Herr Lindner kann wohl auch nur sich selbst zuhören, aber nicht anderen, und deswegen lernt er leider auch nie etwas dazu.
[Beifall bei den Grünen und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Also Rot-Grün ist gescheitert! Die Redezeit ist abgelaufen, oder?]
Frau Kollegin, fahren Sie bitte fort! – Das Hohe Haus bitte ich dringlich um Aufmerksamkeit für unseren Tagesordnungspunkt, der hier in Berlin spielt und nicht im Norden. – Bitte schön!
Stellungnahme des Senats zum Bericht des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit für das Jahr 2003
Ich erteile nun dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Herrn Professor Dr. Garstka das Wort zur mündlichen Berichterstattung. – Wir begrüßen Sie sehr herzlich! Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine bundesweit einmalige und von anderen beneidete Verfahrensweise des Berliner Abgeordnetenhauses, der Bedeutung von Datenschutz und Informationsfreiheit in der Informationsgesellschaft durch die Einrichtung eines eigenen Organs, nämlich des Unterausschusses Datenschutz und Informationsfreiheit des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung Rechnung zu tragen. Die in den Jahresberichten des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit dargestellten Sachverhalte, aber auch eine Vielzahl von aktuellen Ereignissen erfahren hier eine sachgerechte und weiterführende Erörterung.
Ihnen liegen heute die Beschlussempfehlungen vor, die der Innenausschuss zum Jahresbericht 2003 auf Grund einer Vorlage dieses Unterausschusses gefasst hat. Sie wurden einstimmig angenommen. Dies ist angesichts der bundesweit häufig kontrovers geführten Debatten über den Datenschutz ein Indiz zum einen für die konstruktive
Nach drei Amtszeiten habe ich mich entschlossen, die vielfältigen Erfahrungen, die ich erworben habe, wiederum in Wissenschaft und Forschung einzubringen. Ich bedanke mich für die hervorragende Zusammenarbeit mit diesem Hause. Ich wünsche mir vor allem, dass Sie meinem Nachfolger parteiübergreifend die gleiche wohlwollende Unterstützung gewähren werden, die ich in meinem Amt erfahren habe. – Ich bedanke mich!
Atmosphäre, mit der in diesem Unterausschuss gearbeitet wird, andererseits aber auch dafür, dass Kritik an staatlicher Verwaltung auch parteiübergreifend Erfordernis des demokratischen Rechtsstaates ist.
Zum Jahresbericht 2003 haben wir Themen erörtert, die für den oberflächlichen Betrachter vernachlässigbar erscheinen mögen, gleichwohl für die Betroffenen, deren schutzwürdige Belange wir zu wahren haben, als Beeinträchtigung oder sogar Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte empfunden werden. So etwa die Rückkehr des mittelalterlichen Prangers in Form der Parkkralle, die Unempfindlichkeit gegenüber der indiskreten Situation bei Gesprächen in den Bürgerämtern, wenn mitgehört werden kann, welche persönlichen Probleme die nebenan Beratenen haben, die Unfähigkeit der Schulverwaltung, die Einschränkung der Lernmittelfreiheit so zu organisieren, dass die Schüler in der Schule ihre oder die soziale Situation ihrer Eltern nicht bloß legen müssen.
Es geht auch um die Kaltschnäuzigkeit, mit der der RBB wie die anderen Rundfunkanstalten nicht nur seine öffentlichrechtlichen Privilegien nutzt, zum Beispiel durch regelmäßige Ermittlungen aus den Melderegistern, sondern sich darüber hinaus noch im Privatbereich hinter dem Rücken von Millionen Betroffenen aller Möglichkeiten des Adresshandels bedient, um angebliche Schwarzhörer und -seher ausfindig zu machen, und sich dies auch noch durch eine diffuse und aus meiner Sicht rechtswidrige und verfassungswidrige Staatsvertragsregelung genehmigen lässt.
