Protokoll der Sitzung vom 31.08.2006

in Verbindung mit

Dringlicher Antrag

... und „tschüss“ Straßenausbaubeitragsgesetz!

Antrag der FDP Drs 15/5509

Ich eröffne die I. Lesung. Es liegen Wortmeldungen vor. Der Kollege Czaja brennt schon darauf, für die CDUFraktion zu uns zu sprechen. Er erhält das Wort. – Bitte schön!

[Zuruf von der Linkspartei.PDS: Prof. Dr. Czaja!]

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Straßenausbaubeitragsgesetz muss so schnell wie möglich abgeschafft werden.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Damit kommen wir gleich zu den drei Unwahrheiten, die von der Regierungsseite immer gebracht werden. Ich beginne mit der ersten: Alle Länder hätten ein Straßenausbaubeitragsgesetz. – Die meisten Länder haben ein kommunales Gebühren- und Abgabengesetz. Gehen wir ein

mal in das Bundesland Hessen. Da gibt es ein kommunales Gebühren- und Abgabengesetz. Dort haben fast alle Gemeinden und Städte kommunale Ortssatzungen bis auf Frankfurt am Main. Frankfurt am Main erhebt keine Straßenausbaubeiträge. Wieso? – Weil Frankfurt am Main die höchste Grundsteuer im Bundesland Hessen nimmt. Wie hoch ist die Grundsteuer? – Halb so hoch wie in Berlin. Deswegen braucht Berlin kein Straßenausbaubeitragsgesetz.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir haben einem Schreiben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 12. Oktober an die Bezirksstadträte entnommen, dass man damit rechnet, dass pro Bezirk zwei Mitarbeiter vorzusehen sind, die vier bis fünf Ausbaumaßnahmen im Jahr abrechnen. Wir haben einmal ausgerechnet, was in den letzten drei Jahren an Straßenbaumaßnahmen im Bezirk Köpenick gemacht worden sind, die für Ausbaubeiträge relevant sind. Wenn die Praxis in der Weise umgesetzt wird, wie das Gesetz es vorsieht, kommen wir auf durchschnittlich 560 000 € Einnahmen pro Jahr. Wenn wir die fünf Personalstellen berücksichtigen und die Kosten- und Leistungsrechnung anwenden, kommen wir auf einen Personalaufwand von 470 000 € pro Jahr.

D. h., so Ulbricht – ein Sozialdemokrat, der für dieses Gesetz stand – weiter:

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Dr. Ulbricht! Er hat studiert!]

Rund 80 % der Einnahmen werden für die Finanzierung der Verwaltung und die Umsetzung benötigt. Wir denken, dass dieses, wenn das eine belastbare Berechnung ist, im Wesentlichen dazu dienen wird, Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu sichern, aber für Karlsruhe käme an dieser Stelle nicht allzu viel heraus.

Das sagte Herr Ulbricht, der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick und ein Befürworter dieses Gesetzes. Er hat Recht. Wir brauchen kein Straßenausbaubeitragsgesetz. Es führt nicht zu Einnahmen. Im Gegenteil! Wenn ich in einem Jahr keine Straßenausbaubeiträge erhebe, was in Köpenick in den letzten vier Jahren der Fall war, würde man mehr Geld für die Verwaltung ausgeben, als man für den Straßenausbau einnähme. Auch das zeigt, dass Berlin kein Straßenausbaubeitragsgesetz braucht.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Eine dritte Behauptung: Es wird immer gesagt, man habe keine Alternativen. Ich habe meine Unterlagen nach Anträgen der verschiedenen Fraktionen durchsucht und

Der Motor ist nicht geschmiert, der Wahlkampfmotor läuft heiß, er bleibt stehen, vielleicht bei 19,8 %.

Herr Lindner! Ich weiß, dass auch Sie hilfreich versuchen, mit jedem Thema im Wahlkampf Punkte zu machen. Aber so primitiv zu sein und zwei Tage vor dem letzten Plenum einen Antrag einzubringen, um in I. Lesung ein Gesetz zu ändern und sich dabei auf ein Gerichtsurteil aus dem Juli zu beziehen, das kann man nur so verstehen, dass Sie das Gerichtsurteil nicht verstanden hätten. Das ist doch alles so durchsichtig. Ich glaube nicht, dass Sie mit dieser Argumentation irgendjemanden erreichen. Das ist Wahlkampf in seiner primitivsten Form, bei dem den Menschen Angst gemacht werden soll. Mit dieser Angst versuchen Sie, Stimmen zu bekommen.

eine gemeinsame Presseerklärung von Grundstücksnutzerverbänden und der CDU vom 6. Mai 1999 gefunden. Es geht um das Modellprojekt „Siedlungsentwicklung von unten“. Es sieht vor, dass sich Anwohner in Straßenversammlungen zusammentun, dass mit dem Bezirksamt über Standards abgestimmt wird, dass es Rahmenvereinbarungen für Eigenregie und Muskelhypothek gibt, dass die Kommune und die Anleger einen Fonds bilden und dass dann eine Ausschreibung, eine gemeinsame Baubegleitung und eine gemeinsame Abrechnung erfolgen. Dann habe ich noch einen gleichen Antrag der PDSFraktion vom 23. September 1999 gefunden. Sie kennen ihn vielleicht noch. Damals haben ihn Carola Freundl, Harald Wolf und Stefan Liebich unterschieben. Da steht:

Berlin braucht kein Straßenausbaubeitragsgesetz, sondern Berlin braucht Siedlungsentwicklung von unten.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Wer hat dagegen gestimmt?]

