufhaus Jonas mit einem Kompagnon betrieb. Schon 1933 wurden sie gezwungen, Nebeneigentümer, die tatsächlich Nazikollaborateure waren, in ihre Firma einzubeziehen, und diese haben es dann ermöglicht, das Kaufhaus und die Immobilie zu übernehmen und die Eigentümer 1933 aus dem Lande zu vertreiben. Beide mussten emigrieren, das Haus ging in den Besitz der nichtjüdischen Nazikollaborateure über, und – man höre und staune – es wurde übernommen von der NSDAP. Die NSDAP hat es gekauft und als Sitz des berüchtigten NSDAP-Jugendführers Baldur von Schirach benutzt. Der hatte dort seinen Sitz.

Bruchlos ging es nach dem Krieg weiter, und das Gebäude wurde – darüber wurde jetzt sehr viel geredet – von der SED übernommen, es wurde Sitz des Zentralkomitees der Partei, Wilhelm Piecks Amtssitz, auch Otto Grotewohl hatte hier sein Büro. Ich finde auch, dass wir diesen historischen Teil unbedingt beachten müssen. 1959 – das haben einige Kollegen schon gesagt – wurde es Sitz des Instituts für Marxismus-Leninismus. Dort waren übrigens sämtliche Akten der Kommunistischen Partei archiviert, die dann irgendwann im Landesarchiv gelandet sind.

Ich meine – und das ist das, was ich Ihnen zum Vorwurf mache, Herr Hahn –, man kann nicht 10 Jahre sicherlich bedeutender Geschichte im Kontext dessen, was wir im Umgang mit dem DDR-System machen müssen, herausgreifen, wenn man so ein Haus in den Fokus seines