Es geht um die Großzügigkeit, mit der aufmüpfige, aber harmlose Demonstranten, die etwa öffentlich Plakate entrollen, durch Meldungen in die Dateien des Bundeskriminalamtes in die Nähe von Terroristen gerückt werden.
Hinzu kommen Themen, die die erheblichen Risiken aufzeigen, die von neuen Informationstechniken ausgehen, wie etwa der automatischen Zeichenerkennung am Beispiel von Fahrzeugkennzeichen, der Einführung von Controllingtechniken im Rahmen von Transferleistungen, von Fernableseeinrichtungen bei Versorgungseinrichtungen oder der immer mehr um sich greifenden Videoüberwachung.
Die Empfehlungen des Unterausschusses Datenschutz und Informationsfreiheit und die entsprechenden Beschlüsse des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung fördern den Datenschutz in diesem Land. Die Zustimmung dieses Hauses, die ich erwarte, wird die Rolle bestätigen, die das Land bei der Bewahrung und Fortentwicklung des Datenschutzes seit vielen Jahren spielt und die vom Bund und den anderen Ländern europa- und weltweit anerkannt wird. So ist die Berlin-Group, eine internationale Arbeitsgruppe unter unserem Vorsitz, die sich mit Datenschutz im Internet befasst, weltweit für ihre Arbeiten anerkannt.
Der heutige Tag gibt mir auch für persönliche Bemerkungen Anlass. Dieses Haus hat mich, noch in Schöneberg, wenige Tage nach dem Mauerfall 1989 in das Amt des Berliner Datenschutzbeauftragten gewählt. Aus akademischen Beschäftigungen mit den Problemen kommend, welche Folgen der Computereinsatz in Gesellschaft und Verwaltung haben könnte, hatte ich bereits seit 1979 – seit nunmehr 25 Jahren – an dem Aufbau der Dienststelle des Datenschutzbeauftragten mitgewirkt. Die Wahl in das Amt selbst hat mir vielfältige Gelegenheit gegeben, sowohl meine Kenntnisse einzubringen als auch die Fortentwicklung des Datenschutzes – ich denke, in wirkungsvoller Weise – zu beeinflussen.
Vielen Dank, Herr Professor Dr. Garstka! Sie haben an dem lang anhaltenden Beifall gespürt, dass das Berliner Parlament aufmerksam Ihre Arbeit gewürdigt hat. Danke schön!
Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. Der Kollege Dr. Felgentreu hat das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, gestatten Sie mir ein persönliches Wort: Es freut mich, dass gerade die SPD die Stellungnahme des Senats heute als ihre Priorität angemeldet hat. Es freut mich deshalb, weil es zum Ausdruck bringt, dass die SPD-Fraktion trotz oder gerade wegen gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten dem Datenschutz und der Informationsfreiheit eine große Bedeutung beimisst. Es freut mich, weil es mir die Gelegenheit gibt, einem Mann zu danken, der durch seinen jahrzehntelangen Einsatz für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Berlin die Grundrechtepolitik in unserer Stadt maßgeblich mit geprägt hat.
Herr Prof. Garstka, Sie sind für den Datenschutz ein Mann der ersten Stunde. Nach dem Volkszählungsurteil, mit dem das Bundesverfassungsgericht 1983 das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung definiert hat, haben Sie sechs Jahre lang den Datenschutz in Berlin mit aufgebaut, bis Sie 1989 selbst an die Spitze Ihres Hauses getreten sind. Seit 16 Jahren sind Ihre Mahnungen, aber auch Ihre konstruktiven Beiträge im Interesse der Bürgerrechte ein fester Bestandteil der Berliner Politik.
