Protokoll der Sitzung vom 09.03.2006

[Beifall bei der SPD – Beifall der Frau Abg. Simon (Linkspartei.PDS)]

Danke schön, Herr Kollege! – Für die Fraktion der Grünen hat nun Frau Jantzen das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anders als Sie, Herr Matz, und ohne den Bezirk Neukölln in Schutz nehmen zu wollen, sehe ich eine Verantwortung hier im Haus dafür, dass die Bezirke in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben zu erfüllen. Sie haben es hier so dargestellt, als diene das neue Gesetz dazu, dass das in Zukunft anders wird und keine Aufgaben willkürlich wegfallen. Dem ist nicht so, Herr Matz. Das wissen Sie ganz genau.

[Hoffmann (CDU): Richtig!]

Wenn Sie sich das Gesetz anschauen, wird Ihnen das völlig klar.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Hoffmann (CDU) und des Abg. Lehmann (FDP)]

Das Ziel, das wir alle geteilt haben – ich war auch an diesem Reformprozess beteiligt, und ich bin nicht ausgestiegen wie die CDU, habe mich aber eines Tages innerlich davon verabschiedet –, war, den öffentlichen Gesundheitsdienst in den Bezirken für die neuen Aufgaben und Herausforderungen aufzustellen und klar zu sagen, was in Zukunft seine Aufgaben sind und mit welchen finanziellen Ressourcen das zu erfüllen ist. Dieses Ziel wurde nic

Es trifft nicht zu, dass alle an dem, was jetzt vorliegt, beteiligt wurden. Dennoch werden alle vereinnahmt, und es wird so getan, als hätten alle zugestimmt und seien auf der Basis, auf der sie gestartet sind, mitgenommen worden. Es wurde von einer Einsparung in Höhe von 8,4 Millionen € oder 10 % der Produktsummen der Bezirke ausgegangen. Daraufhin haben wir zwei Jahre lang gearbeitet, und dann kommt heraus, dass 30 oder gar 60 %

der Produktsummen eingespart werden sollen. Das ist eine andere Voraussetzung und Basis. Ich finde es unredlich, jetzt alle mit in ein Boot zu holen, in dem sie nicht saßen.

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen]

Operation gelungen, Patient tot! Das wird das Ergebnis dieses Gesundheitsreformprozesses sein, wenn sich der Finanzsenator durchsetzt. Es bleiben einzig bundes- und europarechtlich vorgeschriebene Pflichtaufgaben übrig. Prävention, Gesundheitsförderung und sozialkompensatorische Gesundheitshilfen werden aber wegfallen. Die Linkspartei.PDS und die SPD stellen damit die Beratung und Unterstützung für chronisch kranke und behinderte Menschen in Frage. Das betrifft auch die Früherkennung von Entwicklungsverzögerungen, Vernachlässigungen und Misshandlungen von Kindern, Hilfen für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder sowie den gesundheitlichen Verbraucherschutz.

Wir erwarten von einem Gesetz eine eindeutige Aufgabenbeschreibung und eine klare Aufgabenteilung zwischen Senat und Bezirken, damit alle Beteiligten – vor allem die Bürgerinnen und Bürger – wissen, welche Leistungen sie vom öffentlichen Gesundheitsdienst erwarten können. Wir erwarten auch Vorgaben für Mindeststandards und die Bereitstellung verlässlicher finanzieller und personeller Rahmenbedingungen, damit die öffentlichen

Einsparungen in Höhe von 8,4 Millionen €, ist

Wahrscheinlich kam Ihnen dessen Vorgehen entgegen, Sie hatten sowieso keine Lust, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Das richtigzustellen, halte ich für geboten, um nicht völlig falsche Bilder in die Öffentlichkeit hinein zu vermitteln.

Ich möchte heute nicht auf irgendwelche Einschätzungen und Einzelheiten des vorliegenden Gesetzentwurfs eingehen, das würde ich gern bei der II. Lesung Ende April im Rahmen einer allgemeinen Würdigung tun. Und das auch in einer durchaus kritischen Weise, denn ich denke in der Tat, dass dieses neue Gesundheitsdienstgesetz keines ist, das man nur mit reinem Jubel betrachten kann, weil dafür die Rahmenbedingungen, unter denen wir das Gesetz zu gestalten haben, nicht so gestrickt sind.

Gesundheitsdienste in den Bezirken ihre Aufgaben leisten können.

