Fritz Felgentreu
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Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:
1. Welche Erfahrungen hat die Berliner Justiz mit dem sogenannten Neuköllner Modell des beschleunigten Jugendverfahrens seit 2008 gemacht?
2. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit und Vernetzung der an der Prävention und Verfolgung von Jugendkriminalität beteiligten Institutionen?
Frau Senatorin, erst einmal herzlichen Dank! Gibt es bei der von Ihnen angesprochenen Richtlinie über die Einrichtung von Fallkonferenzen und den Umgang mit Datenschutzfragen bereits Rückmeldungen und Erfahrungswerte, wie sich das im konkreten Einzelfall bewährt hat, oder ist das noch in einer Anfangsphase?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Novelle des Richtergesetzes geht die Justiz in Berlin und Brandenburg den eingeschlagenen Weg zur Angleichung der Rechtskultur in beiden Bundesländern konsequent weiter. Aus der Existenz gemeinsamer Obergerichte ergibt sich zwingend auch das Bedürfnis nach weitestgehender Einheitlichkeit des Richterrechts in beiden Ländern. Diesem Bedürfnis trägt eine Gesetzesnovelle Rechnung, die nach einem langjährigen Abstimmungsprozess zwischen den zuständigen Verwaltungen und nach zügiger, aber sorgfältiger parlamentarischer Beratung heute verabschiedet wird.
Die Bedeutung des erreichten Fortschritts ist gar nicht zu überschätzen. Zum ersten Mal ist es gelungen, in partnerschaftlichem Miteinander ein wichtiges Rechtsgebiet durch fast gleichlautende Gesetze einheitlich zu regeln. Die verbliebenen Unterschiede erklären sich hinlänglich aus den Unterschieden der brandenburgischen Verwaltungsstruktur und der verschiedenen Landesverfassungen. Mit diesem Ergebnis wird die Justiz erneut zum Vorreiter der notwendigen Wiedervereinigung von Berlin und Brandenburg zu einem gemeinsamen Bundesland. Das Richterrecht zeigt, dass ein produktives politisches Miteinander in einer Atmosphäre des Respekts und der Anerkennung unterschiedlicher Erfahrungen, Zielvorstellungen und Interessen möglich ist.
Angesichts der großen politischen Bedeutung dieser Gesetzgebung erscheint die Kritik, die vonseiten der Opposition an einzelnen Regelungen im Detail vorgetragen wird, unverständlich und auch maßlos.
Um Ihnen verständlich zu machen, woran sich die Konflikte entzünden, gestatten Sie mir beispielhaft auf die neue Verfassung des Richterwahlausschusses einzugehen!
Durch die Novelle wird die Beteiligung der Richterschaft am Richterwahlausschuss von der Hälfte auf ein Drittel reduziert und gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen, einen Richter auch mit einfacher Mehrheit zu berufen, wenn eine Zweidrittelmehrheit nicht erreicht worden ist.
Klar ist: Ohne die Triebfeder, ein gemeinsames Richterrecht beider Länder erreichen zu wollen, hätte wohl niemand die bisherige Aufstellung des Richterwahlausschusses verändert.
Aber beide Maßnahmen lassen sich gut begründen. Dem geringfügigen Verlust an Einfluss, den die Richterschaft hinnehmen muss, steht ein größeres Maß an direkter demokratischer Legitimierung der dritten Gewalt durch die vom Abgeordnetenhaus entsandten Mitglieder gegenüber. Wir erreichen die gleiche Kräfteverteilung, die bisher schon in Brandenburg gegolten hat, ohne auf die bewährte Effektivität der Berliner Regelung, auch mit einfacher Mehrheit berufen zu können, verzichten zu müssen. Obwohl die Neuregelung also im Sinne des übergeordneten Zieles gut und vernünftig ist, hat die SPD-Fraktion Verständnis für Kritik aus der Richterschaft, die sich für eine Verringerung des eigenen Einflusses nicht erwärmen kann. Dass die CDU in diesem Zusammenhang aber davon spricht, die Novelle lege – und ich zitiere aus dem Rechtsausschuss – „die Axt an die Wurzel der richterlichern Unabhängigkeit“, ist weder sachlich nachvollziehbar noch politisch hinnehmbar.
Denn Qualität und Unabhängigkeit der Richterschaft werden durch das Prinzip der Bestenauslese, durch die notwendige Zustimmung der richterlichen Präsidialräte zu Personalvorschlägen und durch die Beurteilungen der Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten vollauf garantiert.
Wer einem so, wie in der Novelle vorgesehen, ausgestalteten Richterwahlausschuss das Vertrauen entzieht, der spricht damit gleichzeitig der gesamten Justiz des Brandenburger Partners sein Misstrauen aus, die ihre Richterinnen und Richter von jeher mit der Zustimmung eines Richterwahlausschusses berufen hat, der zu zwei Dritteln aus Abgeordneten besteht.
Die SPD-Fraktion bedauert deshalb sehr, dass keine Oppositionspartei die Kraft hat, vier Monate vor der Wahl der Versuchung einer klientelpolitisch begründeten Totalverweigerung zu widerstehen.
Vor allem die CDU, die durch die Landesministerinnen Richstein und Blechinger wesentlichen Anteil an der Gestaltung der Novelle getragen hat, versagt erneut vor der historischen Aufgabe, neue Perspektiven für eine
Wiedervereinigung von Berlin und Brandenburg zu schaffen.
Nein, nein! Das ist schon so, Kollege Gram!
Ich finde es schon erstaunlich, dass die Schaffung eines gemeinsamen Bundeslandes ausgerechnet für die Konservativen offenbar kein Herzensanliegen darstellt.
Kollege Rissmann! Aber wenn der CDU schon die emotionale Begeisterung für dieses Ziel abgeht, dann sollte sie wenigstens aus Vernunftgründen dafür sein, denn die gibt es reichlich. Ich jedenfalls würde mich sehr freuen, wenn wir eines Tages nicht mehr über die Justiz in Berlin und Brandenburg, sondern über die berlinisch-brandenburgische Justiz streiten könnten.
Meine Damen und Herren! Ich bitte um Zustimmung zur vorliegenden Novelle des Richtergesetzes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von den zurzeit noch im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien werben drei mit der Absicht um Stimmen, das Wahlalter in Berlin generell auf das vollendete 16. Lebensjahr abzusenken. Diese drei Parteien – SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen – verfügen bisher nicht über die notwendige verfassungsändernde Mehrheit. Dennoch haben die Grünen mit dem zur Abstimmung anstehenden Gesetzentwürfen beantragt, schon jetzt die Absenkung des Wahlalters zu beschließen. Zur Durchsetzung der Verfassungsänderung hoffen die Grünen auf vereinzelte Zustimmung auch aus den Reihen von CDU und FDP oder durch die fraktionslosen Abgeordneten. Dieses von den Grünen verfolgte Gesetzgebungsverfahren wird die SPDFraktion nicht unterstützen – aus drei Gründen:
Erstens haben wir grundsätzlich Bedenken, eine tief greifende Änderung des Wahlrechts wenige Monate vor einer Wahl zum Abgeordnetenhaus zu beschließen. Auch wenn
die Änderung erst für die nächsten Wahlen Gültigkeit hätte, halten wir es für inakzeptabel, gerade jetzt, während sich die Bürgerinnen und Bürger bereits auf die Wahlen vorbereiten, ausgerechnet in das Rechtsgebiet einzugreifen, das die Durchführung demokratischer Wahlen regelt. Um nur an einem Beispiel deutlich zu machen, warum ein solches Vorgehen problematisch ist: Was soll ein heute 17-Jähriger davon halten, dass wir mit der entsprechenden medialen Begleitmusik das Wahlalter absenken, ohne dass er etwas davon hat? Gerade die Zielgruppe der angestrebten Gesetzesänderung müsste mit der größten Enttäuschung oder Verständnislosigkeit darauf reagieren. Ließe man aber die Absenkung schon für die Abgeordnetenhauswahl im September gelten, würde sich das Problem noch verschärfen. Dann hätten wir mit einem Federstrich kurzfristig Tausende neu zur Wahl zugelassen. Das verbietet sich schon aus Gründen einer rechtsstaatlichdemokratischen Praxis. Wer kein halbes Jahr vor der Wahl die Zusammensetzung der Wahlbürgerschaft ändert
ganz ruhig, Kollege Lux! –, öffnet einem willkürlichen Umgang mit diesem Herzstück der Demokratie Tür und Tor.
Außerdem würden wir damit die Wahl rechtlich auf eine andere Grundlage stellen als die Kandidatenaufstellung, eine sehr wahrscheinlich grundgesetzwidrige Konstruktion.
Zweitens halten wir nichts davon, eine Verfassungsänderung mit einer Zufallsmehrheit quasi va banque durchsetzen zu wollen. Verfassungsänderungen sollten sich zugunsten ihrer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz auf solide politische Mehrheiten stützen, die durch Fraktionsbeschlüsse getragen sind.
Dieses Ziel ist angesichts der klaren Ablehnung durch die CDU- und die FDP-Fraktion nicht erreichbar.
Drittens halten wir es für sinnvoll, dass uns die Bürgerinnen und Bürger bei den bevorstehenden Wahlen zunächst einen Auftrag zur Änderung des Wahlalters erteilen. Deshalb wird die SPD Ihre Absicht, das Wahlalter 16 einzuführen auf ihrem Landesparteitag morgen in ihr Wahlprogramm aufnehmen.
Die Zustimmung der Berlinerinnen und Berliner zu den politischen Zielen der SPD durch ihre Wahlentscheidung am 18. September wird für die SPD-Fraktion im 17. Abgeordnetenhaus von Berlin die Entscheidungsgrundlage sein.
Für unser Abstimmungsverhalten ergibt sich aus diesen Erwägungen: Da die Berliner SPD in der Sache dasselbe Ziel anstrebt, wird sich die SPD-Fraktion zu dem verfas
sungsändernden Gesetzentwurf der Grünen enthalten. Den nach der erwarteten Ablehnung der Verfassungsänderung verfassungswidrigen Entwurf zur Änderung des Landeswahlgesetzes allerdings werden wir ablehnen, wenn die Grünen ihn dann nicht als gegenstandslos zurückziehen. – Ich danke Ihnen!