In Ihre Amtszeit fielen die großen Herausforderungen, die sich aus dem Zusammenwachsen Berlins ergaben. Es
Herr Garstka, für die Aufgaben, die vor Ihnen liegen, wünsche ich Ihnen Glück und Erfolg. Für dreieinhalb Jahre guter Zusammenarbeit danke ich Ihnen ganz persön
lich. Dass der Unterausschuss Datenschutz – abgesehen von gelegentlichen Grundsatzerklärungen der FDP, die der Ausschuss aber stets mit Wohlwollen zur Kenntnis nimmt –
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Garstka! Der Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hat einen detaillierten, 150 Seiten umfassenden Bericht über die Datenschutzsituation aus seiner Sicht vorgelegt. Die Stellungnahme des Senats ist nicht in allen Punkten als befriedigend anzusehen. Deshalb haben sich der Innenausschuss und der Unterausschuss Datenschutz mit den vom Datenschutzbeauftragten aufgezeigten Problemen intensiv befasst und eine einstimmige Beschlussempfehlung vorgelegt, die dem Senat die richtige Richtung im Umgang mit den Datenschutzproblemen aufzeigt – eine kleine Entscheidungshilfe der Abgeordneten.
ging um nicht weniger, als den Übergang von der Staatssicherheit zum Datenschutz zu moderieren, eine Aufgabe, deren bürgerrechtliche Dimension für mich besonders deutlich wurde, als es Ihnen zufiel, sogar das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ehemaliger StasiMitarbeiter vor rechtswidrigen Ansprüchen in Schutz zu nehmen. Es waren gestalterische Jahre, um die eine Generation, die daran keinen direkten Anteil nehmen konnte, Sie lange beneiden wird.
Gestern haben Sie zum letzten Mal einen neuen Jahresbericht zum Datenschutz vorgelegt, ein sperriges Dokument, das eine nicht uneingeschränkt harmonische Auseinandersetzung erwarten lässt – auch mit der SPD. Heute haben Sie zum letzten Mal vor dem Abgeordnetenhaus zur Reaktion des Senats auf einen Ihrer Jahresberichte Stellung genommen – in gewohnt streitbarer Sachlichkeit und mit festem Blick auf das gleichbleibende Ziel, die Bürgerrechte vor übergroßer Neugier Dritter zu schützen. Ihr entschiedenes Engagement macht es der Politik leicht, sich mit Ihren Positionen auseinander zu setzen.
Herr Prof. Garstka, ich gebe gerne zu, ich nähere mich Fragen des Datenschutzes oft aus der Perspektive des Innenpolitikers, der gelegentlich dazu neigt, den Datenschutz als letzte Hürde vor der Umsetzung einer sinnvollen Maßnahme zu betrachten. Aber gerade weil das so ist, ist Ihr Bericht, Herr Garstka, so wichtig. Gerade die Innen- und Rechtspolitik braucht Sie als Gegenüber, als Korrektiv, um nicht über das Ziel hinauszuschießen und im Übereifer Bürgerrechte zu verletzen, wo sie eigentlich geschützt werden sollen. Wie gestalterisch diese Auseinandersetzung wirken kann, zeigt zum Beispiel die Intensivtäterrichtlinie von Polizei und Staatsanwaltschaft, die heute einen wesentlichen Beitrag zur inneren Sicherheit leistet. Ihr Rat war bei der Konzeption dieser Richtlinie von wesentlicher Bedeutung.
Aber auch dort, wo die SPD-Fraktion Ihre Position letztlich nicht teilt, verbessert Ihre Kritik die Qualität von Entscheidungen. Sie zwingt zu Nachdenklichkeit und verpflichtet zu genauer Begründung, denn es ist kein Geheimnis: Die Parkkralle finde ich prima und fühle mich durch sie keineswegs ins Mittelalter zurückversetzt. Die Ortung mit verdeckten SMS halte ich nicht nur für zulässig, sondern auch für eine pfiffige Methode.
