Protokoll der Sitzung vom 28.04.2005

Allerdings darf das Gedenken am Checkpoint Charlie nicht privater Initiative überlassen werden. Es kann nicht sein, dass dort jemand sein privates Freiheitsdenkmal aufstellt.

Dr. Lehmann-Brauns

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Diese Kreuze-Installation ist historisch unangemessen und ästhetisch äußerst fragwürdig, mit theatralischen Mitteln und Theaterdonner zum Totenacker aufgemischt – ein selbstgebasteltes Disneyland des Schreckens. Der Checkpoint Charlie ist ein wichtiger Ort von nationaler und internationaler Bedeutung. Dieser Ort kann nicht privaten, touristischen und finanziellen Interessen überlassen werden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es sind noch einige Fragen offen: An der Bernauer Straße müssen z. B. noch Grundstücksfragen geklärt werden und bezüglich der Finanzierung muss sich der Bund seiner besonderen Verantwortung bewusst werden. Ein Großteil der Gedenkstätten der SED-Diktatur befindet sich in Berlin, d. h. dass wir große Probleme mit der 50-prozentigen Finanzierung haben werden, die das Gedenkstättenkonzept des Bundes voraussetzt. Die Enquetekommission des Bundes empfiehlt, dass wegen der besonderen Bedeutung der Gedenkstätten in Berlin diese im Hauptstadtkulturvertrag berücksichtigt werden sollten. Hier ist dringend eine Weiterentwicklung geboten.

Ich will die wesentlichen Punkte noch einmal zusammenfassen: Die Spuren der Grausamkeit der Teilung sind für die Sinne darzustellen, und die wissenschaftliche Arbeit und die Dokumentationen sind fortzuführen. Es sind zeitgemäße Formen der Vermittlungsarbeit – besonders für junge Menschen – anzustreben. Die Finanzierung ist mit dem Bund zu klären, und das Vorhandene ist dauerhaft zu sichern und erkennbar zu vernetzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Danke schön, Frau Kollegin Lange! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Frau Kollegin Ströver das Wort. – Bitte schön, Frau Ströver!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Beste am „Gedenkkonzept Berliner Mauer“ ist die Tatsache, dass es überhaupt existiert. Dies liegt nicht etwa an der späten Einsicht des Kultursenators, sich dem Thema widmen zu wollen, oder ist eine Folge des Antrags der Fraktion der Grünen vom Herbst des letzten Jahres. Dieses Konzept gibt es, weil die Kreuze am Checkpoint Charlie eine Provokation und Herausforderung an die Politik sind.

Die an der falschen Stelle nachgebaute Mauer und die Kreuze für die Toten beidseitig der Friedrichstraße fordern verantwortlich Denkende zwangsläufig zur Reaktion heraus. Weder das Museum „Haus am Checkpoint Charlie“ noch diese Installation stellen die Frage nach den Ursachen und Umständen der innerstädtischen Teilung. Diese private Initiative fordert die politisch Verantwortlichen heraus, sich tatsächlich um ein Konzept zur Erinnerung an

die Berliner Mauer zu kümmern. Dieses ist längst überfällig, und der Kultursenator muss dieses Thema zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit machen.

[Beifall bei den Grünen]

Allzu lange hat er die Energien im Bereich „Kunst im Stadtraum“ auf das Denkzeichen für Rosa Luxemburg gelenkt und die Erinnerung an die Berliner Mauer sträflich vernachlässigt.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Brauer (PDS): Stimmt doch gar nicht! Das ist doch Unsinn!]

Die Kreuze, die Frau Hildebrandt aufstellen ließ, emotionalisieren, aber sie können nicht die Antwort auf die gestellten Fragen nach einem Gedenkkonzept sein. Es sind bessere Lösungen gefordert, und die müssen die vorhandenen authentischen Orte ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Daran wollen wir uns gerne konstruktiv beteiligen, wie wir es ja schon seit Jahren tun.