Dieses Gesetz ist in seinen Aussagen viel zu allgemein. Es ist ein Leitbild, aber kein Gesetz. Das alte aus dem Jahr 1994 war wesentlich besser. Hier wird zu Lasten der Bezirke und der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger gespart. Das werden wir nicht mittragen. Vogelgrippe, Fleischskandale, gesundheitliche Probleme bei Kindern und Jugendlichen, der Anstieg von HIV- und anderen Infektionen machen deutlich, dass der öffentliche Gesundheitsdienst anders aufgestellt werden muss. Eine gute Gesundheitspolitik beginnt, bevor Krankheiten entstehen. Deswegen haben für uns Gesundheitsförderung, Prävention und gesundheitliche Hilfen für sozial Benachteiligte weiterhin eine große Bedeutung.

Bitte kommen Sie zum Schluss!

Wir verschließen uns sinnvollen Einsparungen und Strukturveränderungen ganz und gar nicht. Das dürfte Ihnen bekannt sein. Wir machen aber keinen Ausverkauf des öffentlichen Gesundheitsdienstes mit. Den müssen Sie von der Linkspartei.PDS und der SPD allein verantworten.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Wansner (CDU)]

Danke schön, Frau Kollegin! – Für die Linkspartei.PDS hat nun Frau Simon das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bin etwas befremdet darüber, dass wir hier ein Gesetz in I. Lesung vor der im Ausschuss vorgesehenen Anhörung behandeln. Aber offenbar liegt Herr Matz richtig mit seiner Einschätzung, dass sich die CDU einen besonderen Auftritt verschaffen wollte. Den hatte sie ja nun.

Eins möchte ich für die Kolleginnen und Kollegen, die die Interna und Entwicklungen im Projektausschuss nicht so gut verfolgen konnten, klarstellen: Alle Mitglieder der Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses waren in einem Projektausschuss zusammengekommen, waren dazu aufgefordert, noch jeweils einen Kollegen, eine Kollegin mitzubringen, um den ÖGD-Diskussionsprozess informatorisch und inhaltlich zu begleiten.

Die CDU, die ebenfalls diese Möglichkeit hatte, hat von Anfang an davon keinen Gebrauch gemacht. Wenn ich Herrn Hoffmann daran erinnern darf: Herr Czaja hat sich bei der konstituierenden Sitzung, nachdem er ungefähr eine Viertelstunde zu spät gekommen war, auch wieder nach einer Viertelstunde zurückgezogen. Bei den nächsten Sitzungen hat niemand von der CDU-Fraktion teilgenommen, weil auch der von Ihnen benannte Arzt aus Prenzlauer Berg keine Zeit hatte. Irgendwann tauchte für zwei bis drei Mal Frau Wanjura auf. Ein Abgeordneter war in der gesamten Zeit nicht zu sehen. Jetzt zu sagen, der Grund Ihrer verweigerten Teilnahme waren die

sparungen in Höhe von 8,4 Millionen €, ist unglaublich! Diese waren von Anfang an klar. Es geht darum, Kürzungen, die wir durchweg in allen Bereichen zu verkraften haben, intelligent zu vollziehen. Da allerdings waren Sie nicht vonnöten, da wir diese intelligenten Versuche Ihrerseits auch nicht erwartet haben. Aber jetzt einen theatralischen Abgang im Nachgang zu konstruieren, ist einfach Unsinn. Der betrifft ausdrücklich und ausschließlich nur Ihren Stadtrat aus Neukölln, Herrn Freiberg.

[Zuruf des Abg. Hoffmann (CDU)]

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Zuruf des Abg. Hoffmann (CDU)]

Mich wundert, dass in der durch die Presse ganz wesentlich gesteuerten öffentlichen Wahrnehmung – nun ist bedauerlicherweise die Presse nicht mehr da, der gegenüber man auch einmal direkt und wirksam hätte Presseschelte üben können – diese Gesundheitsdienstgesetznovelle so rudimentär zur Kenntnis genommen wurde, dass sie sich lediglich auf bestimmte Standortzusammenlegungen und Fusionen beschränkte, das Ganze als eine Amputation des öffentlichen Gesundheitswesens diffamierte und es ansonsten dabei beließ. Natürlich ist es mühsam, ein solches Gesetz zu lesen, das gebe ich gern zu. Aber Frau Jantzen von den Grünen hat immerhin einige Punkte aufgezählt, von denen ich finde, dass sie gewürdigt werden müssen. Dazu gehört die Institutionalisierung einer Landesgesundheitskonferenz, die Einführung einer sozialindikativen Gesundheitsplanung, eine sozialräumliche Schwerpunktsetzung stärker als bisher und die interkulturelle Öffnung. Aber das sind Themen, von denen ich mir vorstellen kann, dass sie einen Journalisten nicht unbedingt vom Hocker reißen, weil sie so schlecht vermittelbar sind und ein gewisses Wissen und eine gewisse Einschätzungskraft voraussetzen.

