Meine Kollegin Schaub ist bereits kurz darauf eingegangen: Das neue Fach Ethik, in dem Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher religiöser, weltanschaulicher und kultureller Herkunft gemeinsam unterrichtet werden sollen, erfordert eine adäquate Qualifizierung der Unterrichtenden. Auch die kritische Begleitung der Entwicklung des Faches in der Öffentlichkeit macht es aus Akzeptanzgründen notwendig, eine solide Weiterbildung der Lehrkräfte zu gewährleisten und dieses auf jeden Fall zu beachten. Eine Schmalspurqualifizierung – wie vom Senat derzeit geplant – dient weder den Lehrkräften noch den Schülerinnen und Schülern, die unterrichtet werden sollen. Die kurze Fortbildung, mit der Rot-Rot die bisherigen Ethik- und Religions- sowie Lebenskundelehrer für diese neue Aufgabe qualifizieren will, reicht nicht aus, um der Vielfalt von Religionen, Weltanschauungen und Kulturen gerecht zu werden. Hier muss mehr getan werden.
Wir fordern den Senat auch auf, die langjährige Erfahrung Brandenburgs mit den universitären Weiterbildungsstudiengängen für das neue Fach nun für Berlin zu nutzen und Kooperationen mit Brandenburg anzustreben. Wir fordern auch, die Einrichtung eines Weiterbildungsstudiengangs an einer der Berliner Universitäten zu prüfen und diesen so bald wie möglich einzuführen. Mittelfristig ist sogar ein grundständiges Studienfach mit dem Ziel Ethiklehramt einzurichten. Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht, und nach den Wortbeiträgen von Frau Dr. Tesch und von Frau Schaub hoffe ich, dass Sie an dieser Stelle Vernunft walten lassen und diesen Anträgen zustimmen.
Damit das Fremde nicht mehr fremd ist, und damit der oder die Fremde aus welchen Gründen auch immer keine Angst macht, ist dieses Fach wichtig.
Hier genau setzt dieses Fach an. Es dient dem gegenseitigen Verständnis von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen. Es kann helfen, eigene und fremde Weltdeutungen bewusst wahrzunehmen und sich mit den Beweggründen menschlichen Handelns auseinander zu setzen. Deshalb ist die Einrichtung eines eigenständigen, und – ich betone hierbei – bekenntnisfreien Faches Lebensgestaltung/Ethik/Religionskunde, also LER – ich sage ganz bewusst LER –, in dem sich alle Schülerinnen und Schülern mit Werte- und Sinnfragen auseinander setzen können und ein breites Grundwissen über Religionen und Weltanschauungen vermittelt bekommen, wichtig und längst überfällig.
Ich sage bewusst „LER“, weil ich der Meinung bin, dass eine Reduzierung auf Ethik den Ansprüchen dieses neuen Faches nicht gerecht wird. Es ist bedauerlich, dass sich die SPD trotz ihres Parteitagsbeschlusses von LER verabschiedet hat und die PDS sich dem gebeugt hat. Damit sehen Sie, dass wir mehr wollen. Ihr Kompromiss reicht uns nicht. Ihr Kompromiss ist nur ein erster Schritt. Wir unterstützen diesen ersten Schritt,
werden es aber kritisch begleiten und werden, wenn die Zeit dafür reif ist, auch darüber reden müssen, wie es mit einer Einführung in der Grundschule ist. Da wäre ich dann wieder bei meiner Tochter.
Voraussetzung für den pädagogischen Erfolg des neuen Faches ist jedoch, das die Schülerinnen und Schülern miteinander und voneinander lernen und nicht nach Konfessionen getrennt oder separiert werden, wie Frau Senftleben dies hineingerufen hat. Eine Aufteilung der Schülerinnen und Schüler nach Glaubenszugehörigkeit kann keine integrative Wirkung entfalten, sondern würde die Abgrenzung weiter verstärken. Das wollen wir nicht, und das können Sie, meine Damen und Herren von der CDU, auch nicht wollen. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass Sie das nicht wollen. Wir haben die Verantwortung dafür, dass unsere Grundwerte nicht als gegenstandsloses Geschwätz erscheinen, sondern gerade auch für Kinder und Jugendliche in deren je eigener Lebensrealität von Anfang an erfahrbar werden. Das gelingt dann am besten, wenn die Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet werden und gemeinsam all dieses, was sie im Unterricht und in der Schule erfahren, reflektieren. Ein Bekenntnisunterricht, wie ihn die CDU und die FDP fordern, ist in diesem Sinne nicht zielführend. Wir lehnen eine Verstär
kung des Bekenntnisunterrichts bzw. des Religionsunterrichts durch Einführung eines Wahlpflichtbereichs ab.
