Protokoll der Sitzung vom 09.03.2006

Ich rufe auf

lfd. Nr. 8:

I. Lesung

Gesundheitsdienstreformgesetz

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 15/4767

Es wird deshalb keinen verwundern, dass die CDUFraktion diesem Gesetz nicht zustimmen wird. Sie kommt damit auch der Aufforderung der BVV SteglitzZehlendorf nach, die in den letzten Tagen einstimmig die Fraktionen des Abgeordnetenhauses in einem Brief gebeten hat, dieses Gesetz abzulehnen. Auch andere äußerten bereits ihre Bedenken wie z. B. der Rat der Bürgermeister, der umfangreichen Änderungsbedarf sieht und befürchtet, dass durch den hohen Konsolidierungsdruck keine verlässliche Präventions- und Gesundheitsförderungspolitik mehr möglich ist. Vernichtend ist auch das Urteil der Leiterinnen und Leiter der Berliner Gesundheitsämter sowie der Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter, die in einer gemeinsamen Stellungnahme davon sprechen, dass die – ich zitiere –

wortreich beschriebene Neuorientierung für den ÖGD einer Absichtserklärung gleichkommt, die sich aber ohne die hierfür notwendigen, in einem Gesetz zu verankernden Rahmenbedingungen nicht realisieren lassen wird.

Selbst die Aussage der Normenkontrollkommission des Senats, die den Gesetzentwurf als Worthülse bezeichnete, reiht sich hier inhaltlich ein.

Die Fraktion der CDU hatte um Beratung gebeten, und somit eröffne ich die I. Lesung. Das Wort hat der Abgeordnete Hoffmann. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit langem gab es keinen derart miserablen Gesetzentwurf wie den heute vorliegenden zur Neuordnung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Berlin.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Ich dachte, der eben war schon so schlimm! Und der nächste wird wohl noch schlimmer!]

Herr Liebich! Dass Sie keine guten Gesetzentwürfe machen können, gestehen Sie mit Ihrem Wortbeitrag jetzt selber ein. Gerade deshalb muss man es so deutlich formulieren.

Der vorliegende Antrag ist nicht nur handwerklich schlecht gemacht, sondern stellt auch inhaltlich keine Weiterentwicklung dar. Es hätte nicht einer zweijährigen, intensiven Beratung im so genannten Lenkungsausschuss bedurft, um uns ein solches Bubenstück vorzulegen. Um es von vornherein und unmissverständlich zu sagen: Das Reformprojekt ist gescheitert. Die ursprünglich von allen Fraktionen getragene Zielstellung, mit dem Reformgesetz dem öffentlichen Gesundheitsdienst in Berlin eine einheitliche Grundstruktur und klare Aufgabenzuweisungen zu geben, wurde nicht erreicht. Es bringt weder inhaltliche noch strukturelle Fortschritte gegenüber dem alten Gesundheitsdienstgesetz und setzt keine verlässlichen finanziellen, personellen und strukturellen Rahmenbedingungen, die die vielfältigen Aufgaben auch nur annähernd realisierbar erscheinen lassen.

Deshalb sind die Ankündigungen von Frau KnakeWerner, mit der Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes im Land Berlin einen Paradigmenwechsel herbeiführen zu wollen, nur schöner Schein und eine Irreführung der Öffentlichkeit. Es bleibt lediglich ein knallhartes Einsparprogramm übrig, das zu Lasten der Bevölkerung und der Beschäftigten in den Gesundheitsämtern geht.

Als sich diese Entwicklung Anfang des letzten Jahres bereits deutlich abzeichnete, hat die CDU-Fraktion ihre Mitarbeit in der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Senats aufgekündigt, in der auch die Oppositionsfraktionen eingebunden waren und zum Teil noch sind. Dafür haben wir öffentliche Schelte und vor allem auch höhnische Kommentare von den Kollegen aus den Reihen der PDS und der SPD erhalten. Deshalb sage ich an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich: Diese Entscheidung war und ist richtig, denn Sie müssen allein die Verantwortung für dieses schlechte Gesetz tragen. Sie allein müssen die Verantwortung für den finanziellen Kahlschlag im öffentlichen Gesundheitsdienst in Höhe von 8,4 Millionen € tragen, dem unweigerlich noch weitere folgen werden. Sie allein müssen die Verantwortung für Fehlentscheidungen wie z. B. bei der Zusammenlegung von Beratungsstellen für sinnesbehinderte Menschen tragen.

Was kritisiert die CDU-Fraktion insbesondere an diesem Gesetz? – Wir kritisieren:

Erstens: Die Aufgabenwahrnehmung der Ämter wird ausdrücklich unter Haushaltsvorbehalt gestellt, so dass die Gewährleistung der im Gesetz verankerten Aufgaben und Zielstellungen fraglich erscheint. Es gibt keine Definition für eine Mindestausstattung der Bezirke und keine Aussagen zum Umgang mit Schnittstellen zu anderen Verwaltungen.