Auch ich bin der Auffassung, dass es noch einigen Klärungs- und Diskussionsbedarf gibt und dass wir sehr wohl kritisch mit dem Entwurf umgehen sollten. Wir sollten insbesondere die Empfehlungen des Rates der Bürgermeister sehr sorgfältig prüfen, weil ich finde, dass dort einiges sehr diskutier- und bedenkenswürdiges dabei ist. Ich verweise dabei insbesondere auf die §§ 8 und 21 des Gesetzentwurfs, in denen es um die Früherkennung gesundheitlicher Defizite, auch bekannt als so genannte

Das gesamte Prozedere war sehr unglücklich. Konstruktive Vorschläge wurden permanent ignoriert, sowohl im Lenkungs- als auch im Projektausschuss. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich saß selbst im Projektausschuss und habe im Gegensatz zur CDU bis zum Ende dort ausgehalten, weil mir ich immer vorgestellt habe, tatsächlich das eine oder andere umsetzen zu können. Aber ich hatte vergessen, dass ich ähnliches schon einmal vergeblich mit dem Produktkatalog in der öffentlichen Verwaltung versucht hatte.

Um an dieser Stelle ein weiteres Beispiel zu nennen: Was mich sehr geärgert hat, ist die Hörberatungsstelle Neukölln. Hier wurde vom grünen Tisch aus entschieden, und am Ende wird der deutlich bessere Standort geschlossen. Bestechend bessere Infrastruktur, vorbildliche Ausstattung, haufenweise Proteste der Eltern, betroffener Kinder, das alles zählte nicht bzw. wurde nicht entgegengenommen.

Missbrauchsdebatte im Kindesalter, geht und um die therapeutische Betreuung schulpflichtiger, schwerstmehrfach behinderter Kinder. Das sind sehr sensible Bereiche, die noch mal einer dringenden Diskussion bedürfen. Ich hoffe sehr, dass wir die Ergebnisse aus den hieran arbeitenden Arbeitsgruppen so bald erhalten, dass wir sie in die Diskussion um ein neues Gesundheitsdienstgesetz qualitativ mit einbinden können.

Auch die Frage des Einstellungskorridors, die wichtig ist, wird noch zu erörtern sein, denn wenn wir dieses Gesundheitsdienstgesetz mit allem, was wir uns für die Zukunft vornehmen, umsetzen wollen, gehört vor allen Dingen qualifiziertes Personal dazu. Es ist angesichts der Tatsache, dass wir über die Altersfluktuation in den nächsten Jahren einen erheblichen Aderlass zu verzeichnen haben werden, nicht so ohne weiteres verfügbar. Genau dafür haben wir zu streiten, und auch bezüglich der Frage der Trennung bei den Kernaufgaben zwischen Gewährleistungs- und Durchführungsaufgaben sollten Überlegungen angestellt werden. Wir müssen sicherstellen, dass wir für die wichtigen Kernaufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die für uns alle existentiell notwendig sind und in der Zukunft nicht nur die Handlungsfähigkeit, sondern auch die Innovationsfähigkeit des ÖGD sichern, gemeinsam die dafür erforderlichen Grundvoraussetzungen schaffen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Simon! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat nunmehr der Kollege Lehmann. – Bitte sehr, ergreifen Sie das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich muss es wieder einmal sagen: Die Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes als Paradigmenwechsel zu bezeichnen, da haben Sie sich wirklich sehr weit aus dem Fenster gelehnt!

[Beifall bei der FDP]

Ein bedauerlicher Punkt ist unter anderem die Verzögerung der Reform, denn schließlich sollte sie ja bereits im Sommer 2005 vollzogen werden. Das hat nicht geklappt, über die Gründe wird sicher noch im Ausschuss zu sprechen sein.

