Protokoll der Sitzung vom 04.05.2006

Damit komme ich zum dritten Punkt: Diesen Berlinerinnen und Berlinern verdanken wir auch in Kreuzberg das Allermeiste. Das große, weiträumige, fröhliche Myfest hat eine ganz entscheidende Funktion. Dabei ist es gut und richtig, dass die Politik Räume geschaffen und Vernetzungen unterstützt hat. In diesem Zusammenhang danke ich ausdrücklich den Vereinen der EinwandererComunities, die auf ihre, wie man so sagt, „erlebnisorientierte“ Jugend mäßigend eingewirkt haben. Entscheidend war aber, dass Zehntausende gesagt haben: Am 1. Mai gehört die Straße uns und nicht denen, die unter Gewalt und Zerstörung Spaß verstehen. Diese Menschen haben die Gewalt aus dem Bezirk hinausgefeiert, hinausgelacht, hinausgetanzt. Wir können stolz sein auf die Berlinerin

nen und Berliner, auf die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger, die sich die Straße zurückerobert haben.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wir sollten und wir werden es Ihnen danken, indem wir alles dafür tun, dass der 1. Mai in Kreuzberg so bleibt wie er ist: fröhlich, friedlich und sehr berlinisch, kurz: eine Werbung für unsere Stadt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

[Ui! von der SPD]

Warum sage ich das? – Ich bin am 1. Mai von Journalisten gefragt worden, wie ich damit umgehe, dass der 1. Mai in diesem Jahr so ablief, wie er ablief. Dies sei doch für eine Opposition eine schlechte Ausgangslage für eine entsprechende Positionierung. Ich habe den Journalisten gesagt, und ich sage es auch hier noch einmal: Solange wir Opposition sind, habe ich im Namen meiner Fraktion sowohl dem Innensenator als auch dem Polizeipräsidenten stets einen erfolgreichen 1. Mai gewünscht. Wir hatten nie ein Interesse daran, dass aus Gründen der politischen Profilierung und zu Lasten einzelner Bezirke und ihrer Bewohner der 1. Mai zu einem Stelldichein für Steinewerfer und andere Randalierer wird.

[Beifall bei der CDU]

Wir hatten zum Teil andere Vorstellungen über die Art und Weise, wie man Krawallmachern begegnet.

[Brauer (Linkspartei.PDS): Knüppel aus dem Sack!]

Wir alle erinnern uns noch lebhaft an die von der politischen Linken in unserem Haus ausnahmslos ideologisch geführte Auseinandersetzung um den Begriff der so genannten Deeskalationsstrategie. Mit Genugtuung stellen wir fest, dass in diesem Jahr erstens ausreichend Polizei unmittelbar vor Ort war und zweitens die Polizei bei Straftaten konsequent und mit der gebotenen Härte durchgegriffen hat. Unter dem Strich also ein 1. Mai, der trotz der Tatsache, dass es auch dieses Mal wieder Ausschreitungen und Krawalle gab, im Vergleich zur Lage in den Vorjahren in der Tat weniger schlimm war. Ich möchte

Auch dieser Umstand hat neben der ohnehin eintretenden abschreckenden Wirkung innerhalb der autonomen Szene auch Folgen für die Arbeit der Polizei. In früheren Jahren machte sich oft ein Gefühl breit, dass festgenommene Täter vor Gericht manches Mal ungeschoren davon kamen. Die Grundstimmung der Berliner Polizei ist jetzt auch hier anders, weil man nunmehr davon ausgehen kann, dass Täter ihrer gerechten Strafe zugeführt werden.

Zu nennen sind auch die verbesserten Ermittlungsmethoden. Insbesondere Veröffentlichungen von Bildern und der Einsatz von Überwachungskameras haben zu zahlreichen Fahndungserfolgen geführt. Auch hier ist die damit verbundene Abschreckung von potentiellen Gewalttätern nicht zu unterschätzen. Das Entdeckungsrisiko und das Risiko einer Verurteilung haben auf Grund des Einsatzes von Videotechnik stark zugenommen. Die Anonymität der Täter, die in vergangenen Jahren Straffreiheit garantierte, ist endlich durchbrochen worden.

deshalb ausdrücklich der Berliner Polizei, deren Erfolg die positive Entwicklung unter anderem auch ist, danken.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wenn wir feststellen, dass der 1. Mai in diesem Jahr im Verhältnis zu dem, was wir in den vergangenen Jahren erleben mussten, vergleichsweise friedlich verlief, so gehört dazu auch, an gleicher Stelle vor falschen Schlüssen und Vorfreude zu warnen. Denn bei aller Genugtuung: Einen Grund zur Entwarnung gibt es aus meiner Sicht nicht. Hüten wir uns davor, so zu tun, als ob jetzt alles in Ordnung sei! Wer sich eine solche Position zu Eigen macht, der zeigt ein hohes Maß an Gewöhnung an eine immer noch nicht gewöhnliche Lage.

