Protokoll der Sitzung vom 17.03.2005

Ich komme noch zu einigen anderen Punkten Ihres Antrags. Dass die Bezirke bereits heute ein Klagerecht bezüglich ihrer Zuständigkeiten haben, sollten Sie wissen. Das ist extra aufgenommen worden, als wir damals die Rechte der Bezirke verbessert haben. Wenn Sie einen Antrag einbringen mit dem Inhalt, dass die Bezirksbürgermeister direkt gewählt werden sollen – und zwar für die Dauer von sechs bis acht Jahren –, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass damals auch die CDU – ich weiß, dass die Redezeit abgelaufen ist – davon abgegangen ist, dass die Dauer der Amtszeit nicht mit derjenigen der BVV übereinstimmt. Dafür gab es gerade von Seiten der CDU gute Argumente. Diese sollten Sie einmal nachlesen. – Ich bedanke mich!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Schimmler! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Ratzmann das Wort, wenn er möchte!

[Doering (PDS): Eigentlich ist alles gesagt!]

Sie sehen so unlustig aus.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe nicht wegen des Themas unlustig aus. Im Gegensatz zu Herrn Wambach finde ich, dass es sehr wohl an der Zeit ist, über dieses Thema zu diskutieren. Ich kann Ihnen sagen, heute vor 158 Jahren war das Thema Bürgerbeteiligung in dieser Stadt ein absoluter Hit.

[Henkel (CDU): Ehrlich?]

Morgen jährt sich zum 158. Mal der Aufstand der Bourgeoisie am 18. März, die dafür auf die Barrikaden gegangen ist, dass sie mehr Beteiligung bekommt. Ich wundere mich, dass nach so langer Zeit die Angst der Bezirkspolitiker, zumindest bestimmter Couleur, vor dem Volk noch immer so groß ist.

[Henkel (CDU): Wir haben davon gelernt!]

[Dr. Heide (CDU): Ja!]

dass sich Menschen in Neukölln dazu bereit finden? – Ich glaube es nicht, Herr Wambach. Dies ist eine Chimäre, die auch von Ihrer Frau Wanjura aufgebaut worden ist, die gemeint hat, dass durch die eingebaute dreimonatige Sperre tatsächlich bezirkliche Entscheidungen verzögert würden. Es gibt keine einzige Entscheidung in diesem Bezirk, der innerhalb von drei Monaten umgesetzt worden ist. Sie wollen mir doch nicht ernsthaft vorhalten, dass das Einplanen der Bürgerbeteiligung dazu führte, dass es zu wichtigen Entscheidungen im Bezirk nicht kommen kann. Hier bauen Sie einen Popanz auf. Sie sollten auf die sachliche Ebene zurückkommen und mit uns gemeinsam darüber beraten, wie wir den auf dem Tisch liegenden Gesetzentwurf handhabbar machen können. Es haben alle deutlich gemacht, dass die Regelungen, die allgemein für nicht handhabbar angesehen werden, so umgestaltet wer

Bürger –, über die wir an anderer Stelle auch noch einmal

Die parlamentarische Demokratie ist insgesamt ein Erfolgsmodell, das ist unstrittig, aber wir müssen besser werden. Dieses Besserwerden geschieht durch mehr direkte Demokratie. Darüber diskutieren wir heute. Wir haben über eineinhalb Jahre konstruktiv in einer Arbeitsgruppe zusammengesessen. Es ist alles andere als ein Schnellschuss. Auch ich möchte mich bedanken für die Unterstützung von „Mehr Demokratie“ an dieser Stelle, einer Gruppe von engagierten Bürgern, die sich eben genau für mehr direkte Demokratie einsetzt.

Ich habe auch bedauert, dass Herr Wambach von der CDU in der Debatte abgesprungen ist, und kann auch die Dringlichkeit für diesen Antrag nicht nachvollziehen, den wir heute auf den Tisch bekommen haben. Bedenklich wird das Ganze für mich, wenn es sich zu einer Art Verschwörungstheorie entwickelt, also der unmündige Bürger auf der einen Seite, dann die gekaufte Stimme auf der anderen Seite und dann das Horrorszenario der Entmachtung der BVV auf der dritten Seite. Das steht sozusagen unserem Ansatz von direkter Demokratie entgegen. Meine Güte! Damit habe ich heute in der Form nicht gerechnet!

den sollen, dass es tatsächlich zu mehr Beteiligung kommt und die Verfahren reibungslos funktionieren.

