Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Das war immerhin 20 Jahre lang möglich.

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

1983 ist die europapolitische Berichterstattung eingeführt worden. 20 Jahre lang war es möglich,

[Gaebler (SPD): Aber nach 20 Jahren kann man doch etwas überprüfen und verändern!]

sich auf einer schriftlichen Grundlage des Senats darüber auseinander zu setzen. Seit Rot-Rot wurde in einem ersten Schritt der Zweijahresrhythmus in der Berichterstattung eingeführt, und jetzt soll sie komplett abgeschafft werden.

[Radebold (SPD): Nein!]

Man kann so etwas reformieren, aber man kann es nicht streichen. Das wäre an sich schon genug.

Aber leider ist es noch nicht das ganze Ausmaß des Desasters. Sie setzen noch einen obenauf. Die Art und Weise, wie Sie mit dem Antrag umgegangen sind, nämlich dass Sie ihn gleichzeitig auch noch in den Verwaltungsreformausschuss überwiesen haben

[Doering (Linkspartei.PDS): Dafür sind wir zuständig!]

und von Ihnen nicht der Eindruck vermittelt worden ist – so zumindest unser Eindruck aus der Geschäftsführerrunde –, es handele sich dabei um eine einmalige, lässliche Sünde, sondern Sie sagen, dass Sie es generell so handhaben wollen, generell und nicht nur in diesem einen Punkt: dazu kündigen wir Ihnen bereits jetzt erbitterten, anhaltenden und sturen Widerstand an. Es muss dabei bleiben: Ein Senat, eine Regierung ist gegenüber dem Parlament berichtspflichtig. Dies hat ein entsprechendes Prozedere mit einsprechenden Dokumenten zur Folge, die dem Parlament zugeführt werden und die die Abgeordneten nicht irgendwo im Internet abrufen müssen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Noch haben Sie die Chance, einige Minuten bleibt noch Zeit, um die Berichterstattung sinnvoll den aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Unser Änderungsantrag liegt vor. Sie haben aber ziemlich deutlich demonstriert, dass kein Einlenken zu erwarten ist. Deshalb möchte ich Ihnen einen letzten Ratschlag zu dem Antrag geben, den Sie in wenigen Minuten beschließen wollen: Sie haben darin aufgenommen, was sich mit diesem Antrag alles erledigen soll, nämlich die gesamte Berichterstattung. Weshalb aber damit gleich der letzte Europabericht mit erledigt werden soll, das erschließt sich wirklich nur Ihnen. Deshalb schlage ich Ihnen vor, schauen Sie noch einmal in den Antrag. Sie wollen die Drucksache 15/1654 für erledigt erklären. Das ist der letzte Europabericht. Das ist, glaube ich, nicht wirklich Ihre Absicht. Wenn Sie schon solchen Blödsinn machen, formulieren Sie wenigstens Ihre Anträge korrekt!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Schönen Dank, Frau Paus! – Jetzt ist die Linkspartei.PDS in Person von Frau Michels an der Reihe und hat das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche im Übrigen auch gleich für unseren Koalitionspartner,

[Gram (CDU): Was? – Oh! bei der CDU] ]

weil wir den Eindruck haben, wir befinden uns im falschen Film. In drei Stunden ist der 11. November. Dorthin hätte die Rede vielleicht gepasst.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Wenn man die Aufgeregtheit verfolgt, gewinnt man den Eindruck, es werde das Ende jeglicher europapolitischer Debatte in diesem Haus proklamiert. – Mitnichten, das Gegenteil ist der Fall.

[Zurufe der Abgn. Gram (CDU), Frau Senftleben (FDP) und Wansner (CDU)]

