Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Herzlichen Dank, Herr Regierender Bürgermeister! – Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Pflüger für eine persönliche Bemerkung.

[Zuruf von links: Nichts zum Inhalt!]

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe die Aufregung beim Regierenden Bürgermeister. Ich verstehe, dass die Nerven blank liegen. Denn die große Mehrheit aller Kommentatoren teilt ausdrücklich nicht seine Meinung.

[Beifall bei der CDU]

Aber warum ich mich zu Wort gemeldet habe, ist: Warum ist es eigentlich notwendig, – –

Herr Dr. Pflüger! Sie müssen nach § 65 auf die persönliche Bemerkung eingehen!

Ich weiß, dass Sie sich eben mit Herrn Gaebler beraten haben, wie Sie versuchen können, mich zu unterbrechen, Frau Präsidentin.

[Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Frechheit! Halten Sie sich an die Geschäftsordnung!]

Ich will nur sagen, die beiden Dinge, auf die ich mich persönlich beziehen möchte, sind: Herr Regierender Bürgermeister, ich verstehe völlig, dass Sie Risiken ausschließen wollen. Sie haben von uns vorhin schon das Wort erhalten, dass wir das alle wollen. Niemand will, dass BBI infrage gestellt wird.

[Christian Gaebler (SPD): Sie missachten die Geschäftsordnung!]

Aber Sie dürfen und sollten nicht in einer solchen Debatte diejenigen, die anderer Meinung sind, als Klippschüler bezeichnen oder von einer Bananenrepublik sprechen. Das ist ein Stil, den wir hier in diesem Haus nicht einreißen lassen sollten.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

In dem Gutachten heißt es:

Unterhalb der luftverkehrsrechtlichen Qualifizierung als Verkehrsflughafen kommt der Weiterbetrieb von Tempelhof – –

Herr Dr. Pflüger! § 65 sagt aus, Sie dürfen nur persönliche Angriffe zurückweisen

[Zuruf von der FDP: Hat er doch!]

oder eigene Ausführungen berichtigen. Sie geben jetzt einen neuen Debattenbeitrag.

Aber, darf ich mal sagen, ein persönlicher Angriff hat vorgelegen. Hier ist der Eindruck vermittelt worden, hier gebe es die Meinung von Herrn Wowereit und sonst nur von juristischen Klippschülern. – Ich will einfach sagen: In dem Gutachten, das nicht ein CDU-Gutachten ist, sondern das von der Bundesregierung bestellt wird, heißt es, dass Tempelhof offen gehalten werden kann – wortwörtlich. Sind das Klippschüler, Herr Wowereit? Ist der IHKPräsident ein Klippschüler? Sind Herr Schweitzer und die Verfasser des Gutachtens der Bahn AG Klippschüler? Diese Art von Debatte verbitten wir uns. Wir sollten sachlicher über Tempelhof reden und über die Chancen, die wir gemeinsam zum Wohl dieser Stadt ergreifen wollen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden. Ich lasse nun über den Antrag von SPD und Linksfraktion Drucksache

16/0443 abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das sind die Koalition und die Grünen. Die Gegenprobe! – Das sind CDU und FDP. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4 a:

I. Lesung

Gesetz zur Normierung des Jugendstrafvollzugs

Antrag der Grünen Drs 16/0436

Ich eröffne die I. Lesung. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der Grünen. Das Wort hat der Abgeordnete Ratzmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So emotional wie die Debatte um Tempelhof wird die Debatte um den Jugendstrafvollzug sicherlich nicht geführt,

[Andreas Gram (CDU): Abwarten!]

aber wenn man sich die Debatten der letzten Monate anschaut, ist – neben dem Thema Flughafen Tempelhof, Bildung, Klimawandel – die Frage, wie gehen wir mit Jugendlichen um, die gewalttätig sind, die Straftaten verüben, die sich schwer oder schlecht einordnen lassen, eine der Debatten, die die Berlinerinnen und Berliner wahrscheinlich noch am meisten interessiert.

Wir hören zunehmend – gerade neulich wieder im Innenausschuss – von Waffeneinsatz bei Schlägereien, von Amokläufen oder, just heute wieder in der Zeitung, von gewalttätigen Jugendlichen, die sich in der Schule mit ihren Lehrern nicht mehr verbal, sondern körperlich auseinandersetzen. Ritualmäßig erfolgt dann der Ruf nach mehr und schnelleren Strafen, und dieser Ruf ist auch gehört worden – seit Jahren haben wir das erste Mal die Situation, dass die Jugendstrafanstalt in Berlin überbelegt ist. Ich will keinen Zweifel daran lassen: Es gibt Jugendliche, die wir – weil sie kriminell geworden sind, weil sie Straftaten begangen haben – aus dem Verkehr ziehen müssen, die wir auch in Jugendstrafanstalten unterbringen müssen. Mit dem Gesetz, das wir jetzt diskutieren, müssen wir aber einen Schritt über das hinaus gehen, was üblicherweise passiert – nämlich nach schnelleren Strafen zu schreien. Vielmehr müssen wir prüfen, was mit den Jugendlichen passiert, die wir in die Knäste stecken. Die Ereignisse in Siegburg haben die ganze Republik etwas aufgerüttelt: Dort waren Jugendliche im Knast allein gelassen worden und haben sich gegenseitig Schaden zugefügt. Gerade heute haben wir gehört, dass es – nicht gerade im Jugendknast, aber in Tegel – wieder zu Übergriffen gekommen ist. Die Frage ist dabei, wie der Jugendstrafvollzug eigentlich mit den Jugendlichen umgeht, was im Knast mit den Jugendlichen passiert, wie wirksam das

Mittel ist, das wir damit einsetzen und das wir den Jugendlichen angedeihen lassen wollen.

Die Untersuchungen zu Rückfallquoten, zu der Frage also, wie effektiv der Jugendknast arbeitet, sind erschreckend: Das Bundesjustizministerium hatte eine Untersuchung in Auftrag gegeben, deren Ergebnis lautet: Frau Zypries hat bis zu 78 Prozent Rückfallquoten! Wenn man das an einen normalen Betrieb anlegen würde – zu 78 Prozent an der Aufgabe, an der Qualität vorbei –, dann würde man den Betrieb sofort schließen. Das kommt bei einem Jugendknast natürlich niemanden in den Sinn. Vielmehr müssen wir daran arbeiten, den Jugendknast effektiver zu machen und den Erziehungsgedanken wirksam werden zu lassen.

[Beifall bei den Grünen]

Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr zu der Frage Jugendstrafvollzug entschieden und uns einige klare Maßstäbe mit auf den Weg gegeben, wenn wir als Gesetzgeber jetzt tätig werden und ein Jugendstrafvollzugsgesetz erlassen. Es hat gesagt: Die Erziehung steht im Mittelpunkt, wir müssen die besondere Entwicklung von Jugendlichen und das Stadium der Einflussnahme in den Mittelpunkt stellen. Es hat gesagt, dass der Staat verpflichtet ist, eine ausreichende Ausstattung, genug Finanz-, Personal- und Sachmittel zur Verfügung zu stellen, und dass bis zum 31. Dezember 2007 ein Jugendstrafvollzugsgesetz auf den Weg gebracht werden muss. Für das Land Berlin, das nach der Föderalismuskommission und den Veränderungen für die Gesetzgebung zuständig ist, heißt das: Wir müssen langsam mal in die Gänge kommen! Wir haben bald Mai und damit noch sieben Monate Zeit für ein Gesetz, das man nicht so schnell durchs Parlament kriegt!

Unserer Ansicht nach bleibt der Gesetzentwurf, der als Referentenentwurf bekannt ist, wesentlich hinter den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zurück. Es geht bei Ihnen nicht in erster Linie um Erziehung: Sie wollen beispielsweise, dass die Jugendlichen Uniform tragen, Sie sprechen davon, dass Schusswaffen im Zusammenhang mit Jugendstrafvollzug eingesetzt werden – das alles entspricht nicht dem Geist, den das Bundesverfassungsgericht in den Mittelpunkt seiner Entscheidung gestellt hat.

Frau von der Aue! Es geht jetzt darum, in die Gänge zu kommen und Justizpolitik wirklich zu gestalten. Berliner Justizpolitik erschöpft sich nicht darin, einen Medikamentenskandal aufzuklären. Wir wissen alle, dass Sie die Arbeit einer Rechnungshofpräsidentin gut gemacht haben, und wir wissen auch, dass Sie eine ganze Heerschar von Brandenburger Kontrolleuren nach Berlin mobilisieren können, um das zu untersuchen. Was wir jetzt sehen wollen, ist eine Berliner Justizsenatorin, das heißt, Sie müssen endlich damit anfangen, in diesem Gebiet zu gestalten. Hier haben wir bisher noch nichts von Ihnen gesehen, und dieser Zustand ist nicht länger hinnehmbar!

[Beifall bei den Grünen]

Sie haben die ganze Berliner Justiz mit der Entlassung des Staatssekretärs Flügge in Aufruhr versetzt, von der Anwaltschaft bis zur Richterschaft, und scheinbar wollen Sie jetzt als Gegenmittel Winterschlaf verordnen. Das kann es nicht sein! Sie müssen jetzt in diesen Bereichen in die Gänge kommen, Sie müssen ein Gesetz auf den Weg bringen, und da zeigt sich wieder mal, dass gegen den Regierungswinterschlaf nur eins hilft, nämlich der Oppositionsfrühling. Den haben wir im Bereich des Jugendstrafvollzuggesetzes eingeläutet, indem wir einen eigenen Entwurf auf den Weg gebracht haben.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Kollege Ratzmann! Ich erinnere Sie an Ihre Redezeit!

Ich weiß, sie ist zu Ende. – Wir wollen uns an dem orientieren, was das Bundesverfassungsgericht auf den Weg gebracht hat. Wir wollen vor allen Dingen Jugendhilfe, und wir wollen das, was im Knast mit den Jugendlichen passiert, besser und mehr miteinander verzahnen. Wir wollen den Senat dazu zwingen, Farbe zu bekennen, wie er sich die personelle Ausstattung des Knasts vorstellt – das ist der Dreh- und Angelpunkt, und deshalb soll es im Gesetz eine verbindliche Festlegung dazu geben. Das ist ein modernes Jugendstrafvollzugsgesetz, das den Gegebenheiten des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird. Wir sollten anfangen, darüber zu diskutieren und dieses Gesetz auf den Weg bringen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Felgentreu.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Ratzmann! Wir erinnern uns alle noch an das vergangene Jahr, als wir uns gemeinsam dafür eingesetzt haben, dass die Rechtseinheit in Deutschland im Bereich des Strafvollzugs nicht verloren geht. Das Abgeordnetenhaus hat in der 15. Legislaturperiode einen Aufruf beschlossen, den Bereich Strafvollzug nicht auf die Länder abzuschichten. Deswegen ist es ein großer Erfolg, für den ich mich ausdrücklich bei Senatorin von der Aue und der Justizverwaltung bedanken möchte, dass es federführend durch Berlin und Thüringen gelungen ist, neun Bundesländer zusammenzuführen, die einen gemeinsamen Entwurf für den Jugendstrafvollzug machen wollen, damit – soweit es irgend möglich ist – die Rechtseinheit auf dem Gebiet des Strafvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland erhalten bleibt, damit man nicht nach dem gleichen Strafrecht in 16 Bundesländern gleich bestraft wird, aber hinterher mit

unterschiedlichen Arten des Vollzugs konfrontiert ist, was ein echtes Gerechtigkeitsproblem für den Einzelnen bedeutet. Insofern ist dieses gemeinsam vorgelegte Gesetz von neun Bundesländern ein wichtiges Vorbild für die weitere Gesetzgebung für den Strafvollzug, für das Untersuchungshaftgesetz und für ein allgemeines Strafvollzugsgesetz, das wir irgendwann werden machen müssen.

Deswegen auch meine Kritik an Ihrem Vorgehen, Herr Ratzmann: Die Grünen brechen aus dieser gemeinsamen Anstrengung aus. Im vergangenen Jahr haben wir noch gemeinsam gekämpft, jetzt torpedieren Sie, was Sie selbst für notwendig erachtet haben, nämlich die Rechtseinheit auf dem Gebiet des Strafvollzugs – in der Vorgehensweise für mich hoch problematisch. Damit verzichten Sie auch auf das, was im Moment gerade stattfindet: auf eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Referentenentwurf der Senatsverwaltung, die im Moment allen Gremien, allen fachlich Interessierten zugeleitet wurde, damit sie sich damit auseinandersetzen, damit Stellungnahmen abgegeben werden, damit diese vorliegen, wenn wir in die parlamentarische Beratung gehen.

[Benedikt Lux (Grüne) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Sie machen stattdessen Ihren eigenen Entwurf, verzichten auf die konstruktive Auseinandersetzung und wissen dabei ganz genau, dass Ihr eigener Entwurf natürlich keine Chance hat, angenommen zu werden, weil wir auf den Erhalt der Rechtseinheit Wert legen. Insofern fragt man sich natürlich, was die Zielsetzung der Grünen sein mag. – Nein, Herr Lux, ich habe jetzt keine Zeit für Zwischenfragen. – Die Zielsetzung der Grünen kann aus meiner Sicht doch nur sein, dass Sie versuchen, auf eine bestimmte Klientel zuzugehen, einseitig zu kommunizieren, was Sie für richtig halten, obwohl Sie ganz genau wissen, dass es keine Chance hat, angenommen zu werden. Das ist – so leid es mir tut – Schaufensterpolitik, und auf die sollten Sie verzichten. Dafür ist der Gegenstand zu wichtig, hier müssen wir weiterkommen.

[Beifall bei der SPD]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lux?