Protokoll der Sitzung vom 18.08.2005

Umstritten ist auch, ob die Anti-Terror-Datei gegen das Trennungsgebot der Ermittlungen von Polizei und Geheimdiensten verstößt. Dazu sagt der Innenexperte der CDU und Bundestagsabgeordnete, Roland Gewalt:

Wir benötigen aber nun auch eine breite Mehrheit, die die verfassungsrechtliche Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufhebt.

Erinnern wir uns noch, warum und die Alliierten genau diesen Verfassungsgrundsatz vorgeschrieben haben? – Sowohl Nazideutschland als auch die DDR mit der Stasi haben deutlich gezeigt, was es bedeutet, wenn es keine deutliche Trennung zwischen Geheimdiensten und polizeilichen Befugnissen gibt. Ich finde, wir müssen darüber nachdenken, was für eine Gesellschaft wir wollen. Wenn eine freie Gesellschaft aus Angst kapituliert, haben die Gegner der Freiheit ohnehin schon gewonnen. – Danke schön!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Seelig! – Es folgen die Grünen. Der Kollege Mutlu erhält das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ritzmann! Es mag ja sein, dass es in der FDP zwei, drei Aufrechte gibt, die, wenn sie von Bürgerrechten reden, auch tatsächlich Bürgerrechte meinen. Ich kann auch vielem von dem, was Sie vorhin sagten,

zustimmen, aber so richtig ernst kann man Ihre bürgerrechtlichen Aufwallungen nicht nehmen, auch wenn Sie es in großen Lettern auf Ihre Plakate schreiben. Wir haben nicht vergessen, wie Sie damals Frau LeutheusserSchnarrenberger bei der Einführung des großen Lauschangriffs, der bekanntermaßen verfassungswidrig war, abserviert haben. Herr Ritzmann, ich glaube Ihnen persönlich, dass es Ihnen um die Bürgerrechte geht. Nur schade, dass Sie damit als einsamer Leuchtturm in einem Ozean freidemokratischer Beliebigkeit stehen. Ihr bevorzugter Koalitionspartner, die CDU – man hat hier Herrn Henkel gehört –, ist in Sachen Bürgerrechte nicht nur so lahm wie der olle Tanker SPD mit Schily an der Spitze, sondern fährt mit Volldampf in die entgegengesetzte Richtung. Mit Kapitän Beckstein an Bord und Leichtmatrosen wie Herrn Henkel am Ruder werden Ihre gelben Rettungsringe und -westen nichts mehr helfen. Dann kann man nur SOS Bürgerrechte funken.

Sehen wir uns das Land Niedersachsen einmal aus der Nähe an. Dort regiert die FDP mit der CDU. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass es nicht einfach ist, gegen einen großen Koalitionspartner alles durchzusetzen, aber in Niedersachsen versuchen Sie es nicht einmal. In keinem Bundesland wurden die Bürgerrechte so rasant abgebaut wie in Niedersachsen seit Schwarz-Gelb. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade Ihre Regelung zur Telefonüberwachung für verfassungswidrig erklärt. Gerade aus dem schwarz-gelben Niedersachsen tönt auch am lautesten der Ruf nach genau der Volltextdatei, die Sie heute hier mit Ihrem Antrag angeblich verhindern wollen. Ich finde es durchaus beachtlich, dass Sie eine Bundesratsinitiative gegen Ihre eigenen bürgerrechtlichen Geisterfahrer in anderen Bundesländern starten wollen, Herr Ritzmann. Das ist löblich.

Der Inhalt Ihres Antrags kommt dem nahe, was wir Grünen längst im Bundestag thematisiert haben. In Frage kommt für uns allenfalls eine Indexdatei, also eine elektronisch abrufbare Auskunftsdatei, wo gefragt werden kann, ob bei einer Sicherheitsbehörde etwas über eine Person bekannt ist.

Wir sind der Meinung, Herr Henkel – da unterscheiden wir uns massiv –, dass die Trennung von Polizei und Geheimdiensten unbedingt erhalten werden muss.