Zu Beginn unserer heutigen Sitzung haben wir an das Ende des katastrophalen Zweiten Weltkrieges und die Befreiung von der Nazibarbarei gedacht. Die Teilung Deutschlands war die direkte Folge des nationalsozialistischen Terrors, die zur Aufteilung in politische Blöcke geführt hat. Der konkrete Bau der Berliner Mauer und die definitive Schließung der innerdeutschen Grenze für vier Jahrzehnte war jedoch ein Akt der SED der DDR, die mit sowjetischer Hilfe die eigene Bevölkerung einsperren musste, um in einem repressiven Staatssystem ihren eigenen Machterhalt sichern zu können. Es leuchtet ein, dass es schwierig für einen Kultursenator ist, der selbst Teil dieses Staatsapparats war, sich der umfassenden Aufgabe der Darstellung dieses Unterdrückungssystems zu stellen.

Künftig wird es jenseits des konkreten Mauergedenkens aber auch darum gehen, die strukturellen Zusammenhänge zu thematisieren. Dies ist die Herausforderung an die Politik und die Geschichtswissenschaft, die noch bevorsteht. Mit einem Mauerkonzept allein ist die Erinnerungsarbeit nicht erledigt. Der Senat ist aufgefordert, sich auch um die Fragen des Machtapparats, der Einschränkung der persönlichen Freiheit und auch der Überwindung des Systems zu kümmern.

Immerhin ist mit dem vorgelegten Entwurf für ein Gedenkkonzept Berliner Mauer ein konstruktiver Anfang gemacht, das, was es an Berliner Einzelprojekten zur Erinnerung an die Mauer gibt, zu sichten, zu bündeln, zu bewerten und in eine tragfähige, vermittelte Struktur zu bringen. Wir haben heute ein großes Problem damit, die Grenzabsperrung, die mitten durch diese Stadt ging, Familien trennte, Lebens- und Berufsplanungen unterbrach, überhaupt noch erfahr- und vermittelbar zu machen. Das schnelle Verschwinden dieses monströsen Bauwerks ist aus der Aufbruchsituation der Jahre 1989 und 1990 gut nachvollziehbar. Zwar sind im Stadtbild Berlins zahlreiche einzelne Stellen, an denen an die Teilung und an einzelne Opfer der Mauer erinnert wird. Diese vermitteln sich jedoch dem Betrachter einzeln zu wenig.

Frau Lange

Das Konzept des Kultursenators ist eine gute Bestandsaufnahme, doch in seiner Perspektivenbeschreibung nicht konsequent genug. Wir brauchen die Bewahrung und den denkmalpflegerischen Erhalt der verbliebenen einzelnen, authentischen Orte. Doch daneben brauchen wir einen Ort, der erklärt und verdeutlicht und der auch die Tiefendimension der Grenzanlagen wahrnehmbar machen kann. Dies sollte die Bernauer Straße sein. Hier bietet sich an, die noch vorhandenen erhaltenen Teile der Grenzanlagen wieder aufzustellen und mit Hilfe von medialer Unterstützung die zerstörerische Wirkung der Grenzanlagen zu zeigen. Das Dokumentationszentrum Berliner Mauer an der Bernauer Straße ist auszubauen, um sowohl die Geschichte der Mauer, deren Bau und Verlauf, das Schicksal von Flüchtlingen und die Systematik des Überwachungssystems zum Thema zu machen. Dazu müssen die leeren Grundstücke entlang der Bernauer Straße freigehalten werden, um diese Wirkung erzielen zu können. Ein geplanter Supermarkt neben den Mauerresten und der Gedenkstätte ist nicht dienlich und muss verhindert werden.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der CDU]

Der Ausbau der Bernauer Straße zu einem Gedenkort dient auch dazu, der ansonsten dezentralen Erinnerungskultur einen gewissen Zusammenhalt zu geben und die Verdeutlichung der gesamten Thematik zu erreichen. Wir fordern den Senator auf, sich zügig um einen Zeit- und Finanzierungsplan für die Realisierung der Veränderung eben der Bernauer Straße als erster konkreter Maßnahme zu kümmern. Dazu braucht es aber nicht nur ein Stück beschriebenes Papier, sondern die Zusage, dass auch der Bund gewillt ist, dies zu unterstützen. Und er braucht dazu die Unterstützung des gesamten Senats.