Sie haben den Lobbyismus angesprochen. Sie meinen, dass mit Geldzahlungen, durch sonstige Einflussnahme hier dunkle Machenschaften vonstatten gehen könnten, die dann dazu führten, dass bestimmte Interessengruppen einen ganzen Bezirk terrorisieren. Wenn man sich anschaut, wie derzeit Ihre Frau Wanjura in Reinickendorf mit der Ansiedlung der Ambulanz für Sexualstraftäter Politik macht, kann man sich allerdings vorstellen, was Sie darunter verstehen, vor dem Hintergrund von Ängsten der Bevölkerung diese Ängste zu schüren und damit unsachliche Politik zu betreiben.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Das ist genau das Beispiel. Sie machen in Reinickendorf eine Art populistischer Politik, die von jeglicher Sachkenntnis so weit entfernt ist, Herr Hoffmann.

[Goetze (CDU): Schändlich!]

Gerade Sie, Herr Hoffmann, stellen sich immer hier hin und lassen den Sozialpolitiker heraushängen. Sie sollten ein wenig mehr darüber Bescheid wissen, was es heißt, auch für die Sicherheit der Stadt diese Ambulanz einzurichten.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Kommen Sie zurück auf den Boden der Tatsachen und lassen Sie es in diesem Bereich endlich sein, Ängste zu schüren, zu zündeln und genau das zu tun, wovor Sie meinen, in diesem Bereich warnen zu müssen.

[Henkel (CDU): Die Ängste sind da, da braucht man gar nicht zu zündeln!]

In diesem Gesetz gibt es geregelte Verfahren. Da kann man innerhalb dieser geregelten Verfahren ganz normale Beteiligungen organisieren und Politik machen. Wir sind gut beraten – 158 Jahre, nachdem die Bourgeoisie auf die Barrikaden gegangen ist –, endlich einmal die Angst vor der Bevölkerung zu verlieren und anzuerkennen, dass es die Entscheidungen, die Wünsche und Bedürfnisse, die vorhanden sind, durchaus wert sind, in den Verwaltungsverfahren der Bezirke direkt berücksichtigt zu werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Dr. Lederer (PDS): Es war nicht nur die Bourgeoisie!]

Danke schön, Herr Kollege Ratzmann! – Das Wort für die Fraktion der FDP hat jetzt der Kollege Ritzmann. – Bitte schön, Herr Ritzmann!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leitbild für die FDP in dieser Frage ist die liberale Bürgergesellschaft. Der mündige Bürger steht im Mittelpunkt. Das ist vielleicht auch ein Konflikt, der sich hier mit der CDU auftut, den ich vorher gar nicht kannte. Die Diskussion hat hier Züge angenommen – das Bild des Bürgers, die Angst vor dem

über die wir an anderer Stelle auch noch einmal sprechen müssen.

Die Bürgergesellschaft lebt davon, dass Menschen ein erfülltes Leben leben können. Dafür brauchen sie größtmögliche Freiheit und Entscheidungsfreiheit. Sie treffen jeden Tag wichtige Entscheidungen von großer Tragweite, im Privatleben vom Lebenspartner angefangen, in der Familie, im Beruf. Warum sollen sie nicht die Kompetenz haben, bei bezirklichen politischen Themen mit zu entscheiden? Das hat mir noch keiner erklärt.

[Beifall bei der PDS]

[Beifall bei der FDP und bei der PDS]

Ich bitte Sie auch noch einmal, Ihren Antrag zu überarbeiten, insbesondere in der Begründung. Dort ist ein etwas krudes Demokratieverständnis aufgeführt. Wenn Sie hier schreiben, dass durch mehr direkte Demokratie die Bezirksverordneten faktisch entmachtet werden und an deren Stelle willkürlich zusammengesetzte Interessengemeinschaften treten, sind das die Bürger. Das sind die Bürger!

[Beifall bei der PDS – Beifall des Abg. Schimmler (SPD)]

Ich sage Ihnen, dass man sich im Grundgesetz eine Formulierung einfallen ließ, die lautet, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht.

[Dr. Lederer (PDS): Bloß nicht!]

Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Ich weiß gar nicht, warum wir hier eine Grundsatzdebatte über die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland führen. Dabei geht es nur um Bürgerentscheide.

Das Investitionsargument ist natürlich das Beste. Die Staaten, wo es den größten Anteil direkter Demokratie gibt, Bayern und Hamburg, denen geht es wirtschaftlich am besten. Wie machen Sie jetzt Ihre logische Folgerung auf, dass wir ein Problem mit Investitionen bekommen,

wenn wir die gleiche Rechtslage herstellen wie in Bayern und Hamburg? – Das haben Sie noch nicht erklärt. Es geht auch gar nicht. Die Verschwörungstheorie vom Kauf der Stimmen, dass beispielsweise ein Obi-Markt, der ein Grundstück haben möchte, 33 000 Bürger meines Bezirks kauft, damit sie zur Abstimmung gehen, und ein paar Euro Zuschlag gibt, damit 17 000 mit Ja stimmen, ist nicht von dieser Welt. Zumindest hat es so etwas in Deutschland noch nicht gegeben.

