Kultur offensiv – Aufbau eines „Netzwerk-Berlin“ für das Sponsoring eines Kulturpasses an Bedürftige
Zur Sache: Angesichts der inzwischen in Berlin flächendeckenden Armut muss die Politik unseres Erachtens Ideen entwickelt, wie Menschen, die viel Zeit, wenig Geld und Hunger auf Kultur haben, die Gelegenheit ge
geben werden kann, am staatlichen Kulturangebot teilzunehmen. Beim Senator gibt es die Vorstellung, man könne Restkarten, die sonst gar nicht verkauft würden, für einen Euro an die Bedürftigen abgeben. – Oder wir versuchen, Finanziers für normale Karten zu finden, die die Häuser dann selbstständig an ihre Besucher, die sich diese Tickets nicht leisten können, weitergeben könnten. Beide Modelle nebeneinander, so nehmen die Theater an, würden nicht funktionieren.
Wir von der CDU sind aus vielen Gründen für das Wiener Modell. Ganz entscheidend ist dabei, dass die Geste, bei der sich der Staat vermeintlich großzügig zeigt und den bedauernswerten Armen Ein-Euro-Tickets schenkt – mal abgesehen davon, dass die Häuser mindestens 2 bis 2,5 € brauchten, um die Kosten pro Karte zu decken –, einen Almosencharakter hat. Man macht die Bedürftigen damit zu Resteverwertern. Mit 2,5 € sind die Restkarten zudem so teuer wie in vielen Häusern die ermäßigten Karten. Es kommt hinzu, dass der Senat die Kultureinrichtungen in ihrer Preis- und Ticketingpolitik mit dieser Variante entmündigen würde. Außerdem bringt sie einen erheblichen Organisationsaufwand mit sich. Einige meist ausverkaufte Häuser, wie die Philharmonie und das Berliner Ensemble, könnten auf diese Weise Bedürftige nie berücksichtigen. Privatrechtlich organisierten Häusern könnten Sie, Herr Senator, diese Restkartenpolitik zudem gar nicht vorschreiben. Was also bleibt? – Das ist der affirmative Zynismus: Wer für einen Euro jobbt, den lassen wir auch für einen Euro ins Theater. – Am Ende bleibt der Eindruck, dass sich die Politik einen sozialen Charakter gibt, den sie gar nicht hat.
Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von maximal fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der CDU, die die Aussprache nur zum Antrag Drucksache 15/3727 wünscht. Frau Grütters hat das Wort. – Bitte schön!
Wir freuen uns, dass der telefonierende Senator pünktlich in den Saal kommt. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor drei Tagen gab es einen runden Tisch mit Vertretern von Kultureinrichtungen, Sozialverbänden, Journalisten und Privatleuten, die den Startschuss für einen Kulturpass für Bedürftige in Berlin geben wollen. Nach dem Vorbild des so genannten Wiener Modells, wo seit mehr als einem Jahr erfolgreich Theaterkarten durch private Mittel erworben werden, die die Kulturhäuser dann an Besucher weitergeben, die sich eine solche Karte selbst nicht leisten können, soll ein vergleichbarer Kulturpass in Berlin eingeführt werden. In Wien sitzen seit einem Jahr in jedem Theaterstück seit Einführung des Kulturpasses mindestens drei Besucher, deren Karten von anderen bezahlt wurden.
Das wäre toll, Herr Gaebler. Vielleicht gehöre Sie künftig auch zu den Sponsoren. – Die CDU will helfen, ein solches Verfahren auch in Berlin einzuführen. Deshalb beraten wir seit Januar mit Beteiligten, wie man das machen kann, damit auch hier der Hunger auf Kultur gestillt werden kann. – Herr Gaebler, Sie amüsieren sich prächtig. Vielleicht stellen Sie sich ja noch auf die Seite der Ärmeren.
Und siehe da: Auf einmal kommt auch der Kultursenator auf diese Idee. Nur leider denkt man dort jetzt sehr hektisch darüber nach, wie man sich nach anderen gescheiterten Politikversuchen bei neuen Zielgruppen interessant machen könnte. Solch ein Schelm! Versucht er doch glatt, uns noch schnell zuvorzukommen, nachdem er auch an dieser Stelle erst einmal ein paar Jahre geschlafen hat.