Unser Konzept war damals Bestandteil des Regierungshandelns. Wir sind in der Koalition mit den Sozialdemokraten nicht umgefallen.

Ein solches Gesetz muss wieder abgeschafft werden. Deswegen bringen wir heute diese Gesetzesinitiative ein. Berlin braucht kein Straßenausbaubeitragsgesetz, sondern niedrige Standards. Dies wollen wir den Berlinerinnen und Berlinern noch einmal mit auf den Weg geben. Sollten Sie das naturgemäß ablehnen, werden wir es nach der Wahl sofort wieder einbringen, weil es Programmatik der Union in Fraktion und Partei ist. Wir brauchen kein Straßenausbaubeitragsgesetz.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?

Bitte schön, Herr Liebich!

Ich erinnere mich noch sehr gut an unseren Antrag. Damals regierte die große Koalition. Wie ging diese mit unserem Antrag um?

Die große Koalition hatte Ihren Antrag bereits zur Beschlussfassung und zur eigenen Programmatik entwickelt, wie ich es eben darstellte. Sie haben damals lediglich unseren Antrag abgeschrieben, weswegen man darüber nicht abstimmen brauchte. Das Thema wurde im Ausschuss behandelt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Czaja! – Für die Fraktion der SPD hat nun der Kollege Radebold das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kalter Kaffee kann noch so oft gerührt

werden, es wird nicht dazu führen, dass Hitze entsteht. Ganz im Gegensatz zu dem Slogan, mit dem Sie, Herr Czaja, den Wahlkampf führen und gemeinsam auftreten mit dem VDGN und anderen.

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Rubbeln macht Laune!]

Ja, aber ich glaube, dass den Kollegen die Probleme der Entrophie und der Wärmetheorie bei diesem Slogan noch nicht deutlich geworden sind. Herr Czaja, wenn Sie glauben, dass Reibung Wärme erzeugt, bedeutet das, dass der Motor nicht geschmiert ist. Wissen Sie, was das bedeutet? – Der Motor läuft heiß. Er kommt zum Stillstand.

[Pewestorff (Linkspartei.PDS): Der Kollege Czaja hat voll versagt!]

Da schätzen Sie die Situation der CDU in diesem Wahlkampf völlig richtig ein.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

[Dr. Lindner (FDP): Solange die SPD geschmiert ist, ist ja alles in Ordnung!]

Wenn es dann nicht reicht, wird auch noch einmal gelogen. Nicht wahr, Herr Czaja, wenn Sie nämlich von einem „Bescheid“ sprechen. Es gibt nicht einen einzigen Bescheid zum Straßenausbaubeitragsgesetz,

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Doering (Linkspartei.PDS)]

weil wir die demokratischen Beteiligungshürden so hoch gehängt haben

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

jawohl Herr Niedergesäß –. Wir erwarten, dass die Verwaltungen die Bürger in angemessener Weise einbeziehen. Heute haben mich Bürger angesprochen, die unser Plenum von den Zuhörertribünen aus verfolgt haben. Diese Bürger werden durch diese bewussten Falschdarstellungen verunsichert. Sie schaden damit der Demokratie insgesamt. Sie werden keinen Honig saugen aus dieser oberflächlichen Nummer, Herr Czaja. Sie wissen doch ganz genau: Am 21. August raffen Sie sich auf, um eine I. Lesung zu einem Gesetz durchzuführen, zu dem es niemals eine Sondersitzung des Parlaments geben wird. Das bedeutet, dass das Gesetz in dieser Legislaturperiode gar nicht mehr abgeschafft werden kann. Deshalb kommt

mir der Verdacht, dass Sie das nur als Schaumschlägerei betreiben.

[Rabbach (CDU): Herr Radebold! Die Leute merken, wie gut wir sind!]

Na ja, die Umfragen, sehr verehrter Kollege von der CDU, wenn Sie die als erfreulich betrachten, dann kann mir das für eine große Volkspartei schon fast leidtun. Ich sage Ihnen: Wenn Sie diese primitive Nummer weiter verfolgen, werden Sie bei den Bürgern nicht glaubwürdiger. Auch langfristig wird Ihnen das nicht helfen.

[Beifall bei der SPD]

Ich kenne auch keine Bemühungen Ihres Spitzenkandidaten, in seinem Bundesland dafür zu sorgen, dass dort das Straßenausbaubeitragsgesetz abgeschafft wird. Oder kennen Sie von der CDU aus irgendeinem anderen Bundesland Bemühungen, dieses Gesetz zurückzunehmen? Oder auch Ihr Beispiel Frankfurt/Main: Sie wissen doch, dass die Kommunalaufsicht gegen die Stadt Frankfurt/Main vorgeht, weil sie das nicht umsetzt. Weshalb verschweigen Sie das in Ihrer Rede?

Herr Kollege Radebold! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niedergesäß?