Das wird interessanterweise in manchen Bezirken durchgeführt, aber nicht in allen, auch nicht unbedingt in den Bezirken, wo die CDU den Bildungsstadtrat stellt. – Die Rechtslage macht Ihren Antrag überflüssig.
Worüber wollen wir also diskutieren? – Es geht doch darum, dass wir die Schulpflicht – Sie hatten es angedeutet; da bin ich auch Ihrer Meinung – vor Ort durchsetzen müssen, wo man versucht, sie zu umgehen. Wie läuft das nun praktisch? – Eine Schülerin – ich rede von „Schülerin“, denn es sind fast immer die Mädchen –
nimmt immer seltener oder gar nicht am Sportunterricht, am Schwimmunterricht teil, fadenscheinige Gründe – etwas vergessen, heute ist mir schlecht –, schließlich ein ärztliches Attest. Das kann man sich beschaffen. Aber die Lehrkraft kann – wenn sie Verdacht schöpft, dass andere
Gründe dahinter stehen – mit den Eltern sprechen. Sie kann das Kind zum Schularzt schicken. Sie kann die Schulaufsicht einschalten. Dann ist es Sache der Schulaufsicht, tätig zu werden. Alle diese Maßnahmen können jetzt schon ergriffen werden.
Es ist nur die Frage, ob man das wirklich umsetzt. Ich erkläre für die SPD ganz klar: Wir dulden keine Befreiungstatbestände aus religiösen Gründen.
Es gibt ein Urteil in Hamburg, das dies kürzlich bestätigt hat. Wir wollen ein konsequentes Vorgehen der Schulen und Bezirke. Wir werden sie da auch unterstützen. Es wirken schon jetzt etliche Schulen geschickt durch Maßnahmen im Vorfeld darauf hin, dass sich die meisten Schüler überzeugen lassen, die Schulpflicht einzuhalten. Die Eltern werden dann erkennen, dass es zum Wohl des Kindes ist, wenn es an allen Teilen des Unterrichts teilnimmt. Sie müssen klar zu hören kriegen, dass es eine gesetzliche Verpflichtung ist. Es gibt Schulen, die Verträge mit den Eltern abschließen, wo auf diese Pflicht hingewiesen und diese akzeptiert wird. Andere Schulen verstärken die Bereitschaft zur Teilnahme am Schwimmunterricht z. B. durch den Einsatz von Sportlehrerinnen. Man versucht, den Empfindlichkeiten Rechnung zu tragen. Das könnten Erfolg versprechende Wege sein. Das könnte bei der Problematik weiterhelfen. Der Antrag der CDU hilft da leider nicht weiter.
Danke schön! – Für die Fraktion der FDP hat jetzt Frau Abgeordnete Senftleben das Wort! – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Herren! Meine Damen! – Vorab erst einmal: Vielen Dank, Herr Kollege Mutlu, dass Sie mit mir getauscht haben! – Zum Antrag: Der Antrag der CDU hat, obwohl er sich mit einem drängenden Problem befasst, das müssen wir konzedieren, eher einen unglücklichen Verlauf hinter sich. Wir hatten die Diskussion im Schulausschuss. Dann wurde der Antrag überarbeitet. Und doch musste man – auch seitens der CDU – feststellen, dass man sich diesem Problem zwar genähert habe, dieser Antrag aber nicht die Lösung darstelle. Schulabstinenz, auf gut Deutsch heißt es Schulschwänzen oder auch Blaumachen, das ist in Berlin ein erhebliches Problem. Wir kennen selbstredend die Geschichten, wo sich unsere lieben Schüler und Schülerinnen in Kaufhäusern herumtreiben, anstatt die Schulbank zu drücken. Wir kennen auch die Statistiken. Eine Zahl: 18,5 % der Hauptschüler versäumen mehr als 20 % des Unterrichts. Das ist was, damit sollte man sich beschäftigen.
Es geht nämlich nicht darum, dass irgendein Schüler – oder eine Schülergruppe – „null Bock auf Unterricht“ hat; in diesem Antrag sind diejenigen gemeint, denen von Ihnen Eltern der Besuch von bestimmten Unterrichtseinheiten untersagt wird, und zwar auf Grund kultureller oder vermeintlich religiöser Überzeugung. Wir sprechen von Klassenfahrten, Schwimmen, Sexualkundeunterricht – meine Vorrednerinnen haben es bereits erwähnt. Diese Schüler – meistens Schülerinnen – sind eigentlich interessiert. Sie wollen dem Unterricht eigentlich nicht fernbleiben, und es ist ihnen durchaus bewusst, dass sie unerlaubt fehlen, sprich: schwänzen. Allerdings scheinen ihre Erziehungsberechtigten erheblichen Druck auf sie auszuüben, und daher tun sie es doch.