Schließlich war auch der Kollege Brauer Teil einer denkwürdigen Veranstaltung bei der Gewerkschaft, als es um Kultur für Arme ging. Frei nach Karl Marx hat Brauer vollmundig erklärt, er setze sich dafür ein, dass Arme in Berlin künftig kostenlos Kulturveranstaltungen besuchen könnten. Wir warten noch auf Ihren Antrag, Herr Brauer. Ich darf wohl annehmen, dass das eilige Engagement des Senators eine Antwort auf Ihren etwas voreiligen, vollmundigen Versprecher war.
Was haben Sie dagegen, Herr Senator, jedem Kulturhaus selbst zu überlassen, Geld für zusätzliche Tickets einzuwerben, die es selbst an seine bedürftigen Gäste weitergeben kann? – Schon heute sind die Deutsche Oper, die Schaubühne, wahrscheinlich das BE und die Sophiensäle mit dabei. Die wollen Geld einwerben, um auch an ihrer Kasse den ärmeren Besuchern ganz normale Karten – eben nicht nur Restkarten – anbieten zu können. Seien wir doch froh, dass die Häuser diese Eigeninitiative ohne Not ntwickeln. e
Die Liga der Wohlfahrtsverbände ist übrigens auch dabei. Sie hat sich bereit erklärt, die Prüfung der Bedürftigkeit zu übernehmen und den Kulturpass auszustellen, weil sie damit endlich einmal etwas anzubieten hat und nicht nur für das Elend zuständig ist.
Die Psychologie spielt bei dem Wiener Modell eine ganz entscheidende Rolle. Es ist nämlich etwas anderes, ob man Reste anbietet oder die Bedürftigen genauso behandelt wie alle anderen, nämlich mit guten Karten. Hinzu kommt, dass man Sponsoren eben nicht nur für die Kultur und das Angenehme findet, sondern eine Verbindung zu denen herstellt, die auf der anderen Seite der Gesellschaft stehen.
Wir haben keinen Kultursenator gestellt! – Gerade unsere öffentlich geförderten Kultureinrichtungen haben die Verpflichtung, auch für kleine Geldbeutel offen zu sein. – Sie können ruhig pöbeln, das interessiert mich nicht!
Wir von der CDU haben den Antrag eingebracht, nachdem wir lange mit vielen Beteiligen über diese Idee beraten haben. Ich finde, Herr Senator, wir sollten die Liga und die anderen eben genannten Einrichtungen ermutigen, dieses Modell umzusetzen. Verbieten können wir es ihnen ohnehin nicht. Wir könnten ihnen höchsten eine, wie ich finde, ungute Konkurrenz durch eine Vorschrift ersparen, nach der Restkarten für einen oder zwei Euro abgegeben werden. Unterstützen Sie unseren Antrag! Helfen wir alle dabei mit, dass die Kultureinrichtungen Geld für ihre Kassen und Gäste einwerben können, damit die bedürftigen Mitbürger ihren Hunger auf Kultur nicht nur auf Restplätzen stillen können. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Grütters! Ich habe gerade die Auslastungszahlen unserer landeseigenen Bühnen gelesen: 10 % an Restkarten, die günstig abgegeben werden könnten, sind immer drin – wenn nicht sogar noch mehr.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Merken Sie es auch? – Es wird Frühling, die Hormone werden auf Trab gebracht, und die CDU entdeckt den Hunger auf Kultur,
nicht nur den Hunger auf Kultur, sondern den Hunger auf Kultur für Arme. „Kultur offensiv“ heißt es plötzlich. Der Senat wird aufgefordert, einen Berliner Kulturpass zu initiieren, der bedürftigen Berlinerinnen und Berlinern einen kostenlosen Besuch kultureller Einrichtungen ermöglicht. Finanziert werden soll die langfristige Aktion durch Spenden von Besuchern kultureller Einrichtungen, von Privatpersonen, Institutionen und Firmen.
Da kann ich nur sagen: Halleluja! – Da fällt mir doch sofort das Gleichnis vom armen Lazarus ein, der vergeblich auf Brotkrümel vom Tisch des reichen Prassers hoffte. Was Sie wollen, sind Almosen, und das könnte für Menschen mit schmalem Geldbeutel beschämend sein.
Richtig ist, dass es leider immer mehr Menschen gibt, die in die soziale Bedürftigkeit gerutscht sind.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Henkel (CDU): Wie Ihre Rede! Die interessiert uns nicht!]