Zweitens: Im Gesetz findet keine Berücksichtigung, wie ein Wertausgleich für die Bezirke gestaltet werden soll, die nach dem Sozialstrukturatlas mit MultiProblemlagen kämpfen.

Drittens: Im Gesetz fehlt die Orientierung auf die Zielgruppe älterer Bürger, obwohl diese prozentual gesehen in den nächsten Jahren zahlenmäßig weiter ansteigen wird – und dementsprechend die spezifischen Problemlagen.

Viertens: Der neue § 8 – der ehemalige § 22 – umfasst nicht mehr konkret die Zielgruppe der frühgeborenen Säuglinge und Kleinkinder und konterkariert damit die Bemühungen zur Verbesserung des Kinderschutzes.

[Beifall des Abg. Steuer (CDU)]

Fünftens: Es gibt eine Schwerpunktverschiebung auf statistische Aufgaben, was den Verlust dringend benötigter Betreuungskapazitäten für die im Gesetz aufgeführten Zielgruppen mit sich bringen wird.

Sechstens: Die vorgeschriebene jährliche Planung und Steuerung bringt mehr Bürokratie, engt den Gestaltungsspielraum der Bezirke erheblich ein und ist nicht mit dem

Warum brauchen wir dieses Gesetz? – Wir brauchen dieses Gesetz, um eine neue Struktur zu beschreiben, nachdem im Gesundheitsdienst wie in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes in Berlin jahrelang der Personalabbau stattgefunden hat. Und wenn Sie dabei die Grundlagen nicht ändern, auf Grund derer die Ämter arbeiten, bedeutet das, mit weniger Personal immer noch dieselben Aufgaben erfüllen zu müssen. Wir ordnen die Aufgaben neu. Wir durchforsten, was wirklich noch zu den Kernaufgaben gehören muss und was möglicherweise verzichtbar ist, und wir legen teilweise Strukturen zusammen, denn es nützt nichts, wenn es z. B. keinen sozialmedizinischen Dienst in Neukölln mehr gibt. Die Bürger von Neukölln brauchen einen Anlaufpunkt, und da ist es richtig, wenn man für vier Schwerpunktregionen in der Stadt einen funktionierenden sozialmedizinischen Dienst, der zudem noch einer vorbildlichen Strukturidee folgt, aufbaut, von denen jeder einzelne erheblich leistungsfähiger ist als die Dienste, die wir heute in den zwölf Bezirken haben sollten. In Wirklichkeit haben wir sie teilweise nur noch als Flickenteppich.

Globalsummensystem und der Ressourcenverantwortung der Bezirke in Übereinstimmung zu bringen.

[Beifall bei der CDU]

Siebtens: Die Pläne des Finanzsenators, neben den 8,4 Millionen € an Einsparungen noch weitere Kürzungen – man spricht von 30 Millionen € – sowie weitere Personaleinsparungen vornehmen zu wollen, erzeugen zusätzlich finanziellen Druck und werden unweigerlich dazu führen, dass die Aufgaben, die subsidiär durch andere Träger vorgenommen werden sollen, nicht mehr durch die Bezirke finanziert werden können.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege!

Ich komme zum Schluss und fordere Sie auf: Gehen Sie noch einmal mit sich zu Rate! Überarbeiten Sie das Gesetz! Oder noch besser: Ziehen Sie es zurück, womit den Menschen in unserem Land und im öffentlichen Gesundheitsdienst besser gedient wäre! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Das Wort für die SPD-Fraktion hat nunmehr der Kollege Matz – fünf Minuten lang oder auch weniger. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoffmann! Mir war nicht ganz klar, warum Sie in der heutigen Sitzung unbedingt über den Entwurf reden wollen, wo wir doch direkt vor einer Anhörung im Ausschuss für Gesundheit stehen und sicherlich auch nachher in der II. Lesung auf dieses neue Gesetz zurückkommen wollen. Nach Ihrer Rede ist es mir klar: Sie wollen die populistische Nummer, die Ihr Herr Freiberg angefangen hat, als er aus dem Lenkungsausschuss zum Reformprojekt ausgezogen ist, nun hier fortsetzen, und zwar ohne Rücksicht auf die Realitäten und auf das, was dieses Reformprojekt vorgesehen hat, und vor allem ohne Rücksicht darauf, dass es selbstverständlich eine Verantwortlichkeit der Bezirke gibt.

Dieser Gesetzentwurf respektiert, dass die Aufgabenerfüllung im Bereich der Gesundheitsämter in Berlin in erster Linie eine bezirkliche Aufgabe ist.

[Frau Jantzen (Grüne): Aber Aufgabenträger sind immer noch wir!]