Aus mehreren Gründen können wir diesem Gesetz nicht zustimmen. Erstens haben Sie nicht aus eigenem Reformwillen das Ganze angestrengt. Die Notwendigkeit der Reform des öffentlichen Gesundheitsdienstes ist schlicht der demographischen Entwicklung, dem Wegfall pensionierten Personals geschuldet, und dazu gerade noch des Personals, das ohnehin demnächst in Ruhestand gehen wird. Da muss man sich nur einmal die Altersstrukturzahlen im öffentlichen Dienst ansehen.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Simon?

Das ist mir heute zu unsicher!

Na, dann machen Sie dann mal schnell zu Ende!

[Allgemeine Heiterkeit]

Natürlich müssen wir uns fragen, was eigentlich die Pflichtaufgaben unseres öffentlichen Gesundheitsdienstes sind. Selbstverständlich müssen wir Strukturveränderungen vornehmen. Auch die Kostenreduzierung ist voll und ganz in unserem Sinn. Aber wenn, dann bitte richtig!

Es kommt erschwerend hinzu, dass mit falschen Zahlen gerechnet wurde. Wir hatten das heute ja schon einmal, dass Sie nicht rechnen können. Denn deshalb kam es sicherlich auch zu dem Streit zwischen dem Finanzsenator, Herrn Dr. Sarrazin, und der Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, Frau Dr. Knake-Werner. Ursprünglich sind Sie von einer Basissumme in Höhe von ca. 84 Millionen € ausgegangen. Die vorgelegte Reform sieht eine Kürzung auf 66 Millionen € vor. Das ist ein guter Ansatz. Einsparpotentiale sind im öffentlichen Gesundheitsdienst sicherlich vorhanden und in dieser Höhe auch realisierbar. Aber irgendwann kam die richtige Basissumme zum Vorschein. Da waren es ganz plötzlich 139 Millionen €. Wenn man davon ausgeht und auf die 66 Millionen € kommt, da dann zu kürzen, das ist unglaublich. Das würde bedeuten, dass das mehr als 50 % Kürzungen sind, also mehr als 50 % an dieser Stelle gestrichen werden. Das ist schlicht an der Realität vorbei!

[Beifall bei der FDP]

Es ist ja zu begrüßen, dass vehement gespart werden soll, aber so eine Milchmädchenrechnung sollte am Ende nicht herauskommen. Deshalb fordere ich Sie auf, das Projekt zu überdenken und gute Ratschläge anzunehmen. Zum Glück gibt es ja noch die eine oder andere Anhörung zu diesem Thema. Es wäre begrüßenswert, wenn alle an diesem Reformprozess Beteiligten die Sache vor Ort anschauen würden. Aus der Amtsstube heraus reformiert es sich nämlich schlecht. Ich habe mir die zur Diskussion stehenden Hörberatungsstellen angeschaut und muss – das gebe ich auch offen zu – feststellen, dass die Gremien

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst komme ich zu den Zahlen. Sie werden sicherlich, Herr Kollege Matz, nicht verleugnen, dass die Zahlen, die 84 Millionen €, die geschätzte Basissumme waren. Mit dieser geschätzten Basissumme sind wir herangegangen. Wir haben zu Anfang detailliertes Zahlenwerk erhalten. Es war damals noch keine Rede davon, dass es 139 Millionen € sein werden. Das kam erst später heraus, als es die richtigen Zahlen gab.

Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen. Ich weiß auch, dass Entscheidungen nicht leicht fallen, insbesondere dann nicht, wenn man sich die Frage bei Beratungsstellen stellt. Ich weiß auch, dass der Staatssekretär ebenfalls vor Ort war und sich das angesehen hat. Trotzdem sollte man Entscheidungen noch einmal überdenken, wenn man es sich angesehen hat. Wenn dieses Implantatcentrum einerseits vorhanden ist und die Hörberatungsstelle nebenan gelegen ist, sich in unmittelbarer Nähe noch die Kita mit den hörbehinderten Kindern befindet, können beispielsweise defekte Hörgeräte gleich repariert werden. Es sind kurze Wege. Es ist eine sehr gute Vernetzung. Sie werden sicherlich zustimmen, dass diese Vernetzung in Friedrichshain-Kreuzberg nicht gegeben ist. Hier sind nach meiner Einschätzung vorrangig parteipolitische Interessen im Spiel. – Vielen Dank!