Wir, die wir alle die Teilung unseres Landes und die Mauer in Berlin noch erlebt haben, müssen uns klarmachen, dass es heute darum geht, der nächsten und übernächsten Generation diesen kurzen Zeitraum der Geschichte, der für Berlin aber von so großer Bedeutung war, zusammenhängend zu erklären und im zeithistorischen Kontext zu vermitteln. Dieses vorgelegte Konzept ist dafür erst der Anfang und der Auftrag an uns selbst, uns darum zu kümmern.

[Beifall bei den Grünen]

Für die PDS-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Brauer. – Bitte sehr!

[Dr. Steffel (CDU): Ach, um Gottes willen! – Henkel (CDU): Man kann auch den Bock zum Gärtner machen!]

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Es ist gut und richtig, dass sich das Hohe Haus heute mit dem Konzept zum Umgang mit dem Gedenken an die Berliner Mauer und ihre Opfer im Rahmen der Plenardebatte befasst. Leider – ich bedaure das sehr – hat auch die heutige Debatte einen kleinen schalen Beigeschmack einer versuchten politischen Instrumentalisie

rung des Themas vor allem durch die christdemokratische Fraktion. Das ist bedauerlich, aber offenbar nicht zu ändern. Die Auslassungen des Kollegen Lehmann-Brauns am vergangenen Montag vor dem Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten sprachen da eine beredte Sprache. Und leider versuchen in diesem Konzert der falschen Töne zudem die Kollegen Zimmer und Grütters immer wieder eine Solopartie zu spielen.

[Wellmann (CDU): Sie haben’s nötig!]

Deswegen allen zur Erinnerung: Senator Dr. Flierl überraschte die Öffentlichkeit mitnichten mit einem spontan aus dem Ärmel gezogenen Konzept. Ich möchte an die Koalitionsvereinbarung zwischen den Landesverbänden der SPD und der PDS Berlin erinnern. Diese nimmt bereits 2001 dezidiert zu diesem Problem Stellung. Ich zitiere:

Die 1961 von den Machthabern der DDR und der Sowjetunion errichtete Mauer vollendete und zementierte die Teilung und die Einordnung der Stadthälften in politisch gegensätzliche Systeme. Die Berliner Mauer wurde aber nicht nur weltweit zum Symbol der Blockkonfrontation und des Kalten Krieges, sondern vor allem zu einem Symbol für Totalitarismus und Menschenverachtung. Die Schüsse an der Berliner Mauer haben schweres Leid und Tod über viele Menschen gebracht. Sie waren Ausdruck eines Regimes, das zur eigenen Machtsicherung sogar das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit missachtete. Wenn auch der Kalte Krieg von beiden Seiten geführt wurde, die Verantwortung für dieses Leid lag ausschließlich bei den Machthabern in Ostberlin und Moskau. Wenn SPD und PDS jetzt eine Koalition eingehen,

so formulierten wir 2001 –

so sind sie sich der Verantwortung bewusst, die mit diesem Schritt verbunden ist. Der offene Umgang mit den Verbrechen an der Demokratie und den individuellen Rechten, die Übernahme von Verantwortung sowie der Respekt vor den Opern sowie die Bewahrung ihres Andenkens sind Voraussetzungen für die Versöhnung und innere Einheit, sie sind auch Voraussetzung dieser Koalition.

Zu dieser Aussage steht die Fraktion der PDS nach wie vor, auch angesichts schmerzhafter Auseinandersetzungen, die wir zum Problem Mauerbau und Mauerregime auch in der eigenen Partei immer wieder führen müssen.

Die Koalitionsvereinbarung belässt es aber nicht bei allgemeinen Aussagen. Wir verpflichteten uns nachdrücklich, Orte des Gedenkens und der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte zu schaffen und zu erhalten, konkret, ich zitiere:

Die Gesamtkonzeption zum Umgang mit den Mauerresten und ehemaligen Grenzanlagen ist weiterzuentwickeln und umzusetzen.

Frau Ströver

Also, bitte schön, keine Reaktion im Jahr 2001 auf im Jahr 2004 errichtete Mauerkreuze. –

Die Arbeitsfähigkeit des Dokumentationszentrums Berliner Mauer in der Bernauer Straße ist dauerhaft zu sichern.

Der Senat, die Koalition haben gehandelt. Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis, auch die Herrschaften von der CDU.

[Frau Grütters (CDU): Dann geben Sie es uns doch offi- ziell zur Kenntnis!]