[Beifall bei den Grünen]

Darum werden wir uns im Ausschuss genauestens darüber unterhalten müssen, wie es zum Trennungsgebot passt, wenn Sie in Ihrem Antrag eine Tür für eine so genannte gemeinsame Projektdatei offen lassen. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass eine allgemeine Verdachtsdatei entsteht, in die alle Personen aufgenommen werden, die irgendwann einmal von irgendwem als extremistisch oder islamistisch eingeschätzt wurden, egal ob das stimmt oder nicht. Eine Anti-Terror-Datei muss sich auf solche Personen beschränken, die tatsächlich mit dem internationalen Terrorismus in Verbindung stehen. Alles andere würde nur Datenmüll produzieren, der uns bei der Bekämpfung des eigentlichen Terrorismus mehr schadet als nutzt. Dem

Frau Seelig

kommen Sie mit Ihrer Projektdatei gefährlich nahe. Wir können keinem Antrag zustimmen, der ein Blankoscheck für den Innensenator ist. Ohne klare Vorgaben, wie eine solche Datei aussehen soll und wie man bei falschem Verdacht wieder herauskommt, läuft mit uns nichts.

Wir müssen uns vor allem nach den Ereignissen in London gegen eine allgemeine Hysterie und Hetze gegen Muslime wehren. Selbst reaktionäre Muslime machen inzwischen unmissverständlich deutlich, dass sie für Terroranschläge keinerlei Rechtfertigung im Islam sehen. Leider will die CDU das nicht einsehen, auch wenn sie versucht, im muslimischen Lager auf Stimmenfang zu gehen.

[Henkel (CDU): Wir sind gerührt!]

Wir sind der Meinung, wir sollten uns mit wirksamen Mitteln auf das konzentrieren, was wirklich etwas bringt, was tatsächlich zur Sicherheit führt. Das ist besser als sonstige populistische Sicherheitsideologien à la CDU. Stigmatisierung und pauschale Verdächtigungen – weil hier ständig die Wörter Islam und Muslime gebraucht wurden – bringen uns nicht weiter. Sie erreichen nur das Gegenteil. Da sollten wir von Tony Blair etwas lernen,

[Beifall bei den Grünen]

der nach den Londoner Anschlägen eine gemeinsame Sitzung mit den islamischen Organisationen und Verbänden einberufen hat, um gemeinsam dem Terror zu verdammen.

Vielen Dank, Herr Kollege Mutlu! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Antrag wurde bereits vorab an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung überwiesen, wozu ich Ihre nachträgliche Zustimmung feststelle. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Verfassungsschutz, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Nun kommen wir als Priorität der Fraktion der SPD, der sich die Linkspartei angeschlossen hat, zur

lfd. Nr. 4 b:

Antrag

Profilierung und Stärkung der Berliner Geschäftsstraßen

Antrag der SPD und der PDS Drs 15/4117

Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. Das Wort hat der Kollege Krug. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition legt heute einen Antrag vor, der die Profilierung und Stärkung der Berliner Geschäftsstraßen voranbringen soll. Nach dem angelsächsischen Vorbild des Business Improvement Districts wollen wir die städtischen Zentren und Geschäftsstraßen aus stad

tentwicklungs- und wirtschaftspolitischen Gründen stärken und weiter voranbringen, ohne die unternehmerische Handlungsfreiheit einzuschränken.

Wir hatten schon bei der „Abendschau“ kurz die Gelegenheit zu einem Schlagabtausch. Ich freue mich, dass die CDU diesen Antrag auch sehr positiv beurteilt. Man kann demzufolge auch die Darstellung dessen, was wir wollen, sehr kurz machen. Die mittel- und langfristigen Zielsetzungen sind, die Berliner Geschäftsstraßen in ihrer polyzentralen Struktur zu stärken. Der kleinteilige Einzelhandel soll erhalten bleiben und die Chancen nutzen können. Die wohnortnahe Versorgung soll in den Einkaufsmeilen vorangebracht werden. Die Kaufkraft soll gesichert werden. Wir alle kennen die Probleme.

Wir wollen mit dem Antrag dazu beitragen, dass sich Berlin als Einkaufsstadt weiter entwickelt und noch mehr internationale Touristen anzieht.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der auch die Integration des Einzelhandels stadtverträglich mit den neuen Erlebnisshoppingcentern kombinieren will. Sehr wichtig ist, dass die vorhandenen Interessengemeinschaften und Arbeitsgemeinschaften in unserer Stadt – davon haben wir mehr als 60 – motiviert werden sollen, sich noch breiter als bisher zu organisieren, um gemeinsam die Attraktivität der Standorte zu erhöhen.