Herr Kollege Behrendt! Wären Sie so nett, mich an die Drucksachennummer des Antrags zu erinnern, mit dem die Grünen vor zwei Jahren dieser Herausforderung begegnet sind?
Vielen Dank, Herr Präsident! Gestatten Sie mir die Anmerkung, dass natürlich auch diejenigen, die im Raum verblieben sind, ein Kommunikationsbedürfnis haben!
Ich frage den Senat:
1. Wie bewertet der Senat die Effektivität der in den Promotionsordnungen der Berliner Hochschulen geregelten Verfahren in Hinsicht auf die Qualitätssicherung von Dissertationen?
2. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, die Qualitätssicherung im Interesse des internationalen Wissenschaftsstandortes Berlin zu verbessern?
Vielen Dank, Herr Senator! Wenn Sie davon sprechen, es sei sinnvoll, die Forschungsergebnisse international über elektronische Plattformen zugänglich zu machen, setzen Sie dabei ausdrücklich auf die Freiwilligkeit der betroffenen Forscherinnen und Forscher, oder teilen Sie meine Einschätzung, dass es auch sinnvoll sein könnte, seitens der Universitäten darauf hinzuarbeiten, schon in den Promotionsordnungen zu regeln, dass die angenommenen Dissertationen auch auf Internetplattformen der jeweiligen Universitäten zu veröffentlichen sind?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kein Bereich des öffentlichen Lebens in Berlin hat so viele Erfahrungen mit den neuen Instrumenten der direkten Demokratie gesammelt wie die Bezirke. In einer Vielzahl von Begehren und Entscheiden haben die Berlinerinnen und Berliner die neuen Möglichkeiten ausprobiert, Erfahrungen gesammelt und dabei festgestellt: Hier bewegt sich was!
Auch ohne Mandat kann ich mitreden, kann ich mitentscheiden – wenn ich ein Thema habe und auch bereit bin, mich persönlich zu engagieren. Die SPD-Fraktion freut sich uneingeschränkt über diese Entwicklung.
Das, Kollege Lux, sage ich im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass wir uns deshalb noch lange nicht über jedes Ergebnis von Bürgerentscheiden gefreut haben und künftig auch nicht freuen werden.
Wenn wir die Abläufe der direkten Demokratie verbessern und erleichtern wollen, dann tun wir das nicht, weil wir uns unkritisch erfolgreiche Bürgerentscheide wünschen. Ob ich mir den Erfolg eines Bürgerentscheids wünsche, kann ich nur im Einzelfall entscheiden. Nein, wir wollen, dass sie überhaupt stattfinden können und dass aus ihnen gute und belastbare Ergebnisse für den ganzen Bezirk hervorgehen. Diese politische Absicht setzen wir mit der Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes um. Drei Punkte sind dabei aus unserer Sicht entscheidend.
Erstens: Wir wollen von einem Beteiligungsquorum zu einem Zustimmungsquorum übergehen. So erhalten wir ein gleiches Verfahren auf Landes- und Bezirksebene und machen die Abläufe für die abstimmungswilligen Bürgerinnen und Bürger leichter verständlich.
Zugleich schaffen wir ein Paradoxon aus der Welt, denn wer gegen einen Bürgerentscheid ist, der sollte einfach hingehen und mit Nein stimmen. Bei einem Beteiligungsquorum kann aber auch seine Nein-Stimme zum Erfolg des Entscheids beitragen, weil sie die Gesamtbeteiligung erhöht.
Die taktische Überlegung der Neinsager, ob es nicht klüger wäre, zu Hause zu bleiben, wenn man dagegen ist, entfällt in Zukunft.
Zweitens: In der Vergangenheit gab es vonseiten des Senats und der Landespolitik immer wieder Zweifel an der Zulässigkeit einzelner Bürgerbegehren. Deshalb regeln wir jetzt das Verfahren zur Ausübung der Rechtsaufsicht durch den Senat, der nun die Möglichkeit erhält, schon vor der Genehmigung eines Bürgerbegehrens tätig zu werden,
damit nur juristisch einwandfreie Bürgerbegehren zur Durchführung gelangen.
Drittens: Bürgerbegehren – das liegt in der Natur der Sache – dienen stets einseitigen Interessen. Deshalb ist Transparenz darüber, welche Spender die gleichen Interessen haben, unabdingbar.
Ja, bitte schön, Herr Birk, was kann ich für Sie tun?
Na, ganz hervorragend, weil es wesentlich besser ist, der Senat sagt vorher, warum er der Auffassung ist, dass ein Bürgerbegehren rechtlich unzulässig ist, als dass hinterher die irreparablen Ergebnisse eingeholt werden müssen. Das verhindert Doppelarbeit und ist deswegen eine sehr vernünftige Maßnahme.
Transparenz ist unabdingbar, gerade weil Bürgerbegehren, Volksentscheide, Volksbegehren aus der Logik der Sache heraus stets nur einseitigen Interessen dienen. Deswegen ist es ungeheuer wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen, welche großen Spender die gleichen Interessen teilen. Damit ist überhaupt keine Unterstellung verbunden, es ist vollkommen legitim, Interessen zu haben und sich für diese einzusetzen, aber der Bürger sollte es wissen, bevor er seine Stimme abgibt. Deswegen wird es in Zukunft eine Sofortveröffentlichung von Großspenden ab 5 000 Euro geben. Kollege Gram! Sie haben vollkommen recht: Dieser Schwellenwert von 5 000 Euro ist niedriger als der im Parteiengesetz, der liegt bei 10 000 Euro.
Das macht aber auch Sinn, denn der politische Raum eines Bezirks ist so viel kleiner als der politische Raum, den das Parteiengesetz abdeckt – immerhin die gesamte Bundesrepublik Deutschland –, dass man dort mit weniger Geld mehr bewirken kann, und deswegen ist es sinnvoll, bereits über geringere Beträge öffentlich Rechenschaft abzugeben. Das haben wir uns ganz gut überlegt, und das ist vernünftig ausgestaltet.
Die Menschen werden in Zukunft wissen, aus welchen Quellen sich große Kampagnen finanzieren, und genau das wollen wir erreichen. Aus dem gleichen Grund, Kollege Gram, ist es auch sinnvoll, das Zustimmungsquorum nicht zu hoch zu machen, weil auch innerhalb eines Bezirks die Dinge, die von einem Bürgerbegehren erfasst werden, oft nur Teilbereiche des Bezirks befassen,
und da ist es schon notwendig, dass auch eine Chance besteht, dass die, die sich wirklich dafür interessieren, etwas politisch verändern können.
Deswegen sind 10 Prozent ein vernünftiger Wert, der sich auch mit den Ergebnissen erfolgreicher Bürgerbegehren in Berlin deckt.
Im Ergebnis erwartet die SPD-Fraktion von der Novelle eine Stärkung der Abläufe und der Verbindlichkeit direkter Demokratie auf Bezirksebene. Wir sind sehr gespannt auf die nächsten Initiativen und auf die politischen Debatten, die aus ihnen erwachsen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fragen, über die wir hier zu sprechen haben, sind größtenteils Fachfragen. Es wurde in der von Herrn Behrendt aufgespannten Erörterung noch mal deutlich, dass hier viele Fragen berührt sind, die vielleicht für die Masse des Hauses nur von begrenztem unmittelbaren Interesse sind. Ich will versuchen, das auf einige politische Kerne zurückzuführen.
Herr Behrendt! Sie hatten kritisiert, dass die Entstehungsgeschichte des Gesetzes einen relativ langen Zeitraum in Anspruch genommen hat. Ich bitte, dabei zu beachten, dass es um die hochkomplexe Aufgabe geht, die Rechtskulturen zweier Bundesländer und gewachsene Strukturen zusammenzuführen durch übereinstimmende Regelungen, die für beide Seiten auch eine Akzeptanz haben. Und Sie dürfen eines nicht vergessen: Es hat zwischendurch einen Regierungswechsel in Brandenburg gegeben. Es hat Wahlen gegeben, und es gab nach diesen Wahlen die Notwendigkeit, das angefangene Werk mit völlig neuen Gesprächspartnern fortzusetzen, die natürlich ihre eigenen politischen Vorstellungen eingebracht haben, was vollkommen legitim ist, aber die Abstimmungsprozesse noch einmal zurückgeworfen hat.
Ich glaube, dieses Stichwort Wahlen ist eines, das unsere eigenen Erörterungen nicht unbeeindruckt lässt. Auch wir stehen wieder vor einer Abgeordnetenhauswahl, und es besteht die Gefahr, dass die Diskussion um dieses wichtige Projekt, dieses eigentlich bisher am weitesten gediehene Projekt in der Zusammenarbeit der beiden Bundesländer, in die Wahlkampfdebatten hineingezogen wird. Mir scheint das sehr deutlich zu sein in der Art und Weise, wie auch vonseiten der Grünen die Diskussion aufgemacht worden ist. Hier wurde gearbeitet mit Formulierungen wie, es gehe darum, eine erdrückende Mehrheit von Parlamentariern im Richterwahlausschuss zu schaffen, es gehe darum, parteipolitischen Erwägungen bei der Personalausstattung der Gerichte zum Durchbruch zu verhelfen. Das ist alles abwegig, Herr Behrendt, und das wissen Sie auch. Ich kann mir Ihre Wortwahl und die Art, wie Sie die Diskussion führen, wirklich nur mit dem bevorstehenden Wahlkampf erklären.