Ich habe bereits darauf hingewiesen: Ja, es gab wieder Ausschreitungen und Krawalle! Ja, es flogen wieder gezielt Steine und Flaschen auf Berliner Polizeibeamte! Ja, es gab wieder Festnahmen! Ja, es gab wieder zahlreiche Sachbeschädigungen! – Die Zahlen will ich Ihnen nicht vorenthalten: Es gab 107 Festnahmen, 65 verletzte Polizeibeamte, 21 Platzverweise und über 5 000 im Einsatz tätige Polizisten. In jedem anderen Bundesland, in jeder anderen Stadt wären auch diese Ereignisse des diesjährigen 1. Mai ein hohes sicherheitsspezifisches Politikum. Nur wir in Berlin – ich möchte mich dabei nicht ausnehmen – scheinen uns an Zustände gewöhnt zu haben, die, wenn man sie einmal in Ruhe betrachtet, ganz und gar nicht hinnehmbar sind.

Ja, es ist richtig, Herr Kollege Felgentreu, wir sind auf dem Weg zu einer Eindämmung der Mai-Krawalle ein ganz gehöriges Stück vorangekommen! Aber es bleibt noch viel zu tun, um einen wirklich friedlichen 1. Mai zu erreichen. Nach wie vor muss gelten: Jeder geworfene Stein, jeder verletzte Polizist ist einer zu viel.

Ein weiterer Grund, der uns im Übrigen daran hindern sollte, eine Entwarnung auszurufen, besteht in den in diesem Jahr hinzugekommenen Besonderheiten. Auch hier teile ich Ihre Einschätzung. In Rostock und Leipzig fanden Demonstrationen der rechtsextremen Szene statt. Diese veranlassten viele Angehörige der linken Szene, sich dieses Jahr mit ihren Aktivitäten auf diese Orte und nicht mehr wie bislang auf Berlin zu konzentrieren. Das war ein Glück für uns Berliner, und das war ein Glück für die Berliner Polizei, auf das man sich in der Zukunft nicht verlassen kann. Nächstes Jahr wird das voraussichtlich wieder anders sein, und diese „Entlastung“ für unsere Stadt wird entfallen. Wir werden dann sehen, mit welcher Lage und welcher Entwicklung wir umzugehen haben.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns gemeinsam wach bleiben und den Weg der Eindämmung von Krawallen mit aller Konsequenz weiter verfolgen und Initiativen stärken, die dabei hilfreich sind! Denn neben der sehr professionellen Arbeit der Berliner Polizei haben nach meiner Überzeugung auch andere Maßnahmen und Aktivitäten einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Lage geleistet. Zunächst ist die konsequente und harte Linie der Berliner Justiz im Umgang mit den Straftaten rund

um den 1. Mai der vergangenen Jahre zu nennen. Mit Interesse habe ich verschiedene Urteile zur Kenntnis genommen, in denen hohe Freiheitsstrafen gegen Gewalttäter aus der autonomen Szene verhängt wurden. Ein aus meiner Sicht falsches Verständnis und falsche Milde seitens der Justiz, wie in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder erlebt, gab es dieses Mal nicht. Das ist eine gute Entwicklung und ein überaus wichtiger Punkt.

Schließlich möchte ich das erfolgreiche Engagement der Berliner Bürger in ihren betroffenen Vierteln erwähnen. Mit Veranstaltungen und Festen haben sie sich – das ist bereits gesagt worden – ihren Kiez weitgehend zurückerobert. Eine Solidarisierung von Festteilnehmern mit Chaoten, Krawallmachern und Straftätern gab es nicht. Stattdessen hat man gemeinsam den Gewalttätern die Basis entzogen. Als es in der Nacht dann doch zu Krawallen kam, hielt man sich in Kreuzberg an die Verabredung, beendete die Festlichkeiten und ließ die Polizei ihre Arbeit machen. Dafür möchte ich von hier aus noch einmal meinen Respekt und meinen Dank an die Bürgerinnen und Bürger richten.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Fazit: Dieser 1. Mai war wieder ein Stück besser als im letzten Jahr. Er war, was die Problemlage betrifft, begünstigt auch durch externe Faktoren. Er war gekennzeichnet durch eine professionelle, hochmotivierte polizeiliche Arbeit, die sich – nicht erst in den letzten Jahren, Herr Kollege Felgentreu! – kontinuierlich in den letzten zehn Jahren, was Strategie und Taktik angeht, weiterentwickelt hat. Er war geprägt durch beispielhaftes Bürgerengagement. Ich glaube, wir alle haben feststellen müssen, dass die Krawallgeschichte des 1. Mai eine Entwicklung war und ist. Lassen Sie uns diese Entwicklung weiter wachsam verfolgen, und lassen Sie sie uns gemeinsam politisch begleiten! – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Das zweite Element, das vielleicht Wichtigere dieser innenpolitische Wende ist das konsequente Setzen auf die Deeskalation durch die Polizei. In einer Strategie, die Straftaten ahndet, aber Veranstaltungen schützt, hat die Polizei inzwischen eine souveräne Professionalität erreicht, zu der wir der Polizei, den Polizistinnen und Poli

zisten insbesondere, aber auch der Polizeiführung und dem Innensenator nur gratulieren können.

Dies hat zu einem Perspektivwechsel auf beiden Seiten geführt. In der Polizei hat man erfahren, dass Deeskalation in diesem Sinne funktioniert, dass sie funktionieren kann und dass sie von den Menschen positive Rückmeldungen erhält. Auf der anderen Seite erleben die Kreuzberger die Polizei als Partner und nicht mehr als Gegner. Menschen, die vor 2001 die Erfahrung gemacht haben, dass sie von der Polizei als Gegner und Störer wahrgenommen und auch so behandelt werden, wenn sie sich in SO 36 irgendwo auf der Straße aufhalten, sehen nunmehr in der Polizei einen Partner auch beim Schutz ihrer Feste.

Danke schön! – Für die Fraktion Linkspartei.PDS hat jetzt der Abgeordnete Herr Zillich das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der 1. Mai als Tag des Eintretens für soziale Gerechtigkeit und für Frieden ist politisiert worden. Die Offensive der Gewerkschaftsbewegung mit einer Kampagne für einen Mindestlohn ist richtig. Ja, von Arbeit muss man leben können! Ja, die Dumpingspirale, insbesondere im Bereich der niedrigen Einkommen, muss beendet werden! Deshalb benötigen wir einen gesetzlichen Mindestlohn, das ist wirtschaftspolitisch vernünftig und auch ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Die Bilanz des 1. Mai kann sich in der Tat sehen lassen. Es war der friedlichste 1. Mai seit vielen Jahren. Es gab weniger Verletzte, es gab weniger Festnahmen, weniger Polizisten waren im Einsatz. Alle angemeldeten Versammlungen verliefen störungsfrei. Das Wichtigste für den 1. Mai in Kreuzberg war jedoch: Die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger, die Berlinerinnen und Berliner, haben diesen Tag für sich wiedergewonnen. Sie fliehen nicht mehr, sie gehen hin. Sie verbarrikadieren sich nicht mehr, sie nehmen das Myfest als ihr Fest an. Sie blicken nicht mehr mit Angst auf diesen Tag, sie gestalten mit. Ja, es ist gelungen, die Spirale entpolitisierter Gewalt am 1. Mai zu durchbrechen!

Ich will daran erinnern, wie sehr sich der 1. Mai 2006 vom 1. Mai im Jahr 2001 in Kreuzberg unterscheidet. Damals gab es Demonstrationsverbote, die Polizei stürmte Feste, es gab ausufernde Straßenschlachten, Hunderte Menschen wurden in Polizeikesseln festgehalten, und es gab Randale von Jugendlichen, die in der Erfahrung aufgewachsen waren, dass so etwas in Kreuzberg am 1. Mai dazugehört. Ich frage Sie: Wer hätte nach dem 1. Mai 2001 gedacht, dass wir heute da stehen, wo wir stehen? – Ich bin ehrlich: Ich habe diese Hoffnung nicht gehabt.

Dieser Erfolg hat viele Eltern, er hat vor allen Dingen zwei Voraussetzungen. Die erste ist, dass es eine grundlegende Umkehr in der Berliner Innenpolitik gab. Sie hat zwei Elemente: Das erste ist, dass es eine Abkehr von einer Strategie, einer Politik der Demonstrationsverbote gegeben hat. Ein bewusstes Hinwenden fand statt: Ja, das Demonstrationsrecht gilt auch am 1. Mai! Auch hier gehören Politik und Protest zu diesem Tag. Es war mit einem, wenn auch langsamem Aufräumen des Mythos verbunden, dass Gewalt in den Vorjahren immer von den politischen Veranstaltungen ausgegangen ist.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Es gab einen Mentalitätswechsel in dieser Stadt. War Berlin lange dafür bekannt, dass es hier innenpolitische Hau-Draufs und rücksichtslose Polizeistrategie gibt, so ist es nunmehr für professionelle und erfolgreiche Deeskalation bekannt. Das ist gut für die Menschen in dieser Stadt und auch gut für das Ansehen Berlins.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die zweite und wichtigste Bedingung für den Erfolg liegt im Engagement der vielen Initiativen, Vereine und Anwohner für den 1. Mai in Kreuzberg. Deswegen ist der Erfolg für die Stadt vor allem ein Erfolg der Kreuzberger. Ihnen gilt zuallererst der Dank und der Respekt. Ein Element ist zunächst die Initiative der Bürgermeisterin Cornelia Reinauer. Sie hat zu einem Zeitpunkt, als kaum jemand politisch an das Problem heranwollte, als kaum jemand glaubte, man könne diese Gewaltspirale tatsächlich erfolgreich durchbrechen, als kaum jemand dafür die politische Verantwortung übernehmen wollte, das Risiko und die Verantwortung übernommen und die Initiative ergriffen.

Im Nachhinein hat ein solcher Erfolg immer viele Eltern. Es gerät in Vergessenheit, wie allein gerade Cornelia Reinauer am Anfang mit dieser Initiative war. Aber natürlich hätte das alles nicht ohne die vielen Vereine und Anwohnerinitiativen funktionieren können, die diese Initiative, das Projekt Myfest, getragen haben. Ihr Engagement macht den Erfolg aus. Dafür gebührt ihnen unserer Dank.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Von besonderer Bedeutung ist hier das Engagement der Migrantenorganisationen, der gesamten MigrantenCommunity. Diesem Engagement ist es sicherlich auch zu verdanken, dass wir in diesem Jahr eine Entwicklung haben, dass unter den Festgenommenen, den Gewalttätigen weniger jugendliche Migranten als in den Vorjahren waren.

Der Erfolg von Myfest ist ein Beispiel dafür, wie Integrationspolitik funktionieren kann. Ich sage hier deutlich: Mit markigen Worten von gescheiterter Integration, mit ausgrenzenden Schuldzuweisungen über mangelnde

Danke schön! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt der Abgeordnete Herr Ratzmann das Wort. – Bitte sehr!

Integrationsbereitschaft, mit einer Rhetorik, die den Eindruck erweckt, hier würde zwischen Menschen, die schon immer hier leben, und solchen, die nicht hinzugehören, unterschieden, wäre dieser Erfolg niemals zu erreichen gewesen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Nein! Dieser Erfolg konnte dadurch erreicht werden, dass ein Klima, eine Stimmung geschaffen wurde, in der Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, in ihrer Vielfalt gemeinsam ein Problem in Angriff genommen haben. Vielfalt, das war die Chance des Projektes Myfest.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es geht hier nicht darum, politischen Protest in Bier- und Bratwurstdunst zu ersticken. Durch die Durchbrechung der Gewaltspirale ist die Voraussetzung dafür geschaffen worden, dass politische Inhalte wieder gehört werden können. Das hat Professor Grottian im Jahr 2002 erkannt. Wenn die radikale Linke nun neue Formen wählt, um ihre politischen Anliegen zu verfechten, und damit aus den entpolitisierten Ritualen ausbricht, ist das im Sinne einer Politisierung des 1. Mai zu begrüßen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Zum ersten Mal wurde auch in der Vorberichterstattung in diesem Jahr ein Ritual durchbrochen. Zum ersten Mal erinnerte man sich in der medialen Vorberichterstattung an die Veränderungen, die es an diesem Tag gegeben hat, und beschwor nicht wieder den 1. Mai als Randaletag herauf. Eine Ausnahme bildete lediglich die „BZ“, die uns wieder einmal den schlimmsten 1. Mai seit Jahren prophezeite. Sie behielt damit Unrecht. Das ist durchaus gut so.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]