Wir freuen uns über das Interesse an der Europaarbeit des Senats und der Koalition. Wenn hier jedoch von ersatzlosem Streichen und entfallender Berichterstattung die Rede ist, Frau Paus, dann sage ich Ihnen hier, was ich Ihnen bereits im Ausschuss gesagt habe: Wir wollen anhand von Fakten die Dinge vom Kopf auf die Füße stellen. Erstens ist mitnichten davon die Rede, dass ein Bericht des Senats ersatzlos wegfallen soll. Mit Verlaub, vielleicht hilft es Ihnen auf die Sprünge – Frau Paus, hören Sie genau zu –, Berlin ist das einzige Landesparlament, das überhaupt eine schriftliche europapolitische Berichterstattung erhält. Es gibt kein anderes Land. Diese Berichterstattung soll keinesfalls gestrichen oder ersetzt werden, wir wollen sie modernisieren.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Ich weiß nicht, was dagegen spricht, wenn wir erstens die Aktualität erhöhen – Sie müssen den Antrag einmal richtig lesen. Bislang gab es einmal im Jahr solch einen schriftlichen Bericht. Jeder im Haus kennt sie, die dicke Broschüre. Ganz davon zu schweigen, wie diese von vielen in diesem Haus benutzt worden ist. Diesen jährlichen papiernen Bericht ersetzen wir dadurch, dass der Senat sich zu einer laufenden Aktualisierung bereit erklärt, mindestens jedoch halbjährlich. Das ist ein klarer Vorzug.

Zweitens glaube ich, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem es sehr wohl positiv gewertet wird und der Öffentlichkeit dient, wenn man das moderne Kommunikationsmittel Internet dazu nutzt, um die Öffentlichkeit besser zu erreichen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Das sind klare Vorzüge. Wir von der Koalition lassen es uns nicht ausreden, wir sind sehr stolz auf diese Berichterstattung.

Jetzt sehen wir uns einmal an, welchen Sturm im Wasserglas die CDU, die Grünen und ich vermute, auch die FDP – Herr Hahn wird erst noch sprechen – entfacht haben.

[Frau Senftleben (FDP): Jawoll! – Krestel (FDP): Hossa!]

Wenn die Opposition so tut, als wäre dieser schriftliche Europabericht bislang das einzige Instrument, um eine europapolitische Debatte im Ausschuss führen zu können, dann verwundert mich dies sehr. Ich erinnere Sie daran, dass in dieser Legislaturperiode der Jahresbericht 2002/2003 überhaupt nicht im Ausschuss behandelt worden ist.

[Schruoffeneger (Grüne): Daran erkennt man Ihr Desinteresse an dem Thema!]

Der Jahresbericht 2003/2004 ist nicht von der Opposition, sondern von der Koalition auf die Liste der zu behandelnden Anträge gesetzt worden.

[Doering (Linkspartei.PDS): Hört, hört!]

Nachdem der neue Bericht vorlag und der Senat uns den Hinweis gegeben hat, sich doch zunächst einmal mit dem alten Bericht zu befassen, haben die Koalitionsfraktionen diesen Bericht aufgerufen.

Nun gebe ich Ihnen in einem Punkt Recht, Frau Paus. Sie beharren darauf, dass der Bericht künftig eine Drucksachennummer bekommt. – Gut. Ich mache Ihnen ein klares Angebot: Wir haben vorhin mit dem Senat vereinbart, dass der Senat in einer Mitteilung – zur Kenntnisnahme – an das Parlament dann, wenn der Bericht in das Internet eingestellt wird, das Abgeordnetenhaus darüber informieren wird. Jeder Fraktion hier im Haus steht es frei, den Europabericht im Ausschuss aufzurufen. Ich freue mich auf die Debatte. Wenn es dazu dient, dass wir uns jedes halbe Jahr über die Erfolge und die Problematik der europapolitischen Strategie des Senats unterhalten und sachlich auseinandersetzen, dann haben Sie uns als Partner, so wie es auch bislang war, immer an Ihrer Seite.

Deshalb verbessert Ihr Änderungsantrag aus meiner Sicht nichts, er macht es nur bürokratischer. Wir sind da moderner. Deshalb lehnen wir den Änderungsantrag ab und bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Michels! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr der Kollege Hahn das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege Hahn!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich habe eigentlich erwartet, dass die Europastaatssekretärin an dieser Debatte teilnimmt.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS: Der CdS ist doch da!]

Fast hätte ich gesagt, der Regierende Bürgermeister fehlt auch – aber ich sehe ihn, und er ist noch nicht im Karneval.