Lassen Sie mich trotzdem der Mehrheit des Hauses noch einmal erklären, worum es im Richterwahlausschuss eigentlich geht: Der Richterwahlausschuss ist ein Gremium, das zu Personalvorschlägen der Senatsverwaltung ausschließlich ja oder nein sagen kann. Der Richterwahlausschuss trifft keine eigene Personalauswahl. Er steuert nicht die Zusammensetzung der Berliner Gerichte, sondern er prüft, ob der Senat – und zwar in der Regel auf Vorschlag der Kammergerichtspräsidentin – einen vernünftigen, nachvollziehbaren Personalvorschlag gemacht
hat, ob mögliche Konkurrenten dabei gerecht behandelt worden sind und sagt dann am Ende zu der ganzen Sache ja oder nein. Das ist eine Aufgabe, die nicht unbedingt ein Richterwahlausschuss machen müsste. Es gibt Bundesländer, die so etwas gar nicht haben. Wir in Berlin haben uns dazu entschieden, die demokratische Legitimierung der dritten Gewalt dadurch zu stärken, dass wir ein solches Gremium schaffen. Dieses Gremium hat sich bewährt, es hat eine gute Arbeit gemacht in den letzten 45 Jahren, seit es den Richterwahlausschuss gibt. Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Zur Debatte steht die Frage, ob wir an einem Punkt sind, wo dieser Richterwahlausschuss reformiert werden sollte, nicht unbedingt muss – ich glaube nicht, dass das zwingend notwendig ist –,
aber wo es sinnvoll wäre, das zu tun mit dem Ziel, die beiden Rechtskulturen von Berlin und Brandenburg einander anzunähern. Das ist das eine Ziel. Wer die Arbeit im Richterwahlausschuss kennt – ich kann auch da wieder nur den Kolleginnen und Kollegen berichten, die diese Arbeit nicht kennen –, der merkt, dass es durchaus Reibungsverluste dadurch gibt, dass beide Wahlausschüsse in Berlin und Brandenburg unterschiedlich konzipiert sind, dass man von unterschiedlichen Auffassungen ausgeht, wie die Arbeit in einem solchen Ausschuss auszusehen hat, und es dadurch, insbesondere wenn es um die Besetzung von Richterstellen an den Obergerichten geht, die von einem gemeinsamen Richterwahlausschuss von Berlin und Brandenburg vorgenommen wird, immer wieder zu Reibungsverlusten und unnötigen Schwierigkeiten und Verzögerungen kommt. Das erschwert die Zusammenarbeit in dem Justizraum Berlin-Brandenburg und sollte deswegen in dieser Weise verbessert werden. Das neue Richtergesetz, das ein Ergebnis der Zusammenarbeit beider Länder ist, bietet dafür einen Anhaltspunkt.
Für mich persönlich – durchaus eine Überlegung, die eine Rolle spielt – geht es auch darum, was die eigentliche Aufgabe des Richterwahlausschusses ist. Er ist eine demokratische Legitimation für die Zusammensetzung der dritten Gewalt. Er könnte gestärkt werden, wenn wir gemeinsam zu dem Ergebnis kämen, dass die Legitimation von Personen ausgeht, die direkt vom Volk gewählt wurden, nämlich von Abgeordneten. Um diese Debatte geht es. Wir müssen hier sauber und frei von Leidenschaften prüfen. Wir sollten sie auch frei von Obertönen prüfen, die aus meiner Sicht nur noch mit der Wahlkampfsituation zu erklären sind. Das ist mein Anliegen. Mit dieser Grundhaltung gehe ich in die Ausschussberatung mit dem erklärten Ziel, diesen wichtigen Schritt, einen gemeinsamen Rechtsraum Berlin und Brandenburg zu schaffen, einem erfolgreichen Abschluss zuzuführen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Kollege Behrendt! Der Grund, warum ich der Auffassung bin, dass es sich lohnt, auch über die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses noch einmal grundlegend zu diskutieren, ist ein ganz einfacher: Der schlimmste Feind des Guten ist nicht das Schlechte, sondern das Bessere. Wir haben zu prüfen, ob der Vorschlag, der hier von den Ministerien und der Senatsverwaltung vorgelegt worden ist, besser ist als das, was wir bisher haben, auch wenn das, was wir bislang haben, gut ist. Das war der erste Punkt
Zweitens: Ich bestreite, dass es sich um eine ganz grundlegende Änderung handelt. Nach wie vor sind die Gerichte vertreten. Nach wie vor werden auch die Fachgerichtsbarkeiten vertreten sein, wenn es um eine fachgerichtliche Nachbesetzung geht. Insofern kann es nicht um eine grundlegende Änderung gehen, sondern lediglich um eine Verstärkung des Gewichtes der Abgeordneten innerhalb dieses Gremiums, die ich für prüfungswürdig halte.
Aus allen diesen Gründen bin ich schon der Auffassung, dass es sich lohnt, über das Gesetz zu diskutieren. Der Zeitpunkt ergibt sich aus der Fertigstellung der Vorlage. Das hat mit einer taktischen Zielsetzung überhaupt nichts zu tun. Ich kann nur eines sagen: Eine sachliche Debatte lebt von einer sachlichen Sprache. Sie sollten einmal Ihre Formulierungen darauf überprüfen, ob die Art, wie Sie mit der Frage umgegangen sind, dieser Anforderung gerecht geworden ist. Mein Eindruck ist, dass es nicht so ist, sondern dass Sie mit Unterstellungen arbeiten. Ich kann mir diese Unterstellungen nur aus dem Interesse heraus erklären, das wichtige überregionale, länderübergreifende Vorhaben in den Wahlkampf hineinzuziehen. Ich bleibe bei meiner Bewertung.
Ich gestatte mir auch die Frage, Herr Kollege Behrendt, ob bei Ihnen selbst immer die nötige kritische Trennschärfe vorhanden ist, weil Sie nicht nur als Volksvertreter an dieser Stelle entscheiden, sondern in gewisser Weise eben auch als unmittelbar persönlich Betroffener, da Sie von Beruf Richter sind. Hier würde ich Sie auch bitten, wirklich mit der nötigen kritischen Sauberkeit die eigenen Maßstäbe, die Sie anlegen, zu überprüfen und auf dieser Grundlage die Debatte zu führen. – Herzlichen Dank!
Sehr gerne lobe ich die CDU für eine unausgesprochene Verbesserung ihrer Rechtspolitik, die sich indirekt aus ihrem Antrag ergibt: Wenn Sie nunmehr bleibende Un
terbringungsmöglichkeiten für straffällige Kinder fordern, ohne gleichzeitig auch auf die Absenkung der Strafmündigkeit zu drängen, ist das schon mal ein Fortschritt. Trotzdem geht Ihr Antrag von falschen Voraussetzungen aus: Der Senat und meine Fraktion haben zu keinem Zeitpunkt angekündigt, ein geschlossenes Kinderheim einzurichten, und wir haben auch nicht die Absicht dazu. Dieses pädagogisch gescheiterte Konzept wird in Berlin nicht verfolgt. Dabei soll es bleiben.
Worum geht es? – Wir wissen, dass in geringen Zahlen Kinder unter 14 Jahren in einem Ausmaß straffällig werden, dass sie schon aus generalpräventiven Gründen schnellstens von der Straße verschwinden müssten. Aus pädagogischen Gründen müssen sie von ihrem Umfeld getrennt werden. Für beide Zielsetzungen gibt es gute, bewährte Einrichtungen, die aber nicht immer unverzüglich in der Lage sind, diese Kinder aufzunehmen. Bis also ein solches, kriminelles Kind Aufnahme in einer Fürsorgeeinrichtung wie dem EJF-Heim in Frostenwalde bei Schwedt finden kann, brauchen wir eine geeignete Betreuung hier in Berlin. Zurzeit ist der Senat dabei, sechs sichere Plätze zu schaffen, in die der Kindernotdienst oder das Jugendamt kriminelle Kinder bei Bedarf ohne Zeitverzögerung einweisen können. Erst danach erfolgt die Überprüfung der freiheitsentziehenden Maßnahme durch das Jugendgericht, die Voraussetzung für alles Weitere sein muss. Dieser Ansatz ist der richtige. Die vorgesehenen sechs Plätze reichen vollkommen aus, um wirklich gefährliche Kinder – und Erwachsene, die sich als Kinder ausgeben – so lange aus dem Verkehr zu ziehen, bis wir wissen, wie es mit ihnen weitergehen soll. Für die eigentliche Erziehung dieser Kinder setzen wir auf bewährte Einrichtungen außerhalb von Berlin, mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben, ohne auf Mauern, Fenstergitter und Stacheldrahtzäune zurückgreifen zu müssen. Es muss nicht immer Kirgistan sein, die Uckermark tut es in den meisten Fällen auch. Geschlossene Heime in Berlin brauchen wir nicht, und wir sollten sie uns nicht herbeiwünschen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es heute mit relativ heterogenen Gesetzesvorlagen zu tun. Heterogen nicht nur, weil sie sich auf zwei verschiedene Ebenen beziehen – die Landes- und die Bezirksebene –, sondern auch, weil die einen in zweiter Lesung zu beraten sind und die andere in erster Lesung. Dennoch macht es Sinn, das in der vorliegenden Form zu verbinden, denn letztlich geht es um den gleichen Gegenstand, nämlich um die Frage, wie wir nach den großen Schritten, die wir auf dem Gebiet der direkten Demokratie in der letzten Legislaturperiode gegangen sind, jetzt unsere Gesetzgebung an die gemachten Erfahrungen anpassen, und zwar sowohl auf Bezirks- als auch auf Landesebene. Dabei ist die Voraussetzung klar, dass wir hier keinen großen Wurf machen wollen und sollen. Der ist in der letzten Legislaturperiode gelungen, als wir gesagt haben: Wir schaffen in Berlin die Strukturen, um direkte Demokratie auf Bezirksebene erst einmal zu ermöglichen und um sie auf Landesebene so attraktiv zu gestalten, dass die Bürgerinnen und Bürger davon Gebrauch machen. Diesen ersten großen Schritt haben wir gemeinsam getan. Jetzt kommt es darauf an, behutsame Anpassungen vorzunehmen und an Stellen, an denen Probleme aufgetreten sind, Glättungen vorzunehmen.
Da ist es auch okay, dass sich Meinungsverschiedenheiten zwischen den Fraktionen abzeichnen. Hierbei ist der große Konsens der Demokraten nicht mehr zwingend erforderlich. Das kann man auch kontrovers diskutieren.
Kollege Lux, eine größtmögliche Einigkeit ist natürlich erstrebenswert. Aber da, wo wir keine Einigkeit erzielen können, ist das auch legitim.
Einige Punkte, auf die es der SPD-Fraktion besonders ankommt: Beim Volksabstimmungsgesetz hat uns der Verfassungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass wir eine Regelungslücke haben entstehen lassen. Wir haben dem Senat in der Gesetzgebung die Möglichkeit genommen zu prüfen, ob ein Volksbegehren, ein Volksentscheid in seinem Inhalt gegen höherrangiges Recht verstößt, also gegen Landesverfassungsrecht, Bundesrecht oder das Grundgesetz. Das darf der Senat nach geltendem Recht nicht mehr prüfen. So hat es uns der Verfassungsgerichtshof ins Stammbuch geschrieben. Das ist schlecht, und zwar nicht für den Senat, dem das eigentlich egal sein kann, sondern für die direkte Demokratie. Das kann nämlich dazu führen, dass wir hier im Land eine politische Debatte haben, in der das Volk einem bestimmten Vorhaben zustimmt und es durch Volksentscheid zum Gesetz macht und sich erst hinterher durch eine Verfahren vor
dem Verfassungsgerichtshof oder sogar vor dem Bundesverfassungsgericht herausstellt, dass das Gesetz keinen Bestand haben kann, weil es gegen höherrangiges Recht verstößt.
Das wäre Gift für die direkte Demokratie. Das rächt sich nicht an den Trägerinnen und Trägern eines solchen Begehrens, sondern am Volk von Berlin, das diesem Begehren Rechnung getragen hat und es unterstützt hat. Die Leute werden nicht verstehen, warum man ihnen ein solches Gesetz hinterher wieder durch Rechtsprechung aus der Hand nimmt, nachdem sie es als Volk gewollt und verabschiedet haben. Deswegen ist es notwendig, dass wir diese Regelung wieder einführen und es dem Senat ermöglichen, in solchen Fällen das Verfahren prüfen zu lassen. Wir schlagen vor, dass der Senat künftig Volksbegehren, bei denen er der Auffassung ist, dass sie gegen höherrangiges Recht verstoßen, dem Verfassungsgerichtshof vorlegt – wie das in Bayern geschieht –, damit dieser abschließend darüber befinden kann, ob sie zulässig sind oder nicht. – Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Der zweite wichtige Punkt ist die Transparenz. Volksbegehren, Volksentscheide, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide müssen ihrer Struktur nach – das ist in der Sache so angelegt – einseitigen Interessen dienen. Weil das so ist, ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger Aufschluss darüber gewinnen können, wer hinter diesen einseitigen Interessen steht. Deswegen brauchen wir klare Transparenzregelungen. Wir müssen sicherstellen, dass die Öffentlichkeit über große Spender informiert wird, wenn starke Finanziers auftreten. Wir wollen zudem ausschließen, dass Fraktionen in Parlamenten und BVVen und landeseigene Unternehmen durch eigene Zuwendungen Volksbegehren unterstützen und vorantreiben. Das sind für uns die wichtigsten Punkte auf Landesebene.
Auf Bezirksebene ist ganz wichtig, dass wir parallele Strukturen zu der Art, wie eine Entscheidung auf Landesebene gefällt wird, herstellen. Deswegen ändern wir die Gesetzgebung für die Bezirksebene, kommen weg von dem bisherigen Beteiligungsquorum von 15 Prozent und führen stattdessen – in Übereinstimmung mit dem Kollegen von den Grünen – ein Zustimmungsquorum von 10 Prozent ein. Das ist auf Bezirksebene realistisch. Das haben die uns bekannten Zahlen gezeigt. Das ist der Weg, den wir gehen wollen. Das ist vernünftig und ein angemessenes Resultat aus den Erfahrungen, die wir gemacht haben. – Ich bitte in beiden Fällen um Zustimmung – im einen Fall natürlich erst nach der zweiten Lesung. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Behrendt! Es ist nun aber so, dass dieser Antrag eine Beschlussempfehlung hat, die von allen fünf Fraktionen dieses Hauses getragen wird, sodass sich der Diskussionsbedarf den anderen Fraktionen nicht so ganz erschlossen hat.
Die vier Fraktionen, bei denen es für die Wiederaufstellung nicht das entscheidende Kriterium ist, wie viele Reden sie im Abgeordnetenhaus gehalten haben,
haben mich deswegen gebeten, hier auch im Namen von Linken, CDU und FDP einfach nur festzustellen, dass wir diesen Antrag auch gut finden und dass wir ihn damit auch für ausdiskutiert halten. – Ich danke Ihnen für Ihre Geduld!
Kollege Behrendt! Gerade weil wir dieses Thema so ernst nehmen, wollen wir schnell zur Abstimmung kommen und beschließen, dass wir das machen, und nicht mehr darüber reden. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Jotzo! Ich will Ihnen die Auskunft nicht schuldig bleiben, welchen Teil der Initiative „Mehr Demokratie“ zur Wahlrechtsreform wir mittragen: gar keinen. Und zwar nicht, weil wir in einem „gefährlichen Stillstand“ verharren, sondern weil das Wahlsystem, das wir heute haben, besser ist als das, was „Mehr Demokratie“ erreichen will.
Björn Jotzo
Sie haben begonnen mit einer Ausführung darüber, wie Sie den Begriff Demokratie verstehen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass unser Demokratiebegriff ein anderer ist als der derjenigen, die den Begriff einmal erfunden haben. In Athen bedeutete Demokratie direkte Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk. Das haben wir nicht. Aus Praktikabilitätsgründen werden es sogar diejenigen ablehnen, die vielleicht in der Theorie noch dafür sind. Aber eigentlich sagen wir: Wir wollen, dass jede Machtausübung demokratisch legitimiert wird, und dafür brauchen wir Verfahren. Wir wollen nicht die direkte Machtausübung.
Wenn es um diese Form demokratischer Legitimierung geht, Kollege Jotzo, dann ist das, was die FDP vorschlägt, in der Tat weniger geeignet, diese Demokratisierung und diese Legitimierung zu leisten, als das, was wir heute haben, und zwar präzise aus dem Grund, den Sie angeführt haben. Es ist in der Tat viel zu kompliziert. Ein Wahlrecht in der Demokratie muss so sein, dass die Wählerinnen und Wähler es verstehen. Ich will Ihnen das gern an einem Beispiel vorführen. Das hier ist der Stimmzettel, mit dem in München die Stadtverordnetenversammlung gewählt wird. – Sehen Sie mich noch? In Berlin wäre ein entsprechender Stimmzettel mindestens doppelt so groß. Ich sage Ihnen, was das bedeutet. Es bedeutet gar nicht, dass man Bürgerinnen und Bürger für dumm verkauft, wenn man sagt, dass die Bürgerinnen und Bürger so etwas nicht wollen. Es bedeutet: So ein Stimmzettel, Kollege Jotzo – überlegen Sie sich mal, was das für Oma Krause aus Britz bedeutet! Die kriegt Prüfungsangst! Die geht nicht zur Wahl, weil sie Angst hat, bei der Wahl durchzufallen. Oder Murat aus der Okerstraße, der seit einem Dreivierteljahr eingebürgert ist: Der sieht diesen Stimmzettel und sagt, ihr könnt mich … Ihr könnt auf meine Mitwirkung bei diesem Prozess verzichten.
So kann es nicht funktionieren. Das, was Sie mit Kumulieren und Panaschieren erreichen wollen, bewirkt nicht mehr, sondern weniger Einfluss für die Bürgerinnen und Bürger, weil sie es nicht verstehen, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, und weil sie im Zweifelsfall zu Hause bleiben. Es bewirkt deswegen auch nicht mehr, sondern weniger Demokratie. Deswegen sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dagegen.
Bitte schön, Herr Schmidt!
Nein! Wie ich vollkommen richtig angenommen habe, wäre der Stimmzettel in Berlin wesentlich größer, denn in München gibt es nur drei Stimmen. Genau das wollte ich sagen.
Das Prinzip des Kumulierens und Panaschierens hat durchaus seine Berechtigung, aber ausschließlich auf kommunaler Ebene und ausschließlich auf einer Ebene, die noch überschaubar ist. In einer Gemeinde wie HeideHolstein mit 25 000 Einwohnern, wo die einzelnen Bürgerinnen und Bürger die Chance haben, ihre Kandidatinnen und Kandidaten auch wirklich zu kennen, kann das sinnvoll sein. In einer Gemeinde von der Größenordnung Berlins kann es nicht funktionieren und wird nicht funktionieren, sondern wird im Gegenteil gefährlich sein. Es bewirkt eine Schwächung der Parteien. Sie werden schlechter als bisher in der Lage sein, ihrem Verfassungsauftrag, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, nachzukommen. Ich weiß nicht, ob die FDP das wirklich will.
Ich kann nur eine Vermutung anstellen, warum die FDP so etwas für attraktiv halten könnte, denn die FDP als kleine Partei profitiert in der Regel von geringer Wahlbeteiligung. Da dieses Wahlrecht, das Sie vorschlagen, ein Instrument zur Abschreckung der Wählerinnen und Wähler ist, könnten Sie hoffen, indirekt davon zu profitieren.
Ich weiß nicht, ob dieses Kalkül tatsächlich eintreten würde. Ich bin mir jedenfalls sehr sicher, dass Sie dafür in diesem Hause keine Mehrheit finden werden. Nichtsdestotrotz werden wir Ihr Gesetz natürlich seriös im Ausschuss beraten
und erst danach hier abschließend darüber befinden. – Herzlichen Dank!
Lieber Kollege Jotzo! Ihre Betroffenheit
respektiere ich. Nichtsdestotrotz glaube ich, es wäre ein Missverständnis, auch ein falsches Verständnis von dem, was im politischen Wettstreit möglich und erforderlich ist, wenn Sie davon ausgehen, dass sich die SPD jedes Mal dann bewegt, wenn die FDP es von ihr verlangt
und noch dazu in die Richtung, die die FDP von ihr verlangt. Das können Sie von uns wirklich nicht erwarten. Wir bewegen uns dann, wenn wir es für richtig halten und in die Richtung, die wir für richtig halten. Die Richtung, die Sie hier vorschlagen, halte ich für grundfalsch.
Ansonsten machen Sie sich mal über die Bekanntheit von sozialdemokratischen Politikerinnen und Politikern keine Sorgen, wir sind da ganz gut aufgestellt. Ihre Bekanntheit, verehrter Kollege Jotzo, ist ja durch die liebevolle Berichterstattung z. B. in der Paper Press erheblich gewachsen, insofern brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen.
Verehrter Kollege Lux! Würden Sie mir zustimmen, dass Veränderung um der Veränderung willen noch keinen Vorteil bringt, Veränderung um der Verbesserung willen aber sehr wohl?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Justiz eines Landes gilt im Allgemeinen, was Perikles über die Frauen gesagt hat:
dass über sie dann das Beste gesagt ist, wenn im Guten wie im Schlechten nie von ihr die Rede war.
Von der Justiz erwarten die Bürgerinnen und Bürger geräuschloses Funktionieren, Rechtssicherheit, effektive Strafverfolgung und einen Justizvollzug, der Strafe, Prävention und Resozialisierung verbindet. Die Berliner Justiz leistet in diesem Sinn hervorragende Arbeit.
Dafür danke ich im Namen der SPD-Fraktion allen, die diese Arbeit tragen: den Bediensteten des Justizvollzugs, den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, den Richterinnen und Richtern, den Wachtmeistern und Bürokräften, den Rechtspflegern und den Beamten und Angestellten der Senatsverwaltungen. Sie sind die Garanten des Rechtsfriedens in unserer Stadt.
Die Haushaltsdebatte ist eine willkommene Gelegenheit, doch einmal über die Berliner Justiz und ihre zentralen Herausforderungen in den nächsten Jahren zu sprechen.
Dabei steht an erster Stelle der Ausbau des Strafvollzugs. Mit dem Doppelhaushalt 2010/2011 werden die Mittel zur
Henner Schmidt
Verfügung gestellt, um eine neue Haftanstalt mit 600 Haftplätzen vor den Mauern unserer Stadt zu errichten.
Diese Maßnahme ist unverändert notwendig, um auch in Zukunft sicherzustellen, dass der Berliner Strafvollzug seine Aufgaben erfüllen kann. Wir reagieren damit auf jahrelange Überbelegung und auf die Notwendigkeit, große Teile unserer alten Haftanstalten zu entlasten und zu sanieren. Eine letzte Bestätigung, wie wichtig die neue Haftanstalt ist, hat das jüngste Urteil des Verfassungsgerichtshofs geliefert. Das höchste Berliner Gericht hat darin festgestellt, dass die dauerhafte Unterbringung von Gefangenen in den kleinen Hafträumen der Teilanstalt I in Tegel gegen die Menschenwürde verstoße.
Mit dem Neubau der JVA Heidering in Großbeeren tragen wir also den objektiven Notwendigkeiten Rechnung. Und wir schaffen eine moderne Haftanstalt, die durch neue Arbeits- und Ausbildungsplätze auch für die Resozialisierung optimale Voraussetzungen bieten wird. Wichtig ist uns dabei die saubere konzeptionelle Trennung der hoheitlichen Aufgabe des Strafvollzugs im engeren Sinn von den Aufgaben, die in Zusammenarbeit mit freien Trägern und privaten Investoren besser gelöst werden können, z. B. die Vorbereitung auf die Haftentlassung und eben Arbeit und Ausbildung.
Besonders freut es mich, dass wir zur Vorbereitung der Inbetriebnahme von Heidering verstärkt in die Ausbildung junger Strafvollzugsbediensteter einsteigen, die an den Haftanstalten dringend benötigt werden.
Um dem Strafvollzug eine belastbare Grundlage zu geben, werden wir in den nächsten zwei Jahren die Gesetzgebung auf diesem Gebiet mit einem Berliner Strafvollzugsgesetz zum Abschluss bringen. Wir knüpfen dabei an das Jugendstraf- und das Untersuchungshaftvollzugsgesetz an, mit denen wir die Standards erheblich verbessert haben. Gerade das U-Haftvollzugsgesetz, das wir vor wenigen Wochen beschlossen haben, ist ein rechtspolitischer Durchbruch. Zum ersten Mal in der Rechtsgeschichte unseres Bundeslandes ist es gelungen, die Untersuchungshaft durch ein Gesetz zu regeln und dabei die ureigene Aufgabe, nämlich ein ordentliches Strafverfahren abzusichern, mit den Konsequenzen aus der Unschuldsvermutung zu verbinden. Wir werden mit dem Berliner Strafvollzugsgesetz die bewährte Kooperation mit anderen Bundesländern fortsetzen und ein Gesetz vorlegen, das eine moderne Sicherheit und Resozialisierung verbindenden Strafvollzug in Berlin eine dauerhafte Grundlage verleiht.
Einen weiteren Schwerpunkt setzen wir zur Entlastung des Sozialgerichts. Um die dort entstandenen Überhänge abzubauen, wird 2009 und 2010 nicht nur die Zahl der Richter erhöht, sondern wir werden auch in einer gemeinsamen Kraftanstrengungen noch 20 zusätzliche Stellen im nichtrichterlichen Dienst schaffen. Bei den Bewährungshelfern bereiten wir den Generationswechsel durch die
befristete Einstellung von Nachwuchskräften vor, die in zwei Jahren auf freiwerdende Stellen nachrücken können.
Insgesamt ist die Beschlusslage über den Justizhaushalt von einem Sinn für das Wesentliche und für das Mögliche getragen. Die Berliner Justiz erhält mit diesem Doppelhaushalt einen Beamtenrock, der eng sitzt, aber warm hält, und er ermöglicht Bewegung in die richtige Richtung. Die Justiz wird ihre Aufgaben damit in bewährter Qualität erfüllen. Ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan 06.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch die SPD-Fraktion ist der Auffassung, dass wir nach den Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren mit der direkten Demokratie sowohl auf Bezirks- als auch auf Landesebene gesammelt haben, jetzt darangehen sollten, die eine oder andere Sache zu korrigieren oder Rechtsklarheit herzustellen, wo bisher Unklarheit gegeben war. Die Argumentation, die der Kollege Lux vorgetragen hat, warum das Beteiligungsquorum einen logischen Fehler enthält, der gewissermaßen sogar undemokratische Effekte haben kann, fand ich plausibel.
Wir gehen auch davon aus, dass es einfach von der Struktur her falsch angelegt ist, wenn auf Bezirks- und auf Landesebene unterschiedliche Regeln dafür gelten, ab wann ein Bürgerentscheid, ab wann ein Volksentscheid erfolgreich ist. Da wir auf Landesebene vernünftigerweise ein Zustimmungsquorum haben, sollten wir auch auf Bezirksebene zu einem Zustimmungsquorum kommen. In diesem Punkt haben die Grünen die richtige Frage gestellt und auch den richtigen Lösungsweg vorgezeichnet. Darüber werden wir uns im Rechtsausschuss zu unterhalten haben.
Über die Höhe eines solchen Zustimmungsquorums werden wir sicherlich noch einmal nachdenken müssen. Grundsatz bei den Überlegungen, die wir bisher in der SPD-Fraktion und auch in der Koalition angestellt haben, ist, dass es dabei zu keiner Verschlechterung der Standards für direkte Demokratie kommen sollte. Wir müssen noch mal genau prüfen, was der richtige Stellenwert wäre.
Allerdings sollten wir an dieser Stelle nicht stehen bleiben und noch einen Schritt weitergehen. Es gibt im Bereich der direkten Demokratie auf Bezirksebene noch ein, zwei andere offene Fragen. Die eine ist die demokratietheoretisch sicherlich sehr vernünftige und in der Theorie richtige Überlegung, dass die Bürgerinnen und Bürger theoretisch beiden Vorschlägen ihre Zustimmung geben und dann nachträglich gewichten können, wenn der Bezirk zu einem Bürgerbegehren einen Alternativvorschlag zur Abstimmung stellt. Das Problem bei dieser Sache ist bloß: Das versteht kein Mensch, und das führt ins Chaos. Das haben wir in Lichtenberg erlebt. Deswegen sollten wir generell dazu übergehen, dass in dem Moment, in dem Alternativen vorgelegt werden, auch alternativ abzustimmen ist. Das ist ein Punkt, den wir bei einer Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes in Bezug auf die Demokratie ebenfalls angehen müssen.
Dritter Punkt: Wir sollten auch noch einmal prüfen, ob sich aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Zulässigkeit auf Landesebene auch Konsequenzen für die Bezirksebene ergeben, ob man da die Zulässigkeitsprüfung in irgendeiner Weise auf eine verbindliche Grundlage stellen muss, damit es nicht dazu kommt, dass ein eigentlich rechtlich unmögliches Bürgerbegehren zur Abstimmung gestellt wird und am Ende dann ein Bürgerentscheid gefällt wird, der rechtlich nicht haltbar ist und nachträglich vor Gericht korrigiert werden muss. Das wäre ein Frustrationserlebnis, das ich denjenigen, die sich an der direkten Demokratie beteiligen, die ihre Stimme abgeben, nicht zumuten möchte. – Über diese Punkte sollten wir noch etwas länger nachdenken und nicht sofort zu Einzellösungen kommen, sondern zusehen, dass wir ein kleines Paket schnüren können, eine Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes, das dann vernünftige und tragfähige Regelungen für die weiteren Jahre bringt.
Ich gebe offen zu, dass ich über das Vorpreschen der Grünen deswegen ein bisschen unglücklich bin. Ich halte den Fokus für zu verengt. Wenn wir die Sache ein wenig
Benedikt Lux
gründlicher vorbereitet hätten, hätten wir die Möglichkeit gehabt, das auf eine vernünftige Grundlage für mehr Bereiche als nur für einen einzelnen Regelungsinhalt zu stellen. Aber wie dem auch sei – in der Tendenz marschieren wir in dieselbe Richtung. Wir sollten zusehen, dass wir im nächsten halben Jahr etwas hinbekommen, was dazu führt, dass wir auch in Zukunft tragfähige Regelungen für die direkte Demokratie haben werden. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ein altes Hamburgisches Sprichwort: Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Sachen, die aus Bremen sind.
Auf diese polemische Ebene möchte ich mich aber auf keinen Fall begeben, im Gegenteil. Natürlich ist der Vorschlag der Grünen konsequent. Wir haben ein Wahlalter von 16 Jahren auf der Bezirksebene, warum also nicht, das ist die berechtigte Frage, die die Grünen aufwerfen, auch auf Landesebene. Ich muss allerdings sagen, so konsequent die Fragestellung ist, so groß ist bei mir die Skepsis.
Natürlich ist es richtig, dass es sehr reife 16-Jährige gibt, Leute, denen man ohne Weiteres zubilligen kann, dass sie ein kritisches Urteil auch in diesen Fragen zu fällen in der Lage sind. Es gibt aber auch unreife 25-Jährige, denen man am liebsten sagen würde: Lass es lieber, bleib lieber zu Hause, bevor du ein Unheil anrichtest.
Der Gesetzgeber ist also schlicht und ergreifend aufgerufen, irgendwo eine Linie zu ziehen. In Deutschland hat sich durchgesetzt, dass diese Linie beim Wahlalter von 18 Jahren liegt. Ich denke, das hat sich bewährt. Wenn ich ein Beispiel aus meinem eigenen Leben geben darf: Ich weiß noch, dass ich mich ungeheuer auf den 18. Geburtstag gefreut habe, auch deshalb, weil ich dann wählen durfte. Das ist etwas, was man den Jugendlichen nicht nehmen sollte: den Eintritt in das volle Erwachsenenalter mit all seinen Rechten und Pflichten.
Es ist auch kein Widerspruch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn man auf kommunaler Ebene eine andere Schwelle festlegt als auf der Landesebene, denn die kommunale Ebene bewirkt eine Heranführung an die vollen Bürgerrechte und -pflichten, ein Sich-vertraut-Machen, ein Interesse-Wecken für Politik, was ich für wichtig und sinnvoll und vielleicht sogar für notwendig halte. Es hat die Wahlen auf kommunaler Ebene ja schon einmal gegeben, und zwar 2006. Damals hatten wir 110 000 Wahlberechtigte mehr als auf der Landesebene. Das waren die EU-Bürger und die 16- bis 18-Jährigen. Trotzdem war die Wahlbeteiligung deutlich
unterhalb der Wahlbeteiligung auf Landesebene. Das zeigt, dass auch in diesem Segment die Wahlbeteiligung sehr wahrscheinlich deutlich unterdurchschnittlich war. Das ist zumindest die Schlussfolgerung, die der Landeswahlleiter zog. Ich schließe mich dem an.
Das zeigt auch, dass eine Popularisierung des Wählens auf kommunaler Ebene dringend erforderlich war und fortgesetzt werden sollte. Insofern sollte die Hand für die 16-Jährigen ausgestreckt bleiben. Daraus ergibt sich aber in keiner Weise zwingend, dass man sie auf der Landesebene öffnen muss. Nein, im Gegenteil! Volle Bürgerrechte mit 18 und volle Bürgerpflichten mit 18 – das ist eine stimmige Übereinstimmung und ein gutes Konzept.
Hierzu gibt es auch Parallelen im bürgerlichen Recht, wo wir mit 16 eine eingeschränkte Vertragsfähigkeit haben und die volle mit 18 erreichen. Es gibt auch eine Parallele zum Führerschein. Betrachten Sie es einmal so: Mit 16 dürfen die Jugendlichen bei uns mit der 80er auf die Landstraße und mit 18 dann mit dem Porsche auf die Autobahn.
So sollten wir es beim Wahlrecht auch halten. Das ist zumindest das Argument, das ich vorschlage. Ich denke, wir sollten Ihren Vorschlag in den dafür zuständigen Ausschüssen seriös diskutieren, habe aber meine Haltung dazu deutlich gemacht. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Parlament hat in der letzten Wahlperiode fraktionsübergreifend die Möglichkeiten der direkten Demokratie in der Verfassung von Berlin erheblich ausgeweitet. In dieser Wahlperiode haben wiederum alle Fraktionen dieses Hauses gemeinsam durch eine Änderung des Volksabstimmungsgesetzes das Verfahren vereinfacht und Berlin zu einem der volksabstimmungsfreundlichsten Bundesländer gemacht.
Nun hat der Verfassungsgerichtshof in zwei Urteilen die Tür noch etwas weiter geöffnet, indem er die Änderungen in der Verfassung und im Volksabstimmungsgesetz zugunsten der Träger der Volksbegehren interpretiert hat.
Der Verfassungsgerichtshof hat in dieser Entscheidung zum Kitavolksbegehren sehr weitreichende Möglichkeiten eröffnet, finanzwirksame Entscheidungen zu treffen. Ein Volksbegehren ist auch dann zulässig, wenn dadurch teure neue Aufgaben entstehen. In ein bestehendes Haushaltsgesetz darf der Volksentscheid zwar nicht eingreifen, aber für den nächsten Haushalt wäre er gültig. Diese Klarstellung ist hilfreich, sie stellt uns als Haushaltsgesetzgeber aber politisch vor neue Aufgaben.
Zwei Herausforderungen gilt es im Spannungsverhältnis von repräsentativer und direkter Demokratie zu meistern. Die erste Herausforderung: Wenn wir die berechtigte Sorge haben, dass ein Gesetz des Volkes den Haushalt einseitig zu stark belastet, dann werden wir vor dem Volksentscheid auch entsprechend argumentieren müssen. Dann müssen wir dem Volk die Alternativen deutlich machen – wer A will, muss auf B verzichten. Aber der Gedanke, dass man jeden Euro nur ein Mal ausgeben kann, gerät sogar in unserer Runde oft in Vergessenheit, wenn wir ein bestimmtes politisches Ziel vor Augen haben. Wie viel schwieriger wird er in der direkten Demokratie zum Tragen kommen? – Dazu ein konkretes Beispiel: Meine Frau, von Beruf Richterin, hat sich über das Urteil zum Kitabegehren gefreut. Sie sagte mir, das unterstütze sie auch.
Meine Antwort, Kollege Ratzmann: Prima, mach das, aber sage mir doch bitte auch, wie viele Richterstellen wir zur Gegenfinanzierung streichen sollen – Frau von der Aue bitte weghören!
Das ging dann ein bisschen hin und her, und am Ende fragte meine Frau: Sag mal, redest du so eigentlich auch mit deinen Wählern?
Meine Damen und Herren! Wir werden so mit den Wählerinnen und Wählern reden müssen! Mit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs ist das Volk auch Haushaltsgesetzgeber geworden. Ohne die dazugehörige Denkungsart
wird das nicht funktionieren. Gerade in diesen Debatten werden wir sehen, wie sich das Verantwortungsbewusstsein der Opposition bewährt.
Die zweite Herausforderung: Wenn ein durch Volksentscheid geschaffenes Gesetz Aufgaben definiert, die das Land objektiv nicht bezahlen kann, kommt es zu einem spannenden Experiment in Sachen politischer Kultur. Das Parlament müsste ein solches Gesetz korrigieren. Wird in dieser Situation eine Opposition – welche auch immer, ich schaue da gar nicht in eine bestimmte Richtung – der Versuchung widerstehen, sich hinter das populäre Gesetz zu stellen? – Die Chance, der Mehrheit eins auszuwischen, wird für Viele unwiderstehlich sein. Aber die Konstellation: Regierungsmehrheit gegen ein Gesetz des Volkes, Opposition dafür, muss zwingend das Ansehen von Senat und Parlament beschädigen. Wir können nur hoffen, dass dieses Haus mit einer solchen Situation verantwortungsvoll umgeht, wenn sie einmal eintritt.
Der Verfassungsgerichtshof hat aber auch gesagt: Der Landesgesetzgeber – also wir – hat dem Senat den Auftrag zu prüfen, ob ein Volksbegehren gegen höherrangiges Recht verstößt, aus dem Abstimmungsgesetz gestrichen. Damit hätten wir deutlich gemacht, dass wir eine solche Prüfung nicht für notwendig halten.
Nein, diese Interpretation der Novelle des Abstimmungsgesetzes beruht auf einem Missverständnis. Das hat auch der Rechtsausschuss bei der Vorbereitung des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof noch einmal mit dem Votum aller Parteien – außer den Grünen – bestätigt. Zumindest die überwältigende Mehrheit der Rechtspolitiker dieses Hauses ist weiterhin der Auffassung, dass Volksbegehren unzulässig sein müssen, wenn sie gegen Bundes- oder Verfassungsrecht verstoßen. Die Unzulässigkeit solcher Volksbegehren ist keine Einschränkung, sondern ein Schutz für die direkte Demokratie.
Das lässt sich am besten durch ein Beispiel verständlich machen: Nehmen wir an, ein populäres aber verfassungswidriges Volksbegehren wird in Berlin durchgeführt, zum Beispiel zur Einführung einer Kitapflicht in Berlin ab dem vollendeten dritten Lebensjahr, wie ich sie auch für sinnvoll halten würde. Dabei kommt es zu einer lebhaften Diskussion, einer hohen Mobilisierung der Öffentlichkeit – also zu echter, gelebter direkter Demokratie, wie wir sie uns wünschen. Nehmen wir schließlich an, ein solches Begehren hätte Erfolg, das Gesetz würde mit der erforderlichen Mehrheit vom Volk beschlossen, im Gesetzblatt verkündet und träte in Kraft, die Jugendämter würden mit der Umsetzung beginnen. Das wäre dann der Moment, in dem ein Vater oder eine Mutter, die ihr Kind weiter zu Hause auf die Schule vorbereiten wollen, den Klageweg beschreiten – und natürlich recht bekommen, mit dem Ergebnis, dass das Landesgesetz nachträglich wieder kassiert wird. Die Frustration, der Ärger, die Enttäuschung, die ein solcher Weg zur Folge hätte, wären enorm. Der Vertrauensverlust in die politischen Institutionen und in die Instrumente der direkten Demokratie
wäre verheerend und zwar gerade dann, wenn es sich im Prinzip um vernünftige Vorschläge handelt, die ihren Ausdruck in einem solchen Gesetz gefunden hätten. Die Manipulationsmöglichkeiten, die durch generelle Zulässigkeit für Gruppierungen entstehen, die mit Forderungen wie „Todesstrafe für Kinderschänder“ herumlaufen, brauche ich dabei gar nicht an die Wand zu malen.
Nein, im Moment nicht, ich möchte diesen Gedanken verfolgen, das stört mich jetzt. – Auch ohne bewussten Missbrauch ist die entstandene Rechtslage unpolitisch, lebensfremd und letztlich schädlich für die direkte Demokratie.
Deshalb müssen wir als Gesetzgeber aus dem Urteil vor allem den Schluss ziehen, dass wir das Abstimmungsgesetz in diesem Punkt präzisieren müssen. Wir müssen schnell ein geeignetes Verfahren finden, um die Zulässigkeit von Volksbegehren auch daran auszurichten, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar sind.
Was bedeutet das alles für die Haltung der SPD-Fraktion zu den aktuellen Volksbegehren Wassertisch, Kita und Wahlrecht? – Das Grundanliegen des Volksbegehrens Wassertisch teilen wir. Transparenz über einen Teilprivatisierungsvertrag, der einen wichtigen Bereich der Daseinsvorsorge betrifft, ist wichtig. Der Verfassungsgerichtshof hat geurteilt, dass der Gegenstand dieses Vertrags, nämlich die Wasserversorgung Berlins, trotz seiner privatrechtlichen Form in wesentlichen Bestandteilen im Bereich des öffentlichen Rechts verbleibt. Daraus folgt, dass eine Offenlegung zumindest wichtiger Teile möglich sein wird. Wir wollen diese Offenlegung. Wir werden das rechtlich Mögliche im Sinn der Transparenz umsetzen, aber mit Augenmaß. Eine generelle Offenlegung aller Verträge, die die Berliner Verwaltung mit privaten Unternehmen abschließt, wäre kontraproduktiv. Sie würde verhindern, dass sich Verwaltung wie jeder andere Kunde auf dem Markt bewegt, Konditionen aushandelt, Einzelabsprachen trifft. Nachteile für Berlin als Kunde liegen nicht im Interesse der Allgemeinheit. Aber gerade dieses öffentliche Interesse muss der Maßstab für Transparenz sein. Bei der Teilprivatisierung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge ist dieses Interesse besonders groß, deshalb muss auch die Transparenz groß sein.
Die Ziele des Kitavolksbegehrens teilt die SPD-Fraktion weitgehend. Auch wir wollen deutliche Qualitätsverbesserungen an den Berliner Kitas ermöglichen. Wir bleiben aber bei unserer Einschätzung, dass die Verbesserungen in dem Umfang, den die Träger des Volksbegehrens vorgesehen haben, noch nicht finanzierbar sind. Wir haben deshalb einen Stufenplan vorgelegt, aus dem hervorgeht, was wir schon jetzt für umsetzbar halten, z. B. eine Ver
Verkleinerung der Kitagruppen und mehr Personal für das Kitamanagement. Dieser Stufenplan ist unsere Grundlage für die politische Auseinandersetzung mit dem Kitavolksbegehren.
Letzter Punkt – die Wahlrechtsreform, die der Verein „Mehr Demokratie“ betreibt: Auch hier hat der Senat wesentliche Teile dieser Reform für verfassungswidrig gehalten. Das sind sie wohl auch. Daraus entsteht aber keine Hürde für die Zulässigkeit, insofern werden wir uns mit diesem Thema auch wieder beschäftigen müssen. Aber die SPD-Fraktion ist vor allem aus inhaltlichen Gründen gegen diese Wahlrechtsreform. Die Träger des Begehrens wollen ein hochkompliziertes Wahlrecht, bei den in Listen eingegriffen, Stimmen kumuliert, Ersatzstimmen definiert und Großwahlkreise mit mehreren Abgeordneten gebildet werden. Das halten wir für einen falschen, ja für einen undemokratischen Weg. Die Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie müssen verstehen, was sie mit ihrer Stimme bewirken. Schon heute ist es bei jeder Wahl ein Problem, überhaupt nur den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme zu erklären. Aber das Wahlrecht, das „Mehr Demokratie“ will, ist deutlich schlimmer. Es ist ein Wahlrecht nur für Eingeweihte, ein Wahlrecht, das ausgrenzt. Deshalb bringt es nicht mehr, sondern weniger Demokratie.
Wir lehnen das ab und sind zuversichtlich, dass die Berlinerinnen und Berliner es auch ablehnen werden. Die direkte Demokratie hat unsere Arbeit nicht leichter und unsere Verantwortung als Parlamentarier nicht kleiner gemacht. Wir müssen noch mehr tun, um unsere Standpunkte klarzumachen und für unsere Positionen zu werben. Aber diese Arbeit lohnt sich. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Verehrte Frau Kosche! Erstens: Die Beschlussvorlage, die der Datenschutzbeauftragte in den Unterausschuss gegeben hat, haben wir dort beraten, wir haben sie nicht beschlossen, genau weil da noch Beratungsbedarf besteht, welche Schlüsse für das Volksbegehren Wassertisch ganz konkret aus dem Urteil zu ziehen sind.
Zweiter Punkt: Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache überhaupt keine Festlegungen getroffen. Er hat gesagt, das Verfahren sei zulässig, und ein großer Teil des Konsortialvertrags bzw. des Vertrags über die Teilprivatisierung spiele sich im Bereich des öffentlichen Rechts ab, nicht mehr und nicht weniger.
Dritter Punkt: Ich glaube, ich weiß schon, wie ich mit meiner Frau kommuniziere. Wir wissen, warum wir miteinander verheiratet sind, und zwar miteinander und nicht mit Ihnen.
Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich frage den Senat:
1. Welche Schritte unternimmt der Senat zur Bekämpfung von Jugendgewalt?
2. Ist der Senat der Auffassung, dass nach dem Vorfall in München eine Verschärfung des Jugendstrafrechts zu mehr Sicherheit in der Öffentlichkeit beitragen kann?
Eine Nachfrage in Bezug auf die Intensivtäter: Teilen Sie meine Einschätzung, dass der erkennbare Rückgang der Jugendgruppengewalt mit der erfolgreichen Umsetzung
des Intensivtäterkonzepts in Berlin zusammenhängt, und haben Sie Erkenntnisse über die Rückfälligkeit von Intensivtätern nach Abbüßung der von Ihnen erwähnten zum Teil empfindlichen Haftstrafen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Graf! Weil Sie sich in Ihrer Rede so für formale Fra
gen interessiert haben, habe ich einen kleinen Hinweis für Sie: Wenn Sie die Große Anfrage zu Ende gelesen hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass sie nicht vom Regierenden Bürgermeister, sondern vom Finanzsenator Thilo Sarrazin beantwortet worden ist. – Das möchte ich aber nur als Bemerkung am Rande anbringen.
Seit Stellung und Beantwortung der Großen Anfrage der CDU-Fraktion zum ehemaligen Flughafen Tempelhof sind wir ein großes Stück vorangekommen. Der wichtigste Fortschritt dabei ist, dass Tempelhof heute ganz dem Land Berlin gehört. Damit ist die Grundlage für eine Entwicklung von Gebäude und Gelände aus einer Hand geschaffen worden.
Die Kritik, die der Kollege Graf an den Kosten des Vertrages geäußert hat, kann ganz so stichhaltig nicht sein. Der beste Kronzeuge für die Qualität des Vertrages sind Ihre Kollegen der CDU-Fraktion im Bundestag, die gefordert haben, den Vertrag abzulehnen, weil er nicht vorteilhaft genug für den Bund sein soll. Fragen Sie doch einfach noch einmal nach und werden Sie sich in der CDU einig, wie Sie den Vertrag bewerten! Wir sind mit dem Vertrag einverstanden.
Insgesamt erleben wir seit Beginn des Jahres Schritt für Schritt, wie sich auf dem Flughafenkomplex Neues mit Zukunft entwickelt. Für alle, die dabei gewesen sind, hat besonders die Modemesse „Bread and Butter“ deutlich gemacht, welche Chancen in dem alten Flughafengebäude stecken, wenn man es richtig nutzt.
Ich erinnere mich bildlich an die Menschenmengen in der Schalterhalle. So viel Betrieb, so viel Kommen und Gehen hat dieser schöne Saal in den letzten 30 Jahren nicht gesehen, Herr von Lüdeke. Damit die BIM ihr Ziel erreicht, das Bewirtschaftungsdefizit des Flughafens erfolgreich zurückzuführen, kommt es darauf an, Mieter und Nutzer und finden, die die gleiche Atmosphäre auch für ihre Projekte nutzen wollen. Der Umzug der Eishockeyspieler des ECC Preußen aus der Deutschlandhalle in den Hangar 3 zeigt, welche vielfältigen Nutzungen dabei in Frage kommen.
Der Kollege Pauzenberger freut sich darüber.
Die SPD-Fraktion tut es auch. Aber mit Recht haben die Anwohnerinnen und Anwohner gefordert, sobald wie möglich auch selbst etwas von dem Gelände zu haben. Deshalb unterstützt die SPD-Fraktion die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dabei, auch vor der langfristigen Entwicklung das Tempelhofer Feld zu öffnen. Schon im Oktober wird es die ersten Führungen für alle Berlinerinnen und Berliner geben. Die Sportflächen werden von einem Sportverein verwaltet und betrieben. Ab Mai
werden tagsüber die Berlinerinnen und Berliner das Gelände für ihre Zwecke für Sport und Freizeit, Spaziergänge und Familienausflüge genießen können.
Mittel- und langfristig wird auf dem Tempelhofer Feld ein neues grünes Herz, eine Art Central Park für Berlin entstehen. Die Lebensqualität vor allem für die Menschen, die heute schon rund um den Flughafen leben, und für die Familien, die am Columbiadamm und an der Oderstraße neu dazukommen, wird weiter wachsen.
In den Konturen wird das, was auf dem Tempelhofer Feld entsteht, heute zunehmend erkennbar. Die Entwicklung dieses neuen Stadtgebiets ist ein beglückendes Projekt, das unter ständiger Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger umgesetzt werden muss. Natürlich kostet das alles Geld. Aber dem Geld, das wir ausgeben, stehen auch neue Werte gegenüber. Es ist in dem Sinne – und das unterscheidet die Entwicklung des Tempelhofer Feldes heute von dem Zustand, den wir vor zwei Jahren hatten – eben kein Millionengrab, Kollege Graf, sondern ein Millionenacker, der blühen und gedeihen wird.
Ich meine, dieses Geld ist für eine blühende Zukunft und neue Entfaltungsräume für Tausende von Menschen gut und ertragssicher angelegt. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Bayram! Mit H. G. Lorenz haben wir in der SPD-Fraktion immer gerne gestritten, vor allem deshalb, weil er für seine Positionen stets innerhalb der SPD-Fraktion gestritten hat. Das hat den Gedankenaustausch sehr befördert.
Wie dem auch sei – der Antrag der Grünen vom März dieses Jahres ist durch eine Anpassung der Anwendungshinweise seitens des Senats in der Hauptsache bereits erledigt.
In der Vergangenheit hat die Ausländerbehörde aus schlechten Schulnoten darauf geschlossen, dass ein Schulkind noch nicht auf dem Weg zu einem anerkannten Abschluss sei, und diesen Kindern deshalb die unbefristete Niederlassungserlaubnis verweigert. Von dieser Praxis ist der Senat abgerückt. Kinder, die regelmäßig die Schule besuchen und sich Mühe geben, einen Abschluss zu erreichen, erhalten heute die Niederlassungserlaubnis auch dann, wenn gute Noten noch auf sich warten lassen. Wenn allerdings Schulverweigerung die Ursache für schlechte Leistungen ist, erteilt die Behörde auch weiterhin keine Niederlassungserlaubnis.
Diese Vorgehensweise entspricht einer richtigen Abwägung. Wir wollen, dass auch die Ausländerbehörde mit ihren Entscheidungen auf der Grundlage des Aufenthaltsrechts Integration fördert und unterstützt. Denjenigen, die erkennbar alle Anstrengungen unternehmen, um sich eine Existenz in Berlin aufzubauen, muss die Ausländerbehörde als zuverlässiger Partner zur Seite stehen. Dazu gehört in der aktuellen Situation der Wirtschaftskrise auch, dass Menschen, die ihre Arbeit verloren haben und nicht sofort
neue Arbeit finden, nicht befürchten müssen, dass ihre befristete Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird.
Auch in einem zweiten Punkt müssen wir weiterkommen: Wir wissen alle, dass so gut wie alle geduldeten Ausländer, bei denen Abschiebungshindernisse bestehen, bei uns bleiben werden. Daraus folgt: Wenn wir schon nicht die Kraft oder die politischen Mehrheiten haben, diesen Leuten eine Aufenthaltserlaubnis zu geben, dann sollten wir ihnen wenigstens das Recht geben, von ihrer Hände Arbeit zu leben.
Und die Kinder dieser Leute müssen Zugang zu Ausbildung und Studium bekommen. Sonst haben sie keine Chance, sich zu integrieren, so viel Mühe sie sich auch geben.
Aber umgekehrt ist es dann auch Aufgabe der Ausländerbehörde, darauf zu achten, dass Menschen, die auf Dauer in Berlin leben wollen, sich Mühe geben, auf eigenen Füßen zu stehen. Das ist bei Jugendlichen, die nicht zur Schule gehen, nicht der Fall.
Deshalb ist es konsequent, solchen Jugendlichen keine unbefristete Niederlassungserlaubnis zu geben.
Wichtig ist dabei, dass ein Nein der Ausländerbehörde diese Jugendlichen nicht aus heiterem Himmel trifft. Eltern und Kindern muss klar sein, dass die Verweigerung eigener Anstrengungen aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben kann. Nur dann haben sie eine Chance, rechtzeitig über eine Veränderung ihres Verhaltens nachzudenken. Deshalb sollten die Behörden, die problematische Familien betreuen, einen engen Informationsaustausch untereinander pflegen und gemeinsam über geeignete Maßnahmen beraten.
Wenn es sich dabei um Berliner Familien ohne deutsche Staatsbürgerschaft handelt, sollten in diese Vernetzung neben Schule, Jugendamt, Jobcenter, Quartiersmanagement im Einzelfall auch einmal Polizei und Staatsanwaltschaft, auch die Ausländerbehörde einbezogen werden.
Gerne!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Worauf es mir ankommt, ist, dass die Ausländerbehörde darauf achtet, dass die Kinder, die nicht zur Schule gehen, frühzeitig einen Hinweis bekommen, dass ein regelmäßiger Schulbesuch die Voraussetzung für das Erreichen eines Abschlusses ist und dass nur der Weg, der zu einem Abschluss führt, die Voraussetzung für eine Niederlassungserlaubnis sein kann. Das ist die Aufgabe der Ausländerbehörde. Darauf muss sie achten, und das ist auch die richtige Politik, die dieser Senat durchgesetzt hat.
Wenn es der Wahrheitsfindung dient, gestatte ich auch noch eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu.
Die Frage ist sehr wohl verstanden. Danke sehr, Herr Präsident! – Ich bestreite aber, was Sie sagen, Herr Kollege Mutlu. Ziel der veränderten Verordnung war, die Tatsache zu würdigen, dass es Kinder gibt, die regelmäßig
zur Schule gehen und sich anstrengen, einen Abschluss zu erreichen, und dabei nicht Kinder, denen es schwerfällt, akademische Leistungen zu erbringen, die unmittelbar auf einen erfolgreichen Abschluss hinführen, noch zu demotivieren, indem man ihnen sagt: Du warst nicht gut genug.
Das ist aber im Falle von Schulverweigerung etwas vollkommen anderes, und da musste die Ausländerbehörde eine feine Trennung vornehmen. Das tut sie, und das ist auch der richtige Ansatz. Vielen Dank, meine Damen und Herren, die Diskussion wird uns weiter begleiten!
Danke schön, Herr Präsident! – Ich frage Herrn Senator Dr. Körting: Was unternimmt der Senat, um die Bespitzelung der Westberliner Polizei durch die Stasi zu untersuchen?
Welche Anstrengungen zur Aufarbeitung dieser Frage hat es denn bisher, seit der Wende, gegeben?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen ist deutlich geworden: Es gibt in Berlin keine Spielräume für illegale und gewalttätige Aktionen.
Teile der linksextremen Szene wollten testen, ob der Senat zurückweichen und rechtsfreie Räume zulassen würde – sie wurden eines Besseren belehrt;
der Rechtsstaat hat entschlossen und mit Augenmaß reagiert.
Zwei Wochen lang hat ein linksautonomes Aktionsbündnis in Berlin seinen Protest gegen die sogenannte Gentrifizierung, also die Verdrängung von Menschen mit niedrigem Einkommen aus bestimmten Nachbarschaften, gebündelt in die Öffentlichkeit getragen. Erklärter Höhepunkt der Aktionswochen sollte die Besetzung des Tempelhofer Flughafengeländes am 20. Juni sein. In der Öffentlichkeit gab es Kritik und Ablehnung gegen diese Form der Mobilisierung, aber auch Unterstützung – bei den Grünen, bei der Partei Die Linke, leider auch bei den Jungsozialisten in der SPD. Nach Ablauf der Aktionswochen müssen wir feststellen, dass die Kontrolle über diesen im Ursprung vielleicht als friedlich und kreativ gedachten Protest den Initiatoren entglitten ist. Deshalb lagen auch alle falsch, die für die Anliegen des Akti
Dr. Robbin Juhnke
onsbündnisses Verständnis ausgedrückt haben. Die Aktionswochen haben nicht nur eine ohnehin in Berlin aktive gewaltbereite Szene mobilisiert, sie haben offenbar auch Extremisten von außerhalb angezogen. Dabei kam es erneut zu Übergriffen gegen das Eigentum der Berlinerinnen und Berliner. Autos von Privatpersonen sowie Lieferwagen der Post wurden angezündet, trauriger Höhepunkt war ein Anschlag in der Nachbarschaft des CDUAbgeordneten Dr. Juhnke – der Präsident hat vorhin dazu die passenden Worte gefunden.
Die Radikalisierung und die zunehmende Gewaltbereitschaft entspricht der Logik dieser Aktionswochen, und das musste auch den Initiatoren klar sein. Wer zu wochenlangem Protest aufruft, wer eine kontinuierliche Steigerung erreichen und dazu motivieren will, der produziert Eskalation. Das Signal ist: Das, wozu wir unmittelbar aufrufen, geht, aber es geht auch mehr. Was dieses „mehr“ für eine gewaltbereite Szene bedeutet, kann sich jeder von uns ausrechnen. Deshalb dürfen die Sprecherinnen und Sprecher demokratischer Parteien und auch ihrer Jugendorganisationen diese Form des Protestes nicht unterstützen.
Auch wir haben Verständnis dafür, dass Menschen sich wünschen, dass das Tempelhofer Feld für die Bürgerinnen und Bürger nutzbar wird. Es ist unbefriedigend, ein Dreivierteljahr nach Einstellung des Flugbetriebs an einem Zaun stehen zu bleiben,
obwohl wir wissen, hinter dem Zaun liegen ein Grillplatz, Sportanlagen, Möglichkeiten für Einzelne und für Familien. Es ist gut, dass Tempelhof kein Flughafen mehr ist, die Schließung hat mehr Ruhe, mehr Sicherheit, weniger Umweltverschmutzung für die Menschen in Neukölln, Kreuzberg und Tempelhof gebracht.
Trotzdem wollen wir noch mehr: Wir wollen, dass die Menschen die Räume nutzen können, die der Flugverkehr frei gegeben hat.
Aber natürlich kann diese Öffnung nur kontrolliert und schrittweise erfolgen.