Das Wichtigste aus unserer Sicht ist aber, dass dieses alles freiwillig geschehen soll. Die Gewerbefreiheit, die Freiheit der einzelnen Unternehmer und Selbstständigen wollen wir nicht einschränken. Wir wollen keine neue Bürokratie. Wir wollen keine neuen Zwangsabgaben. Das unterscheidet uns von dem Ansatz, den die CDU hier als Gesetzentwurf zur Diskussion gestellt hatte, wo Freiwilligkeit durch Zwang ersetzt wird. Herr Brinsa, ich muss es noch einmal ganz kurz ansprechen: Das eigene Engagement und die Kreativität mit einer überbordenden Bürokratie zu ersticken, das wollen wir nicht, obwohl wir natürlich die Gefahr sehen, dass Trittbrettfahrer zum Zug kommen, die eigentlich nicht dorthin gehören.

Wir sagen, dass mit der Eigeninitiative der Berliner Unternehmer durch Einbeziehung der Kompetenz der Bezirke und Senatsverwaltungen alles zu einer PPPInitiative verschmolzen werden soll, die dann auch wirklich hier vor Ort Erfolge zeigt.

Wie kann das alles funktionieren? – Natürlich gibt es einige gute Beispiele. Ich nenne nur die Fasanenstraße. Es gibt aber wesentlich mehr gute Beispiele. Das ist das, was wir aus unserer Sicht doch noch einmal diskutieren müssen. Wir haben auch angesprochen, dass zu prüfen ist, ob Fördermittel mit einbezogen werden. Das soll keine Dauersubventionierung und keine Dauerförderung sein. Vielmehr sollen wirklich gute Beispiele anschubfinanziert werden. Die Zusammenarbeit soll vereinfacht werden – das ist eine wichtige Forderung von uns – durch ein

Standortvertragswerk im Sinne einer Mustersatzung. Diese sollte allerdings nur eine Orientierung geben und jeweils im Rahmen der Möglichkeiten die Spielräume lassen, die vor Ort notwendig sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist – das zeigt das komplexe Herangehen –, dass die Senatsverwaltung für Wirtschaft, die Tourist Marketing GmbH und Berlin Partner sich mit einbringen sollen, um gemeinsam die Profilierung der Geschäftsstraßen voranzutreiben und damit auch die Außensicht zu verbessern. Wir haben auch hier schon gute Beispiele gehabt. Ich nenne nur „Winterzauber“ oder „Mittendrin in Berlin“. Das haben wir heute in dem Filmbeitrag schon einmal gesehen, das ist sehr erfolgreich. Es ist eine Zentreninitiative, die darauf zielt, Berliner Zentren und Geschäftsstraßen stärker in das Bewusstsein der Menschen zu bringen.

Das ist der Weg, den wir wählen. Freiwilligkeit ist für uns das Entscheidende. Das gilt natürlich auch für das Unternehmertum. Dann muss man sich wieder fragen, warum dies so bei einigen anderen Parteien nicht angekommen ist, die immer darüber reden, wie sie gerade Unternehmertum fördern können. Herr Kaczmarek sprach vorhin von der Schizophrenie, Dinge zu sagen, diese aber nicht einzuhalten. Hier kann man auch noch einmal bei der CDU nachdenken. Gerade der Bürokratieabbau ist für uns ein wichtiger Punkt, den wir mit diesem Antrag erreichen wollen. Ich freue mich auf die Diskussion, die wir dann in den Ausschüssen dazu führen werden. Hier werden verschiedenste Initiativen zusammengefasst, auch die Ergebnisse der Anhörungen, die wir sowohl in den Ausschüssen hatten, aber auch die der Diskussion im Plenum. Insofern haben wir eine gute Initiative erst einmal auf den Weg gebracht, von der ich hoffe, dass Sie dieser zustimmen können.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Vielen Dank, Herr Kollege Krug! – Für die CDU hat das Wort der Kollege Brinsa. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Krug! Sie haben Recht, dass Sie hier eine Initiative auf den Weg gebracht haben. Allerdings ist der Zeitpunkt, an dem Sie dies getan haben, für mich ein wenig überraschend. Ich habe es mir so vorgestellt, dass es vermutlich auf die im nächsten Jahr in Berlin stattfindenden Wahlen abzielt. Sie haben die Aktivität des Kollegen Tromp, der dieses seinerzeit mit transportiert hat, erwähnt. Zu diesem Zeitpunkt fehlte Ihnen und Ihrem Koalitionspartner der Mut, aus dieser Initiative etwas für den Berliner Einzelhandel zu tun.