Nach empirischen Untersuchungen bewirken direktdemokratische Elemente nicht nur eine stärkere Identifikation des Bürgers mit dem Gemeinwesen, sondern haben auch ökonomisch vorteilhafte Ergebnisse. Es ist erwiesen, dass in Staaten mit Direktdemokratie die Staatsverschuldung geringer, die Steuern und Abgaben geringer, der Staat insgesamt wirtschaftlicher ist als in Ländern mit reiner Repräsentation.

Das sind die Fakten. Wir haben in dem Sinne gearbeitet. Direkte Demokratie ist keine Bedrohung, sondern eine Chance für dieses Land.

Ein Kernpunkt des Gesetzentwurfes ist die Stärkung der BVV-Verordneten. Wir haben ein stärkeres Recht auf Akteneinsicht der BVV-Verordneten. Wir haben ein stärkeres Auskunftsrecht gegenüber dem Bezirksamt. Den Bezirksamtsvertretern wurde auch schon wieder etwas mulmig, ob man jetzt den investigativen Bezirksverordneten haben möchte. Je nachdem, wer möglicherweise ein bisschen an Macht abgeben muss, wird nervös. Ich halte es für richtig, dass die Rechte der Mitglieder der BVV hier gestärkt werden.

Die neue Dimension für die Berliner Bürgergesellschaft entsteht eben dadurch, dass ab jetzt alle Bürger bei bezirklichen Themen nicht nur mitreden, sondern mitentscheiden können, und das im Rahmen der Kompetenzen der BVV. Wichtig war gerade der FDP, dass es keinen Themenausschluss gibt, dass man also nicht sagt, dass bei bestimmten Fragen die Bürger mündig sind und mitentscheiden dürfen, aber dann, wenn es beispielsweise Geld kostet, wenn Finanzen dahinter stehen, sie nicht mitentscheiden dürfen. Das geht nicht. Das ist vordemokratisch. Das wollten wir deswegen nicht haben. Freundlicherweise haben sich die anderen Fraktionen dem Thema auch so angeschlossen.

99,9 % der Entscheidungen in der BVV und dem Bezirksamt werden weiter von der BVV und dem Bezirksamt gefasst werden. Es geht hier nur darum, dass es eine Notbremse gibt, wenn offensichtlich und massiv am Willen von Tausenden von Bürgern vorbei Politik gemacht wird, das Überdruckventil, mittels dessen gesagt werden kann, dass es so nicht geht, es werde anders gewünscht. Ziel ist es also nicht, pro Monat 25 Bürgerentscheide durchzuführen. Ich glaube auch nicht, dass dies geschehen wird, sondern dass die Möglichkeit dazu besteht und dass sich Politik dann etwas anders aufstellt.

In meinem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es beispielsweise 220 000 Wahlberechtigte. 3 % davon, also 6 600 können ein Bürgerbegehren initiieren. 15 % müssen teilnehmen, das sind 33 000, damit der Bürgerentscheid überhaupt wirksam wird. Davon muss dann die Hälfte mit Ja stimmen. Das sind 17 000. Die Befürchtung, hyperaktive kleine Splittergruppen könnten jetzt permanent das Bezirksamt vor sich her treiben, sind wirklich hanebüchen. Tausende von Bürgern müssen hier ein Thema finden, das ihnen unter den Nägeln brennt, und entscheiden, dass es so nicht geht und sie eine andere Entscheidung herbeiführen wollen. Die Bedenken sind immer die gleichen und sind im Wesentlichen – aus meiner Sicht – unbegründet. Als wären wir die Spitze der Bewegung! Da ist schon einiges gesagt worden. Wir sind die Bummelletzten. Überall gibt es direkte Demokratie auf kommunaler oder bezirklicher Ebene, nur bei uns nicht.

[Beifall bei der FDP und bei der PDS]

Ich möchte mit einem Zitat schließen, Herr Präsident, von der Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer, die wissen, wie man Geld verdient und damit umgeht:

[Beifall bei der FDP und bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Ritzmann! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Beide Anträge wurden bereits vorab federführend an den Ausschuss für Verfassung und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung sowie mitberatend an den Ausschuss für Verwaltungsreform und Kommunikations- und Informationstechnik überwiesen. Hierzu stelle ich Ihre nachträgliche Zustimmung fest.

Die Fraktion der CDU hat darum gebeten, die Anträge zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und an den Hauptausschuss zu überweisen. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Die Überweisungen gelten auch für den CDU-Antrag Drucksache 15/3776.

Die lfd. Nr. 5 wurde als Priorität der FDP-Fraktion bei der lfd. Nr. 4 b aufgerufen.

Die lfd. Nr. 6 ist durch die Konsensliste erledigt.