Da sind alle 12 Bezirke gefordert. Das gilt beispielsweise auch für den Bezirk Neukölln, wo Ihr Gesundheitsstadtrat Freiberg, der unter großem Tamtam aus den Gremien ausgezogen ist, die Verantwortung trägt. Die anderen Bezirke haben ihren sozialmedizinischen Dienst noch nicht aufgegeben, wie es der Bezirk Neukölln jetzt getan hat. Es ist nicht nur eine Frage, wie hoch die Zuweisungen sind, die die Bezirke in ihrer Globalsumme für den Gesundheitsdienst bekommen, sondern es ist dann auch eine Frage, was die Bezirksämter, wenn sie ihren Haushalt aufstellen, damit machen. Wir haben nun einmal dezentrale Haushalte in den Bezirken. Das ist auch richtig so,

aber das eröffnet leider auch die Möglichkeit, dass einzelne Bezirke nicht genügend Wert darauf legen, dass diese wichtigen Aufgaben, die der Gesundheitsdienst zu erfüllen hat, dann dort erfüllt werden.

[Hoffmann (CDU): Sie machen sich dabei zum Lakaien! Das ist peinlich!]

Leider muss ich sagen, dass das in Neukölln so der Fall ist.

[Zurufe von der CDU]

Sie haben auch gesagt, die Leiter der Gesundheitsämter seien total dagegen und das alles sei kein sinnvoller Entwurf. Es gab einen Fachbeirat. Das muss man bei der Struktur des Projekt einmal sagen. Es hat lange gedauert – das ist meine Kritik gegenüber der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz –, bis wir diesen Gesetzentwurf bekommen haben. Aber einen Vorteil hatte diese Projektstruktur: Über den Fachbeirat sind alle bezirklichen Gesundheitsämter in die Arbeit des Reformprojekts zu jeder Zeit einbezogen gewesen. Viele Anregungen aus dem Fachbeirat, in dem die Gesundheitsämter saßen, wurden aufgenommen.

Die Sozialraumorientierung hätte im Gesetz verankert werden sollen, sagen Sie. Erstens ist der Grundsatz selbstverständlich im Gesetz verankert. Aber Sie werden doch nicht im Ernst fordern, dass wir in diesem Bereich etwas tun, was wir in keinem anderen Landesgesetz tun, nämlich dass wir ein Steuerungsmodell, das genau beschreibt, welche Ressourcen in welchen Bezirk gehen, auf Gesetzesebene verankern. Das tun wir nirgendwo anders. Das wäre völlig unsystematisch. Da würden unsere Rechtspolitiker uns etwas pfeifen und sagen, dass das nicht in ein Gesetz gehört. Ein Steuerungsmodell muss außerhalb des Gesetzes beschrieben werden.

ht erreicht.

Wir werden dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form nicht zustimmen, und zwar aus Verantwortung gegenüber der Gesundheit und der Gesundheitsvorsorge insbesondere der sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen in dieser Stadt.

Wir haben den Reformprozess mitgemacht und begrüßen grundsätzlich einige Ziele wie die stärkere sozialkompensatorische Ausrichtung der Arbeit und der Strukturen des ÖGD auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen, insbesondere auf Kinder und Jugendliche und Migrantinnen, und die Berücksichtigung der unterschiedlichen Sozialstruktur in den Berliner Bezirken. Auch die Schwerpunktsetzung auf Gesundheitsförderung, Prävention und die Stärkung der Sozialberichterstattung und -planung wird von uns begrüßt.

Was uns der Senat hier aber als neuen Public-healthAnsatz verkauft, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Freibrief für willkürliche Kürzungen in den Bezirken, die nicht beziffert sind. Schauen Sie sich den Gesetzentwurf an. Bei „finanziellen Auswirkungen“ steht dort: Es wird ein Produktkatalog gemacht und dieses und jenes, und es wird sich ganz viel kürzen lassen. Das steht dort relativ deutlich. 30 bis 60 % hat der Finanzsenator angekündigt. Das ist der Ausverkauf des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Das ist angesichts der sozialen Lage und eines Anwachsens der gesundheitlichen Probleme in großen Teilen der Bevölkerung für eine Linkspartei.PDSgeführte Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz ein Armutszeugnis.

Ich glaube, dass wir mit diesem Gesundheitsdienstgesetz den öffentlichen Gesundheitsdienst in Berlin wieder auf eine solide Grundlage stellen können

[Hoffmann (CDU): Solide kann man das nicht nennen!]

und dass dort die Aufgaben besser wahrgenommen werden können, als es zumindest in den letzten Jahren der Fall war, wo die Strukturen an vielen Stellen zerbröselt sind. Es ist aber auch wichtig, dafür zu sorgen, dass diese neue Struktur, wenn wir sie einmal verankert haben, in den folgenden Jahren arbeiten kann. Wir müssen, wenn ein Verwaltungsreformprojekt mit Erfolg zu Ende geführt wurde, dafür sorgen, dass die Stellen, die es in dieser neuen Struktur noch gibt, wieder besetzt werden können. Das ist eine schwierige Aufgabe vor dem Hintergrund des engen Einstellungskorridors, den wir in Berlin haben. Aber der Aufgabe werden wir uns stellen. Die werden wir erfüllen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD – Beifall der Frau Abg. Simon (Linkspartei.PDS)]