Frau Schultze-Berndt! Noch ein Satz zu Ihnen: Herr Gaebler hat bereits versucht, Sie in einem Punkt aufzuklären, aber es ist bei Ihnen scheinbar nicht angekommen. Ich bin kein Jurist, und Sie sind keine Juristin. Aber Juristen haben die Frage, welche Konsequenzen für die Islamische Föderation aus der Einführung eines Wahlpflichtbereichs Religion resultieren, genau geklärt. Sie kommen zu einer einhelligen Auffassung. Die Islamische Föderation hat nach zwanzigjährigem Kampf vor den Gerichten das Recht zugesprochen bekommen, Religionsgemeinschaft zu sein. Sie werden diese nicht aus der Schule vertreiben können.
Die staatliche Aufsicht haben wir jetzt schon. – Da Sie aber dieser Religionsgemeinschaft nicht in das Werk pfuschen können und Sie sich auch nicht bei den Inhalten des Unterrichts einmischen können, sind Ihre Behauptungen hierzu einfach falsch. Schauen Sie sich die verschiedenen Gutachten an, die in dieser Hinsicht schon erarbeitet worden sind! Die Islamische Föderation werden Sie nicht verhindern. Ganz im Gegenteil, Sie werden sie noch stärken, indem Sie sie direkt mit einem ordentlichen Lehrfach zulassen. Das finde ich problematisch. Mit dem neuen Fach wird die Islamische Föderation hingegen an Zulauf
Argument Nr. 1: Wenn wir Werte, Standpunkte und Haltungen vermitteln und uns mit Fragen der menschlichen Existenz intensiv auseinandersetzen wollen, dann können nur diejenigen das vermitteln, die authentisch – sprich: glaubwürdig – sind. Ich finde, das leuchtet ein. Nehmen wir einmal an, ich sollte meine Nachbarin oder meinen Nachbarn überzeugen, PDS zu wählen.
Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Wir haben nun im Laufe der Legislaturperiode häufig zum Thema Ethik- und Religionsunterricht diskutiert, und ich gestehe auch, dass im Verlauf der Diskussion bei mir ein kleiner Hoffnungskeim aufkam. Es war nämlich nicht nur die gesamte SPD-Bundesspitze, die sich vor ca. einem Jahr öffentlich gegen den Berliner Irrweg ausgesprochen hatte, sondern es gab auch in der Berliner SPD-Fraktion durchaus prominente Befürworter eines Wahlpflichtfaches – an vorderster Front zunächst der Schulsenator, gefolgt vom Fraktionschef. Beide hatten sich öffentlich dafür ausgesprochen. Und ich kann Ihnen eine Reihe weiterer Namen von Abgeordneten aufzählen – gerade aus Ihrer Fraktion, die mir en face gegenüber sitzt –, die zu mir sagten: Sie haben völlig Recht, Frau Senftleben!
Ich hoffte also auf Einsicht, Standhaftigkeit und Mut – aber, wie wir heute sehen, vergeblich. Durchgesetzt haben sich diejenigen, die die Religion überwinden wollen, und es haben sich die durchgesetzt, die den Kirchen zwar zugestehen, dass sie Werte haben, aber von diesen Werten glauben, dass sie es nicht wert sind, in der Schule unterrichtet zu werden.
[Müller (SPD): Es haben sich die durchgesetzt, die verhindern, dass Kinder gar nichts von Werten hören! – Weitere Zurufe]
Herr Müller! Es haben sich offensichtlich die durchgesetzt, die die weitverbreitete Religionsaversion in Ost- und Westberlin in Gesetzesform kleiden wollten.
Entschuldigung, Frau Kollegin! Es ist unruhig und sehr laut, und wir verstehen hier oben nur wenig. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen und Frau Kollegin Senftleben zu lauschen.