Beim genetischen Fingerabdruck scheint mir zumindest bei Tatortspuren die Aufhebung des Richtervorbehalts sinnvoll zu sein. Dass ich mich Ihrer Kritik nicht anschließen kann, ändert aber nichts daran, dass es mir geholfen hat, mich damit auseinander zu setzen, denn bei Ihnen, Herr Garstka, muss ich nicht damit rechnen, dass es darum geht, parteipolitisch Punkte zu machen. Ihnen geht es um die Sache. Das tut gut, in der Politik so einen Partner und so ein Gegenüber zu haben.
fast immer an der Sache diskutiert und im Konsens entscheidet, hat viel damit zu tun, wie souverän und gentlemanlike Sie die Dinge zur Sprache bringen. Sie werden uns fehlen. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Dr. Felgentreu! – Für die CDU hat nun der Kollege Trapp das Wort. – Bitte schön!
Diese Einstimmigkeit zeigt aber auch, dass die Sacharbeit in allen Parteien im Vordergrund steht, nicht die Ideologie, denn der Andrang von Presse, Funk und Fernsehen hält sich bei den Sachthemen in Grenzen, obwohl sehr viele Bürger vom Datenschutz betroffen sind. Sie hatten es angesprochen, die Diskretion in den Bürgerämtern, der Einsatz von Kennzeichenlesegeräten bei der Ausgabe von Schulbüchern ohne den Eigenanteil der Eltern – hier gibt es überall Probleme.
Allerdings ist auch kontrovers über den Einsatz neuer Techniken, z. B. den RFID-Chip und seine Auswirkung auf den „gläsernen Studenten“, gesprochen worden.
Beim Einsatz von Videokameras auf Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG und der S-Bahn und der Forderung der CDU nach Einsatz von Videoanlagen bei der BVG wurden die Unterschiede in den Standpunkten der Fraktionen deutlich. Wenn es im Ausschuss auch keine abschließende Bewertung gab, so ist es aus Sicht der CDU doch ein Erfolg, wenn die öffentliche Diskussion zum Einsatz von Videokameras in Bussen und Bahnen sowie auf U-Bahnhöfen erneut auf der Agenda steht. Ihre Gespräche mit der CDU-Fraktion sind sehr positiv verlaufen.
Beim Einsatz verdeckter SMS zur erfolgreichen Bekämpfung der Kriminalität, also zur Lokalisierung von Straftätern, die dann festgenommen werden können, teilt die CDU-Fraktion uneingeschränkt die Rechtsauffassung
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist das erste Mal, dass wir in diesem Hause nicht zu nachtschlafender Zeit über die Empfehlungen des Unterausschusses Datenschutz bzw. die entsprechende Beschlussempfehlung des Innenausschusses reden, sondern – den neuen Errungenschaften sei Dank – die Prioritätensetzung es uns ermöglicht, den Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, Herrn Prof. Garstka, schon zu diesem Zeitpunkt zu hören.
Die größere Aufmerksamkeit ist auch deshalb nötig, weil die Probleme für den Datenschutz nicht kleiner werden, nicht nur im privaten Bereich mit gläsernen Kunden und flottem Adressenhandel. Im Hinblick auf die Terrorismusgefahr wird das Arsenal des Staates zur Überwachung der Bürger weiter aufgerüstet. Hatte es bisher den Anschein, dass dies von den Bürgerinnen und Bürgern hingenommen wird, sei es aus Angst vor Terrorüberfällen oder in dem Bewusstsein, man habe nichts zu verbergen, scheint das Ausmaß der Grundrechtseingriffe mittlerweile doch zu einem Wandel zu führen. Wenn man Umfragen glauben darf, fühlen sich immer mehr Menschen überwacht und in ihrer Intimsphäre ausgespäht. Auf der gestrigen Pressekonferenz wurde zu Recht noch einmal auf das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit, was so ganz harmlos klingt, hingewiesen. Aber es ermöglicht tatsächlich einen Zugriff fast aller Behörden ohne Wissen der Betroffenen, ohne Wissen der Banken auf die Konten, und es wird dazu auch noch ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht geben. Ich hoffe, es setzt grenzenlosen Ausforschungsersuchen Grenzen.