Nur einige Beispiele: Die letzten zusammenhängenden Stücke der Berliner Mauer wurden unter Denkmalschutz gestellt. Am 21. Juni 2003 konnte endlich das lange erwartete und z. B. vom Kollegen Cramer immer wieder eingeforderte Denkmal für Chris Gueffroy am Britzer Verbindungskanal eingeweiht werden, der dort in der Nacht vom 5. zum 6. Oktober 1989 als letztes Opfer der Berliner Mauer erschossen wurde. Durchgesetzt wurde das Denkmal von Kultursenator Flierl, PDS, nachdem seitens des CDU-geführten Senats während der 90er Jahre nichts geschehen war.

Am 14. April 2005 wurde die neue Ausstellung der Erinnerungsstätte Notaufnahme Marienfelde eröffnet. Auch hier wurde vom Kultursenator Sorge getragen, dass diese finanziell auf stabilere Füße gestellt werden konnte. Nicht zuletzt ist Vorsorge dafür getroffen worden, dass das Dokumentationszentrum Berliner Mauer an der Bernauer Straße nach dem Auslaufen der Förderung aus dem Mauergrundstücksfonds unabhängig von der weiteren Ausgestaltung des Mauerkonzepts dauerhaft gesichert werden wird. Rot-Rot hier Untätigkeit oder Alleingänge zum Zweck „des Umschreibens der Geschichte“ vorwerfen zu wollen, wie es Kollege Zimmer neulich tat, ist eine unverschämte Unterstellung und zeugt nur davon, dass es in einigen politischen Kreisen der Hauptstadt eine höchst selektive Wahrnehmung dessen gibt, was in dieser Stadt tatsächlich passiert. Wir weisen das mit aller Entschiedenheit zurück.

[Beifall bei der PDS]

Dasselbe trifft auf das Konzept zum Umgang mit der Berliner Mauer in ihrer Gesamtheit zu. Auch hier hatte die Berliner CDU mit Ausnahme billiger Sonntagsreden jahrelang nichts anderes zu tun, als eben nichts zu tun. Wach wurden Sie immer wieder erst, wenn aus irgendwelchen Anlässen, meist verursacht durch kreative Aktivitäten Alexandra Hildebrandts – liebe Kollegen, was würden Sie eigentlich tun, gäbe es diese Frau nicht in der Stadt? –, ein mehr oder weniger großer Sturm der Aufregung durch die Boulevardpresse ging. Wir setzten da von Anfang an mehr auf Kontinuität und Sachlichkeit, und am Anfang war die Bestandsaufnahme. Zwei Jahre lang untersuchte der Cottbuser Archäologe Leo Schmidt im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die noch vorhandenen Mauerreste und legte im August 2003 seine 750 Seiten umfassenden Rechercheergebnisse vor. Schmidt sprach von steinernen Zeitzeugen des Kalten Krieges, die es unbedingt zu erhalten gälte. Der CDU

Abgeordnete Henkel dagegen wurde poetisch und verhob sich an der „in Stein gehauenen Fratze des Kommunismus“.

[Henkel (CDU): Ja!]

Der Unterschied der Sichtweisen ist evident. Während die CDU im Sommer 2003 über das Weltkulturerbe Mauer schwadronierte – ihre provinzielle Sicht kam auch dadurch zum Ausdruck, dass sie die Hunderte Kilometer lange, nicht minder mörderische innerdeutsche Grenze vollkommen vernachlässigte –, dachten wir darüber nach, wie die die verständliche Abrisswut der Nachwendezeit überstanden habenden Relikte zu sichern sind, wie die Steine – wenn mir dieses Bild gestattet ist – zum Sprechen gebracht werden können und deren Sprache auch von künftigen Generationen verstanden werden kann. Und, auch daran sei erinnert: Um etwas der Öffentlichkeit vorlegen zu können, muss man es allerdings erst einmal erarbeiten. Und tatsächlich ist – ich wiederhole mich – 12 Jahre lang nichts in dieser Hinsicht geschehen. Markige Presseerklärungen, liebe Frau Kollegin Grütters, sind schnell geschrieben, aber das ist noch lange kein Konzept.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wellmann?

Da ich davon ausgehe, dass der Abgeordnete Wellmann noch sprechen wird, kann er später eine Frage stellen.