Nun hat der Schulausschuss, der sich in der ersten Runde durchaus offen mit dem Problem beschäftigt hat, den Senat darum gebeten, einmal herauszufinden, wie viele Schülerinnen und Schüler eigentlich betroffen sind. Und da bekommen wir zur Antwort: Es gibt offizielle Freistellungen. – Die könnten wir an einer Hand abzählen. Darauf, auch nach der Rede von Frau Harant, scheint hier eine gewisse Ruhe eingekehrt zu sein. Alle sagen: Prima, alles paletti, es gibt kaum Freistellungen, nur vier oder fünf, wir haben offensichtlich kein Problem. – Das scheint Ihre Logik zu sein, aber ich muss gestehen, damit kann ich wenig anfangen.
Liebe Frau Dr. Tesch! Ich wollte eigentlich einmal ohne Kommentar weiterreden dürfen. – Nach welchen Zahlen hat denn – das haben wir auch gefragt – die Verwaltung gefragt? Welche wurden uns präsentiert? – Das waren Zahlen, die sich ausschließlich auf die offizielle Befreiung bezogen. Logisch, eine Hand voll! Wer nun aber meint, dass sich das Phänomen, von dem wir hier und heute sprechen, auf diese wenigen Kinder reduziert, ignoriert den Bericht aus den Schulen, der ignoriert die Realität und verschließt die Augen getreu dem Motto: „Alles wird gut.“ – Viele Kinder fehlen bei bestimmten Unterrichtseinheiten. Eltern schreiben sie krank, oder sie fehlen unentschuldigt. Um diese Kinder geht es. Sie tauchen in dieser Senatsstatistik jedoch nicht auf, sie fallen durch das Raster der Befragung. Dass es sie gibt, wissen alle, die hier sitzen, und zwar in einem nicht unerheblichen Umfang. Das, was die Verwaltung uns geliefert hat, war eine Lachnummer, eine Beruhigungspille. Sie vertuscht die Tatsachen, und vor allem – und das finde ich viel schlimmer – ignoriert sie die Bedenken und die Berichte aus den Schulen, die uns täglich erreichen.
Wir müssen uns allerdings fragen: Wie können wir Eltern davon überzeugen: Schwimmunterricht und Sexualkundeunterricht sind notwendig, Klassenfahrten tragen zur Entwicklung der Kinder bei, und zwar positiv!
Wie können wir sicherstellen, dass Eltern ihre Kinder nicht leichtfertig aus dem Unterricht herausnehmen und sie „einfach nur mal so“ entschuldigen? Wie setzen wir in
solchen Fällen die Schulpflicht durch? – Ganz bestimmt nicht, indem wir die Augen zumachen. Lösungen werden gebraucht. Ganz klar – das Berliner Schulgesetz betont die Schulpflicht.
Liebe Frau Dr. Tesch! Ich danke für den Beifall! – Es muss aber auch deutlich gemacht werden, dass diese Schulpflicht über den religiösen und kulturellen Einzelinteressen zu stehen hat. Die Frage ist dann: Wie können wir es durchsetzen? – Es müssen alle, wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Wir müssen die Verantwortung, das Hinschauen an den Schulen selbst stärken, Die Aufklärungsarbeit mit den Eltern und in den so genannten Milieus muss verbessert werden. Die Jugend- und die Ordnungsämter müssen hinzugezogen werden. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, die wir auch konkret anpacken müssen.
Liebe Kollegen von der CDU-Fraktion! Ablehnen werden wir diesen Antrag nicht, denn er spricht ein Problem aus, und das war notwendig. Allerdings sehe ich auch wenig Lösungsansätze in diesem Antrag. Deswegen werden wir uns enthalten. – Danke!
Danke schön! – Für die PDS-Fraktion hat das Wort Frau Abgeordnete Schaub! – Bitte schön, Frau Schaub!
Vielen Dank! – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das hier zu behandelnde Problem besteht offensichtlich in dem Unterschied zwischen der gefühlten Dimension von Schulverweigerung aus religiösen Gründen und der nachzuweisenden Dimension.
Irgendwo dazwischen vermuten alle Parteien des Hauses die tatsächliche Größenordnung. In der Schuldistanz überhaupt, insbesondere der hier aufgerufenen, sieht auch die PDS ein Problem – das haben wir in den Ausschusssitzungen deutlich gemacht –, das unserer Aufmerksamkeit bedarf. In drei Beratungen – davon war hier die Rede – hat der Ausschuss den inzwischen modifizierten CDUAntrag beraten, ohne in der Sache vorangekommen zu sein.