[Gaebler (SPD): Dann soll sie etwas Vernünftiges sagen, dann ist das einfacher! – Frau Schultze-Berndt (CDU): Na, na! – Weitere Zurufe]
Herr Gaebler! Hören Sie zu, und bleiben Sie ganz ruhig! – Das Einheitsfach Ethik gibt es jetzt also ab Schuljahr 2006/2007. Zu verdanken haben wir das der rot-rot-grünen Koalition. Die ehemaligen Kritiker in den eigenen Reihen sind verstummt. Sie geben klein bei. Das passt zur heutigen Debatte. Es ist ein Beispiel, wie weit Politik und Moral auseinander klaffen. Das
ist – passend zur heutigen Debatte – auch ein Beispiel für Haltung und Standhaftigkeit der Politiker und Politikerinnen in der eigenen Fraktion.
Heute wollen in Berlin Rote und Grüne den Staat dazu ermächtigen, das Wertegerüst bei der Ethikvermittlung zu definieren. Einfach ausgedrückt: Rot-Grün definiert, was gut und böse ist. Außerdem wird durch dieses Gesetz die gleichberechtigte Wahl zwischen Ethik und dem Unterricht in der eigenen Religion beschnitten. Dagegen wehre ich mich mit Händen und Füßen.
Dann könnte ich das Programm herunterrattern und Informationen geben. Aber mehr wäre nicht drin. Ich würde scheitern, weil mein Gegenüber schnell merken würde, dass da etwas nicht stimmt.
Mein Gegenüber würde merken, dass ich selber nicht an das glaube, was ich erzähle. Geht es hingegen nach den Vorstellungen von SPD, PDS und den Grünen, so soll sich der Lehrende von den persönlichen Überzeugungen lösen. Er soll auf Wertungen verzichten und sich neutral verhalten.
Nein! – Kardinal Sterzinsky hat in der Anhörung genau auf dieses Dilemma hingewiesen. Wenn die Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleibt, wird das ganze Projekt zur Farce. Werte werden gelebt – vorgelebt.
Argument Nr. 2: Jeder soll nach seiner Façon selig werden, aber nicht nach der Façon des Staates. Mit dem Einheitsfach Ethik beansprucht der Staat für sich, in Fragen von Wertehaltungen Richtlinien zu setzen und Vorgaben zu machen.
Nachdem ich Argumente geliefert habe, die es der FDP-Fraktion unmöglich machen, Ihrem Gesetzentwurf heute zuzustimmen, füge ich einen persönlichen Grund hinzu: Vor Ihnen steht eine liberale Bürgerin mit dem Privileg, im freien und demokratischen Teil Deutschlands aufgewachsen zu sein. Diese freiheitlich-demokratische
Grundordnung hat meine Sozialisation bestimmt – mit vielen Auseinandersetzungen, dem In-Frage-Stellen der gesellschaftlichen Ordnung, der traditionellen, der religiösen Werte und Haltungen.
Verzeihen Sie, Frau Kollegin! – Ich bitte dringlich, den Geräuschpegel zu senken und die Gespräche draußen zu führen. Es ist kaum möglich, Frau Senftleben zu folgen. Ich bitte dringlich um mehr Aufmerksamkeit!
Ich habe in der Schule und im persönlichen Umfeld immer Partner gefunden, die mich dazu angehalten haben, mich aktiv der Auseinandersetzung zu stellen. Das waren Partner, die mir nicht ihre Meinung diktiert haben oder unbeteiligt irgendwelche Fakten heruntergeleiert haben. Es waren vielmehr Partner, die mit viel Verve für ihre Position geworben haben. Sie haben mir auf Grund ihres eigenen Standpunkts geholfen, den meinigen zu finden. So richtig wurde mir das erst bewusst, als wir angefangen haben, in Berlin diese Diskussion zu führen. Bis dato hatte ich es als selbstverständlich hingenommen. Ich habe aus dieser Debatte etwas gelernt. Mein Weg war nicht immer einfach und bequem, aber er hat mich geprägt und gezwungen, einen Standpunkt, eine Haltung einzunehmen. Deshalb streite ich vehement für die Freiheit zur Wahl. Deshalb ist mir staatliche Bevormundung zuwider.
Verehrte Frau Kollegin Tesch! – Damit maßt sich der Staat Kompetenzen an, die ihm nicht zustehen. Dieses steht nämlich im absoluten Widerspruch zur notwendigen Neutralität des Staates.