Nun haben Sie einen etwas modifizierten Antrag vorgelegt, der sicherlich auch gute Anregungen und Vorschläge beinhaltet. Natürlich werden wir im Ausschuss darüber sehr gründlich diskutieren. Wir wünschen auf keinen Fall, dass neue Institutionen gegründet werden, die personalintensiv sind und wie in einem Marionettentheater den Einzelhandel dirigieren. Wir sind zwar auch dafür,

dass diese Institutionen, die Geschäftsstraßenzusammenschlüsse, weiterhin gefördert werden, wie übrigens bisher. Das sage ich bewusst für den Fall, dass die FDP sich dazu nachher kritisch äußern sollte. Wir sind der Meinung, dass die Geschäftsstraßen unterschiedlich zu bewerten sind. Wir können eine Geschäftsstraße im Zentrum– Sie nannten zufällig eine City-Straße – nicht so bewerten wie eine Geschäftsstraße im Außenbezirk in Spandau, Reinickendorf oder Köpenick. Dort erzielen die Geschäftsstraßen ganz andere Umsätze und arbeiten unter ganz anderen Voraussetzungen zusammen. Letztlich können sie auch weniger Aktivitäten entfalten. Insofern werden wir auch weiterhin darauf drängen, dass Fördermittel in dem bisherigen Rahmen zur Verfügung stehen und hier auch den Einzelhändlern, den Zusammenschlüssen, zur Verfügung gestellt werden, damit sie in eigener Regie ihre Ideen und Kreativität umsetzen können.

Letztendlich möchte ich feststellen – das ist meine persönliche Meinung –: Dass wir heute über diese Thema erneut reden, ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass wir sehr viele Einkaufstempel haben und auch Supermärkte, die den Einzelhandel in Berlin stark reduziert haben. Auch daran sollten wir denken, wenn wir über diesen Antrag heute sprechen. Für uns ist der Einzelhandel, Herr Krug, das hatte ich schon vorhin gesagt, eine wesentliche Stütze der sozialen Marktwirtschaft. Ich sage hier zum Schluss ausdrücklich, dass der Einzelhandel wesentlich mehr Arbeitnehmer sowie Auszubildende aufweist als Einkaufstempel und Supermärkte. Deshalb ist uns dieses Thema wichtig. Wir werden intensiv mit Ihnen darum ringen, hier zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen! – Danke schön!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Brinsa! – Es folgt die Linkspartei.PDS. Der Kollege Pewestorff hat das Wort!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brinsa! Sie sind ein tapferer Mann. Ich hätte den Mantel der Nächstenliebe über den Gesetzentwurf der CDU decken wollen, Sie haben ihn noch einmal angesprochen, um danach mit Ihren Worten davor zu warnen, den Einzelhandel mit Bürokratie und Strippen und so etwas zu überziehen. Das wäre ohne Zweifel eingetreten, wenn Ihre Vorstellungen verwirklicht worden wären. Es wird nicht so kommen. Die Koalition hat, durchaus einer schwierigen Situation Rechnung tragend, in dieser Stadt einen eigenen Entwurf vorgelegt, der den Intentionen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vertreten haben, in vielen Fällen entspricht, aber mit einem ganz entscheidenden Unterschied, nämlich dem Angebotscharakter, der Hilfe zur Selbsthilfe unter Weglassung des Zwanges.

Der Handel ist ein spannendes Thema, auch wenn die Situation in diesem Parlament das momentan nicht so ohne weiteres widerspiegelt. Große Konzerne mit Zigtausenden von Mitarbeitern sind in schwerstem Wasser. Andererseits schließt der Existenzgründer in der Köpenicker

Altstadt seinen Laden nach einem halben Jahr und hängt wieder ein Schild ins Schaufenster: „zu vermieten“, obwohl er so eine tolle Idee hatte, so ein schönes Nischensortiment. Er ist gescheitert, und von dem Traum der Selbstständigkeit ist für ihn nur ein Haufen Schulden übrig geblieben.