Lieber Herr Kollege Doering! Ich hatte eigentlich gehofft, dass sich die Sache hier am Rand des Plenums in unserem Sinne erledigen würde. Davon sind auch andere Fraktionen ausgegangen. Das ist aber leider nicht der Fall, auch nicht durch die Einlassung der Kollegin Michels so

eben. Das, was jetzt in der Sache erreicht worden ist, ist nicht das, was wir haben wollen. Und – dieser Vorgang um den Antrag der Koalitionsfraktionen muss auch deshalb zur Sprache gebracht werden, weil er über den eigentlichen Gegenstand, die Europapolitik, weit hinausweist. Ich möchte Ihnen das gleich noch erläutern.

Doch zuvor: Es hat mich erschüttert, was die Kollegin eben dazu gesagt hat. Sie hat den Vorgang offenbar gar nicht verstanden. Ich muss daher noch einmal zur Sache kommen und ausführen, was es für uns bedeutet, auf einen formalen Bericht zur Europapolitik zu bestehen. Der ist eben etwas Anderes als ein im Internet ständig vorhandener Text, der gelegentlich in einigen Passagen aktualisiert wird, in anderen wieder nicht, immer frei nach dem Motto des Filmtitels: „Das Leben ist ein träger Fluss!“. Damit kann man sich der Aufgabe entziehen, stichtagsbezogen politisch zu bewerten. Jedes Unternehmen dagegen legt einmal jährlich eine Bilanz vor, legt dar, was gut und was falsch gelaufen ist und was in Zukunft verbessert werden kann. Aus dieser Pflicht wollen wird den Senat nicht entlassen! Es wäre für den Senat gut, wenn er sich dieser Aufgabe weiter stellen würde. Das ist gute Tradition in diesem Parlament.

Doch es geht hier im Grunde um mehr. Es geht hier nämlich auch um ein originäres Recht des Parlaments. Dass wir als Parlament vom Senat Berichte zu politischen Bewertungen fordern, ist ein Recht des Parlaments. Es ist nicht nur Recht des Parlaments, sondern auch die Pflicht des Parlaments, politische Berichte vom Senat zu verlangen. Parlament bedeutet hier immer das ganze Parlament. Es ist nicht nur die Pflicht der Opposition, der Minderheit, sondern des gesamten Parlaments, auch und gerade der Majorität. Rechte und Pflichten des Parlaments stehen eben nicht im Belieben der jeweiligen Majorität. Soweit es nicht durch Verfassung und Geschäftsordnung geregelt ist, gehört das zu dem ungeschriebenen Verhaltenskodex eines Parlaments. Ohne einen solchen Kodex kann ein Parlament nicht funktionieren, Herr Doering!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Die Mehrheit hat daher nicht nur die Rechte der Minderheit mit zu vertreten, es ist sogar ihre vordringliche Pflicht: Eben weil sie Mehrheit ist, ist es ihre Pflicht, das zu tun. Das ist der grundsätzliche Vorgang bei dieser Sache. Deswegen ist es nicht nur eine parlamentarische Stilfrage, die hier verhandelt wird, sondern eine Frage des Verständnisses dieses Parlaments insgesamt, dass die Mehrheit hier nicht die Rechte der Minderheit zur Disposition stellt.

Nun können Sie vielleicht sagen, dass es sich nicht unbedingt um einen Vorgang von zentraler Bedeutung handelt. Es ist aber wichtig, auch an einem solchen Punkt einmal deutlich zu machen, dass es hier um Grundsatzfragen geht, um Fragen des Selbstverständnisses des Parlaments, das nicht zur Disposition stehen sollte. Deswegen haben wir diese Angelegenheit hier zur Sprache gebracht.

[Doering (Linkspartei.PDS): Das machen Sie an einem Bericht fest?]

Deswegen fordern wir Sie auf, dem von uns vorgelegten Änderungsantrag zuzustimmen. Sie tun damit dem Parlament insgesamt einen Gefallen.

[Doering (Linkspartei.PDS): Warum denn?]

Es ist wichtig für uns alle und für den Umgang miteinander, dass Sie diesen Schritt hier gehen. Ich ermuntere Sie deshalb dazu. Weil ich vorhin schon einmal die Bibel zitiert habe, will ich es zum Abschluss gleich noch einmal tun – Lukas 22, Vers 32 –, an die Koalition gerichtet: