Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

Das Argument, wir bekämen in Berlin durch die Verfassungsänderung nun endlich einen richtigen Regierungschef, überzeugt mich auch nicht. Wir haben mit der alten Berliner Verfassung über vierzig und fünfzig Jahre Regierende Bürgermeister wie Ernst Reuter, Willy Brandt, Klaus Schütz und Richard von Weizsäcker in der Stadt gehabt. Sie haben mit dieser Verfassung regiert, und es ist wohl niemandem in den Sinn gekommen, dass sie die Politik des Senats nicht nachdrücklich geprägt hätten. Es hat ihrer Autorität nie geschadet, dass ihre Senatoren einzeln gewählt werden mussten.

Die Berliner Verfassung hat in der alten Form über lange und auch viel schwierigere Jahre hinweg die Politik getragen. Es ist gut für die Entwicklung einer Verfassungskultur, wenn eine Verfassung nicht stets neu dem Zeitgeist angepasst wird. Die Berliner Verfassung ist auch Ausdruck der Vielgestaltigkeit unseres Föderalismus. Ich möchte nicht, dass unser Föderalismus eines Tages nur noch uniforme Landesverfassungen kennt, in denen alles gleich geregelt ist. Deshalb wäre es gut gewesen, wir hätten an unserer alten Verfassung festgehalten.

[Ritzmann (FDP): Da sind wir doch schon!]

Ich hoffe, es kommt nicht dazu, dass durch Volksabstimmungen diese Gesamtverantwortung bei der Behandlung politischer Fragen aus dem Blick gerät.

Würden Sie bitte zum Abschluss kommen!

Zum Abschluss, Herr Präsident: Bismarck sagte, Verfassungen sollten kurz und dunkel sein. Ich bin der gegenteiligen Auffassung: Sie sollen kurz und klar sein. Ich glaube nicht, dass diese Verfassungsänderung zu größerer Klarheit beigetragen hat, deswegen war es mir nicht möglich, ihr zuzustimmen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Danke schön, Herr Kollege Hahn!

Ich rufe auf als Priorität der Fraktion der Grünen unter der

lfd. Nr. 4 a:

Antrag

Internationales Berlin – vielfältig und integrativ

Antrag der CDU Drs 15/5114

in Verbindung mit

Antrag

Berlin kann mehr: neue Wege in der Berliner Integrationspolitik III – Welcome-Center in Berlin einrichten, Integrationslotsen einsetzen

Antrag der CDU Drs 15/5116

Das ist der Tagesordnungspunkt 45 in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 47. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 5 Minuten zur Verfügung. Für die Fraktion der Grünen hat sich Frau Villbrandt gemeldet und erhält das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Während alle Welt über Berliner Integrationspolitik diskutiert, schweigen sowohl der Regierende Bürgermeister als auch der CDU-Spitzenkandidat. Berlin macht Schlagzeilen, aber leider mit Problemen und nicht mit Problemlösungen.

Was sagt der Regierende Bürgermeister zu den überforderten Grundschulen und der Gewalt an den Hauptschulen? Bildung und Integration sind schließlich die Zukunftsthemen für Berlin. Was sagen der Bürgermeister und sein Herausforderer von der CDU zur drohenden Abschiebung der gut integrierten Familie Aydin? – Sie schweigen, weil sie keine Antwort haben, weil ihnen die Vision von einer Einwanderungsstadt Berlin fehlt.

[Beifall bei den Grünen]

Für den rot-roten Senat ist Integrationspolitik jedenfalls kein zentrales Anliegen. Das Thema scheint im Senat niemanden sonderlich zu interessieren. Wozu hat man schließlich einen Integrationsbeauftragten? Woanders hat man aber die Zeichen der Zeit längst erkannt. In Stuttgart wurden Immigration und Integration als wichtige Standortfaktoren zur Chefsache erklärt. Denn es ist klar, dass das Ansehen der Stadt in der Welt maßgeblich dadurch geprägt wird, wie sie mit der Welt umgeht. NRW hat einen Integrationsminister, und die Kanzlerin hat sich das Thema zu eigen gemacht. Sie will einen nationalen Integrationsgipfel einberufen und einen nationalen Aktionsplan erarbeiten.

Berlin ist die Einwanderungsstadt Deutschlands. Wir Grüne wollen, dass Berlin zur Modellstadt für gute Integrationspolitik wird.

[Beifall bei den Grünen]

Integration muss gelingen. Berlin kann sich keine Entwicklung leisten, in der soziale Probleme ethnisch überlagert und verfestigt werden, in der kulturelle Vielfalt nur als Belastung empfunden wird. Die Stadt braucht endlich auch ein Leitbild – Internationales Berlin – vielfältig und integrativ – und muss Maßnahmen zu dessen Umsetzung ergreifen. Viel Papier hat die rot-rote Koalition dazu beschrieben. Vieles davon ist auch nicht falsch, aber es bewegt nichts. Das muss sich ändern. Dafür wollen wir mit unserem Antrag die Weichen stellen.

Bildung ist der zentrale Schlüssel für gute Integration. Es geht darum, Sprachfähigkeiten schon vor der Einschulung zu verbessern, die Integration in der Schule voranzutreiben, die jungen Migrantinnen und Migranten beim Berufseinstieg zu unterstützen. Es geht aber auch darum, den öffentlichen Dienst für die Herausforderungen der Einwanderungsstadt fit zu machen. Der öffentliche Dienst braucht die Kompetenzen der Migranten.

Integration muss in Berlin Chefsache werden. Der Regierende Bürgermeister selbst muss den Leitbildprozess in die Hand nehmen. Es muss klar werden, dass nicht nur der Bau des Flughafens für die Stadt wichtig ist.

[Beifall bei den Grünen]

Wir brauchen eine kompetente Integrationsverwaltung. Die Ausländerbehörde gehört in ihrer derzeitigen Form abgeschafft. Dass sie nicht reformierbar ist, hat dankenswerterweise die Linkspartei erarbeiten lassen. Der zentrale Moloch muss wohnortnahen und kundenorientierten Büros in den Bezirken weichen. Die können dann auch gern Willkommenszentren heißen. Aber, anders als in Hamburg, sollten dort nicht nur erlesene Edelausländer respektvoll bedient werden, sondern alle.

Diese Einrichtungen gehören nicht länger in die Hand des Innensenators, der nur in sicherheitspolitischen Kategorien wie Kontrolle und Abschiebung denkt und handelt.

[Dietmann (CDU): Quatsch!]

Die jüngsten Härtefälle haben dies gezeigt. Das schreckt ab und beschädigt das Ansehen Berlins als weltoffene Stadt.

Zu den Grundwerten unserer Verfassung, liebe CDU, gehört auch die Religionsfreiheit. Sie fordern zu Recht, dass Einwanderer die Religionsfreiheit achten, zugleich mobilisieren Sie aber gegen einen Moscheebau. Sie wettern gegen Extremismus und stoßen gleichzeitig ins Horn der Rechtsextremen.

[Zimmer (CDU): Unglaubliche Verleumdung!]

Sie wollen hier hoch qualifizierte Einwanderer haben, aber qualifizierte und integrierte Flüchtlinge wollen Sie abschieben. Sie geißeln die Unterdrückung von Frauen und haben zu konkreten Maßnahmen gegen Zwangsheiraten überhaupt nichts beigetragen. Sie fordern Integrationslotsen und beschimpfen diejenigen, die eine solche Arbeit schon längst machen, als Sozialträumer und Ähnliches.

Würden Sie bitte zum Schluss kommen, Frau Kollegin?

So kann man keine glaubwürdige Integrationspolitik machen. Da muss schon mehr kommen als ein paar mickrige Anträge und die üblichen Angriffe gegen Multikulti. Das will nur keiner mehr hören: Berlin braucht überzeugende Problemlösungen. – Danke für das Zuhören!

[Beifall bei den Grünen]

Merkwürdig fand ich Ihr Programm zur Rückkehr – genauer: ein abschließendes Rückkehrprogramm. Was soll das heißen? – Das ist Realitätsverweigerung pur.

Oder glauben Sie tatsächlich, dass Sie mit einem abschließenden Programm die Migrationsprobleme dieser Welt lösen können? – Ich meine, die CDU sollte noch einmal gründlich nachdenken und überlegen, ob das ein richtiger Ansatz sein kann.

Was legen uns die Grünen heute vor? – Ihr Antrag hat mich doch sehr verwundert. Zum einen enthält er eine Zusammenstellung von Maßnahmen, die man auch im Integrationspapier des Senats nachlesen kann. Es wird nur jeweils dazu gesagt, dass dort noch etwas mehr gemacht werden sollte. Das mag für eine Oppositionsfraktion legitim sein, aber mindestens zwei Drittel dieses Antrags sind nicht neu.

Danke schön, Frau Kollegin! – Für die Fraktion der SPD hat nun der Kollege Kleineidam das Wort. – Bitte schön, Herr Kleineidam!

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Frau Villbrandt hat gerade ausgeführt: Die Stadt braucht in der Integrationspolitik eine Vision, und das ist sicher richtig. Der Senat hat bereits im letzten Jahr ein klares Leitbild formuliert: Vielfalt fördern, Zusammenhalt stärken.

Bei den Grünen heißt das jetzt: Internationales Berlin – vielfältig und integrativ. Wo der neue Ansatz ist, hat sich mir auch nach Ihrer Rede nicht erschlossen. Ich glaube sogar, dass die Formulierung des Senats deutlich besser ist, weil sie zum Ausdruck bringt, dass gehandelt werden muss. Es ist keine Zustandsbeschreibung – vielfältig und integrativ –, sondern es wird gesagt, dass etwas gefördert, gestärkt werden muss und dass es Handlungsbedarf gibt. Das ist der richtige Ansatz.

[Beifall bei der SPD]

Nachdem der Senat im letzten Jahr ein Integrationskonzept vorgelegt hat, haben sich auch die Grünen und die CDU Anfang dieses Jahres mit dem Thema auseinander gesetzt. Im März konnten wir von den Grünen 15 Vorschläge für die Integrationspolitik in der Öffentlichkeit wahrnehmen. Das war drei Tage nachdem der Kandidat Pflüger seinen Beitrag zur Integrationspolitik veröffentlicht hatte.

[Zurufe von den Grünen]

Nun haben wir aus beiden Papieren Anträge erarbeitet und zur Beratung vorgelegt bekommen. Die CDU ist allerdings so freundlich, uns die Vorschläge von Herrn Pflüger nur in kleinen Häppchen zu servieren. Heute gab es den dritten Happen. Ob die dadurch verdaulicher werden, weiß ich allerdings nicht. Neu ist jedoch die Art der Präsentation. Um die Grundsätze der Pflügerschen Integrationspolitik zu verbreiten, hat die CDU auf das alte Mittel der Gebetsmühle zurückgegriffen und in jedem Antrag – zum Glück haben wir heute Textbausteine – kommt der gleiche Text immer wieder. Wie gesagt: heute zum dritten Mal! Ob das dem Inhalt dienlich ist, wage ich zu bezweifeln.

Eines möchte ich ausdrücklich feststellen: Was mir an dem Integrationspapier der CDU imponiert hat, war die Formulierung, dass die Grenze nicht zwischen Deutschen und Ausländern, sondern zwischen rechtschaffenen Bürgern einerseits und Kriminellen und Extremisten andererseits verläuft. Wie man dann aber im gleichen Papier sagen kann: „Wir leben in Deutschland, die anderen sind gekommen.“ – also eine Formulierung gebraucht, die nur spaltet, statt Menschen zusammenzuführen –, das verstehe ich nicht.

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen]

Was hat uns die CDU konkret vorgelegt? – Dazu hörten wir: Imam-Ausbildung in Berlin, Aufenthaltsbeendi

gung und Rückkehr in das Heimatland – guter Integrationsansatz – und ein Welcome-Center. – Können Sie nicht wenigstens „Willkommenscenter“ sagen, damit man auch weiß, in welchem Land man angekommen ist?