Die CDU hat zwei Forderungen. Die erste: Der Senat möge sicherstellen, dass keine Schülerin beziehungsweise bzw. kein Schüler aus religiösen Gründen in bestimmten Fächern beziehungsweise Unterrichtsabschnitten fehlt. – Vorschläge, wie das realisiert werden soll, fehlen. Der Verdacht drängt sich auf, dass dabei an weiter gehende restriktive Sanktionen über den entsprechenden Katalog im Schulgesetz hinaus gedacht wird. Einen solchen Ansatz lehnt die PDS ab. Restriktionen sind das letzte und am wenigsten geeignete Mittel, Schuldistanz – und zwar ganz gleich, welcher Art – beizukommen.
Der Senat wird aufgefordert, sicherzustellen, dass die Schulpflicht Vorrang vor den individuellen Interessen und Wünschen erhält.
Mit Verlaub: Wo laufen sie denn? – Natürlich hat die gesetzliche Pflicht Vorrang, das muss man nicht noch in einem Antrag betonen. Allerdings sind Schulbehörden und Schulen wiederum keine Finanzämter, da haben Sie wohl etwas verwechselt. Hier gelten neben Rechtsgrundsätzen immer auch pädagogische Grundsätze. Die Abwägung von wirksamen Maßnahmen in diesen Fragen ist immer die zwischen der Strenge des Gesetzes und den pädagogischen Möglichkeiten. Die betroffenen Schulen leisten diesbezüglich viel. Sie brauchen vielseitige, selbstverständlich auch unser aller Unterstützung statt der Botschaft, sie bekämen die Einhaltung der Schulpflicht nicht in den Griff, die man leicht aus dem Antrag lesen kann.
Die Mitteilung der Senatsbildungsverwaltung an die Mitglieder des Schulausschusses informierte nicht nur über Zahlen, sondern auch über die verschiedenen Anstrengungen der Schulen, die Einhaltung der Schulpflicht zu gewährleisten. Ich setze auf die Bemühungen der Schulen, die Eltern zu gewinnen, zum Beispiel eine Badebekleidung zu gestatten, die den religiösen Vorstellungen entspricht, auf Gruppentrennung im Schwimm- und Sportunterricht, auf Unterricht durch weibliche Lehrkräfte für Mädchengruppen und durch männliche Lehrkräfte für Jungengruppen in bestimmten Fächern, auf Gespräche mit Schülern und ihren Erziehungsberechtigten, möglichst mit der Unterstützung der Elternvertreter.
Ganz und gar danebengegriffen haben Sie mit der zweiten Forderung, Sport- und andere Befreiungen aus gesundheitlichen Gründen immer amtsärztlich überprüfen zu lassen. Welch ein Verhältnis zu islamisch-religiös gebundenen Familien und welch ein bedenkliches Rechtsverständnis haben Sie, wenn Sie formulieren:
Die Schulen müssen eine handhabbare Grundlage haben, um gegenüber den Minderjährigen diese Rechte und Pflichten durchsetzen zu können.
Gegenüber den Minderjährigen, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Von der damit verbundenen Bürokratie und Arbeitsbelastung von Amtsärzten ganz zu schweigen. Nein, der Antrag ist untauglich, zur Lösung des gefühlten Problems der Schuldistanz aus religiösen Gründen beizutragen. Deshalb hat meine Fraktion ihn im Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport abgelehnt und wird das auch heute tun.
Hoffnung, auch von hier aus das Bemühen der Schulen wirklich unterstützen zu können, bleibt noch. Herr Steuer hat in der jüngsten Ausschusssitzung mitgeteilt – und noch einmal mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich aus dem Protokoll – :
Ja, warum denn nicht gleich so? – Die PDS wird diese Ansätze prüfen – sofern sie nicht auf verschärfte Restriktionen gerichtet sind – und sie nach Kräften und im Interesse der betroffenen Kinder und Jugendlichen unterstützen. Eine große Berliner Tageszeitung titelt heute übrigens zu dem Problem Schuldistanz: „Coole Schule gibt allen eine Chance“. Darüber könnten wir auch noch einmal nachdenken. – Vielen Dank!
Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Präsidentin! Wir haben die Geschäftsordnung vor einiger Zeit geändert und den Prioritätenblock eingeführt, was ich sehr begrüße. Die bisherige Erfahrung damit ist durchaus positiv. Wenn ich mir aber die Diskussion über diesen Antrag anschaue, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, frage ich mich, was Sie geritten haben mag, diesen Schaufensterantrag mit Priorität zu besetzen.