Wir fördern unsere Kunst und Kultur in Berlin nicht nur für Wohlhabende. Das sind keine Almosen, sondern es ist ein Grundsatz von sozialer Gerechtigkeit, dass alle daran teilhaben können. Bei Ihren Recherchen haben Sie wahrscheinlich vergessen, dass es schon sehr viele Ermäßigungen gibt, angefangen von kostenlosen Eintritten in unsere landeseigenen und die staatlichen Museen, aber auch private Initiativen gewähren freien Eintritt. So bietet z. B. die Deutsche Guggenheim montags freien Eintritt in ihre Dependance Unter den Linden. Es muss gerechterweise daran erinnert werden, dass es schon lange Vergünstigungen für Kunst- und Kulturgenuss z. B. für Erwerbslose, Sozialhilfeempfänger, Jugendliche, Studierende und Rentner gibt. Nur einige Beispiele: Bei den Staatlichen Museen sind Kinder unter 16 Jahren generell frei, und donnerstags sind die letzten vier Stunden entgeltfrei für alle. Die Schaubühne bietet am so genannten Theatertag reduzierte Karten für 5,50 € an, das Maxim-Gorki-Theater nach Verfügbarkeit und Nachweis Karten für 8 €. Die Volksbühne ermäßigt um 50 %, verlangt aber mindestens 6 €. In der Opernstiftung gibt es auch sehr viele Ermäßigungen. Natürlich kann man noch Verbesserungen anstreben. So ist es z. B. unserer Meinung nach wichtig, dass gerade allen Schülerinnen und Schülern im Rahmen von kulturellen Bildungsangeboten Besuche in unseren Theatern und Konzerthäusern ermöglicht werden. Was aber als Allererstes gemacht werden muss – das ist meiner Meinung nach die einfachste Übung –, ist eine Zusammenstellung aller Vergünstigungen, die es im Kulturbereich gibt. Dann muss man überlegen, wie die Ermäßigungsberechtigten an diese Informationen kommen, und da könnte man z. B. an die Arbeitsagenturen, an die Sozial- und Bezirksämter denken. Das wäre der erste Schritt. Im Übrigen ist der Kultursenator schon sehr lange dabei, in Zusammenarbeit mit den Intendanten und Kultureinrichtungen zu überlegen, wie die Restkarten günstig abgegeben werden können. Das finde ich eine gute Initiative. Wie man das logistisch macht, muss natürlich geklärt werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDUFraktion! Ihr Modell, das Wiener Modell, kann nur das letzte Glied in der Kette und nur ergänzend sein, und vor allen Dingen sollte dies ohne mediale Effekthascherei passieren.
Ich persönlich wollte auch nicht gern davon abhängig sein, dass reiche Leute gnädig ihre Schatullen öffnen, ein paar Klunker herausholen und unter den Tisch fallen lassen, damit ich in ein Theater gehen kann. Nein, vielen Dank!
Ich finde, wir brauchen uns gar nicht so anzuätzen, sondern sollten uns überlegen, ob erstens die Ein-EuroKarte für Bedürftige als – ich nenne es mal – Last-LastMinute-Karte – etwa für Alg-II-Empfänger – möglich ist. Zweitens ist zu überlegen, ob man nicht einen Kulturpass analog dem Sozialpass für die BVG ermöglicht, der nicht mehr als dieser kosten sollte und für alle Karten eine 50prozentige Reduzierung beim Erwerb in einem Theater, Museum usw. erbringt. Allerdings ist die Frage: Wie kann man dies kompensieren? –, denn man muss natürlich sehen, wie die Erträge aus diesem Kulturpass verteilt werden und ob das reicht, um dann die Einnahmeverzichte der Theater zu kompensieren. Die dritte Möglichkeit ist – nur als ergänzendes Modell – das eben besprochene so genannte Wiener Modell. Das hat aber nur bei sehr gut besuchten Häusern Sinn, die im Grunde immer ausgelastet sind, wo eben dann die Last-Last-Minute-Karte keinen Sinn hat. Da, finde ich, kann man dieses Modell aus Wien übernehmen und sagen: Damit bei Häusern, die immer ausverkauft sind – z. B. bei Konzerten der Berliner Philharmoniker –, erwerbslose Menschen eine Chance haben, daran teilzunehmen, wird eine bürgerschaftliche Aktivität gefördert, durch die es uns gelingt, hier in Einzelfällen ein Kontingent freizuschaufeln, das bezahlt wird, insofern
kein Einnahmerisiko für die Häuser darstellt und an dem eben auch die einnahmeschwache Bevölkerung teilhaben kann. Man muss nicht das Eine gegen das Andere ausspielen. Aus meiner Sicht könnten sich die Initiativen ergänzen.